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Zusammenfassende Bewertung des Regierungsentwurfes der Bundesregierung zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes - weiteres Vorgehen

 

Spätestens mit der Verabschiedung des Regierungsentwurfs wird deutlich, dass eine Reform des BetrVG mit dieser Bundesregierung nicht zu machen ist. Das über Wochen in den Medien thematisierte Szenario um die "Erweiterung der Mitbestimmung" und die den Wettbewerb der Unternehmen vermeintlich beeinträchtigenden höheren Kosten erweckten den Eindruck, als handele es sich bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes um eine Reform ähnlich der von 1972 unter der Regierung unter der Regierung Willi Brandts. Was aus den "Verhandlungen" zwischen Riester und Müller herauskam, ist weder politisch noch sachlich für die Betriebsräte hinnehmbar:

Für die Behandlung des Regierungsentwurfes im Parlament sind weitere Abstriche nicht nur nicht auszuschließen, sondern eher wahrscheinlich. Die Kritik der Unternehmer erweckt zu Unrecht den Eindruck, als handele es sich beim Regierungsentwurf um ein gewerkschaftliches Projekt. Ihre Argumente wirken jedoch glaubwürdig, weil der für das Betriebsverfassungsgesetz federführende DGB auf die Darstellung seiner Forderungen verzichtet und sich mit der Verteidigung der Bundesregierung gegen die Kritik führender Arbeitgeberrepräsentanten begnügt. Dagegen würde die Vertretung der eigenen gewerkschaftlichen Beschlusslage offenkundig werden lassen, wie weit die Bundesregierung von der Erfüllung gewerkschaftlicher Forderungen entfernt ist. Spät - aber hoffentlich nicht zu spät - hat der DGB in seiner letzten Bundesvorstandssitzung gewerkschaftliche Aktionen zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes beschlossen. Es muss jetzt darauf ankommen, wichtige einzelne Mitbestimmungsforderungen aus dem vom DGB-Beschluss zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes öffentlichkeitswirksam zu thematisieren und mit der betrieblichen Praxis zu begründen. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Grüne in ihrer Koalitionsvereinbarung eine Stärkung der Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie in Betrieb und Verwaltung verbunden mit einer grundlegenden Novellierung des BetrVG zugesagt haben.

- Das "Kernstück" des Referentenentwurfs, die Erleichterung der Betriebsratswahlen - in der Öffentlichkeit fälschlicherweise als Erweiterung der Mitbestimmung bezeichnet, wurde geändert. In Kleinbetrieben mit bis zu 50 Arbeitnehmern war vorgesehen, den Betriebsrat in einer Wahlversammlung zu wählen. Hintergrund waren die rechtswidrigen bis kriminellen Maßnahmen von Arbeitgebern, die die vom geltenden Recht vorgesehenen langen Fristen im Zusammenhang mit den Wahlhandlungen z.B. durch fristlose Kündigungen von Kandidaten missbrauchten, um die Wahl eines Betriebsrates zu verhindern. Dem absurden Argument der Gefährdung eines demokratischen Wahlverfahrens trägt der Regierungsentwurf jetzt dadurch Rechnung, dass zwischen Bestellung bzw. Wahl des Wahlvorstandes sowie den aufgestellten Wahlvorschlägen und der Betriebsratswahl eine Woche liegen muss.

- Die von den Arbeitgeberverbänden als besonders kostenträchtig bezeichnete verbesserte Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes bereits bei 200 Arbeitnehmern wurde zwar nicht geändert; die vorgesehene Freistellung bei Betriebsräten in Betrieben mit höherer Arbeitnehmerzahl gegenüber dem Referentenentwurf jedoch verschlechtert,

- Der Regierungsentwurf lehnt die im Referentenentwurf vorgesehen Verpflichtung, einen Konzernbetriebsrat zu bilden ab und macht dessen Existenz von der Vorabstimmung der Gesamtbetriebsräte abhängig. Die vorgesehen Einrichtung eines Konzernwirtschaftsausschusses wurde m Regierungsentwurf ersatzlos gestrichen und damit eine Möglichkeit rechtzeitig Informationen über Konzernstrategien zu erhalten, verhindert.

