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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Atomkonflikt mit dem Iran: Krieg im Nahen Osten? Und scheinbar kein Ausweg?

Christa Wolf sinniert in ihrer "Kassandra" über den "Vorkrieg" - und wie er dann zwangsläufig eben auf den Krieg hinausläuft. Befinden wir uns nicht in einem solchen Zustand?

Einen Beitrag von Avi Primor in der SZ - Außenansicht (9. November 2011) nehme ich einmal zum Anlass die Situation nach dem Bericht der Internationalen Atombehörde (IAEA) über den Atomwaffenbesitz des Iran etwas darzulegen. (www.sueddeutsche.de/politik/bericht-der-atomenergiebehoerde-iaea-iran-soll-an-atomwaffen-gearbeitet-haben-1.1184392 externer Link - oder auch www.fr-online.de/politik/konflikt-mit-teheran-iran-baut-angeblich-atomwaffen,1472596,11120746.html externer Link)

So stellt sich ganz aktuell die Frage für Israel, soll Israel jetzt den Iran angreifen, um diese Atomwaffen zu zerstören? Israel selbst ist in dieser Frage gespallten: 41 Prozent sind dafür, 39 Prozent dagegen (Artikel Avi Primor). Und so ist "die "Welt" beunruhigt über diesen Atomwaffenbericht. (www.fr-online.de/politik/iran-bericht-ueber-atomwaffen-beunruhigt-die-welt,1472596,11119904.html externer Link).

Und Benjamin Netanjahu, der israelische Ministerpräsident, zitiert schon einmal in einer Rede zur iranischen Gefahr in der Knesset - dem israelischen Parlament - aus dem Talmud: "Wenn einer kommt ,um dich zu töten, stehe auf und töte ihn zuerst." (Artikel Primor)

Dabei nennt Avi Primor dies eine Geister- und Selbstmord-Debatte - denn fraglich ist zunächst, ob selbst ein erfolgreicher israelischer Angriff das iranische Vorhaben tatsächlich endgültig wieder zunichte machen kann. Experten meinen, ein solcher Angriff - auch wenn der Iran ihn fürchten soll (www.fr-online.de/politik/iranische-atomanlagen-teheran-fuerchtet-israelischen-Angriff,1472596,11117886.html externer Link) - könne die iranischen Pläne im besten Fall um höchstens zwei bis drei Jahre hinauszögern. Und was dann?

Bemerkenswert ist, dass in Israel - vielleicht wegen einer solchen nüchternen Lage-Einschätzung - sich vor allem die Vertreter der Streitkräfte und der Geheimdienst diesen Angriffsplänen wiedersetzen (Artikel Primor). So könnte die israelische Opposition ziemlich recht haben, wenn sie jetzt gegenüber der Regierung behauptet, diese würde jetzt so gewaltig mit dem Säbel rasseln, um die gravierenden Problem im Land zu überspielen. Die wochenlangen Demonstrationen des Sommers sind zwar vorbei, aber die Unzufriedenheit ist geblieben. Findet die Regierung keine dauerhafte Lösung für die sozialen Probleme, wird die Wut der Bevölkerung wieder ausbrechen.

Hinzu kommt, dass die Weltwirtschaftskrise allmählich doch in Israel ankommt, was den Unmut der Bevölkerung noch verstärken wird.

Mit der "Sicherheit" soziale Probleme überspielt.

Aber alle wissen in Israel auch, dass die israelische Bevölkerung sich um nichts mehr sorgt , als um ihre Sicherheit - also flugs die "kriegerische Karte" aus dem Ärmel gezogen, um die sozialen Probleme zu überspielen. Die versteinerten politischen Verhältnisse - auf Grund der politischen Unbeweglichkeit Israels (dazu hatte sich Avi Primor schon vorher einmal ausführlich in der SZ geäußert (www.sueddeutsche.de/politik/israel-und-die-palaestinensische-unabhängigkeit-primor-prophezeit-erschuetterungen-und-explosionen-israels-politik-ist-eine-unfriedenspolitik-1.1143044 externer Link) - ohne einen realistischen Friedensprozess am Horizont , erscheint zunehmend unhaltbar. Will jetzt Netanjahu durch einen kriegerischen Schlag sich aus dieser in vieler Hinsicht verfahrenen Situation befreien ?

Und wer könnte ihn stoppen?

