letzte Änderung am 4.März 2004 | |
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Dario Azzellini, Caracas
Die Zuschauer der vier großen venezolanischen Privatfernsehsender bekommen dieser Tage den Eindruck vermittelt es fände ein Volksaufstand gegen die Regierung Chávez statt. Allen voran befindet sich Globovision in Dauerliveschaltung. Der lokale Nachrichtenlieferant für CNN erweckt den Eindruck von Straßenkämpfen im gesamten Land. Selbst Bilder von zwei brennenden Müllsäcken oder schlicht herum liegenden Steinen werden mit dramatischer Musik unterlegt während aggressive Oppositionspolitiker von einer vermeintlichen Diktatur reden und zu Gewaltaktionen aufrufen, Reporter des Senders stehen an einer völlig ruhigen Auffahrt zur Stadtautobahn und erklären im auffordernden Ton: "Hier gehen die Proteste gegen 12:00 Uhr los, wir bleiben jetzt hier bis die Blockaden wieder losgehen". Auf Venevision, einem weiteren Sprachrohr des putschistischen Sektors der Opposition, werden am unteren Bildschirmrand laufend Botschaften vermeintlicher TV-Zuschauer eingeblendet: "Auf die Straße! Gegen die Diktatur. Blockieren mit jedem Mittel. Schande! Niemand darf zu Hause bleiben!", dazu erklärt eine hysterische Anruferin: "Die Menschen müssen aufwachen, das Regime lässt im ganzen Land auf der Straße Menschen füsilieren".
Die Realität auf der Straße ist eine andere. Regierungskräfte haben niemanden erschossen, während zahlreiche Oppositionvertreter bei Ausschreitungen verhaftet wurden und Carlos Melo, Vorsitzender von "Bandera Roja" (BR), "Rote Fahne", der Nationalgarde mit zwei FAL-Sturmgewehren in seinem Fahrzeug in die Hände fiel. BR ist eine ehemals maoistische Guerilla, die sich in den bewaffneten Stoßtrupp der Opposition verwandelt hat und Teil der "demokratischen Opposition" ist.
Doch so wie beim Putsch am 11. April 2002 spielen die Massenmedien unter Kontrolle reaktionärer Unternehmer wieder eine zentrale Rolle in der Destabilisierungsstrategie der Opposition. Doch die virtuelle Realität der Opposition, die im wesentlichen aus den Kreisen besteht, die das Land zuvor 40 Jahre lang regiert und ausgeplündert haben und jene die heute die Regierung Chávez unterstützen in Armut gehalten und mit Repression überzogen, findet ihren Widerhall in den internationalen Medien und Presseagenturen. So wurde zwar der Dokumentarfilm "Chávez, ein Staatsstreich von Innen" auf Arte und im ZDF gezeigt, er gewann unzählige Preise, doch Konsequenzen aus der Darstellung des von den Medien virtuell inszenierten Putsches hat trotzdem kaum ein Journalist gezogen. Die gleichen Politiker, die am Putsch beteiligt waren, werden heute wieder widerspruchslos als "demokratische Opposition" bezeichnet und die gleichen Sender, die den Putsch mit organisierten und medial begleiteten, stellen heute wieder die Hauptinformationsquelle der internationalen Presse dar.
Im Zusammenspiel mit den verschiedenen Sektoren der Opposition, die außer dem Sturz Chávez keinerlei politisches Programm hat, richten sich auch dieser Tage die Medien und die US-Regierung nach einem Drehbuch der Destabilisierung. So drohen oppositionelle Politiker über die privaten TV-Stationen mit "Zuständen wie in Haiti". William Lara, Abgeordneter der Nationalversammlung, äußerte gar das Vorgehen entspreche den Richtlinien eines Counterinsurgency-Handbuchs des CIA.
