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5000 x 5000 x wieder was Neues?

Innovative Formen der indirekten Lohnsenkung aus dem Hause VW

Von Walter Luh

 

"Kooperationskultur", so weiß Peter Hartz, der Personalchef von VW, wird in seinem Konzern großgeschrieben. Seit Ende 1999 lässt er ein Konzeptpapier mit dem Titel "Benchmark Production 5000 x 5000" kursieren: ein Plan, "5.000 neue Arbeitsplätze zu 5.000 D-Mark Monatsentgelt am Standort Deutschland" zu schaffen, um dem Unternehmensziel, "50 Prozent der Konzernarbeitsplätze in Deutschland zu halten und weiter zu gestalten", zu entsprechen. Voraussetzung für diesen kooperativen Plan ist "die Einführung eines weiterentwickelten Geschäftsprozesses auf der Basis eines neuen Arbeitsmodells mit Programmentgelt".

Auf diese neue Kampagne angesprochen, äußert sich Klaus Volkert (Konzern-BR-Vorsitzender) mit den Worten: "Der Haustarifvertrag für die 100.000 VW-Beschäftigten steht nicht zur Debatte." Günter Lenz (BR-Vorsitzender in Hannover) geht weiter, indem er behauptet: "Diese Jobs (die 100.000, W.L.) abzusichern bleibt unsere Hauptaufgabe." Auch IGM-Bezirksleiter Hartmut Meine fordert, dass der VW-Haustarif unangetastet bleibt, betrachtet aber das Konzept des Programmentgelts als Experiment, das, sollte es unter Einschluss tariflicher Regelungen klappen, "eine tarifliche Weiterentwicklung darstellen" könnte, "die es bisher noch nirgendwo gegeben hat" (Metall Nachrichten – Bezirk Hannover, 28.2.2000). Was heißt das, wenn der Haustarif nicht angetastet, Tarifbestimmungen aber experimentell weiterentwickelt werden sollen? Schwer einzuschätzen ist, warum die verantwortlichen Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre in ihren öffentlichen Stellungnahmen so allgemein bleiben. Doch wenngleich wir über "5000 x 5000" noch nicht so viel wissen, lässt sich doch auf der Basis des bislang an die Öffentlichkeit Gelangten jetzt schon sagen, dass es dabei nicht bleiben darf.

 

Was steht zur Debatte?

In einem dreijährigen Pilotprojekt will VW ab 2001 insgesamt 5.000 neue Arbeitsplätze schaffen, davon 3.500 in Wolfsburg und 1.500 in Hannover. Die neu Einzustellenden sollen außerhalb des Haustarifvertrages mit einem so genannten "Programmentgelt" in Höhe von 5.000 DM entlohnt und unter den Bedingungen eines neuen Arbeitsmodells beschäftigt werden. Folgende vier Elemente sind für dieses Modell wesentlich:

1. Organisationseinheit der durchgehenden Prozesskette, 2. neue Entlohnung mit dem Programmentgelt, 3. neue Führungsstruktur und 4. weiterentwickelte Arbeitsformen im Sinne der Schlanken Produktion mit flexiblen Arbeitszeiten.

1. Sowohl in Wolfsburg beim Minivan als auch in Hannover beim Westfalia Camper soll jeweils die durchgehende Prozesskette als Business Unit entwickelt werden, d.h. unter Einbeziehung von Logistik, Fertigung, Qualitätssicherung und Vertrieb. Zusammen mit dem Programmentgelt stellt dies eine Weiterentwicklung des Profitcenter-Prinzips dar.