Also Europa (Frankreich) wie auch der US-Präsident scheinen von ihm nicht allzu viel zu halten, wie gerade bekannt wurde ("Er ist ein Lügner, ich kann ihn nicht austehen": www.sueddeutsche.de/politik/sarkozy-laestert-ueber-netanjahu-ich-kann-ihn-nicht-ausstehen-er-ist-ein-luegner-1.1183629 externer Link oder www.fr-online.de/politik/mikrofon-panne-beim-g20-gipfel-sarkozy-nennt-netanjahu-einen-luegner-,1472596,11117410.html externer Link).

Die Koordinaten haben sich mit dem "Arabischen Frühling" verändert

Vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings hat sich die Palästinser-Frage sehr dynamich weiter entwickelt. Noch nicht in der Uno - wie es Obama noch vor einem Jahr versprochen hatte - aber in der Unesco sind die Palästinenser mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aufgenommen worden - wieder einmal gegen die Stimme Deutschlands (www.berliner-zeitung.de/politik/zwei-drittel-mehrheit-palaestinenser-sind-mitglied-der-unesco,10808018,11085202.html externer Link).

Denn der arabische Aufbruch zwang die Hamas und die Fatah zur Versöhnung und öffnete damit neue Perspektiven nach außen (www.monde-diplomatique.de/pm/2011/06/10.mondeText.artikel,
a0009.idx,7
externer Link). Denn schon vorher war klar geworden, dass der arabische Frühling auch bei den Palästinensern angekommen war - durch eine Revolte zur Versöhnung (www.monde-diplomatique.de/pm/2011/05/13.archivhome externer Link).

Dass "der Westen" unter der Führung der USA nicht in der Lage war diesen Prozess mit zu gestalten , sondern eher destruktiv beiseite stand, wird wohl einmal zur Geschichte seines "Untergangs" an Einfluss in der Weltpolitik gehören. Jedenfalls hat Obama seine internationale Agenda selten zuvor so klaglos aufgegeben, wie in diesem Falle in der UN. Und wenn einer keine Hoffnung mehr für Nahost nähren kann, dann ist dies Obama. (www.sueddeutsche.de/politik/un-initiative-der-palaestinenser-obamas-ohnmacht-in-nahost-1.1146667 externer Link).

Der Westen lästert, aber bleibt unfähig den Friedensprozess zu gestalten

Eine andere kritische Stimme, der Zeitgeschichtler Moshe Zimmermann aus Jerusalem vertrat dazu den Standpunkt: "Wenn man die wahren Interessen Israels vertreten möchte, muss man für eine solche UN-Resolution sein. Letztendlich war die UN-Resolution im Jahre 1947 eine für die Gründung für zwei Staaten nebeneinander . Und wenn der eine Staat legitim ist, Israel, ist der andere automatisch auch legitim. Und: "Anstatt Außenminister Liebermann und Regierungschef Netanjahu die Leviten zu lesen, versuchen US-Außenministerin Hilary Clinton, die Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Westerwelle, die Regierung in Jerusalem zu besänftigen. Da muss man nur den Kopf schütteln.

Es geht auch gar nicht darum Druck auszuüben, sondern um ein Überzeugen. Die westlichen Mächte hätten die Israelis davon überzeugen sollen, dass eine Entscheidung in der UNO für die Gründung eines Palästinenser-Staates für Israel vorteilhaft ist. Stattdessen nimmt man automatisch eine Haltung gegen den Palästinenserstaat ein, nur weil der israelische Regierungschef Netanjahu darauf besteht und weil er gegen den "einseitigen" Schritt protestiert.

Und das Traurige daran ist, dass US-Präsident Barack Obama leider keine Opposition in seinem Land hat, die ihn korrigieren könnte. (www.taz.de/Moshe-Zimmermann-ueber-Frieden-in-Nahost/!78241/ externer Link)

Da bleibt dem ehemaligen deutschen Außenminister nur die resignierende Feststellung : Israels gegenwärtige Passivität und deren Folgen dürften so lange anhalten, wie für seine Regierung - unter "offensiver" Tolerierung durch die USA - das Überleben der eigenen Koalition wichtiger ist als eine entschlossene Friedensinitiative (www.sueddeutsche.de/politik/joschka-fischer-zum-nahen-osten-starker-mann-am-bosporus-1.1158073 externer Link).

