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Updated: 18.12.2012 15:51
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Konflikte mit Gesetzen lösen?

Jane Slaughter* zum »Employee Free Choice Act«

Für ein Land der »westlichen Wertegemeinschaft« beschämend: Das US-amerikanische Arbeits- und Gewerkschaftsrecht fällt selbst hinter die ILO-Kernnormen zurück – eine Reform ist längst überfällig. Nicht nur eine traditionell restriktive Gesetzgebung insbesondere in den Südstaaten, sondern auch Ronald Reagans antigewerkschaftliche Maßnahmen haben zu einer massiven Schwächung der Arbeiterbewegung geführt: Nur noch acht Prozent der Lohnabhängigen in den USA sind gewerkschaftlich organisiert (zum Vergleich: über 30 Prozent in den 70er Jahren), ein Viertel aller Beschäftigten im Privatsektor, die sich gewerkschaftlich organisieren wollen, wird gefeuert, in 44 Prozent der – trotz aller Widerstände – gewerkschaftlich organisierten Betriebe gelingt es nicht, überhaupt einen Kollektivvertrag abzuschließen.

Die Verabschiedung des arbeitsrechtlichen Reformvorhabens »Employee Free Choice Act« (EFCA), das im Frühjahr von den Demokraten im Kongress eingebracht wurde und von US-Gewerkschaften und dem Internationalen Metallarbeiterbund (IMB) unterstützt wird, könnte das ändern. Ob das Gesetzespaket angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen um die Gesundheitsreform in diesem Jahr noch verhandelt wird, bezweifeln gewerkschaftliche Beobachter. Inhaltlich ist die Lage allerdings noch komplizierter. Denn zum einen wird das EFCA – sollte es überhaupt ratifiziert werden – aufgrund der kontroversen Haltungen sowohl unter Demokraten als auch unter Republikanern anders aussehen, als von den Gewerkschaften vorgeschlagen. Und zum anderen gibt es auch innerhalb der Gewerkschaften unterschiedliche Einschätzungen darüber, ob gesetzliche Erleichterungen zur Bildung und Anerkennung von Gewerkschaften im Betrieb der Organisierung und Mobilisierung von KollegInnen dienlich sind. Das wiederum erinnert an entsprechende Debatten über die Wahl der adäquaten Mittel zur Überwindung der Schwäche der Gewerkschaften hierzulande. Wir dokumentieren einen Beitrag von Jane Slaughter aus den »Labor Notes«.

Die Aussichten für die Durchsetzung des arbeits- und gewerkschaftsrechtlichen Reformvorhabens Employee Free Choice Act (EFCA) in den USA sind dieses Jahr wohl eher mau. Der Kongress hat sich in der unerquicklichen Debatte über die Krankenversicherung aufgerieben, die vor Oktober kein Ende finden wird.

Sollte es den Republikanern gelingen, die Reform der Krankenversicherung zurechtzustutzen, dann werden sie gerade richtig in Stimmung sein, den Gesetzesentwurf für den EFCA, der für die Arbeiterbewegung so wichtig ist, in Grund und Boden zu stampfen. Die Demokraten sind zu gespalten, um genug Energie für einen weiteren riskanten Kampf aufzubringen – und schon gar nicht für dieses Anliegen, das viele von Anfang an nicht wirklich begeistert hat. Und Präsident Obama, seinerseits ein lauwarmer Unterstützer des EFCA, verschießt gerade all sein Pulver in der Krankenversicherungsdebatte.

Die AFL-CIO-Vorsitzende von Kalifornien, Donna DeWitt, drückt es so aus: »Wenn die Gewerkschaften nichts Akzeptables zum Thema Krankenversicherung beitragen können, wird die Reform des Arbeitsrechts für lange Zeit in der Versenkung verschwinden.« Aber ob das EFCA es bis zur Ratifizierung schafft oder nicht: Organizing findet trotzdem weiter statt. Was muss also nach Ansicht altgedienter OrganizerInnen passieren?

