letzte Änderung am 14.April 2003 | |
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EINE VORLÄUFIGE BILANZ
Wie kann man Dampf aus dem Kessel ablassen, ohne ihn zum Überkochen zu bringen - aber verhindern, dass er explodiert? Diese Frage stellte sich bis letzte Woche den Regimen in den arabischsprachigen Ländern Nordafrikas. Zwar hatte es vor Beginn der Kampfhandlungen im Irak am 20. März dieses Jahres nur relativ geringe Proteste gegeben, jedenfalls im Vergleich zum Zweiten Golfkrieg Anfang 1991. Dennoch zeichnete sich ab, dass in breiten Bevölkerungsteilen erhebliche Verbitterung über den erneuten militärischen Angriff auf ein arabisches Land herrschte. In der gesamten Region hält das kollektive Gedächtnis die Erinnerung an die Kolonialära wach und bringt diese häufig mit aktuellen Ereignissen direkt in Verbindung. Das betrifft das internationale Agieren westlicher Führungsmächte. Aber auch soziale Verwerfungen innerhalb dieser Gesellschaften werden damit, teilweise zu Recht - betrachtet man sich die weltwirtschaftlichen Strukturen - und teilweise auch in Form einer ideologischen Projektion, zusammen gedacht.
Die strenge Repression, die in der Mehrzahl der nordafrikanischen Länder gegen politische Unmutsbekundungen herrscht, erklärt nur zum Teil, warum die Proteste erst nach Kriegsbeginn deutlich zum Ausdruck kamen - aber auch hier schwächer als 1991 blieben. Hinzu kommen weitere gesellschaftliche Faktoren. Dazu zählt die beim zweiten Golfkrieg noch bestehende Illusion, das irakische Regime unter Saddam Hussein werde sich als Widerstandsfaktor erweisen, an dem die US-amerikanischen und britischen Truppen sich die Zähne ausbeißen würden.
Wenig Sympathien wurden auch damals der irakischen Diktatur als solcher entgegen gebracht. Aber Folterregime haben die meisten Nordafrikaner auch zu Hause, auch wenn deren Bilanz in Sachen Menschenrechte nicht so verheerend ausfällt wie jene des Baath-Regimes. Namentlich das tunesische und das ägyptische Regime - neben jenem im bevölkerungsarmen Libyen, das ohnehin isoliert ist - tun sich in dieser Hinsicht negativ hervor. Hingegen hat in Algerien die Jugend- und Arbeiterrevolte von 1988, die damals das Einparteien-Regime des FLN (Nationale Befreiungsfront) zur Implosion brachte, solche staatlichen Praktiken bis heute deutlich zurückgedrängt. Vor diesem Hintergrund betrachteten viele Nordafrikaner das irakische Regime als kleineres Übel, weil es in ihren Augen immerhin den westlichen Interventionstruppen "Widerstand entgegen setzte". Die Konflikte im Mittleren Osten betrachteten sie oft vor dem Erfahrungshintergrund der Entkolonialisierungskriege auf dem eigenen Kontinent, deren blutigster jener in Algerien (1954 bis 1962) war. Die irakische Niederlage vom 28. Februar 1991 jedoch ließ viele der damaligen Illusionen über einen siegreichen Ausgang des Konflikts auf Seiten “der Araber” platzen. Daraus erwuchs eine der Ursachen für die politische Depression der nordafrikanischen Länder seit damals, von der hauptsächlich die Islamisten profitierten.
