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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Arbeiter, nicht Gäste

David Bacon* über die Auseinandersetzung um »Gastarbeiter«-Programme in den USA

Im letzten express hatten wir einen kurzen Bericht über die Auseinandersetzungen innerhalb der US-amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU anlässlich der Einführung neuer Gastarbeiterprogramme veröffentlicht. Der Begriff »Gastarbeiter« ist in den USA mit dem sog. »Bracero«-Programm verknüpft: Zwischen 1942 und 1964 warben die USA Hunderttausende ausländischer Arbeitskräfte an – immer auf befristeter Basis. Der Aufenthaltsstatus war gekoppelt an das jeweilige Arbeitsverhältnis bei einem bestimmten Arbeitgeber. Das Resultat ist vor allem der älteren Generation von Gewerkschaftsaktivisten und migrantischen Organizern in schlechter Erinnerung: Jede Möglichkeit individueller oder gewerkschaftlicher Gegenwehr am Arbeitsplatz konnte mit Entlassung und der Drohung einer anschließenden Abschiebung unterbunden werden. Die Verfechter einer Neuauflage solcher Gastarbeiterprogramme, die sich quer durch die politischen Lager und auch durch die »Reform«-Gewerkschaften wie SEIU und UNITE HERE finden, reden heute zwar gerne von »Beschäftigungs-Visa« oder schlicht von »neuen Arbeitern«, um den bitteren Beigeschmack des Begriffs Gastarbeiter zu vermeiden, doch das Problem bleibt das Gleiche. Die aktuellen Kompromisslinien bewegen sich zwischen einer »(unrealistischen) Massenabschiebung und einer (politisch nicht durchsetzbaren) Amnestie für alle«, wie Florian Rötzer den zuwanderungspolitischen Grundwiderspruch am 3. März auf telepolis externer Link beschrieb. Sie vereinen derzeit alle restriktiven Regelungen des Bracero-Programms, verbunden mit der vagen Aussicht auf eine Teil-Legalisierung derjenigen, die bereits im Land sind. Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag von David Bacon, der sich genauer mit den Hintergründen der aktuellen Konflikte in den US-Gewerkschaften befasst.

Zehn Tage vor Weihnachten wurden Luz Dominguez und 20 weitere Hausangestellte des Woodgin Suites Hotels in Emeryville, Kalifornien, gefeuert. Die Manager gaben an, sie hätten eine Mitteilung der Sozialversicherungsbehörde erhalten, derzufolge die Nummern der angestellten Arbeitskräfte nicht den Daten, die der Regierung gemeldet seien, entsprächen. Die 21 Entlassenen waren in dem Hotel seit Jahren zuständig für das Bettenmachen, die Toilettenreinigung, das Saugen der Teppiche. Dominguez erinnert sich: »Schon früher haben sie uns manchmal erzählt, dass die Behörden darauf aufmerksam gemacht hätten, dass sie Nummern nicht passen. Daraus ist nie etwas gefolgt für uns.«

Was hat sich geändert?

Die »East Bay Alliance for Sustainable Development«, eine Interessengemeinschaft von ArbeiterInnen aus Oakland, hatte die WählerInnen in Emeryville im Jahr 2005 davon überzeugt, eine Verordnung zu verabschieden, nach der in den vier Hotels der Stadt ein Mindestlohn von neun US-Dollar gezahlt werden muss. Hausangestellten, die mehr als 5000 Quadratfuß in einer 8,5-Stundenschicht zu reinigen hatten, musste nun eineinhalb mal so viel Lohn gezahlt werden. »Bevor das Gesetz verabschiedet wurde, mussten wir 16-17 Zimmer reinigen«, so Marcela Melquiades, eine der gefeuerten Angestellten. Mit dem neuen Gesetz wurde die Zahl auf zehn gesenkt.

Die vier Hotels – Woodfin Suites, Cheraton, Marriott und Holiday Inn – gaben rund 115000 Dollar aus, um das Gesetz zu verhindern, gewannen jedoch nur 1100 »Nein«-Stimmen. Nach dieser Niederlage versuchten sie eine einstweilige Verfügung zu erwirken, um das Inkrafttreten des Gesetzes zu verhindern – und verloren abermals. Die Beschäftigten drängten Woodfin daraufhin, das Gesetz umzusetzen. In dieser Situation verlangte das Hotelmanagement neue Sozialversicherungsnummern.

