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CGT und SMATA - die Rolle der argentinischen Gewerkschaften beim Fall der "verschwundenen" Gewerkschafter von Mercedes Benz

Auszüge aus dem Buch "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz" von Gaby Weber (Verlag Assoziation A, Juni 2001, mitherausgegeben vom LabourNet Germany

 

Einleitung

Nicht wenige Funktionäre des rechtsperonistischen Gewerkschaftsdachverbandes CGT, der während der Diktatur verboten war, hatten mit der Repression gemeinsame Sache gemacht. Juan José Zanola von der Bankgewerkschaft zum Beispiel war 1981 von den Militärs als "Berater" (asesor) der zwangsverwalteten Gewerkschaft eingesetzt worden. Für ihn sind die während der Diktatur verschwundenen Kollegen nicht wegen ihrer gewerkschaftlichen Aktivität ermordet worden sondern weil sie "Guerilleros" waren. Er selbst, erzählt er, ist nach dem Putsch von den neuen Machthabern vorgeladen und zur "Zusammenarbeit" aufgefordert worden. Dies habe er abgelehnt und sei 72 Stunden festgehalten worden.

Um ihre verschleppten Mitglieder hatte sich die CGT wenig gekümmert, bis heute läuft dort das Thema Menschenrechte unter "ferner liefen", allenfalls. Bei den Verschwundenen hatte es sich ja meist um linke Aktivisten gehandelt, die innerhalb der Hierarchie gegen die Bürokratie gestänkert hatten und von denen man annahm, daß sie mit den peronistischen Guerilleros "Montoneros" gemeinsame Sache machten. Die Montoneros hatten Funktionäre vom rechten Flügel als "Arbeiterverräter" erschossen.

Die Funktionäre überlebten nicht nur die Diktatur unbeschadet, sie kontrollieren nach wie vor die Hierarchie der CGT. José Rodriguez zum Beispiel war vor und nach der Diktatur Generalsekretär der Automobilarbeitergewerkschaft SMATA, und hat sich in den letzten dreißig Jahren wie seine Kollegen Armando Cavalieri (Gewerkschaft des Einzelhandels) und Zanola (Banken) der erfolgreichen Vermehrung seines Privatvermögens gewidmet. Sie alle leiten bis heute ihre Verbände, organisiert in der CGT.

SMATA ist die Partnergewerkschaft der deutschen IG Metall, die sich an dieser Vergangenheit bisher nicht gestört hat. Und Zanola - einst Berater der Militärs - ist heute Regionalpräsident der UNI, der neuen Internationalen der Dienstleistungsgewerkschaften, in der die deutsche HBV organisiert ist.

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Die Automobilarbeitergewerkschaft SMATA

Ich hatte am Anfang meiner Recherche nur eine vage Vorstellung von SMATA, der argentinischen Automobilarbeiter-Gewerkschaft. Naiv rufe ich im zuständigen SMATA-Büro im Vorort La Matanza an und lasse mich mit dem für Mercedes zuständigen Sekretär verbinden.

Natürlich, er habe von verschwundenen Betriebsräten gehört, erklärt man mir anderen Ende der Stippe, aber er arbeite erst seit 1978 im Werk und habe die Geschehnisse nicht selbst miterlebt.

Aha, seit 1978? Da waren bei Mercedes gerade etliche Arbeitsplätze "frei geworden". Die Zeiten seien "sehr kompliziert" gewesen, erwidert der SMATA-Mann, und was die bei Mercedes verschwundenen Betriebsräte angehe, da möge ich mich bitte an die Werksleitung wenden. Die verfüge über alle Dokumente und Informationen. An die Werksleitung? Ob die nicht etwas mit dem Verschwindenlassen ihrer Betriebsaktivisten zu tun gehabt hätten? Schweigen am anderen Ende der Strippe. Ich verabschiede mich höflich, an die Firma will ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wenden.

Wahrscheinlich bin ich in La Matanza auf einen verschlafenen Provinz-Sekretär gestossen, glaube ich und fahre in die Gewerkschaftszentrale in der Belgrano-Strasse, gleich neben der linken Tageszeitung Página 12.

Der Sitz von SMATA ist, wie viele Gewerkschaftshäuser, ein Denkmal rechtsperonistischer Gewerkschaftsbürokratie, überall Verbotsschilder und Zettel, wer in welchem Stockwerk für was zuständig ist, für die Krankenkasse, für die Ferienwohnungen und für die Beitragszahlungen. Unten, in der großzügigen Eingangshalle, gleich vor dem Lift, hängt eine riesige Gedenktafel: In Angedenken an den Kollegen und Gewerkschaftssekretär Dirk Henry Kloostermann. Er war am 22. Mai 1973 in Mar del Plata von einer links-peronistischen Guerillatruppe erschossen worden, "von Subversiven feige ermordet", so die Tafel.

Der langjährige Peugeot-Arbeiter Kloostermann hatte Smata seit 1968 auf rechten Kurs gebracht. Er hatte die Gewerkschaft gegen die Kandidatur des als "links" geltenden Peronisten Héctor Cámpora bei den Präsidentschaftswahlen 1972 mobilisiert.

