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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Keine Einheit in Sicht Strukturelle Schwächen und politische Spaltungen lähmen US-Gewerkschaften Im Wahlkampf konnte Barack Obama sich über die engagierte Unterstützung durch beinahe alle US-Gewerkschaften freuen. Doch in den Debatten zur Gesundheitsreform wird nun die Besteuerung der oft großzügigen Krankenversicherungen für Gewerkschaftsmitglieder als eine mögliche Finanzierungsquelle diskutiert. Die Arbeitsrechtsreform (Employee Free Choice Act, EFCA), welche den Gewerkschaften die Organisierung neuer Mitglieder erleichtern würde, ist zurückgestellt. Eine Neuverhandlung von NAFTA zu Gunsten des verbesserten Schutzes von Arbeitnehmerrechten ist vom Tisch. Warum profitieren die US-Gewerkschaften nicht von der Präsidentschaft Barack Obamas und der Wirtschafts- und Finanzkrise? Die Ursachen für die Schwäche und Lähmung der US-Gewerkschaften sind ganz überwiegend struktureller und historischer Natur. In den USA hat sich bekanntlich keine sozialistische oder sozialdemokratische Tradition entwickelt. Die amerikanischen Gewerkschaften haben zum einen nie vollständig den berufsgewerkschaftlich geprägten "Business unionism" mit seinem beschränkten Solidaritätsverständnis überwunden, weil auch das industriegewerkschaftliche Prinzip durch das Arbeitsrecht und die Organisierungspraxis betriebsbezogen angelegt ist. So werden die Gewerkschaften nicht als Vertreter allgemeiner, sondern nur partikularer Interessen wahrgenommen. Zum anderen haben die amerikanische Geschäftswelt und deren politische RepräsentantInnen das legitime Existenzrecht von Gewerkschaften niemals grundsätzlich akzeptiert. Diese Feindseligkeit wird durch den engen Bezug der Gewerkschaften auf den Betrieb verstärkt. Für die Unternehmen rechnet es sich, eine gewerkschaftliche Vertretung zu verhindern, die in jedem Betrieb aufs Neue durch Mehrheiten erkämpft werden muss. Dort, wo Arbeitskämpfe ausgetragen werden, sind diese häufig intensiver und auch gewalttägiger als in anderen westlichen Industriestaaten. So heuern viele Unternehmen antigewerkschaftliche BeraterInnen an, die zu gezieltem Rechtsbruch auffordern, wohl wissend, dass z.B. die Entlassung gewerkschaftlicher AktivistInnen zwar rechtswidrig, aber nur schwer nachzuweisen ist. US-ArbeitgeberInnen dürfen nämlich im Prinzip ohne jeden Grund fristlos kündigen. Schwach im Betrieb, stark an der Wahlurne Die amerikanische Gewerkschaftslandschaft ist im Ergebnis extrem fragmentiert. Es gibt einen Flickenteppich aus wenigen gewerkschaftlich organisierten und vielen nicht organisierten Betrieben. Der Organisationsgrad in der Privatwirtschaft liegt unter acht Prozent. Nur durch den recht gut organisierten öffentlichen Sektor repräsentieren die US-Gewerkschaften insgesamt noch einen signifikanten Teil der amerikanischen Beschäftigten, nämlich um die 13,5 Prozent. Allerdings liegt der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an den US-Bürgern, die zur Wahl gehen, sehr viel höher - und von diesen wählt eine große Mehrheit die Demokratische Partei. Hieraus müsste sich, so könnte man vermuten, ein gewichtiger Einfluss auf die Politik der Demokratischen AmtsträgerInnen ableiten. Die PolitikerInnen wissen jedoch auch, dass die Gewerkschaften im Zweiparteiensystem der USA ihre politischen BündnispartnerInnen nicht so einfach wechseln können, zumindest nicht kurzfristig. Deshalb konnte es schon bald nach dem quasi-sozialdemokratischen New Deal zu wiederholten Rechtsentwicklungen kommen, deren letzte seit den 1990er Jahren zum Siegeszug der "New Democrats" um Bill Clinton führte. Damit ist nicht gesagt, dass ein Präsident Obama mit seiner Vergangenheit als Community Organizer nicht empfänglich wäre für eine Politik im Sinne der Gewerkschaften, auch wenn diese angesichts der Machtverhältnisse im Senat, wo die Republikaner derzeit faktisch blockadefähig sind, kaum realisierbar ist. Doch von den Gewerkschaften kommen wenige Impulse und kaum Druck. Jenseits der traditionellen Schwäche der US-Gewerkschaften bleibt also die Frage nach den Ursachen ihrer derzeitigen Lähmung. Eine der vielen Erklärungen für die Abwesenheit einer klassenbasierten sozialdemokratischen