Solche Meldungen der Sozialversicherungsbehörden sind zu einem bei der Bush-Regierung zusehends be-liebten Instrument der Strafverfolgung im Rahmen der Migrationskontrolle geworden. Doch sie werden, so der Vorwurf von Gewerkschaften, oft dazu genutzt, sich an Beschäftigten zu rächen, die sich für ihre Rechte einsetzen.

Solche Vollstreckungs-Maßnahmen am Arbeitsplatz haben im vergangenen Jahr für Tausende von Beschäftigten zum Verlust ihres Jobs geführt. Bei den Razzien in den Swift-Fleischverarbeitungsbetrieben im Dezember 2006 – fünf von ihnen hatten Tarifverträge mit den Gewerkschaften – nahm das »Bureau of Immigration and Customs Enforcement« (ICE; Einwanderungskontrollbehörde) über 1300 Beschäftigte fest. Hunderte wurden abgeschoben. In anderen anderen Betrieben wird eben die Sozialversicherungsbehörde eingeschaltet.

Im November 2006 marschierten Hunderte von Fleischereibeschäftigten aus dem riesigen Smithfield-Fleischverarbeitungswerk in Tarheel, North Carolina, nachdem das Unternehmen 60 Beschäftigten gekündigt hatte – wegen Meldediskrepanzen bei der Sozialversicherungsbehörde. Mark Lauritsen, Vorsitzender der Gewerkschaft UFCW (»United Food and Commercial Workers«; Gewerkschaft der Beschäftigten der Nahrungsmittelindustrie und des Einzelhandels), meint, dass Regierung und Unternehmen gezielt und verabredet gegen gewerkschaftliche Organisierungsversuche in dem Werk vorgegangen wären. »Sie waren beunruhigt über die Organisierungskampagne, und die Regierung hat gesagt: Hier sind die Instrumente, um das Ganze unter Kontrolle zu halten.« Ende Januar nahmen ICE-Angestellte 21 Arbeiter bei Smithfield fest, um sie abzuschieben.

Immer wieder wurden Vollstreckungsmaßnahmen im Rahmen der Migrationskontrolle genutzt, um Gewerkschaften anzugreifen, doch die jüngste Welle von Razzien und Entlassungen hat auch politische Hintergründe.

Michael Chertoff, Homeland Security-Vorsitzender, erklärte während einer Pressekonferenz, dass die Razzien bei Swift dem Kongress die Notwendigkeit »strengerer Grenzkontrollen, einer effektiveren Migrationskontrolle im Inneren und befristeter Anwerbeabkommen« verdeutlichen würden. Bush wolle »ein Programm, dass es Unternehmen, die auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind, weil sie anders ihre Nachfrage nach Arbeitskräften nicht decken können, erlaubt, diese Nachfrage im Rahmen eines regulierten Programms zu stillen«.

Die Entlassungen und Razzien zeigen, wie gefährdet migrantische Arbeitskräfte unter den gegenwärtigen gesetzlichen Bedingungen sind. 1986 hatte der Kongress das »Gesetz zur Einwanderungsreform und -kon-trolle« (»Immigration Reform and Control Act«) verabschiedet, demzufolge es Unternehmen US-weit verboten ist, Beschäftigte ohne gültige Aufenthaltspapiere einzustellen. Während nur einige wenige Unternehmen je bestraft wurden, kriminalisierte das Gesetz de facto alle Beschäftigten, die keine Papiere hatten. Dies hat Arbeitgebern wie z.B. Woodfin Suites jede Menge Druckmöglichkeiten auf ihre Beschäftigten in die Hand gegeben.

Keines der bisherigen Gesetze zwingt die Unternehmen dazu, Beschäftigte zu entlassen, deren Sozialversicherungsnummern nicht stimmen. Doch in dieser Legislaturperiode hat Bush eine neue Verwaltungsvorschrift eingebracht, nach der Unternehmer alle Beschäftigten entlassen müssten, deren Daten nicht stimmen. Die Verordnung wurde zwar nicht offiziell verabschiedet, doch die Unternehmen machen geltend, sie würden bereits jetzt nach ihr verfahren.

