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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ihr Krieg tötet Bertolt Brecht Gespräch mit Rolf Becker über Kriege als Lebenserfahrung Winfried Wolf: Im sechzigsten Jahr der Befreiung vom Faschismus und anlässlich des Antikriegstags 2005 lohnt ein Rückblick auf Krieg und Frieden. Du warst selbst Zeuge von vier Kriegen. Welche waren das und welche Unterschiede gibt es? Rolf Becker: Es geht um den Zweiten Weltkrieg, den Vietnam-Krieg, den Krieg der Contras in Nicaragua und den Krieg der Nato gegen Jugoslawien. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war ich zehn Jahre alt; ich war acht, als ich meinen Vater verlor. Ich bin kein direktes Kriegsopfer geworden; wir lebten auf dem Land in Schleswig-Holstein. Doch als Hamburg im Feuersturm unterging, war ich, wenn auch aus der Ferne, Zeuge: nachts am Horizont das Flackern der brennenden Stadt, tags die Rauchschwaden am Sommerhimmel. Die Bombengeschwader flogen über unsere Gegend. Wenn Maschinen abgeschossen wurden, warfen sie ihre Bombenladung ab, versuchten notzulanden oder gingen in den Feldmarken zu Bruch. Ich will das nicht ausführen. Alle Impulse, die mein späteres Leben bestimmt haben, kommen aus dieser Zeit. Aus den Kindheitserfahrungen und aus dem Versuch, sie in den nachfolgenden Jahren aufzuarbeiten. Da die bundesdeutsche Gesellschaft sich der Aufarbeitung von Faschismus und Krieg weitgehend verschloss, habe ich mich an Menschen orientiert, die eine klare Position zu dem Krieg hatten: Das waren auf dem Gebiet des Theaters Bertolt Brecht und das Berliner Ensemble, wo mir viele Kollegen auf die Strümpfe geholfen oder Tipps gegeben haben, was ich lesen sollte. W.W.: Der zweite zur Debatte stehende Krieg, der Vietnam-Krieg, stellte auch einen tiefen Einschnitt in der westdeutschen Gesellschaft dar. Was hat er für Dich bedeutet? R.B.: Der Vietnamkrieg war nach dem Zweiten Weltkrieg der erste Krieg, mit dem ich wieder in direkten Kontakt kam. Ich erlebte die letzten Tage dieses Kriegs in der Region Indochina. Ich war unterwegs nach Australien und machte - die Niederlage der US-Armee war absehbar - Zwischenstation in Bangkok. Ich erlebte die Massenflucht der US-Amerikaner und ihrer Schützlinge, die Ende April 1975 von Saigon nach Thailand ausgeflogen wurden. Durch einen Zufall - es waren chaotische Tage und die US-Army hielt mich für einen US-Bürger - gelangte ich am 1. Mai auch auf die gewaltige US-Base Nakhom Panom an der Grenze zu Laos, aber noch auf thailändischem Boden. Offiziell war der Krieg an diesem Tag zuende, in Saigon hatte es den "take over", die Machtübernahme durch den Vietcong, gegeben. Dennoch wurden auf dieser US-Air-Base fortwährend Bomben in Flugzeuge verladen, die weiterhin aufstiegen und ihre tödliche Fracht nach Vietnam trugen. Von der Base aus brachten mich Einheimische über den Mekong nach Laos, und dort ließ ich mich mit einem Motorrad in Richtung des Ho-Chi-Minh-Pfads bringen.*) Als die Schießereien zu heftig wurden, kehrten wir wieder um. Die Positionen beim Zweiten Weltkrieg und im Vietnamkrieg waren eindeutig. 