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Updated: 18.12.2012 15:51
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Fallstricke des Lobbyismus - US-Gewerkschaften Zünglein an der Waage bei den Vorwahlen der Demokraten?

Artikel von Rosso* Vincenzo

Der folgende Artikel von Rosso Vincenzo erschien in einer aus Platzgründen gekürzten Fassung im "Neuen Deutschland" vom 14.3.2008. Hier die vollständige Originalfassung

Im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Hillary Clinton und Barack Obama um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten. könnten sich die US-amerikanischen Gewerkschaften, trotz ihres Bedeutungsverlustes in den letzten 30 Jahren, als entscheidendes Zünglein an der Waage erweisen, zumal sich in den letzten Tagen mehrere wichtige Einzelgewerkschaften ihre Unterstützung für den knapp führenden Barack Obama ausgesprochen haben. Dem schwarzen Senator aus Illinois mangelte es bisher vor allem bei Arbeitern und Hispanos an Unterstützung. Hier könnten die Gewerkschaften den Ausschlag geben.

Den Anfang hatten am 14.Februar 2008 die United Food and Commercial Workers (UFCW) gemacht, die landesweit 1,1 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel repräsentieren. UFCW-Präsident Joseph Hansen erklärte: "Beide Kandidaten vertreten gute Positionen, was die Themen der Arbeiter anbelangt, aber es gibt da etwas bei Senator Obama, das unsere Führung und unsere Mitgliedschaft mobilisiert hat. Vierzig Prozent unserer Mitglieder sind unter 30 und viele von ihnen mögen Obama." Kurz darauf folgte die mächtige, 1,9 Millionen Mitglieder starke Dienstleistungsgewerkschaft SEIU. Als Grund nannte einer ihrer führenden Funktionäre gegenüber der "New York Times": "Das ist ein Zwei-Personen-Rennen und wir wollen dabei mitmischen.".

Am 20.Februar wechselte auch die 1,4 Millionen Mitglieder zählende Transportarbeitergewerkschaft Teamsters ins Obama-Lager. Ihr Vorsitzender Jim Hoffa sagte dazu: "Senator Obama kennt die Schwierigkeiten, mit denen die arbeitenden Menschen jeden Tag konfrontiert sind. Er ist der Kandidat, der sich in der besten Position befindet, um unsere Bewegung zur Wiederherstellung des amerikanischen Traums für die Arbeitnehmer in diesem Land zu führen." Die Hoffnungen, die Hoffa mit dem Kandidaten verbindet, sind groß: "Obama wird für bessere Löhne, eine wirkliche Gesundheitsreform, eine stärkere Alterssicherung, fairen Handel und ein Ende der Auslagerung guter Jobs kämpfen. Er versteht, wie wichtig es ist, den Arbeitern am Arbeitsplatz Gehör zu verschaffen und wird sich für starke Gewerkschaften einsetzen, um bei der Wiederherstellung der amerikanischen Mittelklasse zu helfen."