Bushs Vorschlag hat seine Wurzeln in einem politischen Deal. Fast seit Beginn ihrer Legislaturperiode hat die Bush-Regierung versucht, den Kongress zur Annahme eines Gastarbeiterprogramms zu bewegen, das von der »Essential Worker Immigration Coalition« (EWIC) entwickelt wurde, einer Vereinigung der 40 größten Industrie- und Handelskonzerne der USA, darunter Wal-Mart, Tyson Foods und Marriott. Zwei Jahre zuvor hatten die Senatoren Edward Kennedy und John McCain einen Gesetzentwurf eingebracht, der es großen Unternehmen ermöglichen sollte, 400000 Arbeitskräfte pro Jahr befristet anzuwerben. Verstärkte Durchsetzung von Sanktionen gegen Arbeitgeber – wie Bush’s Strategie der Razzien und der Kontrolle durch die Sozialversicherungsbehörden – würden Druck auf die Beschäftigten ausüben, sich an die Rahmenbedingungen des Programms zu halten. Unterdessen würden Immigrantinnen ohne Papiere, die sich bereits im Land aufhalten, die Gelegenheit erhalten, sich für ein vergleichbares Programm einzutragen – in der Hoffnung, dass sie dadurch vielleicht irgendwann einmal eine permanente Aufenthaltsgenehmigung er-halten.

Nachdem Senat und Repräsentantenhaus sich in der Auseinandersetzung um die verschiedenen Gesetzesinitiativen zur Einwanderungsreform letztlich nicht einigen konnten, setzte der Präsident auf die einzige Maßnahme, auf die sich alle verständigen konnten – verstärkte Sanktionen gegen die Arbeitgeber – und un-terbreitete den Vorschlag zu der neuen Richtlinie. Die Razzien der ICE und die Welle von Kontrollmitteilungen der Sozialversicherungsbehörden sind der praktische Ausdruck dieser Initiative.

Gastarbeiter vs. Legalisierung?

Sowohl die Verschärfung der Kontrollen als auch die politischen Hintergründe alarmieren die Gewerkschaften. Der US-amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO forderte 1999 eine Abschaffung der Sanktionen gegen die Arbeitgeber sowie ein großzügiges Legalisierungsprogramm, bessere Bedingungen für die Familienzusammenführung und eine Verstärkung von ArbeitnehmerInnenrechten. Der Dachverband war erklärtermaßen gegen neue Gastarbeiterprogramme. Die SEIU und die beiden Textilgewerkschaften, die sich später mit den HotelarbeiterInnen zu UNITE HERE zusammenschlossen, gehörten zu den Gewerkschaften, die diese Position nachdrücklich unterstützten. »Wir sind seit Einführung dieser Regelungen bis heute für die Aufhebung der Sanktionen gegen Unternehmen«, so Bruce Raynor, Vorsitzender von UNITE HERE. »Hier leben zwölf Millionen Menschen ohne Papiere, sie sind wichtig für die Ökonomie«, schäumt Raynor. »Sie haben ein Recht, Beschäftigung zu suchen, und die Arbeitgeber haben ein Recht, sie einzustellen. Der einzige Weg, damit umzugehen, ist, den Beschäftigten Rechte einzuräumen und eine Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft zu erwerben, zu eröffnen.«

Der AFL-CIO vertritt im Kongress nach wie vor seine Position von 1999. Doch die Gewerkschaftsbewegung hat sich im letztem Jahr gespalten an der Gesetzesvorlage von Kennedy/McCain. »Wir haben den Entwurf begrüßt, weil wir dachten, dass er unter gegebenen Bedingungen das einzig Machbare schien«, so Raynor. Sowohl seine Gewerkschaft als auch die SEIU argumentieren, dass striktere Sanktionen und ein Gastarbeiterprogramm ein akzeptabler Preis seien für eine Legalisierung.

Die Regierung treibt diesen Preis hoch. Die wichtigsten Organisierungserfolge – wie die 5300 Reinigungskräfte in Houston, die im vergangenen Jahr mit der SEIU ihren ersten Tarifvertrag erkämpft hatten – könnten problemlos zunichte gemacht werden. Der Terror infolge der Kontrollmitteilungen der Sozialversicherungen und der Abschiebungen bei Smithfield wird die dortige Organisierungskampagne ebenfalls treffen. Der UFCW-Vorsitzende Lauritsen erklärte, dass Razzien und Kontrollmeldungen nicht nur ein Angriff auf die Rechte der ArbeiterInnen seien, sondern die »Hintergrundmusik für [Einwanderungs-] Reformen, die nicht im Interesse der Lohnabhängigen sind. Warum wollen wir befristete Beschäftigte für dauerhafte Arbeitsaufgaben? Wenn Unternehmer ArbeiterInnen brauchen, warum geben wir den Menschen dann nicht Green Cards? Mit diesen Gastarbeiterprogrammen ist immer die Gefahr verbunden, dass die Menschen abgeschoben werden, sobald sie ihren Arbeitsplatz verlieren«.

