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Ende Juni waren die Verhandlungen zwischen der IG Metall und dem VW-Vorstand über das Projekt »5000x5000« für gescheitert erklärt worden. Die Reaktionen darauf hätten unterschiedlicher nicht sein können. Politik und Medien schimpften im Namen von 10000enden Arbeitslosen erwartungsgemäß über die »Blockade« des zukunftweisenden Projekts durch den Vorstand der IG Metall, namentlich Klaus Zwickel. Gewerkschaftlich orientierte Arbeitsloseninitiativen unterstützten Zwickels Position und wandten sich öffentlich gegen die Instrumentalisierung der Erwerbslosen für Tarifdumping. Der Geschäftsführer des VW-Gesamtbetriebsrats, Hans-Jürgen Uhl, kanzelte die »5000x5000«-Kritiker aus dem gewerkschaftlichen Lager ab: Die Verhandlungen hätten »konstruktiver und produktiver« verlaufen können, wenn »gewisse Belehrungen von jenen, die auch gute Metaller sind«, unterblieben wären.[1] Das waren in diesem Fall nicht nur die »üblichen Verdächtigen« wie die KollegInnen aus der Gewerkschaftslinken, sondern prominente (Gesamt-)Betriebsratsvorsitzende anderer Autokonzerne und der Tarifsekretär der Stuttgarter IGM-Bezirksleitung.[2]
Inzwischen wurden Sondierungsgespräche für eine Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen angekündigt. Für diese zweite Runde dürfte nach all den öffentlichen Statements aus dem VW-Gesamtbetriebsrat eins klar sein: die Verhandler auf IG Metall-Seite haben sich selbst zum »erfolgreichen« Abschluss verdammt was das auch immer bedeuten mag. Auch deshalb lohnt ein Blick auf diese »kleine Revolution«,[3] die der IG Metall und den Beschäftigten der »Autoindustrie mehr als nur einen Blechschaden«[4] bescheren könnte.
Ausgangspunkt für das VW-Konzept ist das inzwischen allgegenwärtige Profitcenter-Prinzip, nach dem jeder Konzern-Betrieb, ja jeder Fertigungsbereich für sich allein maximalen Profit abzuwerfen hat. Mischkalkulationen auf Konzern- bzw. Werksebene soll es nicht mehr geben. Die ab Herbst 2002 geplante Produktion eines »Mini-Van« in Wolfsburg und evtl. eines »Micro-Bus« in Hannover müsse deshalb, so VW, genauso billig und profitabel werden wie am Produktionsstandort Portugal. Deshalb wurde bereits 1999 angekündigt, dass dies nicht zu den Konditionen des VW-Haustarifvertrags, sondern durch Ausgründung in eine eigenständige GmbH mit deutlich niedrigeren Standards für die Beschäftigten geplant werde.
Soweit dies heute erkennbar ist, lehnt sich das Fabrik-Konzept an die von VW auch in Brasilien erprobte Modularproduktion an. D.h., der VW-Betrieb soll sich weitgehend auf Montage beschränken, mit standardisierter Arbeit in kurzen Takten, mit minimalster Lagerhaltung und Pull-Prinzip. Qualitäts- und Lieferfähigkeitsverantwortung soll an die Produktionsteams delegiert werden, der disziplinierende Druck der Teams untereinander wird so nicht nur strukturell organisiert, sondern kaum verbrämt als Ziel benannt. Die Fertigungstiefe wird im Vergleich zu den bestehenden Produktionen noch einmal deutlich gesenkt, Teilefertigung und Vormontage von einbaufähigen Modulen erfolgt im »Zulieferpark«, in dem sich die Zuliefer-Betriebe logistisch optimal um die VW-Mini-Van-Montage anordnen. So sollen Kapitalbindung und Materialdurchlaufzeiten drastisch auf 15 Tage von Auftragseingang bis Auslieferung des fertigen Autos) reduziert werden.
Die Arbeitszeit soll sich ausschließlich an wechselnden Bedürfnissen der Produktion orientieren, d.h. vom jeweils aktuellen Auftragsvolumen und der aktuell notwendigen Arbeitszeit zur Produktion des jeweils geforderten Programms bestimmt werden. »Zumutbar« sei alles zwischen null und der im Arbeitszeitgesetz festgelegten Obergrenze, meint VW-Vorstand Peter Harz, also bis zu 60 Stunden pro Woche und im (Halbjahres-)Durchschnitt 48 Stunden. Und das in drei Schichten an bis zu sechs Tagen, ohne feste Schichtpläne: »Arbeitszeit wird in diesem unternehmerischen Arbeitsmodell nicht länger durch feste Schichtpläne organisiert,« stellt Harz fest.
Alle Vorstellungen von VW, selbst die in den Verhandlungen als »Kompromiss« angebotenen 42,5 Stunden, liefen darauf hinaus, die gesamten arbeitszeitpolitischen Erfolge der IG Metall der letzten 40 Jahre zunichte zu machen.
Nachdem VW bereits 1999 erklärt hatte, dass der Haustarif in der neuen Produktion nicht gelten solle, war absehbar, dass es zuallererst um Lohnsenkung gehen sollte. Tatsächlich bedeutet der Einheitslohn von 5000 DM (4500 DM pro Monat plus 500 DM Bonus[5]) eine massive Lohnsenkung um ca. 40% gegenüber dem heutigen VW-Niveau.[6] Dass diese Lohnsenkung eine Abwärtsspirale für die VW-Standorte mit Haustarifvertrag und die gesamte Branche in Gang setzen würde und auch soll, versteht sich von selbst.
