letzte Änderung am 13. Febr. 2003

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Friedenshelden Chirac, Schröder und Putin? - Keine Illusionen!

(...Und die französische Antikriegsbewegung dabei?)

"Chirac, die Friedenstaube" zeichnet die grünen-nahe Satirezeitung Charlie Hebdo in ihrer Ausgabe vom Mittwoch, 12. Februar. Doch aus dem Mund des mit reichlich Hähnchengefieder ausgestattete Geschöpfs, das Chiracs Gesichtszüge trägt, kommt "Cocorico" - wie sonst aus dem Schnabel des gallischen Hahns, der eher als Symbol für französische Großmachtpolitik steht.

Die linksliberale Tageszeitung Libération hatte am Vortag (11. Februar) mit der Schlagzeile "Die Anti-Kriegs-Achse" aufgemacht, und im Untertitel erläutert: "Paris, Berlin, Moskau". Auf dem Titel prangt dazu ein Foto der Präsidenten Jacques Chirac und Wladimir Putin. Ein eher komischer Eindruck drängt sich dem Betrachter auf, sieht er die beiden Staatschefs solcherart zu Antikriegs-Helden gekürt - und denkt er an Ereignisse, die gleichzeitig anderswo auf der Welt stattfinden. Etwa die brutale Kriegsführung in Tschetschenien, oder die noch andauernde französische Intervention im westafrikanischen Staat Côté dıIvoire - das jüngste, wenngleich sicherlich nicht schlimmste, Beispiel für Frankreichs neokoloniale Politik in großen Teilen des Kontinents.

Gleichzeitig stimmt es, dass Frankreich den obersten US-amerikanischen Kriegstreibern, die lieber morgen als übermorgen die Bomberflotten in Richtung Irak losschicken würden, Ärger und Magengrimmen bereitet. Ursache dafür ist einerseits die gemeinsame französisch-russische Erklärung, die am Montag, 10. Februar verabschiedet und im Elysée-Palast durch Präsident Chirac verlesen wurde. Hinzu gesellte sich, andererseits, am selben Tag das Veto Frankreichs sowie Belgien - denen Deutschland sich dann in letzter Minute anschloss - im NATO-Rat gegen das miliärische Hilfsersuchen der Türkei.

Der südöstlichste Mitgliedsstaat des Nordatlantik-Pakts hatte - mit starker US-amerikanischer Unterstützung im Rücken, ja möglicherweise auf amerikanischen Druck hin - u.a. um die Verlegung von Patriot-Abwehrrakten sowie um Ersetzung seiner NATO-Truppen auf dem Balkan gebeten, um sich auf den "Fall eines irakischen Angriffs" vorzubereiten. In Wahrheit ging es natürlich eher darum, einen Angriff der US-Armee und verbündeter Streikkräfte von türkischem Territorium aus auf den Irak in die Wege zu leiten - vom NATO-"Bündnisfall", der bei einem Angriff auf ein Mitgliedsland automatisch in Kraft tritt und Beistandstreue erfordert, kann damit rechtlich keine Rede sein.

Ankara mochte freilich gegen die eventuellen Folgen dieser Hilfestellung für einen Angriff, im Fall irakischer Gegenschläge,  gewappnet sein. Hauptgrund des türkischen Regierungsersuchens war aber der Wunsch Washingtons, mittels einer politische Geste die "Solidarität" der übrigen NATO-Staaten gegenüber den eigenen Angriffsplänen zu demonstrieren. Deswegen weigerten sich Paris und Brüssel zunächst, der Aufforderung unwidersprochen Folge zu leisten. Allerdings verweigern sie mitnichten jede militärische Hilfestellung: Von Anfang an erklärten sie sich bereit, der Türkei bilaterale Hilfe zu gewähren, wenn diese nach Artikel 4 des NATO-Statuts von Staat zu Staat eingefordert werde. Berlin hatte bereits am Sonntag sein Hintertürchen aufgemacht: Deutschland liefert eigene Patriot-Raketen an die Niederlande, und diese wiederum liefern ebensolche Flugkörper an die Türkei.