Nach dem Putschversuch vom April 2002 und der Sabotage der Erdölproduktion und Aussperrung der Beschäftigten durch große nationale und transnationale Unternehmen im Dezember 2002 / Januar 2003, handelt es sich im Augenblick erneut um einen strategischen Kulminationspunkt der Aktivitäten der Opposition. Angesichts des Scheiterns der beiden vorherigen Ansätze Chávez aus dem Amt zu jagen, ließ sich die Opposition im Mai 2003 darauf ein den verfassungsgemäß vorgesehenen Weg eines Referendum gegen Chávez zu gehen. Um ein Referendum einzuberufen müssen 20 Prozent der Wahlberechtigten, etwa 2,45 Millionen Personen, unterschreiben. Das genaue Vorgehen legte allerdings der Nationale Wahlrat (CNE) fest, der wiederum neu ernannt werden musste. Während die Opposition einerseits lauthals das Referendum forderte, behinderte sie zugleich die Ernennung des neuen CNE in der Nationalversammlung. Als der Oberste Gerichtshof, der mehrheitlich oppositionell besetzt ist, angesichts der Blockadesituation die Ernennung übernahm, klatschte die Opposition Beifall. Die Freude hielt nicht lange an, als deutlich wurde, dass der CNE dennoch keine politischen Entscheidungen zu Gunsten der Opposition treffen würde, begann diese eine Verleumdungskampagne gegen den CNE.
Anfang Dezember wurden schließlich die Unterschriften gesammelt. Mit der Abgabe derselben beim CNE intensivierte die Opposition ihre Kampagne gegen den Wahlrat. Scheinbar im Bewusstsein die notwendige Anzahl nicht erreicht zu haben. Letztlich behauptete die Opposition 3,4 Millionen Unterschriften abgegeben zu haben - tatsächlich waren es nur knapp 3,1 Millionen. Es häuften sich Anzeigen und Berichte, die auf ein massives Fälschungsmanöver hindeuteten. Und während die Regierung von Anfang an erklärte jedwede Entscheidung des CNE anzuerkennen, blieb eine solche Erklärung Seitens der Opposition bis heute aus. Vertreter der Opposition erklärten sie würden nur eine Entscheidung zu ihren Gunsten anerkennen. Begleitet waren die letzten Monate zudem von einem sich stets wiederholenden Muster öffentlicher Erklärungen aus US-Regierungskreisen. Zunächst erscheint ein Artikel in der US-Presse, in dem ein ungenannten oder rangniedriger US-Regierungsmitarbeiter erklärt Venezuela unterstütze den internationalen Terrorismus von Al Kaida bis zur kolumbianischen FARC. Es folgt eine Beschwerde Seitens der venezolanischen Regierung und im Anschluss eine Richtigstellung eines höheren US-Regierungsbeamten, es gäbe darauf keine Hinweise.
Die Entscheidung des CNE sollte ursprünglich schon Anfang oder spätestens Mitte Februar fallen, doch die Prüfung der Unterschriften verzögerte sich und geschah dies erst am 2. März. Die Strategie der Opposition ist nun diese Entscheidung als Willkür einer Diktatur zu präsentieren. Auf den Straßen soll hingegen ein Bild weitgehender Instabilität und Unregierbarkeit präsentoert werden, um so den internationalen Druck auf Venezuela zu erhöhen. Die führenden Sektoren der Opposition hoffen dadurch einen erneuten Militärputsch oder eine US-Intervention zu hervorzurufen. Dafür demonstrierten sie auch vor der US-Botschaft in Caracas mit Schildern wie "1. Hussein; 2. Aristide; 3. Chávez". Beides scheint allerdings im Augenblick recht unwahrscheinlich. Vor allem die Option der US-Militärintervention. Bei aller Polemik und Propaganda dürfte sich auch Washington über immense Unterstützung der tiefgreifenden politischen und sozialen Transformationen unter Chávez bewusst sein. Doch das die US-Regierung eine bedeutende Rolle im Drehbuch der Destabilisierung Venezuelas einnimmt ist nicht zu übersehen. Jenseits der direkten Verwicklung in den Putsch vom April 2002, finanziert die US-Regierung über das National Endownment for Democracy (NED) verschiedene Oppositionsorganisationen, darunter auch das Privatunternehmen Sumate, das im Zusammenspiel mit Unternehmern, durch das Verteilen von Kärtchen an den Unterschriftensammelstellen der Opposition, Arbeiter und Angestellte verschiedener Unternehmen unter Druck setzte, um gegen Chávez zu unterschreiben. Weitere Finanziers