letzte Änderung am 9. August 2002 | |
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Am Montag öffneten sich pünktlich um 13 Uhr die Tore der uruguayischen Banken. Kunden hatten seit den frühen Morgenstunden in der Winterkälte gewartet, um ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen. Die Reserven der Zentralbank waren innerhalb von sechs Monaten auf 655 Millionen Dollar geschrumpft. Die argentinische Krise hat endgültig das kleine Nachbarland angesteckt, jeden Tag hoben verängstigte Sparer bis zu 50 Millionen von ihren Konten ab, es drohte die Zahlungsunfähigkeit. Viele überwiesen ihre Ersparnisse von den Privatbanken auf die staatliche Banco de la República, die sie für vertrauenswürdiger ansehen. Ein Irrtum, denn die in Montevideo ansässigen privaten Geldhäuser, allesamt im Besitz ausländischer Großbanken, schossen frisches Geld aus ihren Mutterhäusern nach. Nur den herunter gewirtschafteten und unter Zwangsverwaltung gestellten Banco de Crédito und der Banco Comercial droht die Schließung, wenn die Aktionäre, drunter die Dresdner Bank, keine rettenden Finanzspritzen beschließen.
Letzte Woche sperrte die Regierung lediglich die Festgeldkonten der öffentlichen Banken, diese Guthaben sollen in den kommenden drei Jahren ausgezahlt werden. Doch in drei Jahren kann in Südamerika viel passieren, Regierungen kommen und gehen, die Sparer wollten auf Nummer Sicher gehen.
Aus Argentinien fürchtete man einen Ansturm, doch die Fähren und Flugzeuge transportierten am Montag Morgen kaum mehr Passagiere von Buenos Aires nach Montevideo als in den Wochen zuvor. Traditionell legt die argentinische Mittelschicht auf uruguayischen Devisenkonten Erspartes an, am heimischen Fiskus vorbei, versteht sich. Immer noch sind auf uruguayischen Konten über zwei Milliarden Dollar von Ausländern gebunkert. Aber der Zoll wacht in den letzten Wochen scharf über Geldbewegungen, wer mehr als 10.000 Dollar bar nach Argentinien einführt, muß es deklarieren. Anderenfalls besteht die Gefahr der Beschlagnahmung. Und wohin mit den Geldbündeln? - fragen sich die Argentinier, Safes schützen nicht vor bewaffneten Einbrechern und greifen nicht Putzfrauen gerne unter die verdächtig ausgebeulte Matratze? Die argentinischen Banken zahlen seit Ende letzten Jahres Guthaben nicht mehr aus und berufen sich dabei auf ein Gesetz der argentinischen Regierung, den "corralito". Anders als in Uruguay haben sich die ausländischen Banken geweigert, ihre Filialen in Buenos Aires mit einer ausreichenden Kapitaldecke zu versehen.
Überhaupt ist in Uruguay alles anders als auf der anderen Seite des breiten Rio de la Plata. Uruguay sei ein "unschuldiges Opfer" so IWF-Sprecher Thomas Dawson, angesteckt vom bösen Nachbarn, der den Kontenansturm künstlich anheizte. Während Uruguay von Beginn der Finanzkrise eng mit den internationalen Finanzbehörden kooperierte und Einblick in alle Bücher gewährte, hat Buenos Aires auf dem Höhepunkt der Krise aufsässige Signale in Richtung Norden gesandt. Nachdem Argentinien seinen internationalen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte und Zahlungsunfähigkeit erklärte, erschallte im Parlament der "peronistische Marsch" mit der Strophe "wir bekämpfen das Kapital" und der Präsident eilte in die Gewerkschaftszentrale CGT, um mit den korrupten Funktionären den "befreienden Akt" zu feiern. Während Uruguay in den letzten Wochen Überbrückungskredite von insgesamt 4,5 Milliarden erhielt die Hälfte der bisherigen Auslandsschulden - , muß sich Argentinien, wieder von den Peronisten regiert, weiterhin gedulden.
Noch bis vor kurzem die Finanzwelt Uruguay als lukrative Kapitalanlage gefeiert. Über zwanzig Prozent Zinsen versprechen die Staatsobligationen, verriet die Website von www.derspekulant.de, der "Börsenbrief für clevere Anleger". Die Regierung in Montevideo erfülle im Gegensatz zu den Nachbarn Argentinien und Brasilien sämtliche Bedingungen des Internationalen Währungsfonds. Doch wenige Tage später war der Geheimtipp ein Flopp. Die US-Investmentbank JP Morgan Chase stieß ihre uruguayischen Staatsanleihen ab, das Länderrisiko stieg auf über 2.500 Punkte. Sparer kündigten ihre Konten, jeden Tag mußten die Banken vierzig Millionen auszahlen. Im Juli wurden der Wirtschaftsminister und der Zentralbankchef entlassen.