Der Konflikt ist darum eher symbolischer Natur, als dass er reale militärpolitische Bedeutung hätte. Die Äußerungen George W. Bushs, der sich medienwirksam "enttäuscht" erklärt, und die seit Wochenbeginn heftige Medienkampagne in den USA - gegen die französische "Undankbarkeit", nachdem man das Land im Zweiten Weltkrieg befreit habe - ändern daran nichts. Ähnlich stehen die Dinge, betrachtet man die Erklärung der Chirac, Putin und Schröder vom Montag, in welcher die Kernsätze lauten: "Es gibt noch eine Alternative zum Krieg, wir sind uns darin sicher. Der Einsatz von Gewalt könnte nur das letzte Mittel darstellen." Konkret sprechen die drei Staatschefs einer Verstärkung der UN-Kontrollen und der Waffeninspektionen im Irak das Wort. Einen Waffengang aber schließen sie, wie der Wortlaut ihres Textes zeigt, keineswegs aus - wenn nur die Formen (Fortsetzung der Inspektionen bis zu einem eventuellen Bruchpunkt mit dem Regime, keine Übergehung des UN-Sicherheitsrats durch unilaterales Handeln der USA) gewahrt bleiben.

Am Samstag hatte die Internet-Ausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL den angeblichen "Alternativ-Plan der Franzosen und Deutschen" publiziert. Jener besteht namentlich aus einer vollständigen Besetzung des Irak durch UN-Blauhelmtruppen - mit deutscher Beteiligung - und einem völligen Flugverbot für irakische Truppen, während das amtierende Regime vorläufig noch "formell" an der Macht bleibe. Strukturell ähnlich lauteten die Bestimmungen des berühmt gewordenen "Annex B", den man im Februar 1999 in Rambouillet bei Paris durch die serbische Regierung hatte unterschreiben lassen wollen. Dass dieses "Angebot" für das irakische Regime - dessen Entmachtung es bedeutet - unakzeptabel wäre (ganz egal, wie man ansonsten zu dessen diktatorischem Herrschaftssystem stehen mag) und man damit sehr schnell an der Schwelle des Krieges landen würde, hätte klar sein müssen.

Der angebliche "Plan", der dem Berliner Tagespiegel vom Dienstag zufolge auf etwas zu langes Plaudern des Kanzlers Schröder mit einigen Journalisten beim Rotwein zurückgehen soll, wurde jedoch von französischer Seite - namentlich durch Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie ("Mam" genannt, wegen ihrer Initialien) schnell dementiert. Die deutsche Außenpolitik, die seit dem Bundestags-Wahlkampf im September von zahlreichen, vorwiegend innenpolitisch bedingten Zickzack-Bewegungen bestimmt ist (Anfang Januar wollte Schröder noch das Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat völlig offen halten, bei einem Wahlkampfauftritt am 22.01. im niedersäshsischen Goslar entdeckte er dann plötzlich wieder seine prinzipielle Gegnerschaft zum Irakkrieg ), wurde damit mal wieder  inıs Aus manövriert. Doch Frankreich und Russland machten sich viele der Forderungen zu eigen, namentlich jene nach einer Verstärkung des Kontrollregimes und der weitgehenden Luftüberwachung des Irak, die unter französischer und russischer Beteiligung ausgemalt wird.


Machtpoker unter geübten Zockern

Worum geht es also? Es handelt sich in erster Linie um einen Machtkampf unter Großmächten, wobei Frankreich und Russland gern ein wenig von der Eile der US-Amerikaner - die bereits 100.000 Soldaten am Golf stationiert haben und ungeduldig werden, weil sie fürchten, ab Ende März werde das Klima für einige Monate zu heiß zur Kriegführung - profitieren würden, um ein größeres Stück vom Kuchen abzuschneiden, als ihnen bisher von Washington zugedacht wurde..