2. Programmentgelt bedeutet dabei nichts anderes, als dass für die erbrachte Stückzahl von 1.000 pro Tag unabhängig von der dafür benötigten Arbeitszeit entlohnt wird. Das Programmentgelt setzt sich aus einem monatlichen Grundlohn von 4.500 DM und einem Bonus von 500 DM pro Monat zusammen. Letzterer wird in halbjährlichem Rhythmus ausgezahlt, allerdings nur, wenn die erforderliche Stückzahl erreicht wird. Wird diese getoppt, winken Ergebnisbeteiligungen. Bezahlte Überstunden gibt es also nicht. Ebenso fallen alle Arten von Zuschlägen (für Nachtschicht etc.) weg. Der Samstag wird Regelarbeitstag. "Der Sonntag bleibt von strengen Ausnahmen abgesehen ‘heilig’." Laut Landesinfo der PDS Niedersachsen (2/2000) fallen auch VW-übliche Weihnachts- und Urlaubsgelder weg. Aus dem VW-Konzept verlautet nichts Gegenteiliges. Neu ist, dass zwischen Arbeitern und Angestellten kein Unterschied mehr gemacht werden soll; alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten den gleichen Lohn. Unklar ist allerdings, wie die Entlohnung während des Modellanlaufs geregelt wird. Wird auch in dieser Phase kein Bonus gezahlt, wenn die 1.000 Stück nicht erreicht werden? Ein Modell zum Laufen zu bringen, erfordert einen hohen Arbeitsaufwand, der sich selbstverständlich noch nicht in hohen Stückzahlen äußern kann.

3. Für jede Business-Unit gibt es künftig nur noch eine Führungsebene. Eine Meisterebene ist nicht vorgesehen. "Der Betriebsrat wird in die Leitung der Business Unit integriert und arbeitet voll verantwortlich mit." Wesentliche Aufgabe des Managements wird die Produkt-Kosten-Optimierung (PKO) sein. Unklar ist, wie die Zusammenarbeit von BR und Management aussehen soll. Nicht dass es etwas Neues wäre, wenn Management und BR gemeinsam ihren Betrieb flott machen – doch bisher nicht im gleichen Büro bei offenen Schubladen, oder? Und was ist dann mit voll verantwortlicher Mitarbeit gemeint? Welchen Lohn erhalten BR-Mitglieder, wenn sie aktiv im Management mitarbeiten: die 5.000 DM oder Managementgehälter?

4. Das Arbeitsprofil der Teams wird mit indirekten Tätigkeiten wie z.B. Qualitätssicherung und Qualifizierung angereichert. Um das Soll zu erreichen, verlangt dies von den Teams einen selbständig flexiblen Einsatz ihrer Arbeitskraft. So werden ihnen tragbare Computer mit Lernprogrammen zur Verfügung gestellt. Die Zeit für die Arbeit damit müssen sie sich aber entweder freischwitzen oder, falls dies nicht gelingt, als unbezahlte Überzeit nehmen. Durch integrierte Qualitätsprozesse soll Nacharbeit vermieden werden. Die Gruppe soll sich selbst verpflichten, "nur Qualitätsteile weiterzugeben".

 

Warum das alles?

In dem Konzeptpapier, das dem express vorliegt, wird als Grundorientierung die "unverwechselbare deutsche Herkunft" von VW proklamiert, die, bestehend aus "einer besonderen Konstellation von Kundenimage, Kapitalstruktur, Kooperationskultur und kompromissloser Produktorientierung", sich nur dann "auf Dauer glaubwürdig und voll wettbewerbsfähig fortsetzen" ließe, "wenn wesentliche Teile des Kerngeschäfts aus sich heraus in Deutschland trotz des hohen Kosten-Niveaus gesund und fähig bleiben, neues Kerngeschäft für deutsche Standorte an Land zu ziehen. Ein Gradmesser dieser Wettbewerbsfähigkeit ist es vor allem, an internationale Standorte verlorene Fertigungsumfänge zurückzuholen." Und: "Unser Ziel lautet, in einem Pilotprojekt den Nachweis zu erbringen, wie Automobilfertigung auch in Deutschland im Vergleich auch zu europäischen low-cost Standorten voll wettbewerbsfähig darstellbar wird." Mit Deutschtümeleien und dem strategischen Ausspielen europäischer Standorte sollen also Personalkosten gedrückt werden.