Politik in den USA war die Sektiererei der Linken, welche Geschlossenheit und gesellschaftliche Akzeptanz verhinderte. Spaltungsprozesse zerreißen auch heute wieder die amerikanische Gewerkschaftsbewegung. Strukturell hat dies wiederum mit der im Gesetz angelegten Betriebszentriertheit zu tun. Grundsätzlich kann nämlich jede US-Gewerkschaft um das Vertretungsrecht jeder Belegschaft konkurrieren. Einen starken Dachverband, der die Einzelgewerkschaften zur Beschränkung auf eine Branche zwingen könnte, hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Viele amerikanische Gewerkschaften sind daher durch das Organisieren kampfbereiter Betriebe selbst zu unübersichtlichen Mini-Dachverbänden geworden. Aus organisationspolitischer Sicht war es insofern keine schlechte Idee, als die StrategInnen der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU (Service Employees International Union) vorschlugen, dass sich künftig wenige größere Gewerkschaften auf bestimmte Branchen konzentrieren sollten, statt überall zu wildern. (1) Dadurch könnte in der Tat eine größere Schlagkraft entstehen, da heute selbst die organisierten Betriebe eines Unternehmens manchmal von verschiedenen Gewerkschaften vertreten werden, was sich in Tarifverträgen mit unterschiedlichen Laufzeiten und einer völlig mangelhaften Koordination der gewerkschaftlichen Aktivitäten ausdrückt. Doch die SEIU-StrategInnen unterschätzten den politischen Widerstand der vielen kleinen Mitgliedsgewerkschaften des AFL-CIO. Im Jahr 2005 kam es zur Spaltung des Dachverbands. Zunächst schien diese Spaltung für einige Innovationsimpulse zu sorgen oder zumindest keinen Schaden anzurichten. Im neuen Verband Change to Win waren die in der Mitgliederwerbung aktiveren Gewerkschaften versammelt. Politisch arbeiteten die Mitgliedsgewerkschaften zusammen, die lokalen Zusammenschlüsse blieben bestehen und es kam zunächst kaum zu Konkurrenz bei Organisierungsbemühungen, u.a. auf Grund von klaren Absprachen. Dies ist heute anders. Zwei große Konflikte, bei denen es um Prinzipien, um Geld und um große Egos geht, haben dazu geführt, dass die US-Gewerkschaften vor allem mit sich selbst beschäftigt sind. Ganz aufzulösen sind die Vorgänge nicht, aber SEIU und ihr Präsident Andy Stern kommen in beiden Fällen nicht gut weg. Beide Konflikte resultieren letztlich aus gescheiterten Fusionen. SEIU ist seit langem die erfolgreichste Gewerkschaft in den USA, jedenfalls hinsichtlich neu organisierter Betriebe und damit neu gewonnener Mitglieder. Strategisch intelligent angelegte, gut finanzierte und diszipliniert durchgeführte Kampagnen zeichnen die Gewerkschaft aus. Zum SEIU-Wachstum gehörte aber immer auch die Übernahme kleinerer Einzelgewerkschaften oder Locals (lokale Gewerkschaftseinheiten) anderer Gewerkschaften. Die United Healthcare Workers West (UHW), eine große Gewerkschaft im Gesundheitssektor Kaliforniens, behielten auch nach ihrem Beitritt zu SEIU eine große Eigenständigkeit, etwa bei der Beteiligung der Mitglieder an Tarifverhandlungen. Sal Rosselli, bis zum Bruch in diesem Jahr Vorsitzender von SEIU-UHW, war Mitglied im Exekutivausschuss von SEIU und dort in strategische Entscheidungen eingebunden. Zwei dieser Entscheidungen sind nun Gegenstand des Konflikts. Zum einen will die SEIU-Führung größere, branchenorientierte Locals etablieren, was aber den Interessen lokaler Führungen (und auch von Mitgliedern) zuwider laufen kann. Zum anderen hat SEIU - wie auch andere Gewerkschaften, die aktiv Mitglieder durch Kampagnen organisieren - die Praxis etabliert, mit Unternehmen vor Beginn einer Kampagne Neutralitätsvereinbarungen auszuhandeln, in denen sich die Unternehmen zur Duldung der gewerkschaftlichen Organisierungsbemühungen verpflichten. Unternehmen können, wie erwähnt, sehr drastisch gegen gewerkschaftliche Aktivitäten vorgehen und es kann für die Gewerkschaften sehr teuer werden, Neutralität zu erzwingen. Problematisch wird die Praxis, weil SEIU in den Vorab-Gesprächen zu Zugeständnissen bereit ist, z.B. zum Verzicht auf bestimmte Forderungen in Tarifverhandlungen, die aus Sicht der KritikerInnen gegen die Interessen der künftigen Mitglieder verstoßen. Mini-Verbände konkurrieren um Mitglieder Im Falle von UHW trafen beide Strategien auf