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Augen auf und Schluss damit?

Eine Antwort auf den express-Artikel zum 3.Kongress der Gewerkschaftslinken in Stuttgart.

In seiner Ausgabe 10/2001 zieht der express unter der Überschrift "Augen zu und voran" eine vernichtende Bilanz nicht nur des Kongresses, sondern der Arbeit der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken überhaupt: Ausgehend von einer kritischen Bestandsaufnahme über das Erreichte hätte eine strategische Diskussion über die realen Möglichkeiten der Gewerkschaftslinken begonnen werden können. Die Chance hierzu sei bestmöglich vertan worden. Fazit des express: "Das Treffen offenbarte, dass jeder Versuch der in Stuttgart versammelten Gewerkschaftslinken die Gewerkschaftslinke zu konstruieren, die womöglich noch einheitlich handlungsfähig sein soll, zum Scheitern verurteilt ist."

Rico Müller – der Autor im express – findet kein Wort des Bedauerns dafür, dass die Bemühungen zur Organisierung der Gewerkschaftslinken gescheitert seien, wenn sie es denn sind. Im Gegenteil: Er stellt vielmehr selbstzufrieden fest, der express habe schon von Anfang an gewusst, dass das Projekt zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken schief gehen müsse:
"Die vor zwei Jahren im express vertretene Ansicht, dass es für Gewerkschaftslinke derzeit eigentlich nur um Selbstverständigung und Diskussion gehen kann, und dass alle Versuche, eine bundesweite Interventionsfähigkeit zu simulieren, lediglich in folgenlosen Proklamationen zu enden drohen, hat sich bestätigt."

Müller hält es nicht für erforderlich, diese Absage an die Versuche, auch organisatorisch gegen die gewerkschaftsfeindliche Bündnis-für-Arbeit-Politik der Gewerkschaftsvorstände vorzugehen, näher zu begründen. Ihm genügt es schon, dass der Kongress die in der Tat zu diskutierende Frage nach den Ursachen der Verfehlung selbstgesteckter Ziele nicht hinreichend thematisiert und beantwortet hat. Die Art und Weise, wie Rico Müller diese Schwächen aufgreift, lässt nur den Schluss zu, dass ihm jegliche Bemühungen zur Vernetzung – sprich: Organisierung – der Gewerkschaftslinken zutiefst zuwider sind.

Wir müssen Müller allerdings insofern Recht geben, dass die in der Initiative organisierten Arbeitskreise und Einzelpersonen sich wesentlich genauer positionieren müssen. Einerseits, was die politischen Ziele angeht; andererseits, mit wem diese Ziele durchgesetzt werden sollen. Und nicht zuletzt: es ist zu überprüfen, wen die Initiative zur Vernetzung bislang angesprochen hat und wen sie überhaupt hat ansprechen können.

Auch wenn dies nicht ausdrücklich so gesagt wurde, waren die Aktivitäten der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken in erster Linie darauf gerichtet, untere und/oder mittlere Funktionäre der Gewerkschaften zu sammeln, die mit ihren Vorständen nicht einverstanden waren. Dies lässt sich unseres Erachtens daran festmachen, dass im Vordergrund etwa Fragen diskutiert wurden, welche Gewerkschaften wir brauchen, welche Zukunft Gewerkschaften haben, wie Tarifrunden einzuschätzen waren, wie die betriebliche Mitbestimmung aussehen solle usw. Kurzum: Dies waren Themen, die den Gewerkschaftsfunktionär mit traditionellem Verständnis von Gewerkschaften als Gegenmacht zum Kapital interessieren konnten oder sollten.

Nicht, dass wir die Diskussion um solche Fragen für schädlich oder überflüssig halten. Aber es ist unfruchtbar, diese Fragen zu diskutieren, wenn unklar ist, wessen Interessen die Gewerkschaften formulieren und wen sie für die Durchsetzung dieser Interessen innerhalb der Arbeiterklasse organisieren sollen.

Und hierbei wäre es ein erster Schritt, sich darüber bewußt zu werden, dass die DGB-Gewerkschaften in Deutschland von ihrer sozialen Zusammensetzung her Facharbeitergewerkschaften sind, und zwar unbeschadet der Tatsache, dass in gewisser schwindender Zahl auch ProduktionsarbeiterInnen, VerkäuferInnen usw. dort organisiert sind. Es sind FacharbeiterInnen und zunehmend auch gut bezahlte Angestellte, die in den Gewerkschaften Einfluss und Funktionen haben und auf Basis ihrer – privilegierten – Stellung, denken und handeln und bestimmen, wo es in den Gewerkschaften lang geht. Dem Kapital ist es gelungen, genau diese gewerkschaftlichen Funktionsträger einzufangen und zu korrumpieren – und das fängt schon in den Betriebsräten an. Es ist kein Wunder, dass sich viele KollegInnen aus der Produktion von den Gewerkschaften abwenden, weil sich deren Funktionäre lieber in Aufsichtsräten tummeln und Arbieterinteressen in Standortpakten verschachern.

