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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Fortschritt oder Business as usual? William Johnson* über die Fusion der US-Gewerkschaften UNITE und HERE Mit HERE und UNITE haben am 8. Juli d.J. zwei us-amerikanische Gewerkschaften fusioniert, die sich insbesondere um prekäre Beschäftigte in arbeitsintensiven Dienstleistungsjobs, NiedriglöhnerInnen und damit um MigrantInnen gekümmert haben: erstere im Hotel- und Gaststättengewerbe, letztere in der Textilbranche. Ziel der Fusion: Erhöhung der Organisationsdichte in schwer organisierbaren Branchen und verbesserte Bedingungen im Kampf gegen die Anti-Gewerkschaftskampag-nen der Unternehmen. Mitglieder der beiden Gewerkschaften, die von der Fusions-Entscheidung überrascht und vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, fragen sich, ob und auf welcher Grundlage dieses Ziel erreicht werden kann. Denn: formale Einheit und Vergleichbarkeit der Mitgliederstruktur ergibt noch keine materiale Gemeinsamkeit, und mit dem Trend zur Einheitsgewerkschaft ist das Problem der sektoralen Differenzierung nicht gelöst. Es ist nun schon einige Monate her, dass wir etwas von der New Unity Partnership (NUP) gehört haben. Unter diesem Label hatten sich fünf Gewerkschaften aus den Bereichen Dienstleistung (Service Employees International Union, SEIU), Gastronomie (Hotel Employees and Restaurant Employees International Union, HERE), Textil und Bekleidung (Union of Needletrades, Textiles and Industrial Employees, UNITE) sowie dem Baugewerbe (Carpenters Union, Laborers Union) zusammengefunden. Erklärtes Ziel ihrer Vorsitzen-den ist es, die US-Gewerkschaftsbewegung zu stärken, indem man die Organisierungsdichte Sektor für Sektor erhöht. Dabei argumentierte die NUP, es wäre der Gewerkschaftsbewegung zuträglicher, wenn sich Gewerkschaften, anstatt sich zu immer neuen sektorübergreifenden »Supergewerkschaften« zusammenzuschließen, auf die Organisierung ihrer angestammten Sektoren konzentrieren würden. Am 26. Februar taten HERE und UNITE kund, sie hätten sich »prinzipiell darauf verständigt«, zu einer Gewerkschaft namens UNITE HERE zu fusionieren. Der UNITE-Vorsitzende Bruce Raynor soll Vorsitzender der neuen Gewerkschaft werden, der HERE-Vorsitzende John Wilhelm Vorsitzender ihrer Gastronomie-Abteilung. Aber auch wenn die Webseite von HERE verkündet, die Mitglieder der beiden Gewerkschaften seien »dieselben Leute: Dienstleistungsbeschäftigte, Immigranten, Afroamerikaner«, würde man die Tatsachen doch sehr strapazieren, wenn man behaupten wollte, ihre Sektoren seien verwandt. Ist größer besser? In ihren Presseverlautbarungen zur Fusion betonen die Gewerkschaften die Zugehörigkeit von Raynor und Wilhelm zur NUP, »welche viele Vorschläge zur Veränderung der Strukturen von Gewerkschaften gemacht und in diesem Zusammenhang festgestellt hat, dass es erforderlich ist, sich zu größeren, mächtigeren Organisationen zusammenzuschließen.« Eine UNITE-Sprecherin erklärt der Presse: »Sie haben gesagt, größere Gewerkschaften sind der Bewegung zuträglich, also haben sie beschlossen, ihre eigenen zu fusionieren.« Die Position der NUP lautete allerdings nicht einfach »größer ist besser«, auch wenn für eine Konsolidierung von Gewerkschaften entlang sektoraler Linien plädiert wurde. Vielmehr war darüber hinaus betont worden, dass der Schlüssel für die Macht der Gewerkschaftsbewegung im Aufbau hinreichender Organisierungsdichte liegt, um innerhalb der jeweiligen Sektoren tatsächlich Druck auf die Unternehmen ausüben zu können. Daher ist die Fusion von UNITE und HERE einigermaßen verwirrend. So fragt sich bspw. Jim Michalik vom HERE-Local 1 in Chicago: »Wozu brauchen wir Leute aus einem anderen Sektor? Unsere Macht könn-ten wir durch eine Fusion nur dann konsolidieren, wenn wir zwei bisher konkurrierende Hotelgewerkschaften wären, die ihr Pfund nun gemeinsam in die Waagschale werfen.« Wilhelm und Raynor argumentieren, die neue Gewerkschaft werde mit dem Zuwachs auf 440 000 aktive Mitglieder ihre Macht in der Auseinandersetzung mit antigewerkschaftlichen Unternehmen erhöhen. Tat-sächlich wird UNITE HERE über einen größeren Pool von finanziellen und sonstigen Ressourcen für das Organising verfügen. Dieser Vorteil wird allerdings vom gleichzeitigen Zuwachs der Anforderungen geschluckt: Die Gewerkschaft wird in vielen unterschiedlichen Sektoren organisieren und es mit einer größeren Anzahl von Unternehmen aufnehmen müssen. Der letzte deutliche Beleg dafür, dass Größe nicht alles ist, war der kürzliche Streik in den Lebensmittelmärkten an der Westküste: Dort kapitulierte die immerhin 1,4 Mio. Mitglieder starke Gewerkschaft United Food and Commercial Workers vor den Lebensmittelketten. Michalik ist besorgt über die Fusion. Er befürchtet, dass seine Gewerkschaft dadurch »noch mehr auseinander fällt und geschwächt wird.