Die US-amerikanische Regierung hat kurzfristig 1,5 Milliarden Dollar an die Regierung Uruguays überwiesen, damit diese bis zum Mittwoch die Liqudität ihrer Banken sichern kann. Dann sollte der IWF einspringen. Wieder einmal. Die US-Regierung unter George Bush hat nicht lange gezögert. Zu viel steht ihrer Ansicht nach auf dem Spiel. Es geht nicht nur um die Einlagen südamerikanischer Sparer. Der Finanzplatz Uruguay steht auf der Kippe. Das Land, einst die "Schweiz Amerikas" ist eng mit der internationalen Bankenwelt verwoben. Die großen Geldinstitute unterhalten dort "Back Offices", über die viele Geschäfte in Lateinamerika laufen. Das Bankgeheimnis ist rigider als das eidgenössische, die Gesetzgebung über Offshore-Tätigkeit hat sich bewährt. Offshore-Banken und Offshore-Unternehmen sind unbürokratisch und über das Internet zu gründen und gelten weltweit als seriös, nicht zuletzt, weil das uruguayische Justizsystem und die politische Klasse nicht von Korruption zerfressen sind. Kontrollen sind schwach, Aufsichtsbehörden mit wenig Mitteln und manpower ausgestattet. Das schätzen die, die fremdes Geld verwalten oder waschen, vermehren oder vernichten. Die Vertretungen der großen Bankhäuser nehmen, ohne personalaufwendige Schaltergeschäfte (Schwarz-) Gelder entgegen und legen sie in Zürich, New York oder London an, nicht nur buchungstechnisch am Bildschirm, sondern regelmäßig im Geldkoffer in der Businessclass.
Uruguay ist auch politischer Brückenkopf in einer unstabilen Region. Die Regierung des konservativen Präsidenten Jorge Batlle wurde Lieblingskind der Bush-Administration, als es diplomatischen Beziehungen zu Kuba abbrach. Batlle will in die Nafta, die Zollunion zwischen USA, Mexiko und Kanada, aufgenommen werden und ist bereit, mit dem Mercosur, mit Argentinien und Brasilien, zu brechen. Angesichts der südamerikanischen Rezession heißt seine Parole: rette sich wer kann. Im Juli besuchte der neue US-Lateinamerikabeauftragte Otto Reich Uruguay. Reichs Nominierung war im US-Senat auf Widerstand gestoßen, denn dem beinharten Antikommunisten wird wenig diplomatisches Geschick nachgesagt. Er teilt die Welt in Gut oder Böse ein, mäkelte das Nachrichtenmagazin "Newsweek". "Gut" sind für ihn die Vereinigten Staaten und George Bush, "böse" - Adolf Hitler, Fidel Castro und Osama bin Laden. Aber auch der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der brasilianisiche Arbeiterführer Lula, die uruguayische Frente Amplio oder die argentinische Opposition sind nicht weit vom Bösen entfernt. Bei seinem Besuch in Buenos Aires hatte sich Reich unbeliebt gemachte, weil er dem Präsidenten einen Forderungskatalog überreichte. Der nächste Präsident müsse den Terrorismus bekämpfen, den freien Welthandel verteidigen, und den Staatshaushalt in Ordnung bringen. Montevideo hingegen lobte er über den grünen Klee: "Uruguay ist ein gutes Beispiel für ein demokratisches Land, das die USA schon im Jahr 2005 in die Nafta aufnehmen wollen".
Auch der IWF gewährt den drei Millionen Uruguayern eine Sonderbehandlung, während er den Amazonasstaat schlecht redet und Argentinien weiterhin Kredite verwehrt.
Dabei hat die Regierung in Montevideo keineswegs die Rezepte des IWF erfüllt. Privatisierungen sind am "paisito" (Ländle) vorübergegangen, ein Plebiszit, unterstützt von der konservativen Colorado-Partei, untersagte den Verkauf von Staatsbetrieben. Anders als in den Nachbarstaaten wurde das Arbeitsrecht kaum flexibilisiert, das Steuerwesen wurde nicht modernisiert, Angestellte im öffentlichen Dienst unkündbar. Vater Staat beschäftigt ein Fünftel aller Lohnabhängigen, Bürokratie hemmt die Produktion.
Bereits vor wenigen Wochen erhielt die uruguayische Regierung drei Milliarden Dollar zur Überbrückung der Bankenkrise. Insgesamt erhöhten sich mit den Krediten der letzten Wochen die Auslandsschulden um die Hälfte. "Das Volk hat davon nichts, keine Schule wird gebaut, kein Arbeitsplatz geschaffen", kritisiert Senator Alberto Couriel von der oppositionellen Frente Amplio, der Breiten Front.
