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Gewerkschaftslinke

Opposition oder Stammtisch?

Frederick Haber

Die Vorbereitung der Tarifrunde 2002 war in der IG Metall von zahlreichen Konflikten zwischen den Spitzenleuten geprägt. Zwickel, Huber, Peters - jeder zog in eine andere Richtung, Kehrtwenden mit eingeschlossen. Das hat begünstigt, dass sich die Funktionäre an der Basis wirksam einmischen konnten.

Die Konfusion unter den Spitzen hatte unter anderem dazu geführt, dass sie die Parole ausgaben, Forderungen in den Betrieben erst sehr spät aufzustellen. Das erwies sich – von ihrem Standpunkt aus betrachtet – als dumm. Gerade in den Betrieben, wo die Kritik am letzten Tarifabschluss am schärfsten ist, wurden Forderungen früh aufgestellt. Diese waren dann entsprechend hoch und prägten die Entwicklung.

Zwickel musste das eingestehen. Die Forderungsbandbreite, die 5 bis 6,5% betragen sollte, musste in Baden-Württemberg auf 7% erweitert werden. Die endgültige Forderung liegt jetzt bei 6,5%. Das Projekt des Bezirksleiters Huber, die Lohnerhöhungen von der Ertragslage der Unternehmen abhängig zu machen, ist vorerst vom Tisch. So wollte er die kampfstarken Belegschaften befriedigen, ohne dem Kapital insgesamt zu sehr weh zu tun. Dafür hätte er auch bedenkenlos weitere Teile des Flächentarifvertrags geopfert.

In diesem Prozess hat jedoch nicht nur die Uneinigkeit der Spitzenleute eine Rolle gespielt. Sicher gab es dabei auch persönliche Rivalitäten in der Spitze und verstärkten die Konfusion. Entscheidend war aber, dass der Druck aus den Betrieben erstmals einigermaßen koordiniert war. Innerhalb der Gewerkschaftslinken hatte es Absprachen gegeben, Materialien zur Vorbereitung der Forderungsdiskussion waren erstellt und die ersten Beschlüsse aus Vertrauenskörpern waren verbreitet worden.(www.labournet.de).

Das war nichts Revolutionäres. Es wurde lediglich das selbst organisiert, was sonst Aufgabe des Gewerkschaftsapparates ist. Aber der stellte die Materialen für die betriebliche Agitation nicht zur Verfügung, weil noch nicht über die Löhne diskutiert werden sollte.

Seit Jahren machen die Kollegen und Kolleginnen folgende die Erfahrung: Diskutieren sie hohe Forderungen, wird ihnen gesagt, nur sie seien so verrückt, das zu tun. Linke und kämpferische Vertrauensleute und Betriebsräte in der IG Metall haben also höchst praktisch in diesen Prozess eingegriffen und sich dabei mit all denen verbunden, die Gewerkschaft noch als ein Instrument kämpferischer Interessenvertretung ansehen. Auch viele Genossen und Genossinnen der GAM haben sich an diesen Aktivitäten beteiligt, teils in zentralen Rollen.

Auch wenn manche, die daran beteiligt sind, die Höhe von 6,5% als zu niedrig ansehen und befürchten, dass etliche Arbeiter und Arbeiterinnen an der Basis enttäuscht sind, hat das Eingreifen insgesamt Wirkung gezeigt und ist somit ein Erfolg.

 

Jetzt wird es ernst

Die Vorstände der IG Metall haben sich auf 6,5 % geeinigt und sich damit für zwei Dinge entschieden: eine begrenzte Offensive und dafür, wieder geschlossen zu marschieren, um das Heft des Handels wieder in die Hand zu bekommen. Das stellt die Gewerkschaftslinke vor ziemliche Herausforderungen.

Sie haben gegenüber und in ihren Belegschaften Verantwortung übernommen. Daran werden sie von den Kollegen und Kolleginnen gemessen werden. Wenn es den Vorständen wie 2000 erneut gelingt, die Tarifrunde mit einem Minusabschluss an die Wand zu fahren, werden sie mit haftbar gemacht. Wenn sie jetzt nörgelnd über die Tatsache, dass 6,5% nicht 8,5% sind, abseits stehen bleiben, werden sie in die Rolle des wirkungslosen Kommentators zurückfallen und dem Apparat das Feld überlassen.