1945 war ich nicht alt genug, um hier eine eigene Meinung zu haben. Aber die gab es im Elternhaus. Mein Großvater sagte: Der Krieg muss verloren, die Nazis müssen niedergerungen werden, sonst wird die Katastrophe weltweit. Auch beim Vietnamkrieg gab es eine eindeutige Position, die besagte: Die USA haben das Land überfallen. Der Widerstand der FNL muss unterstützt werden. W.W.: Gab es auch eine inhaltliche Identifizierung mit den Zielen des Vietcong? R.B.: Ja. Nicht nur für uns am Bremer Theater galt der Satz: Wir verlängern den Krieg, wenn wir helfen, die Wunden zu verbinden - es helfen nur Waffen für den Vietcong. Dafür wurde an den Münchner Kammerspielen am Ende der Vorstellungen von Peter Weiss "Vietnam-Diskurs" sogar Geld gesammelt. Das "Waffen für den Vietcong" war sicher eine weitgehende Position, die nur von einer Minderheit geteilt wurde. Aber die Parteinahme für die FNL und für das vietnamesische Volk war in Westdeutschland unter kritisch denkenden Menschen verbreitet. W.W.: Das galt weitgehend auch für den dritten von Dir erwähnten Krieg, für Nicaragua und den Krieg der Contras gegen die sandinistische Regierung. R.B.: Ich war ein Dreivierteljahr vor dem Sturz des Somoza-Regimes in Nicaragua, zu Beginn der Kämpfe zur Befreiung von dieser blutigen Diktatur. Später, nach dem Sieg der Sandinisten, war ich wieder da, für unseren Nicaragua-Arbeitskreis beim NDR, der die KollegInnen von Radio Venceremos in Leon unterstützte. Auf einer Rundreise, mehrfach unterbrochen wegen der Kämpfe, war ich auch einige Tage in Nueva Guinea, dem Zentrum der Auseinandersetzung mit den US-finanzierten Contras. 1987 war das. Die Contras hatten soeben elf Waldarbeiter erschossen, die nichts taten, als Holzfällerarbeiten durchzuführen. Auch damals war die Positionierung eindeutig: Es handelte sich um einen so genannten low-intensity-war. Die US-Regierung griff nicht direkt ein, sondern finanzierte und bewaffnete die Contras und organisierte deren Ausbildung und Logistik. Aber die US-Regierung war ohne Zweifel der Aggressor. Die nicaraguanische Bevölkerung hatte nach dem Sturz des Somoza-Regimes eine rechtmäßige und demokratische Regierung aufgebaut. Der Krieg der Contras und der US-Regierung basierte vor allem auf der Strategie: Es muss verhindert werden, dass - neben Kuba - ein zweiter sozialistischer Staat auf dem amerikanischen Kontinent entsteht. So wie Washington sich heute vorbereitet, um gegen Venezuela aktiv zu werden. W.W.: Die westdeutsche Regierung spielte in diesen Kriegen keine größere aktive Rolle, auch wenn sie diese US-Kriege finanziell unterstützte und z.B. nach Saigon das Lazarettschiff "Helgoland" entsandte. Eine Wende gab es diesbezüglich mit einem weiteren Krieg 1999. R.B.: Das war nach dem Zweiten Weltkrieg der ersten Angriffskrieg von deutschem Boden. Wir sind in den letzten Wochen des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien mit einer Gruppe von zehn Gewerkschaftskolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Gewerkschaften nach Jugoslawien gefahren. "Dialog von unten - statt Bomben von oben" - ein Zeichen der Solidarität mit der Bevölkerung und mit den Kolleginnen und Kollegen im zerbombten Zastava-Autowerk in Kragujevac und anderen Betrieben. Wir wurden damals gefragt, ob wir Milosevic treffen wollten. Das haben wir abgelehnt. Wir wollten uns strikt auf die Solidarität mit der Bevölkerung beschränken. Mehr wäre den Kolleginnen und Kollegen in der BRD nicht vermittelbar gewesen. In diesem Krieg standen wir weitgehend allein. Auch Menschen, die wir für fortschrittliche hielten, erklärten uns für verrückt, als wir sagten, wir fahren da runter. Wir haben aus Jugoslawien und während des Krieges täglich Berichte an dpa geschickt über die Erfahrungen, die wir machten. Es gab Fernseh-Interviews mit uns in Belgrad, während