letzte Änderung am 14. April 2003 | |
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Von Dario Azzellini aus Caracas / Venezuela
Vor einem Jahr, am 11. April 2002 stürzte eine Gruppe Armeegeneräle, gemeinsam mit Großunternehmern, den mit großer Mehrheit gewählten Präsidenten Venezuelas Hugo Chávez. Er wurde unter der Drohung den Präsidentenpalast zu bombardieren abgeführt und der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Pedro Carmona ernannte sich am nächsten Tag selbst zum neuen Präsidenten. Die Putsch-Regierung wurde sofort von den USA und Spanien anerkannt, der IWF bot Kredite an, während die Oligarchie im Präsidentenpalast Miraflores mit Champagner anstieß. Keine 48 Stunden später wurde die verfassungsmäßige Regierung und Präsident Hugo Chávez durch einen Aufstand von mehreren Millionen Menschen und loyalen Armeedivisionen wieder eingesetzt.
"Einen Moment lang dachte ich in der Nacht vom 12. Auf den 13. April die Veränderungen sind auf demokratischem Weg nicht möglich", erklärte Chávez in einer Pressekonferenz, "am nächsten Morgen sah es zum Glück anders aus und der Gedanke war nur eine flüchtige Idee. Denn wenn es auf demokratischem Weg nicht möglich ist, dann müssen wir in die Berge."
Genau ein Jahr später fand in Caracas ein "Weltsolidaritätstreffen mit der bolivarianischen Revolution" statt
(mit Bezug auf den Traum eines vereinten und freien Lateinamerikas von Simon Bolivar, auf den sich die Regierung Chávez´ beruft).
Vier Tage debattierte ein Spektrum, das etwa so breit ist wie das der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung und in dieser
Zusammensetzung auch den Kräften entspricht, die die Regierung Chávez stützen. Schon am ersten Tag wurden die Erwartungen von 10.000 Teilnehmern
aus In- und Ausland weit übertroffen. Allerdings gab es auch Kritiken seitens vieler Basisorganisationen, dass das politisch für Venezuela
bedeutende Ereignis auf einige Nobelhotels und Gebäude in der Innenstadt konzentriert blieb. Die Bewegung, die Chávez wieder an die Macht brachte,
hätte gerne auch Veranstaltungen in ihren Stadtteilen gesehen.
Die Unterstützung für "ihren" Präsidenten ist dennoch ungebrochen. Auch wenn es manchmal mit der Revolution nicht so einfach ist. Zwar wurde eine der progressivsten Verfassungen der Welt von 80 Prozent der Bevölkerung in einer Volksabstimmung angenommen und zahlreiche Gesetze und Programme zu Gunsten der Armen, Frauen und Indigenas verabschiedet, doch ist die Justiz nach wie vor in den Händen der ehemals herrschenden Schichten. So entschied der Oberster Gerichtshof mit elf zu neun Stimmen, dass es im vergangenen Jahre keinen Putsch gab. Chávez sei nicht gefangen, sondern "in Schutz" genommen worden und die Militärs hätten in einem Machtvakuum "von guten Absichten geschwängert" gehandelt. Die Verfahren bezüglich der 19 Toten vom ersten Putschtag, die entgegen der Behauptungen der Opposition alle bis auf ein oder zwei Ausnahmen zu den Anhängern des Präsidenten gehören, stocken. Ein Staatsanwalt, der in einem Fall die Verantwortung der von der rechten Opposition geführten Stadtpolizei von Caracas nachwies, erhielt Morddrohungen und es wurde auf ihn geschossen.
