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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Besuch bei den TEKEL-ArbeiterInnen in Ankara Brief von Stephan H., Aktivist im Komitee "Wir sind der GHB". Dieses Komitee entstand im letzten Sommer, nachdem über 1000 KollegInnen in den bremischen Häfen entlassen wurde. Lieber Dieter, wie Du wahrscheinlich mitbekommen hast, war ich bei den streikenden TEKEL-Arbeitern in Ankara. Was ich da erlebt habe, kann man kaum in Worte fassen. Eine Mischung aus Stolz, Verzweiflung und Entschlossenheit. Wir waren eine Delegation aus sechs Arbeitern (Daimler, Becks und Hafen) aus Bremen und als wir in der Zeltstadt ankamen, wurden wir von allen willkommen geheißen. Wir wurden dann zum Gewerkschaftshaus begleitet, vor dem eine Kundgebung stattfand. Es war eine ganz besondere Atmosphäre, ich war so was von beeindruckt. Mir fehlten im ersten Moment die Worte. Als wir dann im Gewerkschaftshaus begrüßt wurden, gingen wir wieder nach unten und traten vor die Arbeiterinnen und Arbeiter. Als erstes sprach unser türkischer Kollege Ibahim (Daimler Bremen) zu den Arbeitern, ich verstehe kein türkisch, aber die Emotionen waren überwältigend, da standen Arbeiter mit Tränen in den Augen. Ibrahim stockte kurz, weil ihm die Stimme weg blieb und auch wir anderen, die die türkischen Worte nicht verstanden, waren emotional stark angetan. Wir legten immer wieder kleinere Gesprächspausen ein, in denen die Arbeiter ihre durchdringenden Parolen lautstark zur Geltung brachten. Wir bekamen viel Applaus und Hochachtung von den Arbeitern. Danach gingen wir in Richtung Zelte, um mit den Arbeitern zu reden, aber wir kamen nicht weit - es bildete sich sofort eine Traube um uns, jeder wollte uns die Hand schütteln und mit uns reden. Wir zogen den ganzen Tag durch die Zeltstadt und sprachen mit so vielen Arbeitern. Wir hörten von so vielen Schicksalen und sprachen auch immer wieder über Politik. Zwischenzeitlich besuchten wir auch die Hungerstreikenden, die zu diesem Zeitpunkt schon seit sieben Tagen im Hungerstreik waren. Es war erschreckend, wie schlecht es diesen Menschen ging und mich überkam wieder dieses unbeschreibliche emotionale Gefühl. Immer wieder hörten wir: "Dann sterbe ich halt hier". Eine Frau berichtete, wie sie von der Polizei verprügelt worden war, und wie man Tränengaskartuschen vor ihr Gesicht geschoben hatte. Nur, weil sie sich schützend vor hungerstreikende Frauen gestellt hatte. Am Abend war ein Fackelmarsch geplant, und man berichtete uns, daß heute ein verdammt großes Polizeiaufgebot da ist. Man weiß nicht genau warum, aber es könnte sein, daß die den Fackelmarsch verhindern wollten. Als es dann soweit war, bekamen wir die Ehre, mit unserem Transparent, das wir aus Deutschland mitgebracht hatten, den Fackelmarsch anzuführen. Vor uns weg liefen zirka fünf Kamera-Teams und ein Dutzend Reporter, die ununterbrochen fotografierten. Pausenlos donnerten die Sprechchöre. Wir liefen ca. einen Kilometer, kamen an Hundertschafen behelmter Polizisten vorbei und wurden die ganze Zeit von zivilen Staatsdienern mit Knopf im Ohr und vertecktem Funkgerät verfolgt. Wir blieben fast die ganze Nacht bei unseren Freunden, was mich aber belastete, war diese Hoffnung und diese Erwartungen, die man an uns hat. Auf der einen Seite möchte man keine Hoffnungen zerstören und auf der anderen Seite mußten wir ehrlich sein. Diese Menschen haben den größten Respekt und alle Hilfe verdient, die man organisieren kann. Ich habe etwas oberflächlich geschrieben, soll einfach nur ne Vor-Information sein. Wenn ich alles wiedergeben sollte, was ich da in zwei Tagen erlebt habe und was ich den Gesichtern der Streikenden gelesen habe, müßte ich ein ganzes Buch verfassen. Mit besten Grüßen, Stephan H. Mail an die Redaktion des LabourNet Germany vom 17.02.2010 |