letzte Änderung am 20. Jan 2003

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18.1.2003

Gespräche zwischen Regierung und Opposition ausgesetzt

Chávez greift energischer durch

Dario Azzellini

Der Vorsitzende der Organisation Amerikanischer Staaten Cesár Gaviria setzte die Gespräche zwischen Regierung und Opposition angesichts des angespannten Klimas vorläufig aus. Die venezolanische Regierung erwägt derweil den Verhandlungstisch gänzlich zu verlassen, da die Opposition keinerlei Gesprächsbereitschaft zeige. Die Anführer der Opposition, Gewerkschaftsboss Carlos Ortega und Unternehmerchef Carlos Fernández, hatten zuvor bei einer Rede in New York erklärt Chávez sei ``ein Diktator mit dem es nichts zu verhandeln gibt''.

Bei einer Pressekonferenz in den USA wo sich Chavez zwecks der formalen Übergabe des Vorsitzes der Gruppe der 77 (Organisation Blockfreier Staaten) an Marokko befand verkündete der Präsident erneut jene, die in den Putsch vom 11. April und in die Sabotageakte der vergangenen Monate verwickelt seien, müssen für die Folgen ihres Tuns zahlen. Bezüglich der "Straflosigkeit'', die Carlos Ortega und Carlos Fernández bei einer Rede in New York vergangene Woche beklagt hatten, erklärte Chávez: ``Aufgrund der von ihnen beklagte Straflosigkeit befinden sie sich weiterhin auf freiem Fuß, obwohl es Beweise dafür gibt, dass sie in den Putsch verwickelt waren''. Die Opposition selbst habe die Straflosigkeit produziert. Tatsächlich befindet sich ein Großteil des Justizapparates in den Händen der Oppostion, so auch der Oberste Gerichtshof, der erklärte der Putsch vom 11. September sei kein Putsch gewesen. Auch werden so nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen Delikte gegen Anhänger des bolivarianischen Prozesses kaum befolgt. So verbrachten vier Personen, die am Sonntag, den 11. Januar an der Erdölabfüllanlage Campiña mit automatischen Waffen das Feuer auf Chavez-Anhänger eröffnet hatten, nicht einmal vier Tage im Gefängnis bevor sie von einem Richter wieder aus der Haft entlassen wurden.

Nachdem die Regierung lange Zeit von vielen Seiten kritisiert wurde nicht im Rahmen der Gesetze entschlossener gegen Saboteure und Putschisten vorzugehen, scheint sie nun doch zum Durchgreifen entschlossen zu sein.

Chávez verkündete die Ermittlungsbehörden seien bereits angewiesen worden Durchsuchungen vorzunehmen und Beweise für die Verwicklung führender Oppositioneller in den Putsch und in Sabotageakte zu sammeln und diese der Justiz zu übergeben. Die Militärjustiz erließ indes Haftbefehle gegen sieben in den Putsch verwickelte Militärs, da diese gerichtlichen Vorladungen zur Vernehmung nicht gefolgt waren. Zudem sollen weitere Maßnahmen im staatlichen Erdölkonzern PDVSA folgen, da das Unternehmen immer noch durchsetzt sei von Saboteuren. Daher könnte sich die Rückkehr zu der normalen täglichen Fördermenge von 2,8 Millionen Barrel noch ein bis zwei Monate verzögern. Bisher sei die Fördermenge wieder auf 1,5 Millionen Barrel täglich hochgefahren worden.

Als Reaktion auf den weitgehend erfolglosen 48stündigen Bankenstreik Anfang Januar ordnete Präsident Chávez an alle Konten der Armee, die sich bei Privatbanken befinden (vorwiegend Banesco) zum Banco Industrial de Venezuela zu transferieren.

Gemäß der Ankündigung des Präsidenten Hugo Chávez die Grundversorgung aufrechtzuerhalten, durchsuchten die Nationalgarde und die Verbraucherschutzvereinigung mit einem gerichtlichen Durchsuchungsbefehl eine Bierbrauerei des Großunternehmens Polar und eine Getränkeabfüllerei des Multis Panamco in der Stadt Valencia, 150 Kilometer östlich von Caracas. In der Abfüllerei von Panamco, ein Ableger der us-amerikanischen Panamerican Beverages Inc., nicht nur große Mengen gelagerter Coca Cola gefunden sondern auch gehortetes Mineralwasser. Bei einer weiteren Durchsuchung in einer Pepsi Cola-Abfüllerei in Margarita wurden eine halbe Million Liter gelagerte Erfrischungsgetränke und Wasser gefunden.

Das zurückhalten von Lebensmittels und das künstliche Herbeiführen von Knappheiten ist nach dem Verbraucherschutz verboten. Zahlreiche Großunternehmen der Lebensmittelindustrie haben jedoch nach eigenen Angaben die Arbeit und den Vertrieb seit dem 2. Dezember wegen des vermeintlichen Streiks eingestellt. Einige arbeiten jedoch heimlich weiter und bringen ihre Waren auf den Schwarzmarkt.