Auch deren Rolle heute unterscheidet sich von jener, die sie vor 12 Jahren spielten. Vor allem in Ägypten und Algerien Ägypten - wo ihre wichtigsten bewaffneten Gruppen 1997 bzw. 1999 zum Niederliegen der Waffen gezwungen waren - hat die radikale Variante des Islamismus sich in den Augen großer Bevölkerungsteile durch ihren Terror, der sich auch gegen Arme richtete, deutlich diskreditiert. Durch die doppelte Erfahrung des Umschlagens dieser Bewegung in repressiven Terror, aber auch ihrer Niederlage gegenüber einem letztlich doch stärkeren Staat wurde die politische Passivität der Bevölkerung verstärkt. 1991 hatten die Islamisten versucht, auf den starken Antikriegsprotesten namentlich in Algerien zu surfen. Nicht ohne Probleme übrigens: Die islamistische Massenpartei FIS (Islamische Rettungsfront), die durch Saudi-Arabien finanziert wurde, ergriff zuerst Position für die konservativen Golfmonarchien, darunter die kuwaitische - und damit indirekt für die USA. Erst vor dem Anwachsen der Massenstimmung gegen den Krieg vollzog sie einen radikalen Umschwung und versuchte daraufhin, die anderen Kräfte mit verbalradikalen Parolen zu übertreffen. Heute schaffen es die Islamisten nicht, auf vergleichbare Weise von der Stimmung zu profitieren. Einen wichtigen Grund dafür sieht die algerische Aktivistin Chafia in den großen Antikriegsdemonstrationen in England, Frankreich und Spanien. Die Fernsehbilder und Erzählungen dort lebender arabischer Immigranten hätten dafür gesorgt, meint sie, das Bild der westlichen Gesellschaft als eines einheitlichen, feindlichen und arroganten Blocks zu zerstören. Daher sei der identitätspolitische Rückschluss, “nur unter Muslimen” sei Solidarität möglich, bei weitem nicht so verbreitet wie beim letzten Konflikt. Damals waren die Proteste in den westlichen Länderrn unmittelbar nach Kriegsbeginn abgeebbt. Dieses Mal erschienen auch die USA selbst als ein Land, in dem es bis zuletzt recht massive Proteste gegeben hat.
Am stärksten bleiben die Islamisten in Marokko präsent. Dort profitieren sie davon, dass die Bevölkerung noch wenig eigene Erfahrung mit
radikalen Islamisten gemacht hat, anders als die algerischen Nachbarn. Auf der Demonstration in Rabat Ende März, mit 200.000 Teilnehmern,
waren sie stark präsent ; der Zug war teilweise von nationalem und religiösem Chauvinismus geprägt, so dass die
marokkanische jüdische Gemeinde sich halb zurückzog und ihren Mitgliedern die Teilnahme freistellte. Die Pariser Abendzeitung
'Le Monde' wertete es zunächst als bedeutungsvolles Anzeichen, dass Abraham Serfaty - der große alte Mann der marokkanischen Linken,
der 18 Jahre in den Kerkern des alten Königs Hassan II verbrachte, und antizionistischer Jude - nicht an dem Protestmarsch in
Rabat teilgenommen . Abaraham Sarfaty dementierte allerdings: In einem Brief an 'Le Monde' legte er Wert darauf, dass lediglich sein Alter
(77) und die Tatsache, dass er an den Rohlstuhl gefesselt sei, eine Folge seiner früheren Haftbedingungen, ihn von der Teilnahme
abgehalten hätten. Er zeichnete die Mobilisierung für das "irakische Brudervolk" in weniger negativen Zügen.
In Marrakesch hingegen trennte sich der Protestmarsch in drei unterschiedliche Züge auf: Einen führten die Islamisten, den
anderen Linke und Gewerkschafter, den dritten stellten die Regierungsparteien. Angesichts der Stimmung nach Ausbruch des
Irakkriegs forderte Ismael Alaoui, Generalsekretär des marokkanischen postkommunistischen PPS (Parti du progès et du socialisme /
Partei für Fortschritt und Sozialismus), vor kurzem die Verschiebung der Kommunalwahlen auf Juni - um zu verhindern, dass
die Islamisten alle Armenviertel am Rande der Großstädte erobern.