Die IWF-Milliarden fließen ausschließlich in den "Fonds zur Stärkung des Finanzsystems". Er rettet herunter gewirtschaftete Banken mit Steuergeldern, um sie anschließend zu privatisieren. "Ein Teufelskreis", so Senator Couriel, "er kostete uns in den letzten Jahren fast fünf Milliarden Dollar" (die Hälfte der Auslandsschulden). "Diese Banken standen vor dem Bankrott, weil sie von Kriminellen gemanagt wurden. Die Banco Pan de Azucar wurde dem halbseidenen Stephane Benhamou übertragen, der unter Anklage steht. Die Banco Comercial kauften die Brüder Rohm, die Dresdner Bank, die Crédit Suisse und JP Morgan Chase. Der eine Rohm-Bruder sitzt im Gefängnis, der andere wird mit Haftbefehl gesucht. Die Caja Obrera wurde von der Banco de Montevideo geschluckt, hinter der die Peirano-Brüder stehen. Gegen sie wird in drei Ländern wegen Betrugs ermittelt, auch sie werden von der Polizei gesucht."
Die Banco de Montevideo wurde Ende Juni unter Zwangsverwaltung gestellt. Systematisch hatten die Peirano-Brüder das einst angesehene Geldinstitut geplündert. Sie hatten unter fadenscheinigem Vorwand dreistellige Millionenbeträge ins Ausland transferiert, darunter 262 Millionen Dollar an die argentinische Velox-Bank, die zu ihrem Imperium gehört. In letzter Minute stoppte die uruguayische Zentralbank diese Überweisung.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Peiranos bereits in Paraguay in Verruf geraten. Dort nennen sie die "Banco Alemán" ihr Eigen, Kredite ohne ausreichende Bürgschaften ins Ausland verschob. Als die Bank in Zahlungsschwierigkeiten geriet, griff die paraguayische Regierung mit einer Finanzspritze von 220 Millionen Dollar unter die Arme. Sparguthaben ihrer Kunden transferierte sie auf die Cayman-Islands. Zu den Geschädigten gehörte die Gattin des Staatspräsidenten, die eine viertel Million Dollar auf die Trade and Commerce Bank auf die Cayman Islands überweisen ließ.
Auch die Banco de Montevideo riet ihren Kunden, ihre Ersparnisse in der Karibik vor einem uruguayischen "corralito" in Sicherheit zu bringen. Ihre TCB würde sogar höhere Zinsen zahlen. Mindestens 300 Millionen Dollar wurden auf die Cayman-Islands transferiert, schätzt die Wochenzeitung "Brecha". Jetzt ist auch die TCB zahlungsunfähig.
Die Opposition wirft der Zentralbank eine Verletzung ihrer Aufsichtspflichten vor. Sie habe bis Ende Juni verdächtige Überweisungen nicht gestoppt und damit die Finanzkrise heraufbeschworen. Erst als das Kind in den Brunnen gefallen war, als die TCB auf den Cayman Islands die Einlagen nicht zurückzahlen konnte, erstattete sie Strafanzeige gegen die Peiranos. Aber die Vergangenheit zeigt, daß diese Verfahren meist ohne eine Verurteilung ausgehen. Die Banker verfügen über hervorragende politische Verbindungen, haben Wahlkämpfe finanziert, Lobbies aufgebaut. Jorge Peirano ist mit Präsident Batlle und seinem zurückgetretenen Wirtschaftsminister befreundet, die Familie Rohm unterhielt enge Beziehungen zum früheren Präsidenten Carlos Menem und zu George Bush Senior, der sich am Rio de la Plata als Lobbyist für US-Unternehmen verdingte.
In Uruguay spitzt sich die soziale Situation zu. Niemand weiß, ob Gehälter und Pensionen gezahlt werden. Bevor die IWF-Kredite gewährt wurden, wurden die ohnehin schmalen Bezüge von Arbeitnehmern und Rentnern beschnitten, zum Teil um zwanzig Prozent. Der Peso wurde freigegeben, die Inflation zog an, der Reallohn fiel. Die Arbeitslosigkeit ist auf 16 Prozent gestiegen, wie nie zuvor wandern die Menschen aus.
Der Unmut wächst. Bei den parteiinternen Wahlen der Frente Amplio, die seit zwölf Jahren Montevideo regiert, wurden die Tupamaros, die früheren Guerilleros, stärkste Kraft. Vor allem in den besseren Stadtviertel, wo die Menschen noch etwas zu verlieren haben, legten sie deutlich zu. Bettler bevölkern die Innenstadt Montevideos, Zehntausende ernähren sich von Hilfsprogrammen in einem Land, das Lebensmittel im Überfluß produziert.
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