Ich fahre in den dritten Stock, Abteilung prensa, Presse. Wo ich die Kommission für Menschenrechte finde? Die gibt es hier nicht, wird geantwortet. Bei vielen anderen Gewerkschaften gebe es aber so eine Kommission, erwidere ich. Das sei sinnvoll, um über Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen fundamentale Arbeitnehmerrechte zu informieren und die Mitglieder in Entschädigungsfragen zu beraten.

Der Pressesekretär ist im Urlaub, sein Vertreter schüttelt mir die Hand. Wieso Menschenrechte? In Argentinien seien die Peronisten, zu diesem Zeitpunkt Carlos Menem, an der Regierung, es werden keine Menschenrechte verletzt. Nein, ich mache einen Rückzieher, bloß nicht an Präsident Menem zweifeln. Ich meine die Zeit von 1976 bis 83, konkret den Fall der verschwundenen Betriebsräte von Mercedes Benz. Der Fall müsse der Gewerkschaft der Automobilarbeiter bekannt sein.

Ich ernte Stirnrunzeln. In Argentinien seien damals in allen Gesellschaftsschichten Menschen verschwunden, weil sie Subversive waren. Ich möge mich an die "Madres de Plaza de Mayo" wenden, die Organisation der Angehörigen der Verschwundenen, die noch immer jeden Donnerstag auf dem Maiplatz vor dem Regierungspalast demonstrieren und Aufklärung über das Schicksal ihrer verschwundenen Verwandten fordern. Die Madres hätten bestimmt Material. Bei der Gewerkschaft sei ich falsch.

Ich bleibe hart: Unten in der Halle habe ich die Gedenktafel für den ermordeten Kollegen Kloostermann gesehen, wie gut, daß man seine Person nicht in Vergessenheit geraten läßt. Aber ich vermisse die Gedenktafel für die von den Militärs ermordeten Gewerkschaftern. Der Funktionär erhebt sich, mit gerunzelter Stirn. In Argentinien sei niemand wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten verfolgt worden, nur Terroristen. Das Gespräch ist beendet. Sackgasse.

Im Laufe meiner Recherchen werde ich klüger, welche Rolle SMATA bei der Repression gespielt hat.

Rückblick: Noch bis Anfang der siebziger Jahre galt das Mercedeswerk in González Catán als SMATA-Bastion. Doch oppositionelle Gewerkschafter stellten ihre Macht zunehmend in Frage. 1975 kam der Bruch, als die "Gruppe der Neun" um die linken Betriebsaktivisten Estéban Reimer und Juan Martín mit überwältigender Mehrheit von der Belegschaft gewählt wurde, nicht weil sie Linke waren sondern weil sie die Interessen ihrer Kollegen ehrlich vertraten. Die SMATA-Funktionäre José Rodriguez und "Turco" Amin galten als Arbeiterverräter.

SMATA hatte nicht nur die Kündigung der 115 Arbeiter im Oktober 1975 gebilligt und den folgenden 24-tägigen Streik für illegal erklärt. Die Mitglieder der "Gruppe der Neun" und ihre Vertrauten waren aus der Gewerkschaft ausgeschlossen worden. Wie aus der Ermittlungsakte Metz hervorgeht, gaben SMATA-Leute vertrauliche Informationen und Namen von "linken Störern" an die Werksleitung weiter. Diese "linken Störer" bedrohten die Macht der korrupten Gewerkschaft und ihre unnachsichtigen Forderungen waren den Arbeitgebern lästig.

Mir wird ein Dokument mit Datum vom 4. November zugespielt, das die Unterschrift von SMATA-Generalsekretär José Rodriguez und den Eingangsstempel des Justizministeriums vom 14. November 1975 trägt.

Am 4. November befand sich Heinrich Metz seit fast zwei Wochen in der Gewalt der Montoneros, und die Firmenleitung verhandelte mit seinen Kidnappern. Sie war bereit, alle Bedingungen zu erfüllen und ein Lösegeld zu zahlen, um ihren Manager frei zu bekommen. Das war nach argentinischen Gesetzen verboten, um zu verhindern, daß Guerilleros dank üppiger Finanzen ihre Schlagkraft erhöhen. Vor allem aber war sie bereit, die Gruppe der Neun und nicht den SMATA-Betriebsrat als legitime Tarifpartner anzuerkennen.

José Rodriguez höchstpersönlich beantragt in dem an den Justizminister gerichteten Schreiben, Mercedes Benz unter Zwangsverwaltung zu stellen. Zitat: "Während die argentinischen Arbeiter ihre legitimen Ansprüche zurückstellen und unsere Soldaten, Söhne dieses Volkes, sich opfern im täglichen Kampf gegen die Subversion, mißbraucht ein ausländisches Unternehmen die Großzügigkeit unserer Gesetze und erlaubt sich den Luxus, unsere Institutionen zu verhöhnen, mit dem mörderischen Verbrechen zu paktieren und unsere Regierung zu verspotten. Wir sprechen von Mercedes Benz Argentinien, die zur Lösung des Konflikts, hervorgerufen durch die Agenten des Chaos und der Subversion, und unter dem Vorwand der realen oder angeblichen Entführung des Produktionschefs Heinrich Metz, mit einer illegalen linksextremen Guerillaorganisation verhandelt."