Leider gibt es Kräfte innerhalb der Gewerkschaftslinken, die wortgewaltig für solche Rückfälle eintreten. Schon im November 2001 erschien im express ein Artikel von Rico Müller mit dem Titel "Augen zu und voran?", der auf die Konferenz der Gewerkschaftslinken bezug nahm. Der Artikel fordert eine Bilanz der ersten drei Jahre ein, die er auf dem Kongress vermisste.

Sein eigener Versuch geht allerdings gründlich in die Hose. Er kann keinen Unterschied darin erkennen, dass vor drei Jahren die Tarifpolitik der Gewerkschaftsbürokratie kritisiert wurde, heute diese aber tatsächlich wirkungsvoll bekämpft wird. Er kommt zum Schluss, dass sich die "vor zwei Jahren im express geäußerte Ansicht, dass es für Gewerkschaftslinke derzeit eigentlich nur um Selbstverständigung und Diskussion gehen kann und dass alle Versuche, eine bundesweite Interventionsfähigkeit zu simulieren, nur in folgenlosen Proklamationen enden können."

Solches Sektierertum nährt sich politisch aus einem völligen Unverständnis der Gewerkschaften als Klassenorganisationen. Wie verräterisch auch immer deren Führungen sein mögen, wie niedrig auch immer das Klassenbewusstsein sein mag - die Lohnabhängigen haben keine andere Wahl, als sich für ihre Interessen zu organisieren – oder die Kapitalisten zwingen ihnen ihre Interessen auf. Diese Organisation ist gegen die Kapitalisten gerichtet. Die reformistischen Gewerkschaftsführungen aller politischen Färbungen versuchen, die Interessen der Arbeiterklasse mit denen des Kapitals zu vereinen, ihnen unterzuordnen und auf jeden Fall deren Herrschaft nicht anzutasten.

Heute ist die Herrschaft des Kapitals in der BRD zwar nicht in Gefahr, aber die Notwendigkeit der Organisierung eines großflächig angelegten Abwehrkampfes steht an. Die Tarifrunde ist dabei ein zentraler Faktor, da hier die Möglichkeit zur Mobilisierung großer Teile der Klasse, der Steigerung ihres Selbstvertrauens und des Bewusstseins ihrer Kampfkraft besteht.

Heute ist sicher die politische Dominanz der sozialdemokratischen Reformisten in den Gewerkschaften noch recht solide – ihr politisches Monopol ist gerade in den letzten Jahren unterhöhlt worden. Die Tarifrunde ist eine große Chance für die Schaffung einer landesweiten oppositionellen Basisbewegung, die sich auf Vertrauensleute und die aktive Basis stützt und noch dazu in der Praxis zeigen kann, was eine andere Führung in den Gewerkschaften leisten könnte.

Die Gewerkschaftsführung hat ein Problem, für das sie aktuell keine Lösung hat: Ein Teil der Klasse, die Metaller in den Großbetrieben, versucht, seine Interessen mit Hilfe der Gewerkschaft durchzusetzen, die Kapitalisten sind zu Zugeständnissen nicht bereit, weil ihnen die weltweite Konkurrenz im Nacken sitzt. Sie setzen die Regierung unter Druck, die Gewerkschaften zu zügeln. Möglich, dass sich in zwei Monaten eine Kompromisslinie abzeichnet, die dem Kapital ein bißchen was kostet und einen Teil der Klasse befriedigt, jedoch andere Teile der Gewerkschaftsbasis in Resignation treibt. Aber noch ist nichts entschieden. Außer für Rico Müller. Der will weiter an seinem Selbstverständnis arbeiten.

Was wollen Richard Detje und Otto König, die einen Artikel "Alphabetisierung - der Krieg um die Köpfe" in der Zeitung Sozialismus 1/2002 veröffentlicht haben? Sie stellen sich erst mal deutlich gegen die bisherige Intervention der Gewerkschaftslinken in die Tarifrunde: "Seid realistisch, fordert das Unmögliche - lautet die Losung von Teilen der Gewerkschaftslinken. Dahinter steckt die Vorstellung, es käme nur auf eine scheinbar radikale Forderung an, um die Kollegen und Kolleginnen in eine offensive Auseinandersetzung mit Kapital und Politik zu leiten. Wir halten das für eine Illusion, die politische Potenziale verpulvert."