Bleibt nach dem kläglichen Versagen von Europa nur die Türkei

Bei einem Blick auf die Gesamtkonstellation im Nahen Osten oder Mittelmeer-Raum könnte man auch zu der Ansicht gelangen, dass dieser so pompös ins Rampenlicht tretende Atom-Konflikt zwischen Israel und Iran das (letzte) Aufbäumen von zwei Regionalmächten ist, die beide auf dem Weg zur Bedeutungslosigkeit in ihrer Rolle im Nahen Osten sein werden.

Die Türkei dagegen gewinnt, da sie die Palästinenserpolitik zu kanalisieren versteht - und damit die Gunst der arabischen Welt des demokratischen Aufbruchs gewinnt. (www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2010%2F06%2F15%2Fa0033&cHash
=ca56ff22ea
externer Link). So wird der Türkei immer mehr der Weg geebnet für eine Vorbildfunktion im Nahen Osten (vgl. www.nachdenkseiten.de/?p=8221 externer Link).

Keine Zukunftsperspektive für den arabischen Frühling ohne Wachstum mit Jobs

Während Europa sich in der sog. "Euro-Krise" gerade ökonomisch selbst vor die Wand fährt , ist kein dran denken, dass von dort Impulse für das so dringend erforderliche Wachstum kommen: Arbeitsplätze werden wohl der zentrale Schlüssel dafür sein , dass der so "großartig" begrüßte demokratische Aufbruch im Nahen Osten sich auch stabil weiter entwickeln kann. (www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2011%2F10%2F11%2Fa0094&c
Hash=fab6ff2419
externer Link)

Aber auch dafür ist die Türkei mit einem Wachstum von inzwischen ca. 10 Prozent ein viel klareres Vorbild als dieses sich durch gezielte Politik ökonomisch gerade zugrunde richtende Europa.

Und diese Konzentration der westlichen Länder auf das "Feindbild" Muslim (Muslim = Nicht-Demokrat) dürfte zu einer weiteren in die Irre führenden Fehlinterpretationen führen , wie uns der Fachmann deutlich erklären kann. (www.taz.de/Debatte-Scharia-und-Arabischer-Fruehling/!81385/ externer Link)

Denn für den arabischen Frühling sind die kollabierenden Volkswirtschaften weit gefährlicher als die Scharia, denn wer in die breite Bevölkerung hineinwirken will, wird sich ohne Bezugnahme auf islamische Kultur und Scharia schwertun - was nicht zuletzt auch die tunesischen Wahlen unter Beweis gestellt haben. Die Scharia selbst ist jedoch ein vielfältig auslegbares Normenbündel - das auch für die Demokratie interpretiert werden kann - vorausgesetzt diese kann auch Wohlstand und Arbeitsplätze bringen wie in der Türkei unter Erdogan.

Doch ein Ausweg aus dem Atomkonflikt mit dem Iran

Kehren wir zum Schluss noch einmal zu Avi Primor, diesem unermüdlichen Kämpfer für einen Frieden im Nahen Osten zurück: "Was auch immer der Grund für die Iran-Debatte in Israel ist: Es bleibt die Tatsache , dass Atomwaffen in Iran für Israel eine große Gefahr darstellen. Die Fragt bleibt, was man tatsächlich dagegen tun kann. Ob der Iran es wagt, Israel atomar anzugreifen, ist fraglich. Selbst bei einem Atomangriff bleiben Israel Mittel, um Vergeltungsschäge auszuführen. Es ist schwer sich vorzustellen, dass Iran Selbstmord-Ambitionen hegt. Iran, das - so seine Einschätzung - gegen seine erdölproduzierenden Nachbarn vorgehen will (um mit einer Energiekrise die Welt tiefer in die Wirtschaftskrise zu stürzen), benutzt die Hasspropaganda gegen Israel (aber ist da nicht auch die Türkei mit den Nadelstichen ihrer "Gaza-Flotille" erfolgreicher?) - als Mittel im Machtkampf innerhalb der islamischen Welt.

Dagegen könnte Israel - endlich! - einen glaubwürdigen Friedensprozess ins Leben rufen, der dem Iran einfach den Wind aus den Segeln nimmt.

Und vielleicht besinnt sich der bisher so impotent daherkommende Westen doch noch und versucht Israel etwas wirklich Gutes zu tun, indem man es auf diesen Weg bringt? Und damit auch gleichzeitig den arabischen Frühling zu stabilisieren vermag - und ob man dem bisher auf diesem Feld so erfolgreichen Erdogan diesen Erfolg so ganz alleine überlassen sollte, darf ruhig auch gefragt werden.

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 11.11.2011


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