des Drehbuchs sind in der EU zu finden, so z.B. in der spanischen Regierung oder in der Deutschen christdemokratischen Konrad-Adenauer-Stiftung, die die neu gegründete Partei "Primero Justicia" (PJ), "Zuerst Gerechtigkeit" finanziell unterstützt. PJ war am Putsch beteiligt, PJ-Vertreter "verhafteten" Minister der Chávez-Regierung und zuletzt taten sie sich in der Koordinierung des Angriffes und der Zerstörung eines Gebäudes der "Bewegung V. Republik" (MVR), der Chávez-Partei hervor, das während einer "friedlichen" Demonstration der Opposition am Freitag, den 27. Februar angezündet wurde. Auch ein weiteres Gebäude regierungsnaher Kräfte fiel der "friedlichen Demonstration" zum Opfer, aus der heraus auch das Feuer auf die Nationalgarde eröffnet wurde. Zugleich agieren seitdem kleine oppositionelle Gruppen in verschiedenen Teilen der Hauptstadt, vor allem in den wohlhabenden Bezirken El Hatillo, Barutas und Chacao, mit massiver Gewalt und organisieren Straßenblockaden mit brennenden Barrikaden. Die Nationalgarde und die Militärpolizei, die versucht die Demonstrationen aufzulösen, wird mit Steinen, Molotowcocktails und Schusswaffen angegriffen. An den Aktionen beteiligen sich zwar nur wenige Hundert Personen, dennoch sind sie kaum aufzuhalten, denn die Polizei der Hauptstadt Caracas (die einem Oberbürgermeister untersteht, der sich als Chàvez-Anhänger wählen ließ und anschließend zur Opposition überlief) und der drei genannten Bezirke schreitet nicht ein. Sie hält sich entweder zurück, unterstützt die Gewalttäter oder ist sogar in zivil an den Ausschreitungen beteiligt. Mehrere Polizeibeamte wurden sogar in flagranti von der Nationalgarde festgenommen.
Die Polizei des größten Bezirkes der Hauptstadt, El Libertador, der von chavistischen Kräften regiert wird und mit zwei Millionen mehr Einwohner umfasst als alle anderen zusammen, hat allerdings keine Befugnis im Rest der Stadt zu agieren. Und die Nationalgarde und Militärpolizei können, so lange der Notstand nicht ausgerufen wird, nur die Hauptstrassen und Stadtautobahnen frei halten. Um für eine entsprechend aggressive Stimmung bei den Blockadeaktionen zu sorgen, verteilt das oppositionelle Privatunernehmen Polar, der grösste Bierproduzent Venezuelas, kostenlos Bier an die "Demonstranten". Auffällig ist auch das zahlreiche Autobahnblockaden mit Polar-LKWs durchgeführt werden. So können kleine Gruppen die Stadt zumindest in der virtuellen Realität der privaten TV-Sender ins Chaos stürzen. Ein wichtiges Ziel der Aktionen ist es auch Reaktionen in der breiten Massen der Regierungsanhänger zu provozieren und so zu einer bewaffneten Konfrontation auf der Straße zu gelangen und den Eindruck eines Bürgerkrieges zu zeichnen. Die Regierung ruft daher ihre Anhänger ständig zu Ruhe und Besonnenheit auf. Das die Bevölkerung bisher nicht in die Falle der Opposition gelaufen ist, liegt wohl in der gleichen kollektiven Intelligenz begründet, die beim Putsch trotz massiver Repression und 45 Toter allein am zweiten Putschtag, Millionen von Menschen ohne einer politischen Führung oder medialer Aufrufe zu bedürfen auf die Straßen Venezuelas getrieben hat um die Putschregierung zu verjagen.
Auch die Nationalgarde und Militärpolizei hat das Feuer der Opposition, die teilweise mit Heckenschützen aus Gebäuden heraus agiert, nicht mit Schusswaffen beantwortet. Dies obwohl in den ersten vier Tagen mindestens zwei Nationalgardisten und zwei Journalisten angeschossen wurden und zwei weitere Personen ums Leben kamen. Am Dienstag Morgen tauchten auch drei Leichen von Bewohnern aus Armenvierteln auf, die Folterspuren aufwiesen. Vor Ort wird die Polizei der Hauptstadt der Morde verdächtigt.
Zugleich tritt die "demokratische Opposition" vor die Presse und erklärt die Präsenz der Nationalgarde und Militärpolizei in den Strassen sei ein Beweis dafür, dass es sich in Venezuela um eine Militärdiktatur handele. Ein runder Film nach einem Drehbuch der Destabilisierung, der mit Erfolg der internationalen Presse verkauft wird.
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