Auch die ökonomische Situation ist alles andere als einfach, allein von 1999 bis Ende 2002 betrug die Kapitalflucht 32 Milliarden Dollar und die Sabotage der staatlichen Erdölindustrie im vergangenen Dezember und Januar, die international als Streik verkauft wurde, hinterließ Einnahmeausfälle von sieben Milliarden Dollar. Zwar sind die Prognosen des IWF von 17 Prozent Minuswachstum im Jahr 2003 sicher stark übertrieben, aber dennoch ist die Situation alles andere als rosig. Eine Erholung der Wirtschaft wird es wohl frühestens im zweiten Halbjahr geben. Die Regierung setzt derweil auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und Landverteilungen. Eine halbe Million Hektar wurden allein in diesem Jahr - bevorzugt an Kooperativen - verteilt. Bis Ende des Jahres sollen es dreimal so viel sein. Dafür wurde nicht einmal Land enteignet, sondern nur das durch Großgrundbesitzer illegal angeeignete Land zurück geholt. Doch selbst das wollen diese nicht hinnehmen, in der Region südlich des Maracaibo-Sees wurden in den vergangenen Jahren mehr als 60 Bauern von Killern im Dienste der Großgrundbesitzer ermordet.
Die Opposition wähnt sich durch den Krieg gegen Irak im Aufwind. Auf allen TV-Kanälen, bis auf das staatliche Fernsehen, läuft bereits seit zwei Woche eine aggressive Kampagne "Jetzt holen wir dich", lautet die Botschaft an Chávez. Das wird allerdings nicht ganz einfach werden. Obwohl die Opposition de facto alle großen Fernsehsender und Zeitungen kontrolliert, nahmen an der Demonstration zur Feier des Jahrestages des Putsches nur wenige Hundert Leute teil, andernorts zündeten kleine Gruppen zwei Fahrzeuge an. An der Demonstration zum Jahrestag von Chávez Rückkehr am Sonntag hingegen nahmen etwa eine halbe Million Menschen teil. Dies obwohl viele Einwohner Caracas die Hauptstadt angesichts der Osterfeiertage bereits verlassen haben.
Die Opposition hat sich durch die gewaltsame Aussperrung der Unternehmer, getragen von der Elitengewerkschaft CTV, und durch die Sabotage der Erdölindustrie stark diskrediert, selbst von vielen Chávez-Gegnern auf der Straße ist zu hören: "Weder mit der Regierung, noch mit der Opposition". CTV-Vorsitzender Carlos Ortega und der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Carlos Fernandez, beide Multimillionäre und Führer der vergangenen Proteste, haben sich mittlerweile ins Ausland abgesetzt.
Die regierungsnahen Kräfte sind sich daher sicher das Chávez die Volksabstimmung über seinen weiteren Verbleib zur Hälfte seiner Amtszeit im August diesen Jahres, auf das sich Regierung und Opposition erst am 10. April geeinigt hatten, gewinnen wird (er wurde 2000 nach Verabschiedung der neuen Verfassung erneut als Präsident wieder gewählt). Seit seiner Wahl zum Präsidenten 1998 wurden er und sein politisches Projekt schließlich in sieben Wahlen und Abstimmungen bestätigt. Eine Wahl würde die Opposition sicher verlieren, gespalten und diskreditiert wie sie ist. Doch ihre Hoffnung ist eine Abstimmung mit leeren Mägen, die nur nach einem Ja oder Nein zu Chávez fragt, gegen den Präsidenten zu entscheiden. Daher tut die Opposition ihr Bestes um die wirtschaftliche Situation weiter zu verschlimmern und die Volksabstimmung inmitten einer starken Rezession stattfinden zu lassen. Zusätzlich wird versucht ein Klima der Angst zu erzeugen. Die TV-Kanäle hämmern den Zuschauern pausenlos ein Venezuela sei auf dem Weg zum "Castro-Kommunismus". Kurz nach der Bekanntgabe der Einigung zwischen Regierung und Opposition bezüglich der Volksabstimmung, richtete eine Bombenanschlag in der Nacht vom 11. auf den 12.4. schwere Schäden im Sitz der Verhandlungskommission an. Die Täterschaft ist zwar bisher nicht nachgewiesen, doch regierungsnahe Kräfte haben sicher kein Interesse an einer solchen Destabilisierung. Indes lautet eine trotzige Losung von Millionen "Ohne Arbeit und mit Hunger, ich bleib‘ mit Chávez".
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