Beide Länder haben in den vorausgehenden Jahrzehnten besonders stark im Irak investiert. Russland näherte sich jedoch der US-Kriegsoption an, weil Washington wiederum die Kriegführung in Tschetschenien deckt und weil der Irak im Dezember 2002 bedeutende Verträge mit der russischen Firma Lukoil aufkündigte - möglicherweise, wie manche Beobachter spekulieren, um der US-Ölindustrie ein "Arrangement" schmackhaft zu machen. Frankreich war in den 70er und 80er Jahren einer der wichtigsten Lieferanten Bagdads gewesen (wobei es diesen Spitzenplatz Rolle allerdings bei den Komponenten für ABC-Waffen mit Westdeutschland und den USA teilen musste). Doch hatte Paris sich 1991 ohne größeres Aufhebens - nachdem der damalige Präsident François Mitterrand es einige Pirouetten als "Vermittler" eingeschlagen hatte, um seine Interessen in Bagdad nicht ohne jede Anstrengung fallen zu lassen - der militärischen Option des seinerzeitigen Kriegsherrn George Bush Vater angeschlossen. Und die jetzt regierende Rechtsopposition jener Tage hatte 1991 Mitterrand sogar noch der Schlappheit geziehen, nachdem dieser erklärt hatte, Frankreich wolle gegen den Irak keine ABC-Waffen einsetzen. Jetzt aber, 2003, wollen Frankreich und Russland sich nicht aus einer Nachkriegordnung "ausgeklammert" wissen.

Hinzu kommt der Streit um die Gewichte in der NATO: Die Aufnahme neuer Mitgliedsländer in Ost- und Südosteuropa droht, das Gewicht der USA - mit denen die Eliten dieser Staaten sich besonders verbunden fühlen - zu stärken, hingegen dasjenige der europäischen Altmitglieder der NATO und jenes des Nachbarn Russland zu schwächen. Nicht zuletzt wurde dies durch den Brief von 10 mittelost- und osteuropäischen Staatschefs zur Unterstützung der Irakpolitik Bushs demonstiert, der vor kurzem auf den "Brief der acht" (Tony Blair, Silvio Berlusconi, José Maria Aznar..) folgte.  Der NATO-Gipfel im Dezember 2002 in Prag untermalte die künftige Ausrichtung der NATO auf die US-Politik. Die geplante Eingreiftruppe der NATO (Response Force) etwa entzog dem Plan der Europäer, über eigene Eingreifftrupps zu verfügen, den Boden unter den Füßen. Zugleich wurde die künftige Response Force, aufgrund der konkreten Planungsvorgaben,  hinter vorgehaltener Hand als "Fremdenlegion für das Pentagon" (zitiert nach New York Times) bezeichnet.

Daher wünschen die beiden einflussreichsten kontinentaleuropäischen NATO-Staaten, aber auch das benachbarte Russland, jetzt eine veränderte Austarierung der Machtgleichgewichte herbei zu führen.

Nicht zuletzt hat das Agieren der kontinentaleuropäischen Staatschefs auch handfeste innenpolitische Gründe. Einerseits lehnen die nationalen öffentlichen Meinungen jeweils mit deutlicher Mehrheit den drohenden Krieg im Irak ab - allerdings auch deswegen in Proportionen um die 70 Prozent, weil bisher - anders als 1990/91 - kein enormer medialer Druck zugunsten der Kriegspropaganda entfaltet worden ist.

Andererseits sind mehrere der beteiligten Regierungen innenpolitisch derart angeschlagen, dass sie eine verstärkte Legitimierung ihres Handelns durch ein vermeintlich konsequentes Eintreten gegen einen (bisher unpopulären) Krieg auf jeden Fall gebrauchen können. Auch eine außenpolitische stärkere Abgrenzung von den USA und ihren "unverschämten Forderungen", die als Projektionsfläche für gesellschaftliche Frustrationen und für (in dem Fall billig erkaufte) Vorstellungen von "Widerstand gegen die Mächtigen" herhalten können, kommt dabei nicht unwillkommen. Dabei mischen sich in der öffentlichen Wahrnehmung wahrscheinlich in hohem Maße berechtigte Motive (Ablehnung eines bisher als kaum gerechtfertigt erscheinenden Krieges, ein - oftmals noch unbewusster und diese Begrifflichkeit nicht benutzender - "spontaner Antiimperialismus) mit weit weniger legitimen oder progressiven Elementen (Nationalismus oder Chauvinismus, Projektionen sozialer Wut auf die alleinigen USA). Mit dieser verwischten Gemengelage müssen wiederum Linke und Kriegsgegner Politik machen, ohne die auch problematischen Elemente dabei zu übersehen.