« HERE vertritt neben Hotel- und Gaststättenbeschäftigten auch »sonstiges« Personal an Universitäten und anderen Einrichtungen (Bürokräfte, Kantinenpersonal, Hausmeister, technisches Personal usw.) sowie Einzelhandelsbeschäftigte an Flughäfen. UNITE vertritt neben seiner angestammten Klientel aus den Sektoren Wäscherei/Reinigung und Bekleidungsproduktion auch ArbeiterInnen aus Einzelhandel sowie Autoproduktion. Mit diesem neuen sektorübergreifenden Gebilde haben Wilhelm und Raynor genau die Art von Gewerkschaft geschaffen, die laut NUP eigentlich ein Problem für die Bewegung darstellt. Wenn man sich bei der NUP aber nun vorrangig nur noch für das Wachstum der (inzwi-schen nur noch vier) eigenen Gewerkschaften interessiert, müssen sich andere Gewerkschaften wohl all-mählich auf Übergriffe seitens der NUP-Gewerkschaften gefasst machen. Mitglieder im Unklaren Welche Folgen wird die Fusion für die Mitglieder von HERE und UNITE haben? Jon Palewicz vom HERE-Local 2 in San Francisco, einst führendes Mitglied der HERE-Reformgruppe HERETIC, fällt es schwer, dar-auf zu antworten, vor allem da »die Fusion ganz im Geheimen vorbereitet und verhandelt wurde«. Laut Palewicz wusste »einige Stunden vor der Ankündigung der Fusion – ein Artikel für das Magazin The American Prospect lag bereits fertig in der Schublade – die große Mehrzahl von Beschäftigten und Funktionären der beiden Gewerkschaften noch überhaupt nichts davon – also gerade die Leute, die mit der Fusion leben und dafür sorgen sollen, dass sie funktioniert.« Das, resümiert er, »hat nichts mit Partizipation der Basis oder informierter Einwilligung zu tun.« Er hegt die Befürchtung, dass die Führung die Basis nicht eben ermutigen wird zu einer »Folgendiskussion z.B. darüber, wie sich diese Fusion auf Tarifverträge, Pensionsvereinbarungen und Statuten auswirken wird.« Wie Michalik betont Palewicz, dass es nicht vorgesehen ist, die Mitglieder zu fragen, ob sie die Fusion wollen; diese soll vielmehr im Juli auf einem außerordentlichen Treffen ratifiziert werden. Beide sehen dieses Vorgehen in Übereinstimmung mit der hierarchischen Struktur von HERE. Wenn aber beide Gewerkschaften tatsächlich schon undemokratisch sind, wird die Fusion dieses Problem lediglich verschärfen. In einer sektorübergreifenden Gewerkschaft, deren interne Macht an ihrer Spitze konzentriert ist, wird es für die ArbeiterInnen der einzelnen Abteilungen (die vorher eigenständige Gewerkschaften waren) noch viel schwerer, auf Entscheidungen über Tarifverträge oder Organisierungskampagnen in ihrem Sektor Einfluss zu nehmen. Zum Beispiel die Fusion der militanteren Meat Cutters Union
(Beschäftigte aus der industriellen Fleischver-arbeitung) mit der
konservativeren Retail Clerks International Union (Einzelhandelsbeschäftigte)
zur Ge-werkschaft United Food and Commercial Workers von 1979: ›Abtrünnige‹
Mitglieder der Meat Cutters Union sahen sich plötzlich ins Gerangel
mit einer Bürokratie verstrickt, die von ihren Belangen weit entfernt
war. Ähnlich die Fusion von Gewerkschaften der Öl-, Chemie-
und Atomindustrien mit der Papierbranche zur Gründung von PACE (Paper,
Alliedindustrial, Chemical and Energy Workers International Union). Social Movement Business Unionism Wilhelm nennt die Fusion »einen nicht-traditionellen
Zusammenschluss nicht-traditioneller Gewerkschaften« und beruft
sich dabei auf die Arbeit, die beide Gewerkschaften für die Unterstützung
progressiver Ziele geleistet haben, z.B. für die Rechte von ImmigrantInnen
und die Unterstützung von Kampagnen gegen Sweat-shops. Diese Arbeit
ist in der US-Gewerkschaftsbewegung sicherlich nicht-traditionell, und
die Bereitschaft der Gewerkschaftsführungen, sich um ArbeiterInnen
zu kümmern, die von Gewerkschaften oft als der Organisierung nicht
wert erachtet und ausgegrenzt wurden, hat wahrlich Anerkennung verdient. * William Johnson ist Redakteur bei Labor
Notes. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/04 |