Ja zu Wahlen

Sandy Pope steht einem Local vor, in dem Dutzende kleiner Betriebe der Teamsters in der Umgebung von New York City zusammengefasst sind. Anders als die meisten bedauert sie nicht, dass der card check [1] nun doch nicht im EFCA verankert sein wird (siehe Kasten). Ihrer Ansicht nach wäre es sonst nämlich fast zu leicht, die Anerkennung im Betrieb durchzubekommen: »Es würde den Leuten gestatten, sich wegzuducken vor der Verantwortung, die es bedeutet, die Gewerkschaft in den Betrieb zu holen. Wenn dann ein Arbeitskampf für einen guten Tarifvertrag ansteht, hat man keine kampferprobte Gruppe. Es gibt keinen Zusammenhalt und keine Dynamik.«

Würde das im EFCA für erstmalige Tarifverträge vorgesehene Schiedsgerichtsverfahren (siehe Kasten) dieses Manko nicht auffangen? Schon die Frage lässt Pope explodieren: »Das ist schon wieder so ein Versuch, die Organisierung der ArbeiterInnen zu umgehen! ›Lass uns ein rechtliches Prozedere installieren, dann müssen wir gar nicht erst mit den Lohnsklaven reden.‹ Ich will diesen Teil der Arbeit aber machen. Ich will bloß nicht, dass die Leute gefeuert werden.«

Deshalb fordern Pope und andere mit Nachdruck, dass der EFCA eine Regelung beinhaltet, die Wiedereinstellung von Beschäftigten, die aufgrund gewerkschaftlicher Aktivitäten illegal entlassen werden, gerichtlich erzwingen zu lassen. Außerdem wünscht sie sich die Verankerung einer weiteren Klausel, die bei den Verhandlungen um die Ausgestaltung des EFCA aktuell diskutiert wird: beschleunigte Wahlen.

Ein kürzeres Wahlverfahren wäre Pope zufolge hilfreich, weil das Organisierungskomitee diese Phase besser durchstehen könnte, ohne den Mut zu verlieren. Ihre Organisierungsmethode sieht derzeit so aus, dass sie Mehrheiten der Beschäftigten dazu motiviert, zum Boss zu gehen und Anerkennung als Gewerkschaft zu verlangen. Falls das nicht klappt, verlangen sie eine Wahl – auf der Stelle oder in der darauf folgenden Woche. »Wenn eine Wahl stattfindet, haben wir dann vorher schon etwas als Gruppe getan«, sagt sie, »und damit ist die Wahlperiode für die Leute nicht so beängstigend. Sie können bis zum Wahltag einfach die Luft anhalten. Wenn man mit Schwung in den Prozess hineingeht und der Zeitraum überschaubar ist, können die Leute besser damit umgehen: ›Freitag ist der große Tag‹. Wenn das Ganze in die Länge gezogen wird, verlieren die Leute den Überblick.«

Die Chance nutzen

Matthew Luskin, Organizing-Chef bei der SEIU Healthcare von Illinois und Indiana, sieht in einem EFCA mit kürzeren Wahlverfahren die Möglichkeit, in ein oder zwei Jahren einen starken Organizing-Schub in einigen Branchen (z.B. Pflegeheime) zu realisieren, bevor die Arbeitgeber mit neuen Taktiken gegenhalten. Luskin warnt vor der Hoffnung auf leichte Erfolge, glaubt aber, dass mit einer Wahlperiode von sieben Tagen und mit dem Maß an Organisierungswillen, das er bei den Beschäftigten in Pflegeheimen gesehen hat, bestimmte Arbeitgeber besiegt werden können. (...)

In schnell durchgezogenen Kampagnen, die sich nicht über Monate hinziehen, so spekuliert Luskin, könnten Gewerkschaften Mehrheiten anwerben, vielleicht eine große Versammlung mit Beschäftigten von unterschiedlichen Arbeitgebern einberufen – und schon eine Woche später die Wahl abhalten. »Wir könnten den Markt überschwemmen mit Kampagnen, indem wir kurzfristig massiv Ressourcen investieren, etwa wie bei Präsidentschaftswahlkämpfen«, sagt er und fügt hinzu: »Bei solchen Kampagnen wären auch die Misserfolge leichter zu verschmerzen. Du verlierst zwei Drittel, hast aber insgesamt 200 Kampagnen am Laufen...«

