Home > Internationales > Venezuela > zweifel
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Endspurt zum Referendum

Basis hegt Zweifel an elektronischem Wählverfahren

Von Dario Azzellini

Ein riesiges Plakat das eine gesamte Häuserwand füllt zeigt eine junge Frau ohne Kopf und Füße, die sich gerade die Hosen aufknöpft. „Ja, natürlich!“ steht in großen Buchstaben zu lesen. Was wie die Werbung eines Sexshops anmutet ist in Wirklichkeit der Versuch der venezolanischen Opposition der Bevölkerung ein „Ja“ zum Rücktritt des Präsidenten Hugo Chávez im Referendum am Sonntag abzuringen. Das „Nein zur Vergangenheit, Nein zur Repression!“ der Chávez-Anhänger wirkt überzeugender.

So geben auch die letzten acht Umfragen, darunter zwei von US-Instituten und diverse von Instituten, die traditionell der Opposition nahe stehen, Chávez als unumstrittenen Sieger des Referendums aus. Das beste Ergebnis erhielt Chávez in der Umfrage des Unternehmens North American Opinion Research, das ihm 63 Prozent der Stimmen zuschreibt. Die Opposition wird hingegen in allen acht Umfragen unter 40 Prozent gesehen. Während der Anteil derer, die bekunden gegen den Rücktritt des Präsidenten stimmen zu wollen in den letzten Wochen stets angestiegen ist, äußern Sprecher der Opposition immer wieder die eiserne Überzeugung sie würden das Referendum gewinnen, und setzen auf den „Effekt heimliche Stimme“, das meint ein großer Anteil der Wähler würde an den Urnen schließlich gegen Chávez stimmen, auch wenn sie sich vorher in Umfragen nicht getraut hätten das zuzugeben. Eine Annahme die selbst von dem streng oppositionellen Meinungsforschungsinstitut Datanalysis verworfen wird.

Sollte Chávez das Referendum verlieren, so müssten innerhalb von 30 Tagen Wahlen einberufen werden, um einen neuen Präsidenten zu wählen, der allerdings nur die aktuelle Amtszeit bis Januar 2007 zu Ende führen würde. In diesem Fall wolle Chávez erneut kandidieren. Wenn die Abwahl Chávez nicht zu Stande kommt, muss sich die Opposition bis zu den nächsten Wahlen im Dezember 2006 gedulden.

Samuel Moncada, Sprecher und internationaler Koordinator des Comando Maisanta, die von Chávez gegründete Initiative zur Leitung der Kampagne gegen seine Abwahl, erklärte gegenüber der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“ er sei mittlerweile „dankbar“ für das Referendum, denn es ermögliche den Chávez-Anhängern das Bild zurecht zu rücken „wir seien eine Minderheit“, was oppositionelle Medien und Umfrageinstitute in den vergangenen Jahren propagierten. „Unser Ziel ist mit einem riesigen Vorsprung zu gewinnen“, so Moncada, Leiter der Geschichtsfakultät der Zentraluniversität Venezuelas (UCV). Ein „knapper Sieg“ sei „fast so schlecht wie eine Niederlage“, da dieser den Konflikt im Land wieder anheizen könnte.

Die Stimmung anzuheizen versucht die Opposition bereits jetzt schon. So hat sie bisher immer noch nicht erklärt das Ergebnis des Referendums auch anzuerkennen. Und der Oppositionsführer und Gouverneur Enrique Mendoza erklärte die Opposition werde ihre Ergebnisse bereits am Nachmittag des Wahltages bekannt geben. Ein eindeutiger Verstoß gegen die Auflagen des Nationalen Wahlrates (CNE).

Selbst Francisco Diez, Sprecher des Carter Center, wies die Opposition darauf hin, das niemand autorisiert sei vor der ersten offiziellen Erklärung des CNE Ergebnisse oder Hochrechnungen bekannt zu geben. Das Carter Center nimmt neben der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die wichtigste Wahlbeobachterrolle ein. In der Vergangenheit hatte Regelverstöße und Aussagen des Carter Center, die eine gewisse Nähe zur Opposition vermuten ließen, wiederholt für Spannungen mit dem Wahlrat gesorgt. Francisco Diez forderte die Opposition auf, den Richtlinien des Nationalen Wahlrates Folge zu leisten.

Dabei geht es ansonsten in der Wahlkampagne bisher außerordentlich ruhig zu, fast verdächtig ruhig. So gibt es in der Tat massive Sorgen bezüglich eines Wahlbetrugs. Zwar wiederholt der CNE stets das eingeführte elektronische Wahlverfahren habe in Tests einbahnfrei funktioniert und lasse keine Möglichkeit eines Wahlbetrugs mehr offen, doch ist es genau das Wahlverfahren, das die Basis beunruhigt.

Abgestimmt wird an Touchscreens des Unternehmenskonsortiums SBC. Dabei stellt das venezolanisch- US-amerikanische Unternehmen Smartmatic die Hard- und Software und die nationale – in Händen von transnationalen Unternehmen befindliche – Telefongesellschaft Cantv für die Sendung der Daten an den Wahlrat. Die Möglichkeiten des Betrugs sind viele. Auch wenn in Venezuela zusätzlich ein Papierausdruck der Stimme erfolgen soll, um bei Anfechtung einen manuellen Zählprozess nachzuholen. Doch dürfte es für Computerexperten auch kein Problem sein, die dafür verwandte Software zu manipulieren. Und viele der nach den Sabotageaktionen Ende 2002 vom staatlichen Erdölunternehmen PDVSA entlassenen Ingeneure und Experten wurden ausgerechnet von Cantv eingestellt.

So forderte das Comando Maisanta am Mittwoch vom CNE elf Mitarbeiter von Cantv an entscheidenden Stellen im Wahlprozess auszutauschen, da sie nicht neutral wären, sondern sich als Aktivisten der Opposition hervor getan hätten.

Präsident Chávez erklärte zu möglichen Betrugsmanövern der Telefongessellschaft bereits Anfang August er halte schon ein Dekret für eine Armeeintervention bei Cantv bereit, falls es in irgendeiner Weise in den Verlauf des Referendums eingreifen sollte. Große Teile der Basis trauen der Idylle und Ruhe dennoch nicht und mobilisieren bereits jetzt gegen Cantv und gegen ein mögliches Betrugsmanöver am Sonntag. Ein Betrug müsste ja nicht einmal unbedingt erfolgreich sein. Es würde ausreichen, wenn es gelingt dem Referendum und den venezolanischen Institutionen die Glaubwürdigkeit zu nehmen. Genau das hoffen viele der internationalen Beobachter aus Kreisen, die den bolivarianischen Prozess mit Sympathie sehen, mit ihrer Präsenz zu verhindern.


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang