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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Mit Brecht und Zitronen gegen den Neoliberalismus Tabakarbeiter in der Türkei kämpfen seit einem Monat gegen ihre Entlassung „Diese Regierung versteht nur Härte“, kündigte der Vorsitzende der türkischen Lebensmittelarbeitergewerkschaft Tek Gida-Is, Mustafa Türkel, neue Kampfmaßnahmen zu Beginn des zweiten Protestmonats von Tausenden Beschäftigten des staatlichen türkischen Tabakmonopols Tekel an. Am Freitag begannen Tekel-Arbeiter einen dreitägigen Sitzstreik vor der Zentrale des Gewerkschaftsverbandes Türk-Is-Zentrale Ankara. Anschließend wollen sie in einen dreitätigen Massenhungerstreik treten. Lenkt die Regierung dann immer noch nicht ein, drohen die Arbeiter mit unbefristeten Todesfasten. „Lieber Tod als Kapitulation“ rufen sie. Als Sami Evren, der Vorsitzende der linksgerichteten Dienstleistungsgewerkschaft KESK am Freitag einen gemeinsam von allen grossen Gewerkschaftsverbaenden organisierten Generalstreik fordert, jubelt die auf mehrere Tausend Demonstranten angewachsene Menge vor der Gewerkschaftszentrale. Nach dem Verkauf der Tabakproduktion an den Lucky-Strike-Produzenten British-American-Tobacco im Jahr 2006 will die islamisch-konservative AKP-Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan 2010 alle noch in staatlicher Hand befindlichen Tekel-Lagerstätten schließen. Damit droht rund 12000 Arbeitern der Verlust ihres Arbeitsplatzes oder die Überführung in eine 11-monatliche Kurzarbeit mit massiven Lohneinbußen und dem Verlust aller erworbenen sozialen Rechte. Rund 1300 Tekel-Arbeiter kampieren bereits seit Mitte Dezember zuerst in einem Stadtpark und sind inzwischen bei Gastfamilien untergekommen. Sie versammeln sich tagsüber zu Kundgebungen vor der Türk-Is-Zentrale mitten im belebten Kizilay-Geschäftsviertel von Ankara. Die Solidarität der Bevölkerung ist groß. Anhänger der linksalternativen Partei für Freiheit und Solidarität ÖDP und der Halk Evler Volkshaueser organisieren das tägliche Frühstück für die Arbeiter. Hausfrauen bringen heissen Tee und frisches Börek, eine Familie schlachtete ein Lamm. Längst ist der Tekel-Protest zu einem Fanal für alle unter der neoliberalen Regierungspolitik leidenden Teile der Bevölkerung geworden. Feuerwehrleute, Eisenbahner und andere Staatsangestellte haben Solidaritätsstreiks durchgeführt. Landarbeiter haben eine ganze LKW Ladung mit Zitronen gespendet die an die Streikenden verteilt werden. Es geht nicht um Vitamine. Die Saure soll vielmehr im Falle von Tränengasangriffen der Polizei helfen. Zu Beginn der Proteste Mitte Dezember hatten Spezialeinheiten der Polizei die Gewerkschafter mit Pfefferspray und Wasserwerfern attackierte. Zahlreiche Arbeiter wurden verletzt, einem droht eine bleibende Lähmung. Auch letzte Woche – nachdem über 8000 Tekel-Arbeiter in einer landesweiten Urabstimmung nahezu einstimmig für die Fortsetzung ihrer Proteste votiert hatten - nahm die Polizei Dutzende von ihnen vorübergehend fest. Für diesen Samstag hatte der kemalistische Gewerkschaftsdachverband Türk-Is eine landesweite „Demonstration für Brot, Frieden, Freiheit, Demokratie und Recht“ in der Innenstadt von Ankara geplant. Auch die linksgerichteten Gewerkschaftsverbände DISK und KESK riefen dazu auf. Doch aus „allgemeinen Sicherheitserwägungen“ verbot der Gouverneur von Ankara diese Kundgebung und erzwang eine Verschiebung auf Sonntag wenn viele der aus entfernten Landesteilen angereisten Gewerkschafter bereits wieder auf dem Heimweg sein werden. Der Massenaufmarsch würde den Straßenverkehr zum Erliegen bringen und den Umsatz der Geschäfte sinken lassen, führt Gouverneur Kemal Önal seine fadenscheinigen „Sicherheitsbedenken“ gegenüber einer Gruppe von Gewerkschaftern aus Deutschland und Frankreich aus, die ihm eine Protestresolution überreicht hatten. Im Übrigen sei die ganze seit einem Monat stattfindende Kundgebung vor der Gewerkschaftszentrale illegal. Am Anfang ihrer Proteste skandierten die Tekel-Arbeiter noch die nationalistische Parole „Unser Kampf für Brot – unsere Liebe Türkei“. Doch inzwischen sind nationalistischen Slogans weitgehend der Losung gewichen „Für die Brüderlichkeit der Völker.“ Gemeint sind die Völker der Türkei. Die Hälfte der Tekel-Arbeiter stammt aus den kurdischen Landesteilen. Auf einem Transparent am Gewerkschaftshaus stehen die Namen kurdischer Tekel-Standorte wie Diyarbakir und Mus neben westtürkischen wie Izmir und Istanbul. Viele der immer wieder Halay tanzenden Arbeiter tragen selbstbewusst ihre Pusus – traditionelle schwarz-weiß gemusterte kurdische Tücher wie sie auch die Partisanen in den Bergen haben. Der erste Vorsitzende der Gewerkschaft Tek Gida Is, Mustafa Türkel, sympathisierte frueher mit rechten tuerkisch nationalistischen Gruppierungen, sein Stellvertreter Mecit Amac stammt aus Diyarbakir spricht mit kurdischem Akzent. Er betont, dass die Tekel-Arbeiter auch die linke kurdische Partei für Frieden und Demokratie BDP im Parlament besucht haben. „Unser gemeinsamer türkisch-kurdischer Kampf überwindet den Chauvinismus“, meint der für die Arbeit in den kurdischen Landesteilen zuständiger Gewerkschaftssekretär Servet Akbudak. Und ein Arbeiter vom Schwarzen Meer, der der Minderheit der Lasen angehört, erklärt: „Dieser Streik ist die wahre demokratische Öffnung der Türkei“. Damit spielt er auf die von der Regierung im vergangenen Jahr vollmundig versprochene „demokratische Öffnung“ an, auf die bislang keine Taten folgten. Eine immer wieder skandierte Parole der Tekel-Arbeiter lautet uebersetzt: „Keiner oder alle. Alles oder nichts. Einer kann sich da nicht retten. Gewehre oder Ketten. Keiner oder alle. Alles oder nichts.“ Bertold Brecht würde sich freuen dass sein Kampfruf jetzt auch in Anatolien erklingt Artikel von Nick Brauns, Ankara, vom 16.01.2010 |