Dagegen spielen die ägyptischen Muslimbrüder derzeit eher die “Feuerwehr”, die ein Überborden der Proteste zu verhindern versucht. Nach Ansicht der ägyptischen Aktivistin Aischa (Vorname durch die Redaktion geändert) werden die Protestwiligen “draußen vor der Universität durch die Polizei, und innen durch die Muslimbrüder” daran gehindert, das abgeschlossene Campusgelände zu verlassen. Der seit 1981 ununterbrochen geltende Ausnahmezustand im Land verbietet Demonstrationen außerhalb des geschlossenen Geländes von Universitäten oder Moscheen. Das Auftreten der Muslimbrüder passt zu ihrer Strategie der “Selbstbeschränkung”: Die Staatsmacht soll nicht herausgefordert werden, solange die Muslimbrüder nicht die Kontrolle über Berufsverbände und andere gesellschaftliche Sektoren erlangt haben. Allerdings haben die Islamisten die bisher größte geschlossene - und dieses Mal legale - Kundgebung gegen den Krieg, im Stadion von Kairo am 27. Februar mit (nach Polizeiangaben) 140.000 Menschen, optisch geprägt.
Die Mehrzahl der Regime tritt den Protesten mit einem Wechselbad aus Repression und Kanalisierungsversuchen entgegen. Brutal fiel die Repression vor allem in Ägypten aus, wo im Februar der sozialistische Intellektuelle Kamal Khelil wegen Verdachts auf Vorbereitung von Antikriegsaktivitäten verhaftet und gefoltert worden war. Am ersten Wochenende nach Kriegsausbruch verhaftete die Polizei über 500 Demonstranten auf einmal - aus einem Protestzug von mehreren Zehntausend Menschen. 11 von ihnen waren auch nach zwei Wochen, Anfang April, noch in Haft. In Tunesien fand im Februar zunächst eine Kundgebung des Gewerkschaftsbunds UGTT(Union générale des travailleurs tunisiens) in Gafsa statt, die brutal zusammengeknüppelt wurde - es gab mehrere Dutzend Verletzte. Die daraufhin einsetzenden Proteste gegen die Repression an der Universität in Tunis wurden durch ein beeindruckendes Polizeiaufgebot im Keim erstickt. Als der Druck jedoch anwuchs, versuchte die Staatspartei RCD selbst, Mitte März, die Proteste selbst zu organisieren. Die Demonstration wurde von einem Ordnerdienst strikt kontrolliert, der unliebsame Parolen unterband. Eine Woche darauf wurde der legalen, bürgerlich-liberalen Opposition erlaubt, ebenfalls zu demonstrieren. Die größte Demonstration stellte dann aber einige Tage später der Gewerkschaftbund UGTT. Im Inneren der UGTT wurde vor allem der linke Flügel, der teilweise bürokratischer Natur und teilweise auch wirklich staatsunabhängig ist, besonders aktiv. In der Bevölkerung herrschen allerdings auch einige arabisch-nationalistische Illusionen vor, welche die auf Demonstrationen gerufenen Slogans mit prägen. Wohl der Hauptgrund dafür, dass die arabisch-nationalistische Note auch unter tunesischen Linken ungleich stärker als bei der algerischen Linksopposition, liegt daran, dass die offizielle Politik in Algerien eine - periodenweise - rabiate Arabisierungspolitik betrieb, während die tunesische Elite weit eher französischsprachig (und stärker frankophil als die Durchschnittsbevölkerung) ist. Auch in Algerien herrscht ein vergleichbares Wechselbad vor. In der Hauptstadt Algier hält die Regierung das Verbot jeglicher Demonstrationen, das nach dem Protestmarsch der Kabylen im Juni 2001 verhängt wurde, aufrecht. Zugleich erlaubte sie Demonstrationen in den mittleren und kleineren Städten, die teilweise beachtlich ausfielen - so im nordöstlichen Skikda -, aber an denen auch die Regierungsparteien und namentlich der FLN (der heute wieder die größte Kabinettspartei darstellt) teilnahmen. Anlässlich des Generalstreiks Ende Februar hatten rund 10.000 Stahlarbeiter in Annaba versucht, ihr Firmengelände zu einer pro-irakischen Demonstration zu verlassen, woran sie aber von einem martialischen Polizeiaufgebot gehindert wurden. Besonders die Möglichkeit, die Antikriegsstimmung könnte sich mit sozialem Protest verbinden, besorgt die Machthaber.
Bernard Schmid, Paris
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