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Updated: 18.12.2012 15:51
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Orange? Blau? Oder einfach: Gelb?

Je nach politischer Position wird in den Medien Europas über Demonstrationen in der Ukraine berichtet - sowohl über "orangene" vor allem in Kiew, als auch über "blaue" vor allem in den östlichen Bergbau-Regionen. Gewerkschaften kommen dabei bestenfalls am Rande vor und dennoch spielen sie keine unwesentliche Rolle in den ganzen Auseinandersetzungen nach der Präsidenten-Stichwahl vom November 2004, die inzwischen offiziell als ungültig beurteilt wird.

Hiermit soll ein Überblick über die Rolle der Gewerkschaftsbewegung in dieser Auseinandersetzung versucht werden, dessen wesentliche Quellen am Ende des Beitrags verlinkt sind.

Die politische Situation in der Ukraine Ende 2004 - eine kurze Skizze

Die gängigen politischen Analysen der gegenwärtigen Situation - sofern wenigstens ansatzweise kritisch - bewegen sich in der Regel zwischen "Der Böse gegen den Korrupten" und Hinweisen darauf, dass es etwa in beiden Lagern rechte, faschistoide Strömungen und Gruppierungen gibt.

Ein ganz wesentliches Ergebnis dieser Präsidentschaftswahlen aber bleibt dabei meist unberücksichtigt: der Totalabsturz der KP der Ukraine. Noch bei der Präsidentschaftswahl 1999 war ihr Kandidat Symomenko mit 38 Prozent der Stimmen zweiter geworden - 2004 blieb der KP Kandidat bei gerade 5 Prozent. Und auch wenn diese KP alles getan hat (inklusive Zustimmung zu Privatisierungsprogrammen etc - die in den Länder der früheren UdSSR ja in der Regel nicht nur Massenentlassungen usw bedeuten, sondern, da betrieblich aufgebaut, gleichzeitig auch Verlust sozialer Sicherungseinrichtungen), um als realpolitische Kraft zu gelten, spielt sie im Kampf der Oligarchen keine Rolle mehr. Die katastrophale Wahlniederlage der KP aber bedeutet auch, dass die traditionelle Linke in der Ukraine insgesamt im Niedergang ist, unabhängig davon, was mensch von der KP halten mag (die im übrigen in der UdSSR etwa 3,5 Mio Mitglieder hatte und heute noch 150.000).

Auf "beiden Seiten" der Konfrontation der Sieger des ersten Wahlgangs sind dann vielfach den jeweiligen Kandidaten unterstütztende "Wirtschaftsclans" benannt worden: Denn auch die Oppositionskandidaten Yuschenko und Timoschenko hatten bereits die Ämter des Premierministers bzw seiner Stellvertreterin inne (ab 1999), Yuschenko war zuvor sechs Jahre lang Chef der ukrainischen Notenbank - also jemand der völlig zum postsowjetischen "Establishment" gehört.

Und Yanukovich, der zunächst zum Sieger erklärte, ist keineswegs so umstandslos der "Mann Moskaus", als der er - auch und gerade in den westlichen Medien - heute dargestellt wird: er hatte sich beispielsweise dafür eingesetzt, ukrainische Soldaten in den Irak zu schicken, was er auch durchsetzte. Die heutigen Kontrahenten samt ihrer wichtigsten Bündnispartner kennen sich meist sehr gut aus gemeinsamen KP Zeiten der 80er Jahre.

Währenddessen ist die soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung schlechter geworden, auch wenn in den letzten Jahren "positive Meldungen" zunahmen (so wurde für 2003 offiziell ein Wirtschaftswachstum von 9 Prozent angegeben, für die ersten neun Monate 2004 gar 12 Prozent): bester Beweis dafür ist die millionenfache Migration der letzten zehn Jahre. Unterschiedliche Zahlenangaben reichen bis zu 10 Prozent der Bevölkerung (rund 47 Millionen Menschen), die das Land verlassen hätten.