der Bombardierungen. Doch von all dem wurde in der BRD so gut wie nichts gebracht. Nur die "junge Welt", das "Neue Deutschland" und, als einziges bürgerliches Blatt, die "Hannoversche Zeitung", druckten unsere Berichte ab. W.W.: Inzwischen gab es eine SPD-Grünen-Regierung, die mit ihrem Kriegskurs erheblichen Einfluß auf die traditionelle Friedensbewegung hatte. Hätte es noch eine Kohl-Regierung gegeben... R.B.: ... dann hätte es breite Diskussionen und massiven Widerstand gegen den Krieg in den Gewerkschaften und damit auch eine weit größere Antikriegsbewegung gegeben. Mit dem Krieg gegen Jugoslawien und mit der Schröder-Fischer-Regierung gab es etwas völlig Neues: Kritische Meinungen zu diesem völkerrechtwidrigen Angriff der NATO fand in den Medien so gut wie kein Gehör. Wir haben nach unserer Reise quer durch die ganze BRD an die 150 Veranstaltungen gemacht. Das hatte eine gewisse Wirkung, was sich allerdings erst später, beim Irak-Krieg, gezeigt hat, als der DGB-Vorstand, der den Überfall auf Jugoslawien noch abgesegnet hatte, vorsichtiger an dieses Thema heranging. W.W.: Seit dem Krieg gegen Jugoslawien hat sich die Abfolge von Kriegen nochmals beschleunigt. Beim jüngsten Krieg, dem von 2003 gegen den Irak, konnte sich die Schröder-Fischer-Regierung als angebliche Kriegs-Gegner profilieren. R.B.: Ich will über Schröders Gründe für diese Position nicht spekulieren. Allerdings glaube ich, dass da bereits hereinspielte, dass die ursprünglichen Begründungen für den Jugoslawien-Krieg (Stichworte: Rambouillet, Massaker von Racak und "Hufeisen-Plan") ins Wanken geraten waren.** Dennoch war diese Bundesregierung nicht wirklich Kriegsgegner. Sie hat den Irak-Krieg 2003 unterstützt durch die Sicherung der US-Flughäfen in Deutschland, durch die Genehmigung, dass US-Bomber und US-Transportflugzeuge für diesen Krieg deutsches Territorium überfliegen durften, durch Flottenverbände der deutschen Kriegsmarine am Horn von Afrika. Deutschland bleibt involviert bei der US-Politik in Nahost und im Mittleren Osten. W.W.: Wir leben in einer Zeit, in der es wieder knapp 5 Millionen Erwerbslose und angeblich "kein Geld" für Sozialleistungen gibt. Gleichzeitig zahlt die Bundesregierung 23 Milliarden Euro jährlich für Bundeswehr und Rüstung und allein eine Milliarde Euro jährlich für die Bundeswehr-Auslandseinsätze. R.B.: In Wirklichkeit sind die soziale Frage und die Militarisierung zwei Seiten der gleichen Medaille. Der Kriegführung nach außen entspricht die Kriegführung im Inneren. Anhand aller imperialistischen Kriege lässt sich nachweisen, dass diese doppelte Auseinandersetzung immer stattfand. Die britische Schriftstellerin A.L. Kennedy sagte kurz vor dem Irak-Krieg: In wenigen Tagen werden zwei neue Kriege beginnen: der eine nach außen, im Irak, und der andere nach innen, gegen die Bevölkerung. Entscheidend wird sein, dass wir im zweiten Krieg Widerstand leisten. Wenn wir dem Krieg wirksam begegnen wollen, müssen wir die Auseinandersetzung im Inneren aufnehmen. Wir können kaum eingreifen, wenn die Truppen im arabischen Raum aufmarschieren. Wir müssen ihnen hier in den Arm fallen. Der soziale Abbau im Inneren ist nur das Gegenstück zu Rüstung und Kriegführung nach außen. W.W.: In den Tagen nach den Terrorakten in London und möglicherweise vor einem neuen Krieg um den Iran stellen viele Medien fest: Der jetzige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und sein möglicher Nachfolger Günter Beckstein (CSU) verfolgen