Die umwälzende Wirkung auf die bisherigen Grundsätze und Niveaus der Tarifpolitik soll darüber hinaus durch die Verbindung von Fabrikkonzept und Arbeitszeitmodell mit einem neuen Lohnsystem entstehen. Das so genannten Programm-Entgelt wird bezahlt für die Garantie des jeweils vom Unternehmen geforderten Produktionsprogramms, also nicht für eine definierte Anzahl Arbeitsstunden pro Woche oder Monat unter tariflich fixierten (Leistungs-) Bedingungen. Das unternehmerische Risiko, ob in diesem definierten und bezahlten Zeitraum die gewünschte Ausbringung immer möglich ist, wird so auf die Beschäftigten abgewälzt. Sie sollen ggf. ohne zusätzliche Bezahlung bis zur gesetzlichen Obergrenze arbeiten, um trotz Maschinen- und anderen Ablaufstörungen, Qualitätsproblemen, Nacharbeit o.ä. die geforderte Menge Autos bauen zu können. Zuschläge für Überstunden, Samstags-, Nacht- und Schichtarbeit gäbe es folglich auch nicht.
Das von VW verfolgte Konzept die perfekte Ergänzung der Ziele von »Modular-Produktion« bzw. »Lieferantenpark«: Dort werden Kapitalkosten und Risiko auf die Zulieferbetriebe, hier Restrisiken aus der verbliebenen Produktion in der eigenen Fabrik auf den »Arbeitskraftunternehmer« abgewälzt. Auf diese Weise entsteht ein ganz neuer Typus von Lohnarbeit, ein neues Arbeits- bzw. Abhängigkeitsverhältnis. Reguliert wird dieses nicht mehr durch definierte Leistungsbedingungen, sondern durch das vereinbarte d.h. letztlich von Markt vorgegebene Produktionsergebnis. Der klassische unbefristete Arbeitsvertrag wird so in einen durch die Modellabfolge befristeten Werkvertrag umgebaut. Unternehmerische Risiken trägt dabei weitgehend der Werkvertragsnehmer.
In seiner kritischen Sicht auf das VW-Modell kommt Jörg Hofmann zu dem Ergebnis, dass die IG Metall an einem Scheideweg steht mit gravierenden Folgen für die Beschäftigten. Selbst die »Financial Times Deutschland« (27.7.01) bilanzierte nach den gescheiterten Verhandlungen zutreffend: »... VW-Personalchef Peter Harz wollte in Deutschland die Löhne senken... Ein Feldversuch, von dem eine ungeheure Signalwirkung hätte ausgehen können«, und zeigte Verständnis für die Position der IG Metall.
Bereits vor dem Scheitern der Verhandlungen waren Kompromiss-Signale zu sehen gewesen. Der VW-Gesamtbetriebsrat, fast schon untergehakt mit Personalchef Harz, hat diese noch verstärkt. Bezirksleiter Hartmut Meine äußerte sich zwar (noch?) hart bei den Punkten Wochenarbeitszeit und Programmlohn, der Ausstieg aus dem Haustarif wird jedoch hingenommen und die IG Metall zeige sich »offen für eine Weiterentwicklung ... in den Bereichen Arbeitsorganisation, Qualifizierung, Leistungs- und Personalbemessung sowie Mitbestimmungsrecht.«[7] »Weiterentwicklung« ist heute ein ebenso vernebelnder Begriff wie »Reform«, so dass die Frage an den Kollegen Meine lautet: Weiterentwicklung wohin?
Setzt die Absenkung des Lohn-Niveaus vom VW-Haustarif auf Flächentarifvertragsniveau keine Spirale nach unten für die anderen Werke in Gang? Ist die Hinnahme von grundsätzlich befristeten Arbeitsverhältnissen für die neue VW-Produktion nicht ein Tritt in die Kniekehlen der Metaller, die in den Betrieben gegen die ewig prekären Arbeitsverhältnisse kämpfen? Schrumpft die IGM-Position, die durchschnittliche Arbeitszeit dürfe 35 Stunden nicht übersteigen, nicht zusammen auf »Gesichtswahrung bei Funktionsverlust«, wenn akzeptiert wird, dass Qualifizierungszeiten unentgeltlich zu erbringende Vorleistung der Beschäftigten sein sollen?
Der VW-Vorstand geht mit diesem Standard-Senkungs-Programm voran, dicht gefolgt von Opel. Bei Opel wird über Gegenwehr diskutiert, was diskutiert die IG Metall in den VW-Werken?
Das Gesamtkonzept »5000x5000« ist nicht hinnehmbar für die IG Metall. »Gestaltbar« ist es nur, wenn die wesentlichen Kernelemente vom Tisch kommen. Würden diese hingenommen, wäre in der Autoindustrie (und sicher darüber hinaus) in nicht gerade kritischer Konjunktur eine neue Unterbietungs-Welle mit weitreichenden Konsequenzen ausgelöst. Und das alles für ein Nullsummenspiel[8] mit befristeten Arbeitsverhältnissen. Was dies bedeuten würde, hat Detlef Hensche einmal auf den Punkt gebracht: eine solche Gewerkschaft drohe, nicht mehr Teil der Lösung zu sein, sondern Teil des Problems zu werden.
1) Frankfurter Rundschau, 27.6.2001.
2) »Der Automobilindustrie droht mehr als ein Blechschaden«, von Jörg Hofmann FR, 8.6.2001.
3) IGM-Bezirksleiter Hartmut Meine.
5) Bonuszahlung halbjährlich, plus einer evt. Ergebnisbeteiligung bei Übererfüllung der in der operativen Planung geplanten Erträge. Die soll es jedoch nur geben, wenn diese nicht aus Konkurrenzgründen an die Kunden weitergegeben werden.
6) Vgl. J.Hofmann, a.a.O., Klaus Zwickel, FR 2.7.2001.
7) epage IGM Bezirk Hannover,11.7
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