Auch die über 11 Millionen Rentner (darunter viele frühzeitig "privatisierte") im Lande bekommen erst seit Herbst 2004 wenigstens jene 54 US Dollar im Monat, die behinderten Menschen zustehen.

Insgesamt ist die Zahl der Beschäftigten in der Ukraine seit 1991 um über 30% gesunken, die offiziell angegebene Erwerbslosenquote beträgt 12 Prozent, alle näheren Informationen sprechen stets von etwa 20 Prozent.

Mag die Lage in den ostukrainischen Industriezentren auch noch besser sein als im Rest des Landes, so gibt die oft vertretene These "Russen gegen Ukrainer" (gleich industrieller Osten - agrarischer Westen) wenig her: Das Zentrum der Proteste war das vorwiegend russisch sprechende Kiew.

Die gewerkschaftlichen Organisationen der Ukraine...

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Ukraine liegt - zumindest formell - immer noch sehr hoch, obwohl die Mitgliederzahl in den letzten Jahren stark abgesunken ist.

Ende 2003 gab es laut ILO exakt 101 registrierte Gewerkschaften, von denen 42 "traditionelle" den FPU bilden und 59 neugegründete (neugegründet seitdem der Zentralverband FPU aus den alten sowjetischen Gewerkschaften hervorging). Die "Confederation of Free Trade Unions of Ukraine" - die im Gegensatz zur FPU dem IBFG angeschlossen ist, besteht aus 28 Mitgliedsgewerkschaften, während 31 unabhängige Gewerkschaften registriert waren - von denen die Unabhängige Bergarbeitergewerkschaft (Mitglied bei der ICEM, der Chemie und Energie Internationalen) und die NPGU (die Piloten, Bodenpersonal, Lokführer usw organisiert) die bekanntesten und grössten sind.

Die Mitgliedszahlen des FPU waren im Laufe von 2003 von 14,5 auf 12 Millionen gefallen, die aller anderen zusammen von fast 3 auf knapp über 2 Millionen Mitglieder, wobei die Unabhängigen etwa 1,5 Millionen Mitglieder haben. Neben Erwerbslosigkeit und vielerlei Kritik an Gewerkschaften sowie einer generell "beklagten" politischen Apathie dürfte dafür auch die Tatsache veranwtortlich sein, dass etwa Krankenversicherungen usw seit einiger Zeit nicht mehr an Gewerkschaftsmitgliedschaft gekoppelt sind.

... und ihre Aktivitäten

Der grösste Gewerkschaftsbund der Ukraine, die Federation of Trade Unions of Ukraine (ukrainische Abkürzung FPU), hat auf einer Sondersitzung seines Präsidiums am 26.November 2004 seinem bisher einzigen Vorsitzenden Oleksandr Stoyan das Mißtrauen ausgesprochen und ihn abgesetzt und Grigoriy Osovy an seine Stelle gewählt - seinen bisheriger Stellvertreter. Stoyan wurde von den anderen Präsidiumsmitgliedern für die Unterstützung Yanuschenkos durch diesen Gewerkschaftsbund bei der Wahl verantwortlich gemacht (wobei allerdings vorher nichts darüber bekannt war, dass es in diesem Präsidium der FPU etwa eine Kampfabstimmung oder ähnliches gegeben hätte...) Dass der Verband die Wahl des noch amtierenden Präsidenten Kutschma - der als der Macher der Kandidatur Yanukowitschs gilt - vor 5 Jahren noch einhellig begrüsst hat, wurde wohl nicht debattiert.

Die FPU - in der auch Betriebsdirektoren usw Mitglied sein können - gilt insgesamt als sehr regierungsnah (so war Stoyan gleichzeitig Abgeordneter einer Regierungspartei) - und ist einer wachsenden auch inneren Kritik ausgesetzt - dafür war die Aktion des Präsidiums bestes Indiz, denn Stoyans Abwahl wurde mit "Kritik in der Mitgliedschaft" begründet. Ihre starke Stellung hält sie im wesentlichen Dank der Tatsachen, dass sie a) alle Güter der sowjetischen Gewerkschaften alleine "erbte" und b) dass per Gesetz vorgeschrieben ist, im Falle des Scheiterns von Tarifverhandlungen auf Betriebsebene, in denen es mehrere Gewerkschaften gibt, zunächst ein Tarifvertrag mit der stärksten Gewerkschaft anzustreben sei - in der Regel eben die jeweilige FPU Gewerkschaft.

