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Updated: 18.12.2012 15:51
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Argumente zur europäischen und deutschen Rüstungsindustrie

Artikel von Winfried Wolf aus Zeitung gegen den Krieg Nr. 26, exklusiv im LabourNet Germany

Wenn die Worte "Rüstungsindustrie" oder "militärisch-industrieller Komplex" fallen, dann denkt man unwillkürlich an große US-Konzerne wie Boeing, Northrop Grumman oder Lockheed Martin. Als Anfang März 2008 der deutsch-französische Rüstungskonzern EADS einen gigantischen Auftrag für militärische US-Tankflugzeuge erhielt, rieben sich der eine und die andere erstaunt die Augen: Wer ist denn bloss EADS? Was, Airbus hat mit Rüstung zu tun? Warum sind denn EADS/Airbus so dick im US-Rüstungsgeschäft engagiert? Doch der Vorgang hat Methode. In Europa wächst - mit massiver Unterstützung durch die Regierung in Berlin - eine gewaltige Rüstungsbranche heran, deren Eigendynamik die Militarisierung vorantreibt und in immer neue Kriege hineinführt. Die Zeitung gegen den Krieg - ZgK liefert Antworten auf gängige Argumente, mit denen der EU-Rüstungsboom bagatellisiert wird.

Argument 1: Unter den großen Rüstungskonzernen der Welt spielen europäische Unternehmen eine untergeordnete Rolle. Vergleichbares gilt für den Weltmarkt für Rüstung und für die Rüstungsexporte.

Antwort: Bewertet man die Rüstungsunternehmen nach dem Umsatz, den sie im reinen Rüstungsgeschäft tätigen (und klammert man das zivile Geschäft z. B. bei Boeing und EADS/Airbus aus), dann ergibt sich das folgende Bild. Unter den acht weltweit größten Rüstungskonzernen gibt es zwei europäische: Hinter den US-Konzernen Boeing (Rüstungsumsatz: 28 Mrd. US-Dollar), Northrop Grumman (28), Lockheed Martin (27) folgt bereits auf Rang 5 das erste EU-Unternehmen: BAe (früher ausgeschrieben als British Aerospace) mit einem Rüstungsumsatz von 23 Mrd US-Dollar. Auf Rang acht folgt dann bereits als zweiter EU-Rüstungsriese EADS mit einem Rüstungsumsatz von 10 Mrd. US-Dollar. (Zahlen jeweils für 2005). Die EU-Konzerne spielen also längst in der Top-Liga des Geschäfts mit Tod und Zerstörung bringendem Material.

Beim Rüstungsexport wird noch deutlicher, wie irreführend die vorherrschende veröffentlichte Meinung von der Führung der USA ist: Seit 2005 ist die Europäische Union der weltweit Rüstungsexporteur. 2006 lagen die EU-Rüstungsexporte bei 11 Milliarden US-Dollar, vor den US-amerikanischen mit 8 Mrd. US-Dollar und den russischen mit 6 Milliarden US-Dollar. Innerhalb der EU wiederum ist Deutschland der größte Rüstungsexporteur; weltweit liegt die BRD auf Rang 3 (wenn die EU nicht als Einheit gesehen wird).

Argument 2: EADS ist in erster Linie ein Flugzeugbauer und kein Rüstungskonzern.

Antwort: Tatsächlich überwiegt bei EADS bisher noch das Geschäft mit dem zivilen Flugzeugbau (Airbus). 2005 lag der Rüstungsumsatz bei 9,6 Milliarden US-Dollar und derjenige im zivilen Flugzeugbau bei 13,4 Mrd. US-Dollar. Erklärte Unternehmensstrategie bei EADS ist es jedoch, den Rüstungsanteil in wenigen Jahren so zu erhöhen, dass dieser mit dem zivilen Geschäft gleichzieht bzw. dass dieser das Unternehmen dominieren wird. Um dies zu demonstrieren, verlegte der EADS-Chef Francois Galllois im Januar 2008 eine Pressekonferenz bewusst in Eurocopter-Werk in Donauwörth, dorthin, wo Kampfhubschrauber von EADS hergestellt werden. Hier verkündete er seine Zielsetzung zum Umbau von EADS in einen Rüstungskonzern.

Argument 3: Die Musik im Rüstungsgeschäft spielt auf dem US-amerikanischen Binnenmarkt. Und dieser wird von US-Unternehmen kontrolliert.

Die Antwort lautet "Ja" im Fall des ersten Satzes dieses Argumentes und "jein"im Fall des zweiten Satzes. Der US-amerikanische Rüstungsmarkt ist mit Abstand der größte der Welt. Natürlich tummeln sich auf diesem vor allem US-amerikanische Rüstungskonzerne. Doch die zwei genannten EU-Rüstungsriesen haben längst darauf reagiert. Seit 2003 erhält BAe mehr Aufträge vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium als solche von EU-Staaten. Ein Grund dafür, warum BAe im Jahr 2000 bei der Bildung der EADS nicht mit von der Partie war, lag in dieser Orientierung von BAe auf den US-Markt. EADS versucht allerdings längst gleichzuziehen. Im März 2008 kam hier der Durchbruch: Das Pentagon gab einen 35 Milliarden Dollar Auftrag für den Bau neuer militärischer Tankerflugzeuge an das Konsortium EADS/Northrop Grumman. Boeing ging leer aus. Die EADS-Bosse - und mit ihnen in Paris Monsieur Sárkozy und in Berlin Frau Merkel - jubelten: Das sei der "Durchbruch". Richtig ist: Damit ist der entscheidende kontinentaleuropäische Rüstungskonzern dort gelandet, wo mit der tödlichen Produktion von Rüstung am meisten verdient werden kann, dort wo fast alle größeren Kriege der jüngeren Zeit ihren Ausgangspunkt nahmen: mitten im US-Rüstungmarkt.