Die französische Staatsführung beispielsweise kann eine solche Initiative gut gebrauchen: Präsident Chirac wurde am 21. April 2002, im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl, von nur gut 19 Prozent derer, die eine gültige Stimme abgaben, gewählt. Das macht etwas mehr als 5 Millionen Stimmen aus - bei 60 Millionen EinwohnerInnen des Landes und gut 40 Millionen Wahlberechtigten. Noch nie in der Geschichte des Landes hatte ein amtierender Staatpräsident, der zu seiner Wiederwahl antrat, ein dermaßen schlechtes Ergebnis im ersten Wahlgang eingefahren. In der Stichwahl der zweiten Runde kam Jacques Chirac dann mit einem quasi "sowjetisch" anmutenden Wahlergebnis von 82,3 Prozent durch - aber nur mit den Stimmen von vier Fünfteln seiner linken GegnerInnen und deswegen, weil ihm gegenüber der Neo- bzw. Altfaschist Jean-Marie Le Pen als einziger Kandidat im Rennen blieb. Die daraus resultierende politische Legitimität ist brüchig und anfällig. Bei der nachfolgenden Parlamentswahl im Juni 2002 kam die bürgerliche Rechte vor allem aufgrund der hohen Wahlenthaltung - von 40 Prozent im zweiten Durchgang - durch, weil die etablierten Linksparteien nach den Ereignissen im April, und dem Rückzug Lionel Jospins aus der Politik, bereits schwer angeschlagen waren. Auf größere soziale Konflikte sollten sich die regierenden Konservativen mit einer solchen Legitimationsbasis daher besser nicht einlassen.

Chirac versucht nun an eine spezifisch französische Politiktradition anzuknüpfen, nämlich die Rolle, die Präsident Charles de Gaulle in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auf der internationalen Bühne zu spielen versuchte - mit der berühmten "Rede von Phnom Penh" (der Hauptstadt Kambodschas) von 1966 als einem ihrer Höhepunkte. Der damalige Chef einer konservativen, antikommunistischen Regierung schlüpfte damals auf internationaler Ebene in die Rolle dessen, der  unabhängig von den USA, ja als ihr Herausforderer auftritt und auf Äquidistanz (gleichem Abstand) zwischen Washington und Moskau bleibt. Das stimmte zwar nicht völlig - in der Kubakrise 1961 hatte de Gaulle die vom US-Botschafter vorlegten Fotos vom Tisch gewischt mit der Anmerkung, er glaube den USA auch ohne Beweise aufıs Wort und stehe im Kriegsfall auf ihrer Seite.

Doch dieses Auftreten erfüllte einen Zweck: In der Ära der kontrollierten Entkolonialisierung - als Frankreich viele seiner ehemaligen afrikanischen (und asiatischen) Kolonien in die Unabhängigkeit "entließ", wie es so schön hieß - wurde die neokoloniale Kontrolle über diese Länder in die Hände von "einheimischen" Eliten in ihren jeweiligen Hauptstädte gelegt. Viele von ihnen fühlten sich vor allem in der Anfangsphase als Modernisierungseliten, die zu einem politischen Aufbruch berufen seien - auch wenn v.a. die Staaten des frankophonen Afrika später vor allem durch ultra-korrupte und sich selbst bereichernde Diktaturen geprägt sein sollten. Oft hatten Teile von ihnen auch gewisse Sympathien für den realsozialistischen "Block", der ihnen einen alternativen Entwicklungsweg mit einer besonderen Rolle des Staatssektors anbot. Deswegen erfüllte das Auftreten des Präsidenten de Gaulle, das von manchen Analytikern als "internationaler Bonapartismus" bezeichnet wurde (aufgrund mancher verwandter Züge: ein Auftreten als "über den Klassen und Interessen schwebend", oder Personalisierung der Politik in Gestalt einer Führungsfigur, die als "Schiedsrichter" zwischen widerstreitenden Interessen gilt...) einen Zweck. Nämlich den, Frankreich als "Partner" -  der auch unabhängig von der dominierenden kapitalistischen Macht aufzutreten vermochte, die zugleich im Vietnamkrieg für Repression gegen die Aufbruchbestrebungen der "Dritten Welt" stand - zu profilieren. Dazu zählte auch die spätgaullistische politique arabe.