weitgehend identische Konzeptionen hinsichtlich der Inneren Un-Sicherheit. R.B.: Parallel mit der beschleunigten Militarisierung gibt es einen atemberaubenden Abbau demokratischer Rechte. Demnächst sollen auch Inlandseinsätze der Bundeswehr legitimiert werden. Daran sieht man, worauf sich die herrschende Klasse, die Unternehmer-Seite, vorbereitet. Die erwarten, dass es Unruhen geben wird. Die wissen, dass diese Art von Sozialabbau und Umverteilung, die bisher von den Gewerkschaftsführungen weitgehend toleriert wurde, nicht dauerhaft fortgesetzt werden kann. Daher wird auf eine Verschärfung der staatlichen Gewaltmittel orientiert. Dazu wird nicht als erstes das Militär eingesetzt werden. Da gibt es zunächst die Aushöhlung der persönlichen Rechte, Lauschangriffe, zunehmende Überwachung, Einschränkung der Versammlungs- und Koalitionsfreiheit. Zwischen Schily und Beckstein sehe ich da keinen Unterschied. W.W.: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es normal, dass Linke, Gewerkschafter und Kriegsgegner einen engen Zusammenhang sahen zwischen Kapitalismus und Krieg oder auch zwischen Frieden und neuer Gesellschaft. Kann man das heute noch darlegen - und wird das noch verstanden? Versuchst Du, diesen Zusammenhand deutlich zu machen? R.B.: Wir kommen überhaupt nicht darum herum, das zu verdeutlichen. Wir müssen wieder unsere eigene Sprache finden. Wir dürfen uns die Sprache nicht vom Gegner diktieren lassen. Du kannst ja heute kaum noch das Wort "Kapitalismus" aussprechen ohne zu hören: "Ach, aus der Ecke kommt der!" Wir müssen über diese Hürde rüber, ob wir wollen oder nicht. Wir müssen begreifen, was der Gegner versucht, mit uns zu machen. Der Satz "Der Feind steht im eigenen Land" ist so aktuell wie immer. W.W.: Du bist Schauspieler. Kannst Du in Deinem Berufsleben Dein politisches Engagement mit deinen beruflichen Aktivitäten verbinden? R.B.: Das lässt sich nicht trennen. Wenn wir nicht geerdet sind, können wir nicht senden. Die Aufgabe der Kunst kann heute nur darin bestehen, eine Welt zu schaffen, in der Kunst wieder möglich wird. In welchem Maß heute Kunst eingeschränkt wird, das zeigt Abend für Abend der Blick ins Fernsehprogramm. Da werden Inhalte strikt abgebaut; es gibt die umfassende Verdummung und das Ausblenden politischer, ökonomischer und sozialer Zusammenhänge. Wenn wir uns der gesellschaftlichen Debatte nicht stellen, verlieren wir den Kontakt zur Bevölkerung und geben uns selbst auf.
Rolf Becker ist Schauspieler, Mitglied in ver.di, Fachbereich Medien und im Ortsvereinsvorstand Hamburg dieser Gewerkschaft. Das Gespräch führte Winfried Wolf Das Interview erscheint in ZgK - Zeitung gegen den Krieg - Nr. 21 Anmerkungen *) Der Ho Chi Minh-Pfad - ein System von Wegen und Tunnelverbindungen - verlief entlang der vietnamesisch-laotischen bzw. der vietnamesisch-kambodschanischen Grenze und stellte die Nachschubverbindung für den Vietcong dar. **) In Rambouillet fanden die (erpresserischen) Verhandlungen zwischen dem Westen und Jugoslawien im Vorfeld des Krieges statt. Das sogenannte Massaker von Racak lieferte den Vorwand für den Kriegsbeginn; der Westen machte dafür serbische Einheiten verantwortlich, was bis heute nicht belegt werden konnte. Am Kriegsbeginn präsentierte Verteidigungsminister Scharping einen angeblichen geheimen "Hufeisenplan" der jugoslawischen Armee zur Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo. Der Plan erwies sich als eine westliche Fälschung. |