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läuft und läuft und läuft doch ... aber: wo laufen sie denn hin?



Am 26. Juni erklärte die IG Metall die Verhandlungen mit dem VW-Konzernvorstand über das Modell "5000 mal 5000" für gescheitert und wurde, wie der neoliberale Konsens von Medien und Politik erwarten ließ, von allen Seiten mit heftigsten Vorwürfen überschüttet. Sturheit, mangelnde Beweglichkeit und Festhalten an alten Ideologien! Vor allem aber Verrat an Erwerbslosen, die sie um die seltene Chance auf einen Job gebracht habe (die guten Gründe, sich auf die Zumutungen von VW nicht einzulassen, haben wir in der letzten quer vom August 2001 nachgezeichnet). Damit hätte es gut sein können, doch sogleich wurde ebenso unisono proklamiert, das dürfe nicht das letzte Wort in dieser Sache gewesen sein. So war absehbar, dass die leidige Chronistenpflicht zu erneuter Befassung zwingen werde.

Schon am 27. Juni hatte Sigmar Gabriel, Ministerpräsident Niedersachsens, des größten Einzelaktionärs bei VW, "neue Gespräche", wenn auch mit einer gewissen Schamfrist, gefordert. Dass der VW-Haustarif unterboten werden sollte, stand dabei für ihn außer Frage; lediglich der niedersächsische Flächentarif sollte "nicht deutlich" unterschritten werden, schrieb die Hannoversche Neue Presse. Tags darauf berichtete sie, dass Konzernvorstand und Gesamtbetriebsrat eine Lösung im Wege einer Betriebsvereinbarung für "denkbar" hielten, und am 30. Juni meldete die Frankfurter Rundschau die Einrichtung einer Arbeitsgruppe von Konzernvorstand und Betriebsrat - unter einstweiligem Ausschluss der IG-Metall-Leitungsebenen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (iwd-Nachrichten v. 05.07.01) gab schon mal die Richtung vor: nicht der VW-Haustarif dürfe Maßstab der Bewertung sein, "weil sich das neue VW-Konzept eher mit dem Einstiegstarif für Arbeitslose (..) gleichsetzen lässt, den es bereits in der Chemie- oder Papierindustrie gibt. In der Entsorgungswirtschaft können Tarifentgelte für Arbeitslose sogar bis zu 25 Prozent abgesenkt werden."

Laut HAZ sollte "in einem Sondierungsgespräch in der zweiten Augusthälfte zunächst geklärt werden, 'ob und wie es möglich ist, die bisherigen Streitpunkte auszuräumen'. Gelinge dies, könnten kurz darauf erneut Verhandlungen beginnen." (11.07.01)

Damit senkte sich der Vorhang, um sich nach vier Wochen mit Getöse wieder zu öffnen: bei einem Besuch im VW-Werk Braunschweig erklärte Gabriel: "Wir benötigen in Deutschland (...) dringend solche flexiblen Beschäftigungsmodelle. Ich bin deshalb guten Mutes, dass diesmal die Chance nicht vertan wird." Und auch Peter Hartz zeigte sich "sehr zuversichtlich, dass wir diesmal erfolgreich sind.³ Warum auch nicht: habe man doch, so der Betriebsratsvorsitzende Klever, "in der kooperativen Konfliktbewältigung bei VW viel Übung." (hnp, 09.08.01)

Am selben Abend dann der Auftritt von Kanzler Schröder auf dem Empfang zu Hartzens 60. Geburtstag, "inmitten von Zigarrenqualm und Rotweindunst", wie die Stuttgarter Zeitung die sinnentrübende Atmosphäre später beschrieb: da "vergatterte er sie, sich endlich zusammenzuraufen" (StZ, 01.09.01), was allenthalben, Tarifautonomie hin und her, Jubel auslöste.

Wie bestellt kam da ein Strategiepapier des VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Volkert ("Das Projekt muß gelingen", Frankfurter Rundschau, 11.08.01). Seine Ausgangspunkte sind, dass "eine 'beschäftigungsfördernde Tarifpolitik' unter bewusstem Verzicht auf Ausschöpfung vorhandener Verteilungsspielräume" den Verlust von regulären Arbeitsplätzen nicht verhindert habe, "innerhalb der IG Metall" aber "eine Fortführung der Strategie linearer Arbeitszeitverkürzung nicht konsensfähig" sei. Konsequenterweise sind dann "neue" Arbeitsplätze - und sei es nur ein Teil der "verlorengegangenen" - eben nur zu schlechteren Bedingungen zu haben. Das legitimiert er damit, "dass wir insbesondere für Arbeitslose mit sozialen Benachteiligungen (..) einen beschäftigungspolitischen Schwerpunkt (..) setzen wollen.." Und nebenbei lernen wir, dass der Konzernvorstand mit seinem Konzept, das wir in der letzten quer vorstellten, einer Forderung des Betriebsrats nachgekommen ist.

Nun ging alles sehr schnell, obwohl die FR IGM-Bezirksleiter Meine zitiert: "Die Kuh ist noch nicht vom Eis", und die taz betont, "hier stecke der Teufel oftmals im Detail". (23.08.01) Die taz berichtet zwar am 29.08. über die Verhandlungen des 27.08.: "Als sich die Delegationen trafen, war das 30-seitige Vertragswerk schon weitgehend ausformuliert - nur die entscheidenden Zahlen zu Einkommen und Arbeitszeiten fehlten noch." Doch noch am Abend des 27. hieß es bei dpa: "Bei der bisher umstrittenen Arbeitszeit zeichne sich eine Lösung ab, sagte (...) Hartmut Meine am Abend. Dagegen gebe es noch größeren Gesprächsbedarf bei der Bezahlung sowie Qualifizierung und Arbeitsorganisation. Es sei noch nicht absehbar, ob es bald zur Einigung komme. VW-Delegationsleiter Josef-Fidelis Senn sagte: "Es ist noch nicht so, daß wir durch wären." (..) Senn betonte (..), das so genannte Programmentgelt `stellt einen der wichtigsten Eckpunkte unseres Systems dar`."