Allerdings ist Chirac eher die Karikatur eines Charles de Gaulle, denn dessen Wiedergänger. Und während de Gaulle im Jahr 1966 aus dem militärischen Verbund der NATO (nicht aus allen politischen Strukturen) herausführte, hat Jacques Chirac Frankreich ab Ende 1995 zurück in die NATO integriert. Ferner hat Frankreich heute nicht mehr dasselbe Gewicht wie damals, angesichts des EU-Integrationsprozesses und den seit seiner Hochphase als Kolonialmacht vergangenen Jahrzehnten. Dennoch würde Chirac gern für sich ein wenig vom Abglanz der de Gaulleıschen Politik nutzen, um den (innen-)politischen Mehrwert einzustreichen.

 

Und die französische Antikriegs-Bewegung?

Ein ("moderater") Teil der eher pazifistisch orientierten Kräfte gibt Chirac im Moment - gegenüber der US-Administration Bush - eher noch Rückendeckung.. So fordert die traditionelle Friedensorganisation aus dem KP-Umfeld, der Mouvement de la paix (wörtlich: "Friedensbewegung"), Chirac eher wohlwollend dazu auf, Frankreich solle im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine eventuelle neue Resolution - nach der Resolution 1441 vom 08. November 2002, welche die Grundlagen für die Inspektionen darstellt - einlegen. Ähnliche Positionen werden auch von katholischen Friedens- oder Solidaritätsgruppen geteilt. - Dabei ist freilich derzeit gar nicht sicher, ob die US-Führung nach einer erneuten Resolution als Ermächtigungsgrundlage für einen Krieg strebt.. Die Antwort auf diese taktische Frage wird sicherlich stark von ihrer vorherigen Einschätzung des Kräfteverhältnisses im UN-Sicherheitsrat abhängen. Ohne erneute Abstimmung im UN-Sicherheitsrat wird freilich das Legitimationsproblem der US-amerikanischen und britischen Regierung vor der internationalen Öffentlichkeit vergrößert werden.

Übrigens fordert auch der Parti socialiste (PS), also die französische Sozialdemokratie, derzeit die Rechtsregierung zum Einlegen des französischen Vetos - im Falle der Abstimmung einer direkt zur Kriegführung ermächtigenden Resolution - auf. Insgesamt teilt sie überwiegend die Linie einer Mehrheit innerhalb des Rechtsblocks, wonach "derzeit" und beim "jetzigen Stand der Dinge" gegen einen Krieg Stellung zu beziehen sei, und stattdessen auf die Waffeninspektionen und den "1441er Prozess" (die Umsetzung der oben zitierten UN-Resolution, die freilich unter Umständen zur Legitimierung eines Krieges herangezogen werden wird können) zu setzen. Dies fordert auch die Mehrheit der Konservativen, wobei sie allerdings auch immer klar dazusetzt, dass "der Einsatz von Gewalt als letztes Mittel" auf keinen Fall ausgeschlossen werden dürfe. Hingegen gibt es zwei Minderheitsfraktionen auf der politischen Rechten. Auf der einen Seite fordern der wirtschaftsliberale Politiker und Berlusconi-Fan Alain Madelin und seine ultraliberalen Freunde, "zwischen Bush und Saddam Hussein" zu wählen, und nehmen eine klar pro-amerikanische Position ein. Auf der anderen Seite gibt es eine Lobby der irakischen Diktatur sowohl innerhalb der Konservativen (etwa mit dem Abgeordneten Thierry Mariani, der im September 2002 in Bagdad war) als auch bei den Neofaschisten. Sie fordern eine Positionierung Frankreichs auf Seiten des irakischen Regimes - freilich nicht aus pazifistischen Gründen, sondern, weil Frankreich hier über eine eigene Einflusszone verfüge und seine geostrategischen Interessen behaupten müsse.