Die Flasche Coca Cola, die normalerweise 1000 Bolivar kostet, wird auf dem Schwarzmarkt zum drei- bis vierfachen Preis verkauft. Es wird vermutet, dass die Abfüllerei Panamco selbst den Schwarzmarkt aufrecht erhält und die eigenen Produkte so überteuert absetzt.

Als der Leiter der Niederlassung verhaftet werden sollte, erklärte sich der Abfüllereibesitzer Oswaldo Cisneros bereit die von Unternehmen gehorteten Getränke auf den Markt zu bringen. Das gleiche will auch der venezolanische Multi Polar machen, in dessen Lagerhallen sich Mehl, Pasta, Malzbier und andere Lebensmittel, viele davon Grundnahrungsmittel, stapeln.

Die wirtschaftlichen Einbußen durch den Streik und ausbleibende Steuereinnahmen machen harte Einschnitte in den venezolanischen Staatshaushalt notwendig. Der Planungsminister Felipe Peréz kündigte an er erwarte Kürzungen im Rahmen von zwischen 7,0 und 9,7 Prozent im Haushaltsjahr 2003. Weniger wichtige Investitionen sollen daher erst einmal zurückgestellt werden. Die öffentlichen Ausgaben sollen allerdings priorisiert werden. Das ursprünglich erwartete Wirtschaftswachstum von 2,5 bis 3,5 Prozent im Jahr 2003 wurde von Peréz nach unten korrigiert, es werde nun ``im schlimmsten Fall ein Rückgang von 5 Prozent und im günstigsten Fall eine Wachstum von einem Prozent erwartet.

Allerdings halten auch immer mehr Großunternehmen die Schließung ökonomisch nicht länger durch und öffnen wieder. Dies betrifft nicht nur die Industrie, sondern auch Ketten wie den Videoverleih Blockbuster und Fasfoodlokale.

In den Unternehmen, die die Arbeit wieder aufgenommen habe, häufen sich jedoch gezielte Entlassungen von Chavisten. In vielen Betrieben werden die Arbeiter vor die Wahl gestellt entweder entlassen zu werden oder zu akzeptieren, dass die Aussperrungszeit als unbezahlter Urlaub gerechnet wird. Zudem wurde bekannt, dass einige Unternehmen ihren Beschäftigten automatisch einen gewissen Anteil ihres Lohnes nicht ausgezahlt haben, da dieser zur Finanzierung des des illegalen Referendums der Opposition gegen Chavez am 2. Februar verwandt werden soll. Allein aus dem westlichen Bundesstaat Zulia, an der Grenze zu Kolumbien, liegen über Eintausend Beschwerden beim Arbeitsministerium vor. Die meisten betreffen Fastfoodketten und Zulieferbetriebe der Erdölindustrie.

Bezüglich der auf Initiative von Brasilien gegründete ``Gruppe der befreundeten Staaten'', die im venezolanischen Konflikt eine Vermittlerrolle einnehmen soll, forderte Chávez eine Erweiterung um Russland und Frankreich sowie eventuell noch China, Cuba und Trinidad und Tobago. Bisher besteht die Gruppe aus Spanien, Portugal, USA; Mexiko, Brasilien und Chile. Chávez argumentierte mit der Erweiterung sei ein größeres Gleichgewicht gewahrt, denn Spanien und die USA hätten schließlich den Putschversuch zumindest offen begrüßt. Bei einem Blitzbesuch Chavez in Venezuela konnte der brasiliansiche Praesident Lula ihn jedoch davon ueberzeugen die Gruppe in ihrer aktuellen Zusammenstellung zu akzeptieren. Chavez erklaerte jedoch eine Grundbedingung sei, dass die teilnehmenden Länder die aktuelle Regierung als verfassungsgemäß und legitim anerkennen. Es stuenden sich nicht zwei gleiche Gegner gegenueber.

Er fuegte hinzu die Krise Venezuelas habe zudem nicht erst mit dem Streik oder dem Putsch begonnen, sondern sei älter, so Chávez, am besten sei sie mit dem Konzept des italienischen Philosophen Antonio Gramsci zu erläutern, "der schrieb: Eine Krise, einer wirkliche Krise findet statt, wenn etwas das abstirbt noch nicht ganz abgestorben ist und zugleich etwas das neu geboren wird, noch nicht ganz geboren wurde. Das ist eine tiefgreifende historische Krise. Venezuela befindet sich in einer gramscianischen Krise. Eine Epoche stirbt ab und es gehen die Gespenster umher und teilen Verzweiflungsschläge aus, die zu dieser Zeit gehören, die vergeht und nicht wieder zurück kehren wird.''

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