- Die im Referentenentwurf vorgesehene Minimalkorrektur des BetrVG (§ 91) zum besseren Schutz der Arbeitnehmer vor gesundheitsschädigenden Belastungen, die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen, wurde ersatzlos gestrichen.

- Die vorgesehene Erweiterung der Aufgaben des Betriebsrates beim Umweltschutz, bei der Beschäftigungsförderung, der Behandlung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus standen nicht im Streit. Der mitbestimmungsrechtliche Placebo-Charakter ergibt sich teilweise schon daraus, dass hier Regelungen postuliert sind, die schon durch das geltende Recht möglich, insgesamt aber gegen den Arbeitgeber nicht durchsetzbar sind.

Der Regierungsentwurf insgesamt bringt außer punktuellen Minimallösungen bei der Erleichterung der Betriebsratswahlen, der Verbesserung der Freistellungsregelungen, der Erweiterung des Aufgabenkataloges der Betriebsräte ohne rechtliche Durchsetzungsmöglichkeiten keine nennenswerte Ausweitung der Mitbestimmungsrechte. Die Schwachstellen des bestehenden BetrVG, wie Aufnahme von Unterlassungsansprüchen der Betriebsräte und Gewerkschaften mit denen rechtswidrigen Praktiken der Arbeitgeber begegnet werden könnte, wurde genauso ignoriert wie andere gewerkschaftliche Forderungen zu praktikablen und sicheren Anwendungen bereits bestehender Mitbestimmungsrechte. Dagegen wurden zwei neue Regelungen aufgenommen, die über den Tag hinaus, selbst wenn sie aktuell keine umfassende betriebliche Bedeutung erhalten sollten, präjudizierend das arbeitsrechtliche Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Gewerkschaften zu Gunsten der Arbeitgeber verändern können:

- Im § 3 Abs. 2 des Regierungsentwurfs ist vorgesehen das ersatzweise bei Fehlen einer tarifvertraglichen Bindung die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates, die Zusammenfassung von Betrieben, die Bildung von Spartenbetriebsräten sowie zusätzlicher betriebsverfassungsrechtlicher Gremien und Vertretungen durch Betriebsvereinbarung vorgenommen werden kann. Die diesbezüglich abweichenden Regelungen können nicht in die Dispositionsfreiheit der Betriebsparteien gestellt werden, da Arbeitgeber und Betriebsrat mit solchen Vereinbarungen die Wählerschaft definieren würden, womit im Falle einer nicht - fortbestehenden - Tarifbindung des Arbeitgebers ein Einfallstor zur Beseitigung des Tarifvorrangs des § 77 Abs. 3 BetrVG geschaffen wäre. Darüber hinaus würden die Arbeitgeber begünstigt, die sich durch Verbandsflucht der Wirkung des Tarifvertrages entzogen hätten. Weiterhin besteht die Gefahr, der Aushöhlung des kollektiven Arbeitsrechts, wenn im Falle gescheiterter Tarifverhandlungen nicht mehr der Arbeitskampf, sondern die Betriebsvereinbarung "ultima ratio" wäre.

- Nach einem im Regierungsentwurf enthaltenen § 28 a sollen vom Arbeitgeber gebildete Arbeitsgruppen Vereinbarungen mit kollektiv-rechtlichem Charakter abschließen können. Diese Regelung wäre in Verbindung mit dem § 87 Abs. 1 Ziff. 13 (neu) ggfs. auch vom Arbeitgeber über die Einigungsstelle erzwingbar. Dies Regelung würde zur Zerfaserung der Rechte des Betriebsrates führen und eine Verantwortung auf die oft in Konkurrenz zu einander stehenden Arbeitsgruppen übertragen für die sich nicht nur kein Mandat sondern auch keinerlei Voraussetzung wie Schutz, Anspruch auf Schulungsmöglichkeiten usw. haben.