Kommen wir zu angenehmeren Gefilden: Der linke Flügel der Friedensbewegung lehnte, und lehnt noch immer, das "Vertrauen auf Chirac" ab. Man bezieht sich auch nicht auf UN-Resolutionen und bestehende internationale Institutionen, da deren Politik ohnehin nur herrschende Interessen - oder eine Kombination aus verschiedenen herrschenden Interessen - widerspiegele. Man denunziert stattdessen auch Frankreichs eigene Rolle auf dem afrikanischen Kontinent, oder thematisierte die brutale Kriegführung in Tschetschenien während des Putin-Besuchs im Pariser Rathaus am Montag dieser Woche. Nur die internationale Mobilisierung von Demonstrationen und ggf. Streiks könne als taugliches Mittel einer Antikriegspolitik forciert werden. Niemand in diesem Spektrum solidarisiert sich unterdessen mit der herrschenden irakischen Diktatur. Wobei allerdings eine Komponente (SPEB, siehe unten) dafür ist, diese weniger stark zu thematisieren - im Namen einer bestimmten Idee von Bündnispolitik gegenüber der arabischen Immigration - , während andere Teile eher die frühere Waffenbrüderschaft Frankreichs, aber auch der USA mit der irakischen Diktatur, etwa zum Zeitpunkt  des Massakers von Halabja, denunzieren.  

Dieses Spektrum widerspiegelt sich vor allem in den "Anti-Kriegs-Kollektiven", die bereits in einem halben Dutzend Pariser Bezirken, in ebenso vielen Universitäten des Großraums Paris und in mehreren Vor- und Trabantenstädten der Capitale entstanden sind. Hier finden sich  - neben Einzelpersonen - an organisierten Kräften vor allem Anarchokommunisten und libertäre Kommunisten (Alternative liberataire), der undogmatische Teil der französischen Trotzkisten (die Ligue Communiste Révolutionnaire, LCR), die Fédération anarchiste, die französische Linksruck-Variante (SPEB oder Socialisme par en bas, "Sozialismus von unten"), internationalistische Kräfte wie etwa lateinamerikanische Linke, diverse GewerkschafterInnen und auch Personen aus dem KP-Umfeld. Die KP selbst ist tendenziell zwischen dieser Position, und der eher auf Chirac vertrauenden, oben zitierten Position hin- und hergerissen.

Auch soziale Bewegungen wie etwa die kämpferische Wohnrauminitiative DAL (Droit au logement), in deren Pariser Lokal sich die Koordinierungsstruktur der Anti-Kriegs-Komitees des Großraums Paris trifft, sind eng mit diesem linkeren Teil der Anti-Kriegs-Bewegung verflochten.

Deutlich rechts von dieser "aktivistischen" Basis des Antikriegs-Spektrums bemüht sich seit dem 13. Januar 03 die patriotische Wochenzeitschrift Marianne um Einflussnahme. Sie steht dem linksnationalistischen und EU-skeptischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Chevènement nahe, der zwischen 1997 und 2000 als Innenminister amtierte. Mit einem eigenen Aufruf versucht Marianne vom 13.01. jetzt, eine "die Links-Rechts-Spaltung überwindende und klassenübergreifende" Mobilisierung zu entfachen. Hier unterstützt man ebenfalls die Forderung nach einem französischen Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine Kriegsresolution zugunsten Bushs, und fordert ferner einen demokratischen Regimewechsel im Irak und die Bekämpfung des Terrorismus. Man kann indirekt aus dem - humanistisch gehaltenen -Aufruftext schließen, dass nach Ansicht der Unterzeichner eben Frankreichs Interessen bei einem allfälligen Regimewechsel im Irak nicht zu kurz kommen sollen.