Im Juni 2004, beim Verkauf (von 93% der Aktien) des bis dahin staatlichen grössten ukrainischen Stahlproduzenten "Kryvorizhstal" (56.000 Beschäftigte) machte der FPU sich stark für einen "ukrainischen Käufer" - davon gab es nur eine Gruppe, die dann auch für etwa 800 Millionen US Dollar den Zuschlag erhielt. Obwohl beispielsweise US Steel 1,2 Milliarden US Dollar geboten hatte. Aber zu den amtlichen Bedingungen gehörte, dass das kaufende Unternehmen selbst mindestens 1 Million Tonnen Kohle fördere, und diese Bedingung erfüllten nur die Ukrainer: Die "Investment-Metallurgical Union" im Besitz von Viktor Pinchuk, Präsident Leonid Kuchmas Schwiegersohn zusammen mit der "System Capital Management company", die von Rynat Akhmetov kontrolliert wird, einem Geschäftsmann (viele sagen: der reichste Ukrainer) aus dem Donetskbecken, woher auch Kutschma kommt. Auch Pinchuk ist Abgeordneter einer Regierungspartei...Der FPU war auch damit zufrieden - natürlich alles nur, weil Ukrainer angeblich weniger entlassen, eine Position, die ja auch bei Gewerkschaften anderswo nicht eben selten ist.

Die "Confederation of Free Trade Unions of Ukraine" (ukrainisch KVPU) hatte sich bereits am 24.November 2004 mit einem Brief an den IBFG gewandt mit dem eindringlichen Hinweis auf massive Einschüchterungen am Arbeitsplatz vor der Wahl. Der KVPU hatte sich in den letzten Jahren mehrfach an die ILO gewandt, um Klage gegen die Regierung zu führen wegen der Arbeits- und Gewerkschaftsgesetze, die nicht mit den - von der Ukraine unterzeichneten - entsprechenden ILO-Konventionen über Gewerkschaftsfreiheit vereinbar wären. Dementsprechend ergaben sich auch wachsende Verbindungen zu den Oppositionsparteien. Dass dieser verband aber eine andere Haltung als die FPU zur Privatisierung im Dienste in- und ausländischer Profiteure eingenommen hätte - davon ist nichts bekannt.

Die Bergarbeitergewerkschaften im Donezkbecken - und die Einführung der Demokratie

Die Kohlezechen waren über Generationen hinweg das wirtschaftliche Rückgrat der Ukraine - und bis heute sind die Arbeitsbedingungen dort so, dass die ukrainischen Bergarbeiter die zweithöchste Todes- und Unfallrate der Welt (nach China) haben. Und: In den letzten Jahren musste der Staat jeweils ca 7 Prozent seiner Ausgaben zur Subventionierung der Kohlezechen ausgeben. Die Kohleförderung ist seit 1991 um 50 Prozent reduziert worden.

In den grossen Streikbewegungen der Jahre 1993 und 1994 war es speziell den Bergarbeitergewerkschaften gelungen, ganz wesentliche Teile der Bevölkerung für einen Rücktritt der damaligen Regierung zu mobilisieren - sein Amt als Ministerpräsident niederlegen musste der ehemalige Generaldirektor der Raketenfabrik "Juschmasch" in Dnjepropetrowsk, Leonid Kutschma, der he. Noch 1996 erreichte eine grosse, zunächst spontane Streikbewegung der Bergarbeiter einen einstweiligen Stopp des Privatisierungsprogramms. Und wenn von "demokratischer Erneuerung" in der Ukraine gesprochen wird: damals gab es in den Städten des Ostens ohne Ende Versammlungen auf den Strassen und jede Menge Flugblätter und selbstverlegte Zeitungen...

