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Sechs "Hoch!"-Rufe und ein Lähmungsfall

Zur Diskussion der Metall-Tarifrunde

Von Tom Adler

In welchem Maße sich in den diesjährigen Tarifrunden – angesichts der oft beschworenen Heterogenität der Organisationsbereiche und Mitgliedschaftsstrukturen erstaunliche – branchen übergreifende Tendenzen der Abschlüsse ausdrücken würden, war auf der Diskussions-Veranstaltung der AG Tarifpolitik im Mai d.J. noch nicht in Gänze absehbar. "IG Chemisierung", "Telepolitik" und die mehr oder weniger offenen Lohnleitlinien des ‘Bündnisses für Wettbewerbsfähigkeit’ waren Formeln, die zunächst vor allem die Debatte über den Metall-Abschluss prägten. Wir dokumentieren den für den express überarbeiteten Einleitungsbeitrag von Tom Adler, Betriebsrat bei DaimlerChrysler Untertürkheim – eine kritische Bilanz der IG Metall-Tarifpolitik, der sich Forderungen an die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken anschließen.

 

Bereits in der Phase der Diskussion über die Forderungshöhe zeichnete sich ab, dass die materiellen Ergebnisse der Tarifrunde 2000 von den Festlegungen im Bündnis für Arbeit geprägt werden sollten: Die "Umverteilungskomponente", bisher unumstrittener, wenngleich auch in den letzten Jahren nicht konsequent verfolgter Bestandteil der Lohnformel der IG Metall, wurde fallen gelassen. Damit war angekündigt, dass darauf verzichtet werden würde, die ausgesprochen günstige ökonomische Situation der Branche zu nutzen.

Die von der IG Metall selbst vorgelegten ökonomischen Rahmendaten, die üblicherweise den möglichen Verteilungsspielraum begründen sollen, zeigen: Der selbst definierte Verteilungsspielraum wurde bei weitem nicht ausgeschöpft, sondern war vielmehr von vornherein der Definition des Bündnisses für Arbeit untergeordnet.

Grundlinien der Lohnpolitik der 90er Jahre werden somit fortgesetzt. Hieß es unter der Kohlregierung, dass (die schlechte) Regierungspolitik nicht nachträglich durch Tarifpolitik korrigiert werden könne, wird Lohnpolitik auch unter Rot/Grün der Regierungs- und damit deren "Standort"-Politik untergeordnet. Wenn Jürgen Peters unmittelbar nach diesem Tarif-Abschluss der Presse mitteilt, "(...) Bei der Verteilung des Reichtums ist (...) in den vergangenen 2 Jahrzehnten eine Schieflage entstanden, die von der IG Metall korrigiert werden müsse" [1], ist das angesichts der faktischen Fortschreibung der Umverteilung von unten nach oben nur noch als frivol zu bezeichnen.

Die Tarifverträge zur Altersteilzeit können wegen ihrer materiellen Ausstattung und Zugangsbedingungen kein Erfolgsmodell mit Breitenwirkung in den Betrieben werden, in denen es bisher keine freiwilligen Betriebsvereinbarungen gab. Die im Vorfeld nach innen und nach außen propagierte Zielsetzung, mit der "Rente mit 60" bzw. der "Altersteilzeit", ein Instrument gegen die Arbeitslosigkeit schaffen zu wollen, kann schon heute als gescheitert betrachtet werden.

Die zusätzlich vereinbarten arbeitszeitpolitischen Regelungen" wurden nicht ohne Grund von den Unternehmern und deren Presse begeistert gefeiert: Erstens wurde die Verknüpfung der Kündigung von Altersteilzeit und Wochenarbeitszeit in den Metall-Tarifverträgen von ihnen zutreffend als Absage der führenden Kreise der IG Metall an weitere Schritte der Wochenarbeitszeitverkürzung interpretiert.

Zweitens wurden Verhandlungen um arbeitszeitpolitische Regelungen des Manteltarifvertrags innerhalb der nächsten 24 Monate vereinbart, u.a. über so brisante Themen wie Zeitkonten und die 18 Prozent-Quote, die faktisch unter Friedenspflichtbedingungen laufen werden.[2] So scheint sicher gestellt, dass in solch einer technischen Verhandlungskommission von Seiten der IG Metall keine arbeitszeitpolitischen Forderungen zur Debatte stehen werden, die auf eine Einschränkung unternehmerischer Verfügungsmacht über die Arbeitszeiten hinauslaufen könnten.

