letzte Änderung am 6.August 2003

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Iris Varela ist Abgeordnete der Nationalversammlung Venezuelas für die "Bewegung Fünfte Republik” (MVR), der Partei des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Sie gehört zu den beliebtesten Abgeordneten und trägt den Spitznamen "fosforito”, "Streichhölzchen”, da sie in politischen Fragen sehr "feurig” ist. Die Rechtsanwältin gehörte bereits der Verfassungsgebenden Versammlung von 1999/2000 an und ist heute Abgeordnete für den Bundesstaat Táchira an der Grenze zu Kolumbien. Iris Varela nimmt an verschiedenen parlamentarischen Kommissionen teil und ist Vorsitzende der parlamentarischen ALCA-Kommission, die sich mit dem Freihandelsabkommen für ganz Lateinamerika (ALCA / FTTA) beschäftigt. Die Sonderkommission besteht aus Vertretern aller Parteien und untersucht alle auf dem amerikanischen Kontinent existierenden Wirtschafts- und Freihandelsabkommen, also auch Caricom, Mercosur, G-3, Comunidad Andina und das Nafta/TLC, um eine Position zum ALCA zu definieren.
Mit Iris Varela sprach Dario Azzellini

WARUM WIR ALCA ABLEHNEN

Frage: Welche Position bezüglich des ALCA vertritt die parlamentarische Kommission unter ihrem Vorsitz?

Wir haben eine gemeinsame Erklärung verfasst, die ich als Vertreterin Venezuelas auf einem interamerikanischen Treffen von Regierungsvertretern vorgestellt habe. Darin wird das ALCA grundlegend abgelehnt und die lateinamerikanischen Regierungsvertreter werden aufgefordert den Verhandlungstisch zu verlassen, wenn die Grundlagen der Verhandlungen nicht wesentlich verändert werden. Wir haben vorgeschlagen, dass das Anfangsdatum des ALCA verschoben wird, und wenn die USA nicht bereit sind über einige Dinge, vor allem die Subventionen für die eigene Landwirtschaft, zu verhandeln, dann wird Venezuela den eigenen Beitritt aussetzen. Zusammenfassend entspricht die Position der Kommission, trotz Oppositionsmehrheit, der Position der Regierung. Die USA haben selbst gewisse Regeln aufgestellt, um zu einer Einigung zu gelangen. Doch die aktuelle Situation ist besorgniserregend. Wenn die USA nicht einmal die Regeln der UNO beachten und im Irak machen was sie wollen, warum sollten sie sich dann an die Vereinbarungen halten, die hier auf dem Kontinent getroffen wurden, um zu einer gemeinsamen Position bezüglich des ALCA zu kommen.

Frage: Die Opposition greift die Erklärung als "falsche Regierungspolitik" scharf an. Wie äußert sich das innerhalb der Kommission?

Die Kommission besteht mehrheitlich aus Abgeordneten der Opposition. Allein aufgrund der Zusammensetzung kann niemand behaupten, sie würde nur im Sinne der Regierung arbeiten. Die Untersuchungen der Freihandelsabkommen und der Integrationsmechanismen, sind so eindeutig gewesen, dass die Abgeordneten der Opposition nicht in der Lage gewesen sind Positionen im Sinne des neoliberalen Projekts zu vertreten, das sie interessiert. Sogar ein Abgeordneter der Ex-Regierungspartei Accion Democratica hat die Erklärung unterschrieben, der kann schlecht behaupten er habe von all dem nicht gewusst... Ich habe mir von ihm sogar noch einmal schriftlich bestätigen lassen, dass er diese Position unterstützt, denn ich habe mir schon gedacht, dass die Opposition einen Rückzieher machen wird. Ich habe auch Schreiben von Unternehmern und Regionalgouverneuren der Opposition erhalten, in denen sie darauf hinweisen, dass Venezuela nicht bereit ist, um dem ALCA beizutreten.

Frage: Was wird am ALCA kritisiert?