Diese Polemik läuft komplett ins Leere. Die Leute, die bisher in Tarifdebatte und Forderungsaufstellung eingriffen, haben vermutlich politisch mehr in den Belegschaften vermittelt, als die Artikel des "Sozialismus": Die Verteilung von Einkommen und Besitz, die Rolle des Bündnis für Arbeit, die Auswirkungen der Rentenreform und die Notwendigkeit einer europäischen bzw. internationalen Perspektive gegen die Politik des "Standorts Deutschland".

 

Leere und gelehrte Worte

Dies sind genau dieselben Themen, die auch Detje/König in der Tarifauseinandersetzung vermittelt haben wollen. Wo liegt der Unterschied? Sie wollen "eine Verteilungspolitik durchsetzen, die sich positiv auf die Beschäftigung auswirkt und in der Lage ist, Druck zu machen für eine Wirtschafts- Finanz- und Arbeitszeitpolitik, die positive Wohlstandseffekte aufweist." Es geht also um ein gesellschaftspolitisches Reformprojekt, eine Nostalgie der 70er Jahre, um einen Kapitalismus, der es seinen Lohnabhängigen auch gut gehen lässt.

Wir halten wiederum dies für eine große Illusion. Wir halten es da mit Marx. Das Problem mit dem Kapitalismus ist nicht, dass er schlecht funktioniert, sondern dass die Entwicklung im Kapitalismus aufgrund seiner eigenen Gesetzmäßigkeiten, seiner "normalen" Funktionsweise immer auf Kosten der Arbeiterklasse (und der Natur) geht. Das Wirtschaftswunder-Deutschland war eine historische und sehr bedingte Ausnahmesituation im weltweiten Kapitalismus. Das hat die "Globalisierung" in den letzten zehn Jahren den meisten klar gemacht. Auch Herr Detje wird die 70er Jahre nicht zurückschreiben können.

Für Detje/König geht es also in der Tarifrunde darum, ihr Projekt zu propagieren. "Hierzulande bedarf es einer offensive Strategie der sozial-ökonomischen Alphabetisierung der gewerkschaftlichen und politischen Öffentlichkeit." Die Gewerkschaftslinke soll ihren gelehrten Senf zur tarifpolitischen Wurst abgeben. Diese darf weiter die Bürokratie braten. Es geht für Detje/König darum, "die Umverteilung zu stoppen" und "unumkehrbare Eckpunkte beim Entgeltrahmenabkommen" zu setzen. So unverbindlich, vage und brav hat noch keiner die Vorstandslinie nachgebetet.

Das ist kein Wunder. Otto König ist Mitglied im IG Metall Vorstand und verteidigt seit Jahren jeden Tarifabschluss im "Sozialismus" als wegweisend. Natürlich mit linken Worten. Herr Detje tritt innerhalb der Gewerkschaftslinken tapfer für Debatten und gegen gemeinsame Aktivitäten auf: Ihm war die Mobilisierung gegen die Rentenreform ein Gräuel, die Intervention in die Tarifrunde ist es nicht minder. Was auch immer noch persönliche Gründe sein mögen: Es ist die Funktion des linken Reformismus, nicht nur utopische Kapitalismus-Reformmodelle zu erarbeiten, sondern auch die Opposition gegen die Bürokratie in unschädliche, kontrollierbare Bahnen zu lenken.

Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen eine Opposition, die sich auf die Basis stützt, diese organisiert und mobilisiert. So wie wir für eine Gewerkschaft eintreten, die von den Mitgliedern kontrolliert wird. Die Gewerkschaftslinke kann dazu nur einen Betrag leisten, wenn sie sich in den realen Kämpfen und Konflikten verankert.

Die Opposition muss sich eine politische Programmatik erarbeiten. Wenn das keine Programmatik sein soll, die wie Detje und König immer wieder vor der Spitzenbürokratie auf den Bauch fällt, dann muss sie genau deren Dogma angreifen, dass der Kapitalismus dauerhaft sozial gestaltet werden könne und deshalb nicht abgeschafft werden müsse.

Dafür werden wir in der Gewerkschaftslinken eintreten. Dazu reicht es natürlich nicht aus, sich ein- oder zweimal im Jahr zur Debatte zur versammeln oder etwas zu vernetzen. Dazu muss man sich organisieren. Unser Vorschlag dazu heißt: klassenkämpferische Basisbewegung.


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