Widerstand. Weder wollten sich Führung, MitarbeiterInnen und wohl auch die Mehrzahl der Mitglieder den Restrukturierungsmaßnahmen unterwerfen, noch wollten sie die SEIU Verhandlungspraktiken akzeptieren. Manche BeobachterInnen behaupten allerdings, dass die demokratischen Bedenken von den Sorgen über die schrumpfende Macht inspiriert worden seien (die Restrukturierung hätte eine Verkleinerung des Machtbereiches von Rosselli bedeutet). Am Ende stand die Abspaltung von UHW, die nun unter dem Namen National Healthcare Workers West (NUHW) operiert und sich gegen die Versuche der weiter bestehenden SEIU-Sektion wehrt, in Repräsentationswahlen die Mitglieder zu übernehmen. Da solche Wahlen Betrieb für Betrieb durchgeführt werden müssen und jeweils von juristischen Manövern begleitet werden, dauert der unübersichtliche Konflikt nun schon seit Monaten an. (2) Die SEIU im Zentrum von Machtkonflikten Der zweite Konflikt hat eine größere nationale Bedeutung. Die Fusion der beiden Gewerkschaften UNITE und HERE machte auf den ersten Blick organisationspolitisch kaum Sinn, da Beschäftigte in der Textilindustrie (der Organisationsbereich von UNITE) und im Hotel- und Gaststättengewerbe (HERE) kaum Gemeinsamkeiten haben. Auf den zweiten Blick vereinten sich eine Gewerkschaft mit schrumpfendem Organisationsbereich - die Textilindustrie litt unaufhaltsam unter der Globalisierung - aber mit einigen Ressourcen (u.a. ist sie im Besitz der Amalgamated Bank) und eine finanziell klamme Gewerkschaft mit einem von Globalisierung und Digitalisierung unbeeindruckt wachsenden Mitgliederpotenzial. Die beiden Präsidenten Bruce Raynor und John Wilhelm orchestrierten eine Machtteilung. Raynor wurde erster Präsident; zukünftig würden wohl die HERE-Mitglieder die Mehrheit und damit den Präsidenten stellen. Zu einem solchen Machtwechsel kam es aber nicht. Die gegenseitigen Vorwürfe können hier nicht ausführlich diskutiert werden. Bedeutsam ist vor allem wiederum die Rolle der SEIU, denn Andy Stern bot Raynor an, ihn mit seinen Mitgliedern aufzunehmen. Dieser Schritt erfolgte vollkommen gegen die eigentlich geplante Konzentration auf wenige Branchen. Zu den Putzkolonnen, Sicherheitskräften, Krankenschwestern und öffentlichen Bediensteten der SEIU passen die TextilarbeiterInnen nicht, zumal sie weiterhin von der Globalisierung bedroht sind, von der sich Sterns SEIU eigentlich durch die Trennung von den traditionellen Industriegewerkschaften des AFL-CIO lösen wollte. So liegt der Verdacht nahe, dass es Stern vor allem um die Finanzmittel von UNITE gegangen ist. Und tatsächlich streiten die unter dem Dach der SEIU neu gegründete Workers United unter Bruce Raynor mit John Wilhelms Unite-Here, welche zurück im Hafen des AFL-CIO ist, nun gerichtlich über den Schatz der Amalgamated Bank und innergewerkschaftlich über die Aufteilung von Organisationsbereichen. (3) Bei den Namensgebungen der neuen (und alten) Gewerkschaften ist viel von Einigkeit ("unite") die Rede, doch gibt es überhaupt Hoffnung, dass die amerikanischen Gewerkschaften ihren selbstzerstörerischen, Unmengen an finanziellen und personellen und nicht zuletzt politischen Ressourcen verschwendenden Kurs beenden werden? Immerhin sind in beiden Konflikten einige namhafte Vermittler aktiv. Und hinter den Kulissen versucht seit einiger Zeit David Bonior, ehemaliger Demokratischer Abgeordneter aus Michigan, eine Wiedervereinigung der beiden Dachverbände zu erreichen. Um diesen Job kann man ihn wahrlich nicht beneiden. Artikel von Thomas Greven, erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 544 / 20.11.2009. Wir danken dem Verlag und dem Autor für die Freigabe! Anmerkungen: 1) SEIU selbst, eine alte Berufsgewerkschaft, ist diesbezüglich recht diszipliniert 2) Tatsächlich benutzen die Gewerkschaften hier ungeniert die Empfehlungen aus den Ratgebern der antigewerkschaftlichen Consultants - zusätzlich zu den traditionellen ruppigen Gewerkschaftspraktiken. 3) Unite-Here setzt sich auf einer eigens eingerichteten Webseite mit der SEIU auseinander (www.wrongwayseiu.org ). Auch die NUHW unterhält eine eigene "SEIU-Sektion" auf ihrer Homepage (www.nuhw.org/seiu ). Die große SEIU schweigt sich dagegen auf ihren Webseiten zum Thema aus. ak - analyse & kritik |