Wir lehnen die expansionistische Politik der USA grundlegend ab. Es kann nicht sein, dass sich die Situation von 32 Ländern weiter verschlechtert, um die wirtschaftliche Lage von zwei Ländern des Kontinents, den USA und Kanada, zu verbessern. Es gibt ja bereits ein Freihandelsabkommen kleinerer Dimensionen, das TLCAN zwischen Mexiko, den USA und Kanada. Das negative Resultat bezüglich der Produktion und der Auswirkungen auf die Bevölkerung Mexikos kennt keinen Vergleich in der Geschichte des Landes. Millionen von Kleinbauern wurden gezwungen ihr Land zu verlassen. Sie können nicht mit der hochsubventionierten industriellen US-Agrarproduktion konkurrieren. Wir können nicht akzeptieren, dass das was mit Mexiko im Rahmen des TLCAN geschieht mit dem ALCA allen widerfährt. Das ALCA ist faktisch eine Art kontinentale Verfassung für Amerika, Spielregeln, die auf dem gesamten Kontinent gelten sollen. Diese werden in den Komitees der Handelsabkommen im Rahmen des ALCAs diskutiert, häufig von Leuten, die nicht mal Regierungsvertreter sind, sondern transnationale Unternehmen repräsentieren. Ich habe ja an solchen Gesprächen teilgenommen. Die Diskussionen um das Freihandelsabkommen müssen eine soziale Dimension erhalten. Diese muss versuchen eine Annäherung der Entwicklungsniveaus der Ökonomien der kleineren Staaten zu erreichen. Wir wehren uns dagegen "unterentwickelte Länder” genannt zu werden, wir sind nicht "unterentwickelt” sondern überausgebeutet. Letztlich ist es die internationale Ordnung, mit ihren Komplizen in den Ländern, die die Entwicklung verhindert. Das ist zurückzuführen auf die unvollendete Unabhängigkeit dieser Länder. Das bedeutet die Ausübung der Souveränität wird umso wichtiger. Es ist eine Pflicht unsere eigenen Kampfmethoden und Verhandlungsweisen zu erfinden und unsere Unterschiedlichkeiten anzuerkennen. Denn das ist was die USA wollen, eine Integration gemäß ihrer Bedürfnisse und wir wollen eben eine die unseren Bedürfnissen gerecht wird. Das kann mit der Bolivarianischen Alternative für die Amerikas, das ALBA, geschehen. Das ist der Gegenvorschlag von Hugo Chávez zum ALCA.

Frage: Was sind die Hauptpunkte des ALCA?

Wir sind gerade dabei einen Vorschlag zu entwickeln, der den lateinamerikanischen Ländern vorgelegt werden soll. Wir gehen davon aus, dass die Integration zunächst auf subregionaler Ebene, zwischen Ländern mit einem ähnlichen Entwicklungsstand, erfolgen muss. So dass eine wirkliche Symmetrie herrscht. Im ALCA herrscht eine enorme Assymetrie, niemand kann Haiti mit den USA vergleichen. Wir können keiner Integration zustimmen, im Verlaufe derer sich letztlich der Größere den Kleineren einverleibt. Was wir jetzt machen müssen ist auf Treffen und Kongresse zu gehen und das tun worin die USA Experten sind, Lobbyarbeit betreiben, mit allen progressiven Strömungen des Kontinents sprechen, sich an den Demonstrationen der Bevölkerung beteiligen und die Alternative vorstellen.

Frage: Venezuela hat auch einen Antrag auf Aufnahme als assoziierter Staat für das Mercosur gestellt, entspricht das Abkommen den Vorstellungen Venezuelas?

Nein, aber es ist interessant den Mercosur zu stärken. Doch der Mercosur hat für Argentinien, für die Bevölkerung, nichts Positives gebracht, sonst wäre sie nicht in der Situation in der sie sich befindet. Das heißt, dass diese Handlesabkommen neu definiert und überarbeitet werden müssen. Wir wollen, dass die Integration einen sozialen Inhalt hat, dass das riesige Problem der Armut gelindert wird, die soziale Schuld gegenüber den Menschen bezahlt wird.

Frage: Wie soll das geschehen?