Bedingt durch die wirtschaftlichen Umstrukturierungen, das aggressiv anti-gewerkschaftliche Vorgehen der Reagan- und Bush-Regierungen, die neoliberale Politik und den Rückzug ins Private haben die US-Gewerkschaften seit ihrer Hochzeit Anfang der 70er Jahre massiv an Mitgliedern und Einfluss verloren. Der Organisationsgrad insgesamt liegt gegenwärtig bei 12,1% landesweit. In der Privatwirtschaft sind es sogar nur 8%. Im produzierenden Gewerbe gab es seit Anfang der 70er Jahre einen Rückgang von 34% auf 11,3%. Allen "Organizing"-Kampagnen zum Trotz gelang es den Unions, von wenigen positiven Ausnahmen abgesehen, nicht, sich unter den neuen, prekär Beschäftigten oder auch den Arbeitern, der in den Südstaaten "auf der grünen Wiese" neu errichteten Werke zu verankern, während alte Bastionen wie die "Motor Citys" Flint und Detroit buchstäblich zusammenbrechen. Wo 1936/37 und 1970 legendäre Streiks und Betriebsbesetzungen bei General Motors, Ford und Chrysler stattfanden und bedeutende Erfolge gefeiert wurden, erlebten die United Auto Workers (UAW) im Oktober 2007 ihre vernichtendste Niederlage. Nach zweitägigem Ausstand erklärte sich die UAW-Führung bereit, ab sofort die volle Finanzierung der Krankenversorgung für Beschäftigte und Pensionäre zu übernehmen. Außerdem stimmte sie leichteren Entlassungen und der Einstellung neuer Arbeitskräfte ohne Rentenansprüche und zum halben Lohn zu. Weitere Massenentlassungen wurden dadurch nicht verhindert. Mitte Februar 2008 kündigte General Motors aufgrund von Milliarden-Verlusten die Entlassung von 72.000 Mitarbeitern an. Tief greifende Auseinandersetzungen über die richtige Antwort auf diese Krise der Gewerkschaften führten 2005 zur Spaltung des AFL-CIO. Sieben Einzelgewerkschaften (darunter SEIU, UFCW und die Transportarbeiterunion Teamsters) gründeten den neuen Gewerkschaftsbund Change-to-Win. Eigenen Angaben zufolge organisieren die beiden Bünde aktuell 9 bzw. 6 Millionen Beschäftigte.

Den eigenen Mitglieder- und Bedeutungsschwund versuchen die US-Gewerkschaften durch verstärkte politische Lobbyarbeit und das Sponsoring von "gewerkschaftsnahen" Kandidaten wettzumachen. Dafür wenden sie enorme Mittel auf: Betrug die Summe ihrer Spendenzahlungen laut dem Center for Responsive Politics bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der Jahre 2000 und 2002 noch 381 Millionen $, so kletterte sie bei den Wahlen 2004 und 2006 auf 561 Millionen $. Es wird allgemein erwartet, dass diese Werte im aktuellen Wahlzyklus erneut übertroffen werden. Allein der größte Gewerkschaftsbund AFL-CIO kündigte den Einsatz von 200 Millionen $ bei den Präsidentschaftswahlen (inklusive Vorwahlen) an. Darüber hinaus seien bereits jetzt 200.000 Mitglieder in "themen-orientierter" Agitation bei Tür-zu-Tür-Propaganda, systematischen Telefonanrufen und Besuchen am Arbeitsplatz aktiv.

Gestartet wurde diese Mega-Kampagne vom AFL-CIO im August 2007 mit einer Diskussionsveranstaltung der damals noch sieben demokratischen Präsidentschaftskandidaten in einem Chicagoer Stadion, an der 20.000 Menschen teilnahmen. Im September zog Change-to-Win nach, indem sie mit Edwards, Obama und Hillary Clinton ebenfalls nach Chicago zum "American Dream Dialogue" lud. Eine scharfe Kehrtwende, denn eigentlich hatte Change-to-Win mit dem Polit-Lobbying Schluss machen und alle Kraft auf die Organisierung prekär Beschäftigter und "gewerkschaftsferner Gruppen" legen wollen.

Auch im Wahlkampf erweisen sich die Gewerkschaften jedoch als tönerner Koloss. So war der AFL-CIO nicht in der Lage sich auf die Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten zu einigen und ließ seinen 54 Mitgliedsverbänden bei den Vorwahlen freie Hand. Das Höchstmaß an Konfusion zeigte die AFL-CIO-Mitgliedsgewerkschaft IAMAW (Maschinisten und Luftfahrtbeschäftigte; 400.000 Mitglieder). Nachdem eine Umfrage ergeben hatte, dass 35 Prozent ihrer Basis Republikaner wählt, gab der Vorstand eine doppelte Wahlempfehlung: für Hillary Clinton bei den Demokraten und für den "Gotteskrieger mit E-Gitarre" ("Der Spiegel") Mike Huckabee bei den Republikanern. Während bei der Clinton immerhin noch ihre Sozialprogramme als Motiv genannt wurden, reichte es bei Huckabee aus, dass er "den Mumm" gehabt habe, sich den Fragen der Gewerkschaft zu stellen.