 

Nachfolgend eine Zusammenfassung:

- Der Betriebsbegriff ist nicht nur zu ergänzen, sondern generell neu zu umschreiben (§ 1 DGB-Gesetzentwurf)

- Der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist über Leiharbeitnehmer hinaus zumindest auf arbeitnehmerähnliche Personen und Werkvertragsarbeitnehmer auszuweiten.

- Auszubildende in außer- und überbetrieblichen Ausbildungsstätten sind als Arbeitnehmer nach § 5 einzubeziehen.

- Die Grenze für das vereinfachte Wahlverfahren ist nicht bei 50 sondern bei 100 Arbeitnehmern zu ziehen.

- Die Festschreibung eines Übergangsmandats und Restmandats für den Betriebsrat muss ohne strikte zeitliche Begrenzung vorgesehen sein. Wegen Privatisierungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst müssen die Regelungen zur Beseitigung von vertretungslosen Zeiten aufgenommen werden (§ 118 a DGB-Gesetzentwurf).

- Konzernbetriebsrat und Konzernwirtschaftsausschuss müssen obligatorisch sein. Dies gilt auch bei einem Mutterunternehmen mit Sitz im Ausland und entsprechende Interessenvertretungsstrukturen bei Mischkonzernen von Privat- und Öffentlich-rechtlichen Unternehmen.

- Eine Verstärkung des Kündigungsschutzes im Zusammenhang mit dem Wahlverfahren ist für alle Personen, die in irgend einer Weise an der Vorbereitung, Einleitung und Durchführung der Betriebsratswahlen beteiligt sind, notwendig (§ 15 DGB-Gesetzentwurf). Außerdem benötigen Personen, die für eine Abstimmung nach § 3 bzw. § 4 Regierungsentwurf tätig sind, entsprechenden Kündigungsschutz. Für den Fall, dass es nicht gelingt, den § 28 a zu verhindern, muss auch den betroffen Arbeitnehmer Kündigungsschutz gegeben werden.

- Eine gequotelte Freistellung in Form von Teilfreistellungen bei Betriebsräten in Betrieben unterhalb 200 Arbeitnehmern ist erforderlich (§ 38 Abs. 1 DGB-Gesetzentwurf). Gesamtbetriebsrats- und Konzernbetriebsratsarbeit muss zu einer Erweiterung jeder Art der Freistellung führen.

- Ersatzmitglieder des Betriebsrates muss ein eigenständiger Schulungsanspruch zustehen.

- Betriebsverfassungsrechtlichen Organen muss es erlaubt sein, mit außerbetrieblichen Stellen, auch mit Betriebsräten anderer Unternehmen, Kontakt aufzunehmen und zusammen zu arbeiten.

- Betriebsräte müssen über die Beiziehung von Sachverständigen auch außerhalb von Betriebsänderung eigenständig entscheiden können.

- Die Bildung einer Konzernjugend- und Auszubildendenvertretung muss obligatorisch sein. Erforderlich ist ferner die (Teil-)freistellung sowie eine Erweiterung der Schutzbestimmung für Jugend- und Auszubildendenvertreter.

- Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates sind auf alle sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten auszuweiten, soweit nicht eine gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung besteht (§ 87 DGB-Gesetzentwurf). Dazu gehört auch die Veränderung der Arbeitsinhalte sowie die Personalplanung.

- Auch bei der Einführung von Gruppenarbeit muss der Betriebsrat mitbestimmen können.

- Das Gleiche gilt bei betrieblichen Veränderungsprozessen.

- Das Initiativrecht zur Qualifizierung der Beschäftigten muss generell gelten.

- Wenn der Arbeitgeber im Betrieb Kommunikations- und Beteiligungsprozesse einleiten will, muss der Betriebsrat bei der Planung und Durchführung mitbestimmen können.