Zunächst in dem die Macht dem Volk übergeben wird. Das ist eines der Prinzipien der bolivarianischen Revolution. Wie wird die Macht übergeben? Indem das Volk an den Entscheidungen beteiligt wird. Ich glaube hier kann man von uns lernen. Die venezolanische Regierung hat auch in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Anerkennung einer neuen Demokratieform vorgeschlagen: Der partizipativen Demokratie. Das wurde natürlich abgelehnt, denn es herrscht Angst vor der Volksbeteiligung. Die Regierungen ziehen vor bei ihrem gemütlichen Schema der repräsentativen Demokratie zu bleiben, die in Wirklichkeit niemanden repräsentiert. Wenn diese Demokratien irgendjemanden repräsentieren würden, dann hätte der Irakkrieg gar nicht stattgefunden oder wäre gestoppt worden. Das System repräsentiert die Kapitalinteressen und nicht die breite Masse der Bevölkerung. Das ist ein Widerspruch, denn Demokratie bedeutet eigentlich Volksmacht, zugleich ist das Volk in der repräsentativen Demokratie jeder Macht beraubt. Daher glauben wir auch nicht an diese Demokratie, sie ist in Venezuela fast ein halbes Jahrhundert lang gescheitert: 80 Prozent der Venezolaner waren ausgeschlossen. Doch das Volk besiegte zunächst eine der wesentlichen Säulen der Macht: Die Unwissenheit. Hier wurde die Bevölkerung immer beherrscht indem sie unwissend gemacht und gehalten wurde, ihr keine Partizipation ermöglicht wurde. Doch der Prozess mit Hugo Chávez hat die Leute aufgeweckt. Heute kannst du mit jedem Venezolaner über Politik reden, sie ziehen die Verfassung hervor und verteidigen die partizipative Demokratie. Sie begreifen nach und nach was das bedeutet. Es fehlt noch einer weiter Weg, dessen sind wir uns bewusst. Aber auch die Bevölkerung ist sich bewusst, dass sie sich bilden und aktiv beteiligen muss. Das ist der Weg. Daher zielt unser Vorschlag der lateinamerikanischen Integration auf einen Weg mit enormen menschlichen und sozialen Bestandteilen ab, dessen primäres Ziel der Kampf gegen die Unwissenheit sein muss, damit die Bevölkerung jeden Tag weniger abhängig ist und für die eigenen Belange kämpft, sich bewusst wird, dass sie eine enorme Entscheidungskraft hat. Dass ihnen bewusst wird, dass sie nicht einfach Repräsentanten haben, sondern selbst an der Entscheidungsfindung teilnehmen müssen.

Frage: Das ALCA stößt auf mehr Widerstand, als von den USA erwartet. Der ecuadorianische Präsident Lucio Gutierrez ist zwar schon wieder vor den USA eingeknickt, aber Lula hat verkündet Brasilien werde das ALCA in der vorliegenden Form nicht unterschreiben. Wie geht es weiter?

Das Interesse der USA konzentriert sich darauf den Konsummarkt zu dominieren und billige Arbeitskräfte abzuschöpfen. Letztlich wollen sich die USA einen riesigen Markt sichern. Sie vergessen nur das diese 800 Millionen Menschen ja auch Kaufkraft haben müssen, wenn sie Produkte kaufen sollen. Sonst geschieht es wie in Argentinien. Einige lateinamerikanische Regierungen überlegen daher ernsthaft, ob das ALCA tatsächlich so vorteilhaft ist, wie es die USA immer erzählen. In Venezuela könnte es gar nicht einfach in Kraft treten, denn eine solche Entscheidung, die die Souveränität des Landes betrifft, muss einer Volksbefragung unterworfen werden. Wir schlagen die Schlacht daher auch im Inland und tragen die Punkte auf Diskussionen und Foren. Und wenn den Menschen klar wird, dass die transnationalen Unternehmen die einzigen sind, die dann einen garantierten Markt haben dann sind selbst Leute dagegen, die der Regierung nicht nahe stehen. Die erste Schlacht werden wir also gewinnen. Wir werden die Aufschiebung fordern, wenn die anderen nicht einverstanden sind, dann wird das venezolanische Volk über die Beteiligung Venezuelas entscheiden. Zugleich geht die internationale Schlacht weiter, in die wir die lateinamerikanischen Bewegungen integrieren wollen, die sich ja bereits geäußert haben, deren Positionen in der repräsentativen Demokratie aber keinen Ausdruck finden und auch nicht in die Verhandlungen getragen werden. Der soziale Druck wird entscheidend sein, um dem ALCA den Weg zu versperren. Wenn sich der aktuelle Prozess des Aufwachens und Aufbegehrens in Lateinamerika fortsetzt, dann können wir sehr viel erreichen. Die Bevölkerungen werden diesen Vertrag ablehnen, wenn sie erst einmal wissen was er alles beinhaltet. Wenn wir uns als Bewegungen zusammentun und einen Alternativvorschlag vorlegen, dann ist das kein Sprung ins Leere.

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