"Tele-Politik" ist ja nun nichts Neues in den Gewerkschaften. Wir hatten es in dieser Tarifrunde bei der IG Metall diesbezüglich allerdings mit einer neuen Qualität zu tun. Die von Klaus Zwickel ‘telepolitisch’ platzierte 32-Stunden-Woche z.B. hatte zwar eine verunglückte öffentliche Debatte zur Folge, aber keine unmittelbaren, für die KollegInnen spürbaren Folgen in der Tarifpolitik. Die Tarifrunde 2000 wurde dagegen konsequent – von der Vorbereitung seit Frühjahr 1999 über ihren Verlauf bis zur medialen Nachbereitung – telepolitisch beeinflusst, ja gesteuert.

Die Tatsache, dass der Abschluss mit NRW in einem Tarifgebiet mit ökonomisch (und politisch?) ungünstigen Bedingungen zugelassen, offenbar regelrecht gesucht wurde, macht nicht nur dies deutlich, sondern zeigt auch, dass die bisherigen Zugmaschinen der Tarifpolitik im DGB sich vom Geleitzugprinzip verabschieden. Die Konsequenzen spürt beispielweise bereits die hbv, die sich in ihren Tarifverhandlungen von den Unternehmern mit der Bescheidenheit der Metallabschlüsse konfrontiert sieht.

Der Schartau-Abschluss in NRW bedroht nun darüber hinaus das Geleitzugprinzip innerhalb der Metallindustrie selbst. Dass nach Ende der Tarifrunde – natürlich telepolitisch! – die angebliche Notwendigkeit einer Branchendifferenzierung der Metalltarifverträge propagiert wird, bestätigt dies.

Es gibt aber noch einen sechsten Grund [3] für die "Hoch"-Rufe der Unternehmer und Standortpolitiker. Trotz massiver offener Kritik am Tarifabschluss im Süden und viel resignativer Unzufriedenheit an der Basis anderer Regionen haben Klaus Zwickel, Harald Schartau und andere unübersehbare Zeichen gesetzt, dass die Anpassung der Politik der IG Metall an die Forderungen der neoliberalen Standortpolitiker weitergehen soll:

Zwickel will die Arbeitszeitpolitik im ‘Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit’ zum Thema machen. Dies spricht nicht gerade dafür, dass der Forderung nach noch mehr unternehmerischer Verfügung über Arbeitszeiten entgegengetreten werden soll.

Er stellt eine veränderte (also positivere) Position der IG Metall zu Pensionsfonds [4] in Aussicht (während die ILO diese als Teil der Krise der Altersversorgung bezeichnet! [5])

Schartau steht in NRW kurz vor dem Abschluss eines Tarifvertrags über Lebensarbeitszeitkonten, der einen weiterer Baustein in der Strategie zur Aushöhlung eines solidarischen gesetzlichen Rentensystems abgeben wird ... ... und erklärt es zur tarifpolitischen Zukunftsvision, dass jeder Einzelne mit seinem Arbeitgeber Vereinbarungen über eine Jahresarbeitszeit treffen solle, weil eine einheitliche Arbeitszeitgestaltung sich ebenso überlebt habe wie die generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit. [6]

Alle gemeinsam – von Schulte über Schartau bis Zwickel – reden von der Notwendigkeit "flexiblerer" Tarifverträge und flexiblerer (soll heißen: längerer) Arbeitszeiten, um für Angestellte, Jüngere und Beschäftigte der sagenumwobenen IT– und New Economy-Betriebe attraktiver zu werden.

Ganz offensichtlich sind solche Äußerungen nicht Ergebnis einer seriösen Analyse und Diskussion der Bedingungen von gewerkschaftlicher Organisierungsarbeit in diesen Schichten. Sonst könnte z.B. nicht so getan werden, als gäbe es in den so genannten IT- oder New Economy-Bereichen ausschließlich den Beschäftigten vom Typ "frei schaffender Künstler" mit ausgeprägtem unternehmerischem Denken. Tatsächlich ist die Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur dort ebenfalls sehr differenziert, ja polarisiert. Und das heißt, dass es dort relevante Gruppen gibt, die ausgesprochen ‘traditionelle’ Anforderungen an Gewerkschaften und Tarifpolitik haben: nämlich Schutzschild gegen unternehmerische Übergriffe zu sein. Diese werden jedoch nicht formuliert und als Bezugspunkt genommen, wenn Gewerkschaftsführer öffentlich über diese Bereiche reden. Ausdrücklich wird vielmehr Bezug genommen auf die "privilegierten" Beschäftigtenschichten, die sich auch bei noch so weitgehender Anpassung von Gewerkschaftspolitik an unternehmerische Konzepte nicht in Gewerkschaften organisieren werden.