5.000 DM sind zwar kein Niedriglohn, wir sollten uns aber genauer anschauen, welche Vorteile VW von diesem neuen Konzept hat. Zunächst einmal sollen damit die Personalkosten pro Fahrzeug konstant gehalten werden, da immer der gleiche Lohn für die Erreichung von 1.000 Stück pro Tag gezahlt wird. Mit der Entkopplung des Lohnes von der Arbeitszeit findet hier eine relative Lohnsenkung statt, da u.a. unvorgesehene Arbeitsvolumen nicht als Überstunden entgolten werden. Des Weiteren fällt auf, dass mit 500 DM oder 10 Prozent ein hoher Anteil des Monatslohns als Bonus für die Erreichung der Sollstückzahl gezahlt wird. Wenn das tatsächlich hieße, dass bei einem monatlichen Durchschnitt der Tagesstückzahl von 999 Fahrzeugen dieser Bonus vorenthalten würde, hat dieser mehr den Charakter einer Strafe für die Nichterfüllung des Solls. Damit läge die Schlussfolgerung nahe, dass VW hier nicht Leistung an sich, sondern vor allem die sicher kalkulierbare Leistung wichtig ist. Das Unternehmen kann so zu Lasten der Beschäftigten eine höhere Liefertreue gewährleisten bzw. die Kosten für mangelhafte Liefertreue mit 10 Prozent der Lohnkosten kompensieren!

Welche Bedeutung hat aber dieser Lohn in der Produktion der Automobilindustrie, die von ständiger Innovation und Kostensenkung geprägt ist? Halten wir uns vor Augen, dass hier, besonders in den Montagebereichen, ein Großteil der Arbeit aus recht stupider, repetitiver Handarbeit besteht, also schlicht aus Aufgaben, die nur deshalb nicht von einem Roboter gemacht werden, weil es noch keinen Roboter gibt, der dies so schnell, so gut und vor allem so billig machen kann wie ein Mensch. Dieser Kostenvergleich von Handarbeit und weiterer Automatisierung ist aber gewöhnlich von den tariflichen Regelungen der Arbeitszeit, des Stundenlohns und der Mehrarbeitszuschläge bestimmt. Im Modell des Programmentgelts entfallen diese Regelungen, die bisher Rahmenbedingungen von Wirtschaftlichkeitsrechnungen waren. Da die Personalkosten konstant bleiben und die Arbeitszeit nach oben nur von gesetzlichen Regelungen beschränkt wird, wächst Investitionen eine neue Bedeutung zu.

Das Modell der Teamarbeit im Konzept "5000 x 5000" spiegelt zunächst neben der teilautonomen Arbeitsorganisation eine zeitliche Selbstbestimmung vor: Es muss zwar mindestens 28,8 Wochenstunden gearbeitet werden, aber darüber hinaus "nur" die Zeit, die für täglich 1.000 Stück nötig ist. Blauäugig betrachtend könnten wir meinen: "Prima, wenn wir schneller sind, können wir schon nach 6 Stunden nach Hause gehen." Aber die Arbeitszeit, die für die Erreichung dieser Stückzahl notwendig ist, bestimmt sich ja allenfalls sekundär über die Arbeitsleistung und -motivation der Beschäftigten. Primär sind hierfür Arbeitsvolumen und Ausrüstung bzw. Automatisierungsgrad. Beides zu bestimmen liegt mit der Entscheidung über Fremdvergabe und weitere Betriebsmittel in der Hand des Managements. Eine Strategie, Produktivität zu steigern, wäre hierbei, Kosten für Betriebsmittel und Fremdvergabe zu senken und so die maximale Steigerung der Wochenarbeitszeit auszureizen. Die Aufgabe des Managements könnte es also sein, mit dem Drehen an der Kostenschraube die Waage von Arbeitszeit und Investitionen an der Akzeptanzgrenze der Beschäftigten zu tarieren.