Genau wie die Gewerkschaftsbewegung ist auch die Partei der Demokraten gespalten in der Frage der Einwanderung. Der kürzlich neu ernannte Vorsitzende des »House Intelligence Committee«, Silvestre Reyes, ein ehemaliges Mitglied der texanischen Grenzpatrouille, hatte letztes Jahr einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der Bush’s Verordnung begleiten sollte. Weitere Unterstützer fanden sich sowohl unter Demokraten als auch unter Republikanern. Der Parteistratege der Demokraten, Rahm Emmanuel, glaubt, dass eine konsequente Befürwortung härterer Sanktionen zur Schlüsselfrage bei den Wahlen in 2008 werden dürfte. Mit den Razzien, die die Demokraten fordern, riskieren diese jedoch eine Entfremdung von den Wählern an der Basis der Arbeiterbewegung und unter den Latinos, die den Demokraten letzten November zu ihren Wahlerfolgen verholfen hatten.

Letzten Herbst forderten das »Nationale Netzwerk für die Rechte von ImmigrantInnen und Flüchtlingen«, der AFL-CIO und Dutzende von Organisationen aus den ImmigrantInnen-Gemeinden ein Alternativprogramm, das eine Aufhebung der Sanktionen, keine Ausweitung von Gastarbeiterprogrammen und mehr Möglichkeiten für eine legale Einwanderung beinhaltete. Andere Gruppen, die an der Organisation der riesigen Demonstrationen der ImmigrantInnen im letzten Frühjahr beteiligt waren, haben vergleichbare Vorschläge diskutiert. Viele unterstützten die von Kongressmitglied Sheila Jackson Lee vorgelegte Gesetzesinitiative zur Legalisierung von MigrantInnen. Dieser Entwurf beinhaltete kein Modell für eine weitere Anwerbung von Arbeitskräften als GastarbeiterInnen, sondern stattdessen Arbeitsförderungsprogramme, um die Konkurrenz zwischen MigrantInnen und anderen Lohnabhängigen in Gegenden mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Doch die künftige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, versäumte es, Jackson Lee zur Vorsitzenden des »House Immigration Subcommittee« zu machen. Stattdessen ernannte sie ein Mitglied der Demokratischen Partei, das ein erklärter Befürworter der H1-B-Gastarbeitergesetze im Silicon Valley ist.

Raynor glaubt, dass die Mehrheit, die die Demokraten im Kongress haben, »eine Veränderung der Umstände bedeutet. Wir haben Kennedy/McCain unterstützt als das, was zu diesem Zeitpunkt möglich war. Jetzt sind andere Dinge möglich«. Wie Lauritsen auch meint Raynor, »wir würden eher Greencards als Weg zur Staatsbürgerschaft begrüßen als die Bereitstellung von GastarbeiterInnen«.

Während UNITE HERE und SEIU weiterhin eine Legalisierung der Sans Papieres und die Abschaffung der Sanktionen gegen Arbeitgeber zugunsten verbesserter Arbeitnehmerrechte fordern, haben sie nichtsdestotrotz ihre Zusammenarbeit mit der EWIC erneuert, die für die Einführung der Gastarbeiterprogramme steht. Der AFL-CIO dagegen ist immer noch entschieden gegen Letztere. Zusammen mit ihren Verbündeten in der Bush-Regierung wollen die Unternehmen der EWIC – Wal-Mart, Marriott und Tyson – einen Deal im Kongress durchsetzen, der als umfassende Einwanderungsreform sowohl die bislang gegen die Gewerkschafts-bewegung benutzen Waffen in Form von Razzien und Kontrollen beinhaltet, als auch diejenigen, die sie mit einem künftigen Gastarbeiterprogramm noch erhalten werden.

Es ist kein solcher Deal möglich, ohne die Rechte der migrantischen ArbeiterInnen zu verkaufen.

Übersetzung: Kirsten Huckenbeck

Der Text ist erschienen in »The Nation«, 19. Februar 2007


* David Bacon ist freischaffender Autor und Photograph. Von ihm sind u.a. erschienen: »The Children of NAFTA. Labor Wars on the US/Mexico Border«, University of California Press, 2004 und »Communities without Borders. Images and Voices from the World of Migration«, Cornell University/ILR Press, 2006

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/07


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