Heute gibt es im wesentlichen vier Gewerkschaften in den Bergwerken - die allerdings durch die reduzierte Zahl der Belegschaften und die jahrelange Gewöhnung an das Schlagwort der Erfordernisse der Marktwirtschaft wesentlich geschwächt sind. Neben den Gewerkschaften der beiden Föderationen und einer Angestelltengewerkschaft ist das vor allem die "Unabhängige Gewerkschaft der Bergarbeiter des Donbass" - die in den 90er Jahren die wesentliche Kraft der starken Bewegung gewesen war. Die dem KVPU angehörende "Unabhängige Gewerkschaft der Bergarbeiter der Ukraine" hatte bereits in den letzten Jahren einigen "Boden" gut gemacht, indem sie sich vor allem den brennenden Problemen der Arbeitssicherheit widmete - und ist heute recht eng mit der (jetzt in Opposition befindlichen) Partei der ehemaligen stellvertretenden Premierministerin Timoschenko verbunden; der Gewerkschaftsvorsitzende Mykhailo Volynets sitzt für die Partei im Parlament. Währenddessen gab der Vorsitzende der FPU Bergarbeitergewerkschaft bekannt, sie seien bereit für die Verteidigung des "Wahlsiegs Yanukowitschs" nach Kiew zu marschieren...

Mediengewerkschaften - Sonderrolle oder Opportunismus?

Die Mediengewerkschaften (der KVPU) - speziell die TV-Beschäftigten - wurden in den letzten Wochen von allen Seiten gelobt (ausser von der amtierenden Regierung, versteht sich) wegen ihres Mutes, die Zensur zu durchbrechen. Selbstverständlich spielen die Medien gerade in angespannten Situationen noch einmal eine besondere Rolle, und sicher gehört Mut dazu, sich der direkten Zensur entgegenzustellen (von ökonomischer und ideologischer Selbstzensur wie im Westen einmal zu schweigen). Aber so ganz glänzend schneidet auch die Mediengewerkschaft nicht ab: Denn es sollte nicht vergessen werden, dass 1996 niemand die "Zensur durchbrach", die Infokanäle auf alternative Wege beschränkt blieben.

Der Versuch einer Zusammenfassung

Geschwächte Gewerkschaften haben sich - zumindest ihre aktivsten Teile - in der Regel "Orange" angeschlossen, auch die Bergarbeiter sind bei weitem nicht "einheitlich" gesinnt und eine echte Alternative zu entwickeln scheinen sie nicht nur nicht mehr in der Lage, sondern auch nicht mehr gewillt.

Da muss es denn ausreichen, sich auf jene Seite zu schlagen, die ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit verspricht - und vielleicht das Investitionskapital irgendwie einführt, das eine kapitalistische Ukraine dringend braucht. Im Farbenspektrum hiesse das: Haupttendenz Orange mit einem kräftigen Schuss Gelb, während Blau gewerkschaftlich blass wirkt, trotz aller Zahlen.

Einige Quellen dieser Darstellung

1. "Die Ukraine : Zeit der Unabhängigkeit"

Eine ältere Studie von Henrik Bischof externer Link für die Aussenpolitikforschung der Friedrich Ebert Stiftung, inhaltlich wie zu erwarten aber mit viel Material über die frühen 90er Jahre

2. "Ukraine’s counterfeit left and the Parliamentary Elections: A Shameful Affair"

Ein polemischer (englischer) Bericht von Christopher Ford vom April 2002 externer Link in "Spectrezine"

3. "Can trade unions protect Ukrainian miners' rights?"

Ein (englischer) Bericht aus 2002 von Boris Dodonov externer Link im Portal "Ukraine Weekly"

4. "Ukraine between two elections and om the eve of a new era"

Eine (ebenfalls englische) Analyse von Taras Kuzio externer Link, geschrieben zwischen Parlaments- und Präsidentschaftswahl, bei der "University of Manitoba"

...sowie zahlreiche Presseartikel, ein paar alte Flugblätter und die homepages des IBFG externer Link und der ICEM externer Link

(Helmut Weiss)

 


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