Noch etwas spricht in den Augen von Luskin für schnelle Kampagnen: Verlorene Wahlen wirken danach vielleicht nicht so lange nach wie als Schlusspunkt sechsmonatiger Torturen. »Der Grund für die große Angst der Leute vor Misserfolgen ist: Wenn man verloren hat, kann man den Betrieb danach manchmal auf Jahre hinaus vergessen. Ein Auflodern von drei Wochen wirkt da vielleicht nicht ganz so verheerend.« Allerdings hat die SEIU nicht genug Personal, um Hunderte Pflegeheime zu organisieren, beklagt Luskin, »und selbst wenn, würde es wahrscheinlich nicht funktionieren«. Eine solche Blitzkampagne wäre massiv auf organisierende Mitglieder angewiesen, und sowohl Freigestellte [2] als auch Freiwillige müssten ernsthaft geschult werden.

Gefragt nach partnerschaftlichen Modellen in den Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen als möglicher Wachstumsstrategie, antwortet Luskin: »... Die Arbeiterbewegung hat eine Menge Zeit mit der Suche nach Wegen der Konfrontationsvermeidung vergeudet. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass wir gegen den Boss nicht gewinnen können. Aber schnelle Wahlen und ein paar weitere Regelungen des EFCA könnten uns Möglichkeiten eröffnen, gegen viele Arbeitgeber zu bestehen.« Gleichzeitig warnt Luskin allerdings: »Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, dass eine technische Reform des Arbeitsrechts eine Veränderung dessen bedeutet, was Organizing ist: Wir stärken die Fähigkeit der ArbeiterInnen, ihrem Boss Widerstand zu leisten.«

Die Kultur konfrontieren

Ed Bruno, früher Organizing-Chef beim National Nurses Organizing Committee und den United Electrical Workers, ist weniger optimistisch. Er warnt, dass die Gewerkschaften weit aus dem Blickfeld der Beschäftigten gerutscht seien. »Wer denkt, er kriegt jetzt dieses Gesetz durch und kann dann rausrennen, 200 Kids anheuern, Unterschriften sammeln und damit einen großen Organizing-Spurt anzetteln, der lebt im Märchenland«, sagt er: »In keiner einzigen sozialen Bewegung, von der wir wissen, konnte man so große Veränderungen jemals erzielen, ohne dass irgendeine Erhebung der Nicht-Organisierten vorangegangen wäre.«

Bruno konstatiert, dass dreißig Jahre Reaganismus ihre Wirkung nicht verfehlt haben: »Hier ist der Einzelne, und dort ist die Gesellschaft, und der Einzelne ist allein. Niemand ist in einer Kultur von kollektiver Aktion, Organisierung und gesellschaftlicher Teilhabe aufgewachsen. Wir müssen diese ganze Idee wiederbeleben.«

Wie würde er also auf nicht organisierte ArbeiterInnen zugehen? »Unterschriften sammeln ist keine gute Organizing-Strategie«, antwortet Bruno. »Marginale Siege sehen auf den ersten Blick gut aus, aber sie tragen kaum weiter. Anstatt um Unterschriften sollte man sich um Mitgliedschaften bemühen und die Leute symbolische Beiträge zahlen lassen. Das schafft Zugehörigkeit. Es muss auch keine Mehrheit sein. Menschen machen bemerkenswerte Dinge, wenn sie erst einmal ihre eigene Organisation haben.«

Natürlich bringen viele Gewerkschaften weder die Geduld noch die Voraussicht für ein solches Organizing auf, sagt Bruno: »Aber wenn man das Recht haben will, sich zusammenzuschließen und kollektiv zu handeln, dann muss man so vorgehen. Das Gesetz folgt dem, was die Leute machen.«

EFCA: Worum geht es?

Sollte das EFCA überhaupt ratifiziert werden, dann wird es anders aussehen, als von den Gewerkschaften vorgeschlagen und benötigt. Wir dokumentieren hier einige Ideen, die Gewerkschaftsvertreter mit Kongressabgeordneten derzeit diskutieren. Das Paket der Vorschläge stellte Tom Chamberlain, Vorsitzender des AFL-CIO Oregon, während einer Sommerschule seines Verbands im August vor; keine der Regelungen ist bislang auch nur annähernd endgültig formuliert.