Die Firmenleitung, so heißt es in dem Antrag weiter, habe ihr Angebot für die Freilassung ihres Managers in einer Zeitungsanzeige vor wenigen Tagen veröffentlicht, "hinter dem Rücken der Gewerkschaft und hinter dem Rücken der Regierung. Dazu gehört auch die Entscheidung der Firmenleitung, kollektiv mit einem Betriebsrat zu verhandeln, der nicht zur Gewerkschaft gehört und von der Subversion adoptiert wurde".

Es folgen auf vier Seiten Anschuldigungen gegen das Unternehmen, mit Terroristen zu verhandeln und gegen die linken Aktivisten, die im Betrieb gegen SMATA agitieren. In einem Atemzug werden die eigenen Verdienste um das Wohl der Arbeiterklasse gelobt, wie viele Probleme beim Umweltschutz gelöst und wie viele Lohnerhöhungen von SMATA durchgesetzt wurden. Dieses Engagement werde durch die Subversion unterminiert, die auf Sabatoge und Arbeitsplatzvernichtung setze.

Der Streik vom Oktober 75 habe "keine Ziele" verfolgt, sondern sei von professionellen Agitatoren angeheizt worden, die Kollegen für terroristische Zwecke mißbraucht worden. Daß die Anführer des Streiks mit den Metz-Entführern unter einer Decke stecken, beweise die Tatsache, daß eine der Forderungen für die Freilassung des Managers die Rücknahme der Kündigungen war. Dafür waren zuvor viertausend Arbeiter in den Ausstand getreten.

Im Justizministerium wird der Antrag entgegengenommen, am 14. November mit einem Eingangsstempel versehen und kommentarlos am 29. Dezember 75 mit einem Ausgangsstempel abgehakt. Heinrich Metz war gerade von den Montoneros auf freien Fuß gesetzt worden, die Angelegenheit hatte sich von selbst erledigt.

Drei Monate später ergriffen die Militärs die Macht und vernichteten die linke Arbeiterbewegung. Bei Mercedes Benz wurden mindestens 14 Aktivisten ermordet, die sowohl der Werksleitung als auch der rechten Gewerkschaft ein Dorn im Auge waren. SMATA nahm, ungestört von einer linken Opposition, in González Catán wieder das Heft in die Hand, Leuten wie José Rodriguez wurde unter der Diktatur kein Haar gekrümmt, im Gegensatz zu vielen anderen rechts-peronistischen Gewerkschaftern, wurde er nicht inhaftiert.

Nur zwischen 1984 und 86, als Argentinien demokratisch geworden war und freie Wahlen auch in den Unternehmen stattfanden, gewann zum ersten Mal eine Mannschaft, die nicht SMATA-hörig war, Sozialdemokraten, Trotzkisten und freischwebende Linke, bis sie nach zwei Jahren wieder überstimmt wurden. Seitdem ist das Mercedes-Werk fest in der Hand von SMATA, die letzten zehn Jahre ohne Wahlen. Aber niemand stört sich dran, niemand kritisiert, niemand traut sich, eine alternative Liste aufzustellen, die Angst steckt den Kollegen in den Gliedern.

Die Funktionäre haben aber ihre Basis verloren, niemand vertraut ihnen. Die meisten Arbeiter sind zwar noch bei ihnen organisiert, weil sie auf diese Weise versichert sind und ein Anrecht auf gewerkschaftseigene Ferienwohnungen haben. Dafür werden ihnen monatlich 22 Prozent vom Lohn abgezogen und an SMATA überwiesen: elf Prozent für die Rente, drei Prozent für die Krankenversicherung, weitere drei Prozent für den Gewerkschaftsapparat und 5 Prozent für Krankenhäuser. Langjährige Mitglieder zahlen für letztere statt fünf nur drei Prozent.

Die Belegschaft mußte Mitte der neunziger Jahre eine Lohnkürzung hinnehmen. Verdienten in den siebziger Jahren Mercedes-Beschäftigte überdurchschnittlich gut, kommt heute ein lang gedienter Bediensteter gerade auf 1000 Pesos netto (2200 DM), wer neu eingestellt wird, auf sehr viel weniger. Die Schicht besteht aus acht Stunden und 45 Minuten täglich, 190 Stunden im Monat.

Heute werden in González Catán Sprinter-Transporter statt mit viertausend nur noch mit 1.200 Arbeitern hergestellt, bzw. zusammengeschraubt. Denn viele Teile werden aus dem Billigland Brasilien oder von Subunternehmern geliefert. Widerstand gegen die diese Entwicklung hat es nicht gegeben, SMATA hat für die Bedürfnisse der Unternehmen immer Verständnis gezeigt.

[S. 21-27]


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