- Die Aufnahme des Umweltschutzes in den Katalog der Allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates (§ 80) ersetzt kein Mitbestimmungsrecht. Ergänzend zur Aufnahme in den Katalog der Mitbestimmung muss der einzelne Arbeitnehmer das Recht erhalten, bei Gefahr für Leben oder Gesundheit die Arbeit zu verweigern, auch wenn keine Pflichtverletzung des Arbeitgebers vorliegt (§ 75 DGB-Gesetzentwurf).

- Das Gleiche gilt für die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auch hier bedarf es zusätzlich eines Leistungsverweigerungsrecht für Arbeitnehmer, z.B. für Drucker oder Briefzusteller, wenn ihnen vom Arbeitgeber die Produktion oder die Verteilung rassistischer und fremdenfeindlicher Produkte zugemutet werden soll.

- Zur Wirksamkeit der Mitbestimmungsrechte und um die Arbeitgeber zur Einhaltung tarifvertraglicher und gesetzlicher Regelung zu verpflichten und anzuhalten ist das Verbot bzw. die Unwirksamkeit von Maßnahmen vorzusehen, wenn diese Rechte des Betriebsrates beeinträchtigen (§ 74 DGB-Gesetzentwurf): Auch hier ist den Arbeitnehmern ein Leistungsverweigerungsrecht bei Rechtsverstößen des Arbeitgebers zuzugestehen.

- Die Gewerkschaften müssen einen einklagbaren Unterlassungsanspruch bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen auch gegenüber einem Dritten und im Zusammenhang mit tarifvertraglichen Regelungen erhalten (§ 23 DGB-Gesetzentwurf). Gleiches muss zur Durchsetzung von Betriebsvereinbarungen gelten, von denen die Gewerkschaft berührt ist und bei Zweifeln über die Vereinbarkeit von Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag (§ 77 DGB-Gesetzentwurf).

- Bei befristeter Einstellung muss ein volles Mitbestimmungsrecht, zumindest ein generelles Zustimmungsverweigerungsrecht bestehen (§ 99 DGB-Gesetzentwurf). Zudem muss durch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kurz vor Auslaufen der befristeten Beschäftigung die Weiterbeschäftigung sichergestellt werden können.

- Der einengende Katalog der Widerspruchsgründe nach § 102 BetrVG muss gestrichen werden. § 102 BetrVG muss, wie im DGB-Entwurf vorgesehen, geändert werden; also Einführung einer Auflösungsklage des Arbeitgebers bei Widerspruch des Betriebsrates gegen die beabsichtigte Kündigung. Keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Rechtskraft der Entscheidung.

- Der Tendenzschutz (§ 118 BetrVG) muss zumindest auf unmittelbare kirchliche Einrichtungen beschränkt werden.

- Die uneingeschränkte Mitbestimmung des Betriebsrates bei Maßnahmen der Beschäftigungssicherung muss gewährleistet werden. Dem Betriebsrat muss in allen Fällen - auch im Falle einer Betriebsänderung - das recht auf Einreichung eines Unterlassungsantrages, auch im Wege der Einstweiligen Verfügung gesetzlich eingeräumt werden.

- Die Handlungsfähigkeit des Betriebsrates ist durch ersatzlose Streichung des gesetzlichen Gebotes zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zur Verpflichtung auf die Wahrung des Betriebsfriedens besser zu gewährleisten (§§ 2, 74 DGB-Gesetzentwurf).

Die in der einstimmig angenommen Bezirkstagsentschließung des Bezirksvorstandes der DPG Hessen/Rheinland-Pfalz enthaltenen Forderungen bleiben nach wie vor aktuell.

Weitere Einzelheiten zum Regierungsentwurf ergeben sich aus der Synopse von geltendem Recht, DGB-Gesetzentwurf, Regierungsentwurf und der Bewertung dazu.

 


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