Neben der als "Pluralismus" verkauften Konfusion sorgt das Wahl-Lobbying auch für tiefe interne Spaltungen. In der Öffentlichen-Dienst-Gewerkschaft AFSCME kam es zum verbalen Schlagabtausch zwischen Führung und einem Teil des mittleren Funktionärskörpers nachdem der Vorstand ohne Rücksprache Hillary Clinton eine Millionen Dollar aus der Gewerkschaftskasse überwiesen hatte, während die regionalen Gewerkschaftsführer Obamas Wahlkampf sponsern wollten. In Nevada gab es heftige, auch juristische Auseinandersetzungen zwischen der Clinton unterstützenden Nevada State Education Association sowie den Pro-Obama eingestellten Casino-Arbeitern von Unite-Here.

Auch dort wo die Parteinahme eindeutig ist, stehen die aufgewendeten Ressourcen allerdings in keinem Verhältnis zum Resultat. So musste der den Gewerkschaften am nächsten stehende demokratische Kandidat Edwards bereits früh das Handtuch werfen. Trotz seiner Prominenz, der Unterstützung der 1,2 Millionen Mitglieder starken Stahlarbeitergewerkschaft, der Holzarbeiter (520.000 Mitglieder) sowie einer Transport- und einer Bergarbeiterunion (zusammen 300.000) und der SEIU-Landesverbände plus dem Einsatz von zwei Millionen Dollar fuhr er in New Hampshire und Iowa nur enttäuschende Ergebnisse ein. Auch Obama reichte die Unterstützung der SEIU Nevada und des 60.000 Mitglieder starken Ortskartells der Unite-Here in Las Vegas weder zum Sieg in der Stadt noch im Bundesstaat.

Chris Kutalik, Herausgeber der Monatszeitschrift "Labornotes" (des wichtigsten Organs der US-Gewerkschaftslinken), sieht die Sache nüchtern: "Es klafft ein Abgrund zwischen den Ressourcen (Geld in rekordverdächtiger Höhe, bezahlte Funktionäre, freiwillige Helfer und Organisation), dem Medien-Hype und der Selbstdarstellung als machtvolle politische Kraft einerseits und den Ergebnissen andererseits. Bei den Themen, die den Leuten unter den Nägeln brennen, kommt wenig heraus."

Selbst im Erfolgsfall standen die US-Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten am Ende mit leeren Händen da. So blieb Bill Clinton nach seiner Wahl nicht nur jede Gegenleistung für die geleistete Wahlkampfhilfe schuldig. Statt gewerkschaftsfreundlicher Reformen setzte er gegen den Widerstand des AFL-CIO obendrein das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA durch, was in vielen Bereichen zu Produktionsverlagerungen und erheblichem Lohndruck führte. Sein Vorgänger Jimmy Carter war - Jahre vor Ronald Reagan - einer der wenigen US-Präsidenten, die die Notstandsbefugnisse des Taft-Hartley Acts nutzten, um 1978 den landesweiten Bergarbeiterstreik zu brechen.

Für Kutalik gibt es deshalb nur eine logische Konsequenz: "Die Gewerkschaften haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, Zehntausende Mitglieder für kurzfristige politische Ziele zu mobilisieren. Dieselbe Anstrengung muss unternommen werden, um Mitglieder ins Gewerkschaftshaus zu mobilisieren, um in den vielen tausend unorganisierten Betrieben aktiv zu werden und - der vernachlässigtste Ort von allen - am eigenen Arbeitsplatz."

Vorbemerkung: Rosso

Der Name Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://www.freewebtown.com/antifauni/ externer Link Rubrik "Aktuelles" bzw. die regelmäßig erneuerten Artikel, Übersetzungen und Interviews dort).

Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen per Mail an: negroamaro@mymail.ch


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