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"il manifesto" 16.6.2000

Arbeiter-Vertreibung

Zeitarbeiter, FIOM, NIDIL und CGIL vor dem Auto-Salon und der FIAT-Zentrale in Turin-Lingotto gegen das von FIAT praktizierte Benutzen und Wegwerfen

Carla Casalini

"Wir sind Leute, die benutzt und weggeworfen werden." Die "in der NIDIL-CGIL von Turin organisierten Zeitarbeiter" schreiben über ihre "volle Solidarität" gegenüber den mehr als 500 Jugendlichen, die von FIAT-Auto zur Arbeit angemietet worden waren und die sie jetzt beschlossen hat, rauszuschmeißen. Aber besser würde man sagen, daß sie zum Ausdruck bringen, daß sie diese Lage mit ihnen teilen. Das Gesetz sieht vor, daß es keine formale Verpflichtung gibt, sie in der Fabrik zu behalten. Und dies ist die Reaktion von FIAT auf die Anklagen der FIOM: "Das sind wirkliche und wahrhaftige Entlassungen."

Nachmittag in Lingotto

Heute wird die Antwort also nicht in Gesetzesbegriffen ausfallen (ein Gesetz über das es auch viel zu sagen gibt und erst recht über seine Anwendung), sondern in Form einer offenherzigen Antwort. Um 14 Uhr gibt es vor dem Auto-Salon in Lingotto die von der FIOM, der Kammer der Arbeit Turins und der NIDIL-CGIL initiierte Demonstration gegen die Entscheidung, die zeitlich begrenzten Verträge der jungen FIAT-Zeitarbeiter nicht zu verlängern.

Eine Entscheidung, die die Arbeiter im Werk Turin-Mirafiori bewegt und zu Versammlungen und Diskussionen geführt hat. "Vorher", erzählt Claudio Stacchini, Sekretär der 5.FIOM-Liga, "war die Haltung diesen Jugendlichen gegenüber zwiespältig. Es gab sogar den einen oder anderen RSU-Delegierten [1] oder älteren Arbeiter, der sie ansprach, weil die Ärmsten ausgepreßt waren wie Zitronen. Und es gab andere, die sich wütend fragten: ‚Aber warum um alles in der Welt senken die den Kopf gegenüber jedem Mißbrauch ?‘" Als man erfahren hat, daß "sie sie vor die Tür setzen", ist die jetzige Reaktion ausgelöst worden. Viele Jugendliche sind Dutzende von Monaten und mehr in der Fabrik gewesen. Seite an Seite mit den anderen Arbeitern, so daß "viele sich plötzlich den Arbeitsgenossen wegbringen sehen und das hat ihnen nicht geschmeckt". Dadurch ist es zu Versammlungen gekommen und der Embryo eines Gemeinschaftsgefühls entstanden sowie die Kritik an der Gewerkschaft wegen einer Lage, die für alle immer bedrückender und unsicherer wird.

Die Spannung wächst, genährt von den Ausfällen der FIAT AG – angefangen bei den Erklärungen des Vorstandsvorsitzenden Cantarella, der die Diskussion über die "Tarifstruktur" eröffnet hat, die es aufzulösen gelte und der darin der neuen Wende der Confindustria von Antonio D’Amato folgt. "Die heutige Demonstration wird die Gelegenheit für eine erste Antwort auch an Cantarella sein", kündigt Stacchini an.

Streik in den Mechaniken

Es gibt aber auch die von der FIAT-Führung am Mittwoch, während den Verhandlungen mit den Gewerkschaften, plötzlich gemachte Ankündigung: "Die cassa integrazione [2] in den Mechaniken wird verlängert." Die Nachricht hat sich am Nachmittag schnell in der Fabrik verbreitet und der Streik hat begonnen. Wobei 300 Arbeiter die Vorreiter waren und das Ganze in einem fabrikinternen Demonstrationszug durch die Mechaniken mündete. Die FIAT hat ihrerseits auf den Streik reagiert – eine Neuheit, verglichen mit der indifferenten Haltung, die früher gegenüber Streiks zur Schau gestellt worden ist – und hat mitgeteilt, daß unter diesen Bedingungen die Verhandlungen nicht möglich seien. Allerdings beschloß die FIOM auf die Ankündigung bezüglich der cassa integrazione hin zu gehen. Wir nutzen alle Instrumente der Flexibilität und wir finden sie gut – hat übrigens die Geschäftsleitung bezüglich der Angelegenheit der angemieteten Jugendlichen geantwortet und in der Tat ist zusammen mit der cassa <auch> die Nachricht von weiteren 300 Zeitarbeitern eingetroffen, die im Werk Sevel in Val di Sangro befristet und mit Auszubildendenstatus engagiert werden.

Gegen FIAT ? Nein.

Es gibt ziemlich viel, was der Demonstration morgen Nachmittag an Bedeutung aufzuladen wäre. Es gibt ziemlich viel davon, weil eine Gewerkschaft die Alarmsignale bemerkt und versucht eine intensive Kommunikation zu beginnen, um die wachsende Flut von "atypischen" jungen Arbeitern in denselben Arbeitsstätten zu "repräsentieren", die einstmals stabil waren.

Nach sechs Versammlungen mit den Zeitarbeitern erzählt Ornella Banti, Funktionärin der NIDIL-CGIL von Turin: "Wir haben ihrem Kummer und zusammen damit der Resignation gegenübergestanden, mit der sie sich in eine Außenwelt von ‚Leuten, die man benutzt und wegwirft‘ projezieren." Deshalb die heutige Demonstration: "Wir wollen, daß ihr Kummer sichtbar und gehört wird: vom Ministerium und von den Peripherie-Inspektoren, die den unzulässigen, übermäßigen Gebrauch der Zeitarbeit kontrollieren. Und wir müssen Tarifverhandlungen für eine ‚regulierte‘ Flexibilität mit den Agenturen beginnen." Aber die artverwandten Strukturen von CISL und UIL für die prekäre Arbeit, ALAI und CPO, die doch mit der NIDIL übereinstimmen, werden nicht in Lingotto dabei sein. Und die Gewerkschaftsbünde, denen sie angehören, werden ebensowenig dort sein, wie die FIM und die UILM. [3] Gegen FIAT ? Nein <da machen sie nicht mit /d.Ü.>.

 

Übersetzung und erläuternde Fußnoten: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

  1. Die italienische Mischung aus Vertrauensmann und Betriebsrat.
  2. Staatlich bzw. über Sozialbeiträge finanzierte Kurzarbeit Null, die maximal drei Jahre dauert und in der Regel die dann auch formale Arbeitslosigkeit zur Folge hat, bei der es allerdings keine finanzielle Unterstützung gibt.

  3. Die FIM ist die Metallarbeitergewerkschaft der CISL, die UILM das Pendant innerhalb der kleinsten und am weitesten rechts stehenden (früher der – 1993 an Korruption zugrunde gegangenen – Sozialistischen Partei Italiens nahestehenden) Gewerkschaftszentrale UIL..


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