Wer aber beruhigt zu Bett ging, wurde aber anderntags unsanft geweckt: am Morgen des 28. hatten sich IGM und VW schon geeinigt, und zwar, wie die hnp schrieb, "überraschend schnell, weil VW in den entscheidenden Punkten nachgegeben hatte." Doch dann fährt sie fort: "Der neue Tarifvertrag gilt bundesweit als einmalig. Besonders die hohe Flexibilität bei der Arbeitszeit begeistert die Wirtschaft (..). Kanzler Schröder begrüßte das Modell als wegweisend - er forderte andere Unternehmen auf, dem VW-Beispiel zu folgen." (29.08.01)

Bei näherem Hinsehen zeigt der geschlossene Vertrag jedoch einige Tücken:
"Die "wertschöpfende Arbeitszeit" wird auf 35 Stunden pro Woche festgeschrieben, hinzu kommen drei Stunden Qualifikation, davon die Hälfte bezahlt; der Samstag wird regelmäßiger Arbeitstag, und bis zu zehn samstägliche Spätschichten sind pro Beschäftigtem vorgesehen. Die wöchentliche Arbeitszeit kann also auf 42 Stunden wachsen, soll aber über ein Jahres-Arbeitszeitkonto mit maxmal 200 Stunden auf einen Jahresdurchschnitt von 35 Stunden ausgeglichen werden.

Bezahlt wird, wie von Anfang an von VW geplant, 4.500 Mark brutto pro Monat plus ein Bonus von 500 Mark, mit dem Zuschläge und Sonderzahlungen abgegolten sein sollen. Im zweiten und dritten Beschäftigungsjahr soll die Entlohnung durch "Leistungsboni" und Gewinnbeteiligungen steigen.

"Wertschöpfende Arbeitszeit" wird nicht näher definiert, es bleibt aber dabei, dass pro Arbeitstag eine bestimmte Anzahl fehlerfreier Fahrzeuge produziert werden soll. Wird dieses Ziel verfehlt, muss kostenlos nachgearbeitet werden. Nur bei von der Betriebsleitung oder Zulieferern zu verantwortenden Produktionsstörungen wird bezahlt. Erst noch zu bildende Kommissionen sollen Produktionsziele definieren und die Verantwortung für Störungen klären - und erst dann werden gültige Aussagen über die wirkliche Arbeitszeit (und über durchschnittliche Stundenlöhne) möglich.

Ab Juli 2002 werden die potentiellen Arbeitskräfte "vorqualifiziert" - durch die Arbeitsämter. Ab Oktober folgen sechs Monate eigentlicher betrieblicher Qualifikation und Einarbeitung. Zugleich wird die Produktion schrittweise "hochgefahren". Dafür gibt es befristete Verträge und 4.000 Mark brutto monatlich. Erst mit Beginn der regulären Produktion im Frühjahr 2003 erhalten die ausgewählten Arbeitskräfte unbefristete Arbeitsverträge; sollte das Modellprojekt nach drei Jahren nicht fortgesetzt werden, sollen sie in andere Teile des VW-Konzerns übernommen werden - wenn sie denn gebraucht werden.

VW wird allerdings Zuschüsse der BA für die Einstellung von Arbeitslosen kassieren, deren Höhe vorab nicht zu beziffern ist. Sie hängt vom jeweiligen Einzelfall ab (Eingliederungs-, Lohnkostenzuschüsse etc.), als Untergrenze gelten im Landesarbeitsamt Niedersachsen 25 Millionen Mark.

Große Tarifkommission und Hauptvorstand der IGM billigten dies Modell, und damit können Erwerbslose die Hoffnung auf Beschäftigung zu "normalen" Bedingungen, auf "Umverteilung von Arbeit" getrost abschreiben: Einstiegstarife für Erwerbslose werden Normalität.
Dem grenzenlosen Jubel, den das auslöste, können wir uns daher nicht anschließen: hatten wir noch Ende Juni keinen Grund, uns von der IGM "verraten" zu fühlen, so gibt es jetzt keinen Grund, ihr dankbar zu sein.

Nachtrag: Sofort forderten die Unternehmerverbände entsprechende "Modelle" für andere Wirtschaftsbereiche, weitergehende Tariföffnungsklauseln und Lockerung der Bedingungen für den Einsatz von Leiharbeitskräften. Die Zeit, deren Mit-Herausgeber, Ex-Kanzler Helmut Schmidt, Flächentarife gleich abschaffen will, weil sie "zur Ursache weiterer Arbeitslosigkeit werden" könnten, brachte es (30.08.) so auf den Punkt: "Deshalb geht es jetzt darum, die neuen Ideen mit der Situation in den jeweiligen Betrieben abzustimmen. Dann steht der eigentliche Gewinner von "5000 mal 5000" fest: der Standort Deutschland."

Da können wir aber stolz sein!

 

u-dur (ALSO in Oldenburg)
Der Artikel erscheint in der kommenden Oktober-quer 2001


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