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Daimler beschäftigte Folterer als Werkschutzchef

- Neue Hinweise auf die Verwicklung von Daimler-Chrysler in die Ermordung von Gewerkschaftern in Argentinien -

Die Hinweise, dass der Stuttgarter Automobilkonzern Daimler-Chrysler in die Ermordung von Gewerkschaftern während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) verwickelt ist, verdichten sich.

"Wir wissen jetzt, dass der langjährige Chef des Werksschutzes der Mercedes-Fabrik in González Catán zuvor Kommandant des Polizei-Kommissariats San Justo war. Dort wurden mindestens zwei der entführten Gewerkschafter gefoltert", erklärt der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck gegenüber ND. Er nimmt dabei Bezug auf Recherchen der in Uruguay lebenden Journalistin Gaby Weber. "An diesem Fall wird deutlich, dass es eine enge Kooperation zwischen als Folterer bekannten Kräften aus dem staatlichen Repressionsapparat und Mercedes gegeben hat", so Kaleck, der ehemalige Mercedes Arbeiter in einer Klage gegen den Konzern vertritt.

In einem Daimler Werk in González Catán nahe der Hauptstadt Buenos Aires sind in den Jahren 1976 und 1977 mindestens 13 aktive Gewerkschafter von Polizei und Armee entführt und mutmaßlich ermordet worden, wie Frau Weber nach monatelangen Recherchen herausfinden konnte. Letztes Jahr stellte der Berliner Anwalt Kaleck im Namen des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) Strafanzeige gegen einen führenden Daimler Mitarbeiter und argentinische Militärs, denen er die Morde anlastet.

Er stützt sich dabei unter anderem auf die Zeugenaussage des ehemaligen Daimler-Betriebsrates Hector Ratto, in dessen Beisein der damalige Werksleiter Juan Tasselkraut am 12. August 1977 die Adresse des Gewerkschafters Diego Nuñez der Polizei übermittelte. Nuñez wurde in der folgenden Nacht verschleppt und ist seither verschwunden. Ratto blieb 19 Monate lang inhaftiert und war Folterungen unterworfen. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth in der Sache. Sie ist zuständig, weil der Beschuldigte Tasselkraut deutscher Staatsbürger ist.

Die von Frau Weber nachgewiesene Beschäftigung des ehemaligen Polizeikommissars Rubén Luis Lavalléns als Werkschutzchef könnte für Daimler-Chrysler zu weiteren Imageschäden führen. Der heute 64-jährige Lavallén ist in Argentinien als Folterer öffentlich bekannt. Im Juni 1978, noch in seiner Zeit als Polizeichef in San Justo, brachten Lavallén und seine Frau die zweijährige Paula Logares zwangsweise in ihre Obhut und ließen sie als ihre leibliche Tochter registrieren. Die Eltern des Kindes waren zuvor auf der Polizeiwache gefoltert worden und sind bis heute verschwunden.

1984 wurde Lavallén für die Kindesentführung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er allerdings nur 20 Monate verbüßen mußte. Der Fall wurde zum Politikum, weil Lavallén der erste represor war, welcher wegen Kindesentführung verurteilt wurde. Insgesamt sollen während der Diktatur nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mehr als 500 Kinder ihren regimekritischen Eltern gewaltsam weggenommen worden sein. In Haft geborene Kinder politischer Gefangener wurden den Müttern direkt nach der Geburt entzogen und – wie im Fall Lavallén – in Familien von Diktaturschergen untergebracht. Während die meisten Diktaturverbrechen durch zwei Amnestiegesetze in Argentinien nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können, sind die Kindesentführungen davon ausgenommen.

Nur kurze Zeit nach der Entführung des Kleinkinds Paula Logares trat Lavallén am 1. Juli 1978 den gut bezahlten Posten als Chef des Werkschutzes von Mercedes an, den er bis kurz vor seiner Verurteilung 1984 bekleidete. In einem Zeugnis wird Lavallén von den Autobauern aus Stuttgart bestätigt, "seine Arbeit optimal und vertrauenswürdig verrichtet" zu haben. Von Gewerkschaftern wurde die Einstellung Lavalléns 1978 dagegen als Drohung empfunden: "Die linken Betriebsräte ermordet, ein represor zum Sicherheitschef ernannt – da widersprach im Werk niemand mehr", sagte ein langjähriger Mercedesarbeiter Frau Weber bei ihren Recherchen.

Rechtsanwalt Kaleck fordert nun die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf, die Ermittlungen auf weitere Angestellte von Daimler-Chrysler zu erweitern, die Auskunft über die Ereignisse geben könnten.

Die Daimler-Chrysler Zentrale in Stuttgart stellt sich dem Fall gegenüber dagegen weiter taubstumm. Auf Anfrage von ND erkärte Frau Merzig-Stein von der Pressestelle, dass Daimler keine Notwendigkeit sehe, sich zu dem Fall der "ewig lange her ist" zu äußern. "Wir können doch auf die zusammengebackenen Geschichten, die immer wieder veröffentlicht werden, nicht jedes Mal antworten", erklärte Frau Merzig-Stein. Trotz zahlreicher Presseveröffentlichungen und einem laufenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft weigert sich Daimler seit Monaten konstant, inhaltlich auf die Vorwürfe zu reagieren.

Dies stände dem Konzern indes gut an. In Argentinien sind nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 mindestens 30.000 Oppositionelle entführt und ermordet worden. Unter dem Vorwand der "Terrorismusbekämpfung" konzentrierte sich die Repression der Militärs auf die Zerschlagung der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung, die Anfang der 70er Jahren in Argentinien über großen Zulauf verfügte. Wie dabei vorgegangen wurde, bekannte der damalige Gouverneur von Buenos Aires Brigadegeneral Iberico Manuel Saint Jean so: "Erst werden wir die Subversiven töten, dann ihre Kollaborateure, dann ihre Sympathisanten, danach die Indifferenten, und zum Schluss die Lauen."

Daimler Benz stellte nicht nur Diktaturschergen als Mitarbeiter ein, sondern lobte das brutale Vorgehen der Militärs sogar öffentlich. Im kurz nach dem Putsch am 26. März 1976 erschienen Jahresabschluss des Unternehmens über das schwierige Geschäftsjahr 1975 heißt es: "Dank der inzwischen erreichten allgemeinen Fortschritte in der Ordnung der Arbeitsverhältnisse wird für 1976 wieder ein positives Ergebnis erwartet." Ein Jahr später wird Bilanz gezogen: "Die politische und wirtschaftliche Stabilisierung in Argentinien seit Frühjahr 1976 sowie die getroffenen geschäftspolitischen Maßnahmen haben sich positiv auf das Unternehmen ausgewirkt."

Bis heute warten die Opfer der Repression bei Daimler in Argentinien auf ein Wort des Bedauern oder gar eine öffentlich geführte Auseinandersetzung zur Rolle des Konzerns in Argentinien. Statt dessen scheint die Zentrale in Stuttgart-Möhringen das Thema durch Schweigen aus sitzen zu wollen.

Boris Kanzleiter

Artikel erschienen in Neues Deutschland vom 30. Oktober 2000

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