Auf der Grundlage ihres Aufrufs versucht Marianne, auch Teile der politischen Rechten in die Antikriegsmobilisierungen einzubeziehen. Dafür konnte sie auch bis Ende Januar beispielsweise 10 Parlamentarier der konservativen Rechten gewinnen. Der sozialdemokratische gewerkschaftliche Dachverband CFDT und mehrere Polizeigewerkschaften unterstützen ebenfalls die Marianne-Idee. Anlässlich der Mobilisierung zum internationalen Demonstrationstag werden mehrere (nationale oder Europaparlaments-)Abgeordnete dieses Spektrums unterstützen, vom neoliberalen Grünen Daniel Cohn-Bendit bis hin zum rechtskatholischen Nationalisten Graf Philippe de Villiers.

Im linken Basisteil der Antikriegsbewegung wird jener rechte Flügel weniger als zu unterstützender Faktor denn als politischer Konkurrent gesehen. Im Hinblick auf den 15. Februar soll daher eine möglichst starke, von Regierung und Nationalisten unabhängige Mobilisierung erzielt werden. Der ideologische Einfluss von Nationalisten oder Unterstützern der französischen Regierung solle damit so weit wie möglich zurückgedrängt werden. Zugleich soll möglichst versucht werden, drängende soziale Bedürfnisse mit der Frage des Krieges zu verbinden, nachdem bereits in den LehrerInnen-Demonstrationen vom 17. Oktober 2002 "Geld für die Schulen statt für Rüstung" gefordert worden war. Auf diese Weise soll die gesellschaftliche Mobilisierung noch verbreitert, und inhaltlich vertieft werden. Ein Aufruf von GewerkschafterInnen, der aus diesem Spektrum lanciert worden war, trägt bereits mehrere hundert Unterschriften aus CGT, CFDT, FO, den SUD-Gewerkschaften und der Lehrerorganisation FSU, wobei es allerdings mitunter Blockaden aus den Apparaten gibt - da letztere sich oftmals eher hinter die Forderung nach einem französischen Veto im UN-Sicherheitsrat stellen.

Am Abend des Samstag, 15. Februar sowie am Vormittag des darauffolgenden Sonntags soll jetzt - nach einer Koordination der Pariser Region - auch eine landesweite Koordination der Anti-Kriegs-Komitees gegründet werden. Denn zur nationalen Demonstration in Paris werden zahlreiche Busse aus den Städten dre "Provinz" erwartet, deren Insassen dann zu den Gründungssitzungen bleiben sollen. Dafür wurden Säale in einem Eisenbahner-Wohnheim im 12. Pariser Bezirk reserviert. Ein arbeitsreiches (und möglicherweise schlafarmes), aber spannendes Wochenende zeichnet sich ab.

Zugleich dürfte die Demonstration vom Samstag auch quantitativ bedeutender werden als jene vom 16. November (gut 6.000 Demonstrierende in Paris), 14. Dezember (5.000 in Paris) und 18. Januar (gut 10.000).

Der Vollständigkeit halber erwähnt seien auch noch die Umtriebe des "Parti des travailleurs" PT, einer autoritären, dogmatisch-trotzkistisch auftretenden Politsekte, die oftmals verdeckt agiert. Im Oktober 2002 gelang es ihr zunächst anscheinend, das Heft in der Antikriegsbewegung an sich zu reißen. Da die PT-Leute als zeitlich erste den Aufruf aus den USA Not in our name ins Französisch übersetzt hatten, konnten sie damit zunächst unerkannt Unterschriften - etwa aus dem Bereich der Künstler und Intellektuellen - für ihre alleinigen Aktivitäten sammeln. Damit drohte eine Verwirrung oder gar schwere Diskreditierung geschaffen zu werden. Mittlerweile hat sich die Politsekte aber ausmanövriert, mobilisiert aber ihre "Truppen" stark zu den Antikriegsdemonstrationen, während sie eher ansonsten selten unter ihrem eigenen Namen auf der Straße auftritt. Derzeit bildet sie einen lästigen Störfaktor, aber kein weiteres Risiko.

Bernhard Schmid, Paris    
12. Februar 2003       

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