Beschleunigte Wahlen, evtl. gleichzeitig vor den Wahlen Zugang von Organizern zum Betrieb, vielleicht ausgelöst von der Praxis der erzwungenen Vorladung von Beschäftigten vor den Arbeitgeber (employer captive meetings); und/oder Stimmabgabe außerhalb des Betriebs. Letzteres soll die Einschüchterung durch den Arbeitgeber abschwächen, wirkt sich aber auch negativ auf die Wahlbeteiligung aus, was der Gewerkschaft nicht schaden muss, aber kann. (Ist die Wahl den meisten ArbeiterInnen egal? Karrt der Arbeitgeber seine Günstlinge mit dem Bus zur Stimmabgabe? etc.)

Das card check-Verfahren sowie die ursprünglich vorgesehenen höheren Geldstrafen für Verstöße der Arbeitgeber gegen Arbeits- und Gewerkschaftsrechte sind vom Tisch. Geändert wurde auch das Prozedere für das Schiedsgerichtsverfahren, das bei erstmaligen Tarifverträgen zwischen den Interessen vermitteln soll. Statt dass ein Schlichter zwischen den letzten Angeboten beider Seiten auswählt, soll nun ein mit drei Personen besetztes Gremium ein »Punkt-für-Punkt«-Kompromisspaket schnüren. Hier hat sich die Unternehmerlobby mit ihrem Einwand durchgesetzt: Nach dem ursprünglichen Entwurf hätte es dazu kommen können, dass ein Regierungsbürokrat einem Unternehmen einen unbezahlbaren Vertrag aufnötigt.

Fred Azcarate, Vorsitzender des Voice@Work-Programms des AFL-CIO, betont, es sei noch »nichts vom Tisch«. Er kündigte jedoch an, der AFL-CIO werde keinen Druck für eine Entscheidung im Kongress machen, bis der Sitz des kürzlich verstorbenen Senators Ted Kennedy neu vergeben sei. Dies kann aufgrund einer wahlrechtlichen Sonderregelung in Massachusetts nicht vor Ablauf von 145 Tagen erfolgen.

* Jane Slaughter ist Mitgründerin der US-Zeitschrift Labor Notes und Autorin und Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu Fragen der Gewerkschaftsbewegung.

Quelle: Labor Notes, September 2009; Übersetzung: Anne Scheidhauer

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9-10/09


1) Ursprünglich war im EFCA ein sog. Card-Check-System vorgesehen, wie es z.B. in Ontario/Canada existiert: Sobald eine Mehrheit der Beschäftigten in einem Betrieb sich per geheim abgegebener Karte für eine gewerkschaftliche Vertretung ausgesprochen hat, kann eine gewerkschaftliche Vertretung gebildet und mit der Vorbereitung von Tarifverhandlungen begonnen werden. Bislang muss die gewerkschaftliche Organisierung eines Betriebs über das komplizierte Verfahren so genannter Anerkennungswahlen laufen, d.h. zunächst muss sich eine Mehrheit der im Betrieb Beschäftigten finden, die sich dafür ausspricht, überhaupt Wahlen zur Gründung einer Gewerkschaftsvertretung im Betrieb durchführen zu wollen. Schon diese Erstabstimmung erweist sich als sehr schwierig, denn die gewerkschaftlichen Organizer haben kein Zugangsrecht zum Betrieb. Kommt diese Mehrheit zustande, wird diese Wahl dann von einer staatlichen Behörde, dem National Labor Relations Board, organisiert. Doch das dauert einige Monate, und sehr häufig nutzt das Management diese Zeit, um die Beschäftigten unter Druck zu setzen. Durch Einzelgespräche, Drohungen und Kündigungen schaffen es die Unternehmer meistens, die Gewerkschaftsgründung zu verhindern. (Vgl. auch William Hiscott: »Filibustern bis zum Armageddon«, in: Jungle World, Nr. 12, 19. März 2009)

2) Damit sind Gewerkschaftsmitglieder gemeint, die für eine gewisse Zeit von ihrem regulären Job bei einem Privat-Unternehmen oder dem Staat freigestellt sind und in dieser Zeit für die Gewerkschaft – in der Regel für eine politische oder eine Organizing-Kampagne – arbeiten. Sie werden in dieser Zeit von der Gewerkschaft bezahlt.


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