Darüber hinaus bieten die Gewerkschaften auch gute Verdiener-Pöstchen, für deren Besetzung die Akzeptanz des Kapitalismus und darüber hinaus auch konjunktureller Kapitalinteressen Voraussetzung ist. Die hieraus resultierende Praxis kann logischerweise nur darauf hinauslaufen, für die Durchsetzung der Kapitalinteressen zu sorgen und sich selbst als Manager für den sozialen Frieden unentbehrlich zu machen. Konzentriert findet dies im Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit seinen Ausdruck.

Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist einerseits, dass die Versuche, gewerkschaftliche Aktion gegen das Kapital zu organisieren, sich nicht im Wesentlichen darauf richten dürfen, Funktionärskreise für eine andere Gewerkschaftsarbeit zu gewinnen. Denn die Bereitschaft unter linken – sprich linkssozialdemokratischen bzw. DKP/PDS – Funktionären tatsächlich mit Stellvertreterpolitik und damit mit dem Gewerkschaftsapparat in der Praxis zu brechen, ist äußerst gering. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und können hier nicht umfassend dargestellt werden. Im Ergebnis aber stellen diese Funktionärs-Kollegen das Halten ihre Gewerkschaftsfunktion über alles andere. Sie sind in der Regel auch zutiefst davon überzeugt, dass die einfachen KollegInnen ohnehin weder willens noch dazu in der Lage sind, selbst für ihre Interessen aktiv zu werden. Als Beleg dient ihnen dafür, dass ihre KollegInnen nicht einmal dazu bereit sind, in den Gewerkschaften Mitglied zu werden. Also warum sollen sie durch auffällige Aktivitäten Gewerkschaftsfunktionen riskieren, wenn es sich wegen der rückständigen ArbeiterInnen ohnehin nicht lohnt?

Anderseits ergibt sich als Konsequenz, dass der praktische Bruch mit der Sozialpartnerschaftspolitik, also der Unterordnung unter die Verwertungslogik des Kapitals, nur gestützt auf die Selbsttätigkeit der unteren Schichten der Arbeiterklasse vollzogen werden kann. Diese Selbsttätigkeit ist allerdings nur sehr schwach entwickelt – und zwar ohne dass böse Gewerkschaftsbonzen die an und für sich "kampfeswilligen Proletarier" von mutigen Aktionen gegen die Grundfesten des Kapitalismus abhalten müssten.

Gewerkschaftslinke müssen sich aber, wollen sie ihren Zweck nicht vollständig verfehlen, genau dieser Aufgabe, nämlich der Hebung der Aktivität der Klasse, nach besten Kräften stellen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass diese Aufgabe nicht schnell und nicht einfach zu lösen ist. Ganz im Gegenteil. Die Lösung dieser Aufgabe steht – auch in der Theorie – noch ganz am Anfang und wird erst nach immensen Anstrengungen erreicht werden können. Ein "weiter so" gibt es nicht und erst Recht kein "Augen zu und voran"!

Wir behaupten nicht, dass wir über ein Patentrezept zur Lösung dieser Aufgabe verfügen. Feststeht für uns allerdings, dass sich Gewerkschaftslinke darauf ausrichten müssen, die Interessen der breiten Massen der ArbeiterInnen und kleinen Angestellten zu formulieren. Sie müssen sich mit ihren Aktionen an diese unteren Schichten der Arbeiterklasse wenden, sie aufklären und sie – vor allen Dingen – organisieren. Zusammengefasst: es gilt heute,

überhaupt so etwas wie gewerkschaftliche Basisarbeit zu beginnen, nachdem diese in den Statuten und der Praxis der DGB-Gewerkschaften abgeschafft wurde. Nur mit einer solchen Zielsetzung macht die Schaffung der Organisation einer Gewerkschaftslinken Sinn.

An diesen Vorgaben gilt es, die bisherige Arbeit zu messen, Fehler zu korrigieren, sich zu positionieren und sich zu entwickeln. Rico Müller möchte in die andere Richtung gehen. Er will das, was am Projekt der Initiative der Gewerkschaftslinken positiv ist – nämlich das Bestreben, überhaupt so etwas wie Organisation gegen die Politik der Klassenzusammenarbeit zu bilden – demontieren. Er lädt ein zum fol- genlosen Geschwätz und zum Räsonieren nach dem Motto: Es ist alles schlecht wie es ist, und ich will, dass das so bleibt. Wie sang Degenhard doch so schön über den alten Sozialdemokraten: " … und er spricht und spricht und spricht, aber was ändern – nein, das will er nicht."

aus der Zeitschrift Roter Morgen Nr. 12/01


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