Argument 4: Es handelt sich bei all dem um Prozesse, die ein anonymer Markt steuert. Mit Politik hat all das nichts oder zumindest wenig zu tun.

Antwort: Das ist komplett falsch. Die Orientierung zum Ausbau eines europäischen militärisch-industriellen Komplexes ist eine hoch politische Angelegenheit. Bereits der britische Konzern BAe ist eng mit der Politik verbunden, u.a. durch gewaltige, staatlich vermittelte Schmiergeldzahlungen bei Rüstungsaufträgen.* Noch weit deutlicher liegt der Fall EADS. Dieser Konzern wurde 2000 gegründet. Bei der Gründungsfeierlichkeit waren der französische Staatschef Jaques Chirac und der deutsche Kanzler Gerhard Schröder als eine Art Trauzeugen präsent. Der französische Staat (und der spanische Staat) halten an EADS direkt Anteile. Bis 2007 wurden die deutschen Anteile gewissermaßen stellvertretend für den Staat durch den Daimler-Konzern (und hier wiederum durch die Deutsche Bank als Hauptaktionärin von Daimler) gehalten. Als Daimler 2006/2007 seine Anteile reduzieren wollte, stieg der deutsche Staat vermittelt über Landesbanken selbst als ergänzender Eigentümer ein. Im März 2008 wurde dann bekannt: Die Regierungen in Paris und in Berlin haben sich darauf geeinigt, dass die EADS-Konzernstruktur noch im Mai 2008 so umgebaut wird, dass Frankreich und Deutschland jeweils über eine "Goldene Aktie" verfügen. Das heißt: Paris und Berlin werden auf diese Weise bei wichtigen Entscheidungen immer das letzte Wort haben. Damit der Europäische Gerichtshof eine solche Konstruktion nicht, wie im Fall des VW-Gesetzes, kassiert, sollen diese "Goldenen Aktien" mit Verweis auf den EU-Vertrag damit begründet werden, dass eine solche Einrichtung "von zentraler Bedeutung für die nationale Sicherheit der beiden Länder" sei. Deutlicher lässt sich kaum demonstrieren, dass es sich nicht um eine Markt-, sondern um eine politische Angelegenheit handelt.

Argument 5: Die Dynamik zu Rüstung und zu neuen Kriegen folgt dem immanenten Gesetzes der Kapitalverwertung, gerade auch der Kapitalanlage in der Rüstungsbranche.

Antwort. Richtig und falsch. Richtig ist, dass eine derart aufgepäppelte Rüstungsindustrie eine innere Dynamik entfaltet - hin zu immer mehr Rüstung, zur Vernichtung des angehäuften Rüstungsmaterials, also zu Kriegen, und nach solchen Kriegen zur Auffüllung der Lager und zu neuerlicher Hochrüstung. Doch dieser Prozess wird auch bewusst politisch gesteuert. Die EU hat sich vor wenigen Wochen auf einen neuen Verfassungsvertrag geeinigt, der sich aktuell im Prozess der Ratifizierung in den Mitgliedstaaten befindet. Dieser Vertrag zwingt zur permanenten Aufrüstung (siehe Artikel Seite 8). Die konkrete Unternehmenspolitik bei EADS wird erheblich von den Regierungen in Paris und in Berlin bestimmt. Der Einstieg von EADS in das erwähnte Geschäft zum Bau der Tankerflotte impliziert auch, dass EADS - und damit auch die EU- weit stärker als bisher rein materiell in die US-Kriegsmaschinerie einbezogen wird. Das dürfte auch das politische Kalkül der US-Militärs gewesen sein, als sie den gewaltigen Auftrag nicht an Boeing, sondern an EADS vergaben. Im übrigen bestehen Rüstungsausgaben ja zu 95 Prozent aus staatlichen Aufträgen; hier stellt die staatliche Nachfrage den Markt. Einen "freien" oder gar "anonymen" Markt gibt es im Rüstungssektor per Definition nicht. Und es sind die Regierungen in Washington, Tokio, Brüssel, Paris, London und Berlin, die mit ihren konkreten Entscheidungen zum Abbau von Sozialausgaben, zum Abbau von Daseinsvorsorge und zum Sparen bei Ausbildung und Bildung und mit ihren konkreten Einzelentscheidungen pro Miliärtransporter A400M, pro Eurofighter oder pro Galileo - für das militärisch zu nutzende Satellitensystem - bzw. mit ihrer allgemeinen Politik zur Erhöhung von Rüstungsausgaben und zur Schaffung eines EU-Rüstungsetats den Weg in Militarisierung und neue Kriege vorgeben.

* 2007 wurde bekannt, dass BAe an den saudischen Prinzen Bandur Bin Sultan für die Vermittlung eines millliardenschweren Auftrags über 72 Kampfjets den unvorstellbar hohen Betrag von 1,5 Milliarden Euro an Schmiergeld gezahlt hatte. Bandur Bin Sultan war gleichzeitig saudischer Botschafter in den USA. Als dieser Skandal 2006 aufflog, ließ BAe kühl erklären, es habe sich hier "um eine Abmachung zwischen zwei Regierungen", denen in London und Riad, gehandelt.


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