Unmittelbar hieße das für die Beschäftigten, Investitionen und Fremdvergabe zu fordern: "Je mehr investiert wird, desto weniger muss ich bei gleichem Lohn arbeiten", oder: "Schön, dass die Frontend-Vormontage outgesourced wurde, da brauchen wir die nicht mehr zu machen." Für die Gewerkschaften bedeutete das, dass mit der Entkopplung von Lohn und Arbeitszeit Investitionsentscheidungen eine tarifliche Bedeutung gewinnen. Doch wie sollen sie damit umgehen? Liefert dies einen Grund, tatsächlich aktiv ins Management der Business-Unit einzusteigen? Müssen wir bei künftigen Tarifverhandlungen auf ein gewisses Maß an jährlichen Investitionen pochen? Spätestens an diesem Punkt beißt sich die Katze in den Schwanz: Die vertragliche Entkopplung von Lohn und Arbeitszeit bedeutet ja nicht, dass beides für die Beteiligten nichts miteinander zu tun hat. Es bedeutet ebenso wenig, dass das Verhältnis von Lohn und Arbeitszeit zwischen Unternehmen und Beschäftigten nicht mehr ausgehandelt wird. Diese Aushandlung würde nun informell in den Arbeitsprozessen und ohne die Gewerkschaften als politische Stimme der Beschäftigten geschehen. Ein Einstieg in das Modell des Programmentgelts heißt also für die IGM, sich aus der tariflichen Regelung der Arbeitszeit und des Lohns zu verabschieden und dem Management und seiner betrieblichen Hegemonie das Feld zu überlassen. Zugleich würden die BR durch ihre Einbeziehung in das Management der Business Units viel deutlicher noch als bisher in Überlegungen zur Kostenkonkurrenz zwischen Arbeitsintensivierung und Arbeitszeitverlängerung einerseits und Rationalisierungsinvestitionen andererseits eingebunden. Doch Forderungen nach Investitionen zur Automatisierung stupider Tätigkeiten und zur Verminderung von Arbeitsverdichtung können nur im Zusammenhang mit Arbeitszeitverkürzungen – bei mindestens vollem Lohnausgleich in der Fläche – im Interesse der Beschäftigten sein. Das Konzept des Programmentgelts ist somit abzulehnen.

In den "Metall Nachrichten – Bezirk Hannover" vom 28. Februar findet sich neben fünf Artikeln zu "5000 x 5000" nicht zufällig ein Artikel über die erfolgreichen Bemühungen von BR und VW-Belegschaften, befristeten Kolleginnen und Kollegen feste Anstellungen zu erkämpfen. So wird von 20.000 VW-Beschäftigten in Wolfsburg berichtet, die am 3. Februar dieses Jahres die Arbeit für zwei Stunden niederlegten, um die Festanstellung von 1.771 Kolleginnen und Kollegen zu erreichen. Der Protest war insofern ein Erfolg, als allen Befristeten nun bei VW oder zumindest bei der Wolfsburg AG eine Festanstellung erkämpft werden konnte. Fraglich ist allerdings, ob diese Streikbereitschaft der 20.000 nach dem Haustarifvertrag Beschäftigten auch bei Kollegen mit "5000 x 5000"-Verträgen erhalten bleibt: Ein Streik, der das Unternehmen schädigt, bedeutet für sie den Verlust des 500-DM-Bonus. Und das ist schon eine andere Größenordnung als der Lohnverlust von zwei Stunden.

 

Was ist zu tun?

Meines Erachtens sollte die IGM mit diesem neuen Beschäftigungsmodell so umgehen, wie sie es bei den ebenso prekären Befristeten bewiesen hat: tarifliche Festanstellungen erkämpfen. Doch dies kann nicht alles sein. An den Formulierungen des Konzepts wird zweierlei deutlich: Erstens geht es VW in diesem Pilotprojekt zwar vordergründig um die 5.000 neuen Beschäftigten, im Grunde aber um ein Modell für "wesentliche Teile" des deutschen Kerngeschäfts – und damit letztlich doch um den Haustarifvertrag. Zweitens zeigt sich, dass VW mit dem Arbeitsplätze-Köder die Angel nach rechten Standortschützern in der IGM auswirft, um erfolgreich deutsche VW-Beschäftigte gegen ihre Kolleginnen und Kollegen in Europa auszuspielen. Gegen diese Standort-Konkurrenz muss vorgegangen werden.

 

Der Beitrag ist erschienen in express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, Ausgabe 5/2000 siehe auch: http://www.labournet.de/express/


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