Das ist kein Zufall. Dies ist vielmehr eines der o.g. Signale, dass wir es mit einem bewussten, gezielten Schub zum Umbau der IG Metall zu tun haben. Das Ergebnis der Tarifrunde 2000 ist somit nicht primär Resultat von "handwerklichen" oder "Koordinationsfehlern", sondern politisch gewollt. Es ist Teil des (von oben) angekündigten Abschieds von der alten IG Metall mit ihrem Grundverständnis von Gegenmacht, gegründet auf betrieblicher Mobilisierungsfähigkeit.

Diese "IG Chemisierung" der IG Metall ist nicht nur eine folgerichtige Weichenstellung der Orientierung der Gewerkschaftsspitzen auf das Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist auch Konsequenz aus der Veränderung der äußeren ökonomischen und politischen Situation, die die Spielräume für eine Politik des Interessenausgleichs schwinden lässt. Spätestens seit dem Konflikt um die Lohnfortzahlung 1996 könnte jeder/m deutlich sein, dass nur noch Massenmobilisierung, und d.h. die immer wieder neu gestellte Macht-Frage, die Position der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder gegenüber dem Kapital halten oder verbessern kann.

Dies war jedoch schon unter der Regierung Kohl nicht gewollt – und ist es unter Rot/Grün erst recht nicht. In Schröders "Konsensdemokratie" sieht ein großer Teil der Spitzen der Gewerkschaften ihre Rolle offenbar als Moderatoren der Verschlechterung.

Und sie haben offenbar die Einschätzung, dass der aktuelle IG Chemisierungs-Schub in der IG Metall derzeit auch durchsetzbar ist: nach Jahren der Anpassung resignierter, ehemals kämpferischer linker Funktionäre, nach Jahren von enttäuschten Erwartungen gerade in den durchsetzungsfähigen Belegschaften, nach Generationswechseln in den Belegschaften, für die über 15 Jahre die IG Metall als kämpferische Kraft nicht mehr erfahrbar war, musste nicht mit einem Aufstand der Basis gegen den angekündigten Abschied von der alten IG Metall gerechnet werden.

Jedoch: Diesen Abschied von oben anzukündigen und zu betreiben, ist eine Sache. Die Lebens-Realität in den Betrieben ist die andere. Diese Realität lässt die Belegschaften nämlich nicht jene Erfahrungen machen, die diesen "Neo-Korporativismus" stützen. Diese Realität drängt die KollegInnen vielmehr immer wieder zu völlig anderen Erwartungen an Interessenvertretung und Gewerkschaft, als es die modernen Verschlechterungs-Moderatoren gerne hätten. Deshalb muss die Gewerkschafts-Linke bzw. müssen die RepräsentantInnen einer Alternative zu den Verschlechterungsmoderatoren für die Belegschaften und die Funktionäre kenntlich sein. Wir müssen die kämpferischen Elemente der Tradition der IG Metall gegen das moderne "Konsens-Curare" [7] verteidigen. Wir müssen in unserer Vernetzungs-Diskussion aber auch unser politisches Profil schärfen, denn die Betonung einer "Kultur des Kämpfens" [8] ist zwar unverzichtbar, aber nicht ausreichend, wenn wir wieder in der Lage sein wollen, Orientierung zu geben und an Wendepunkten ins Steuer zu greifen.

Erschienen in der Doppelausgabe 6-7/2000 von express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - http://www.labournet.de/express/

Anmerkungen

1) Pressemitteilung der IG Metall, Nr. 53, "Kein tarifpolitischer Stillstand bei der IG Metall"
2) im Bezirk Stuttgart
3) 1. Grund: In Treue fest zum ‘Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit’, 2. Grund: Lohnhöhe, 3. Grund: Qualität der ATZ-Regelungen, 4. Grund: arbeitszeitpolitische Regelungen, 5. Grund: Ende des Geleitzugprinzips und Auftakt für Differenzierung
4) Handelsblatt, 13.4.00
5) FR, 8.5.00
6) Handelsblatt, 15.5.00
7) Curare – Lähmendes Pfeil-Gift der Indios
8) Canadian Auto Workers


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