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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gafsa: Ben Alis Polizei kann Proteste nicht stoppen - seine Partei auch nicht

Zuerst ließ der große (Wohl)Täter verhaften und verprügeln, dann mußte sich sein Parteisekretär von den Protestierenden verjagen lassen: die Region Gafsa kommt nicht zur Ruhe, Rationalisierungen in den Phosphatminen und die auch in Tunesien heftigen Preissteigerungen für Lebensmittel sind zuviel für die Menschen. Bereits seit Januar gibt es heftige Proteste, die nur von der Mediencamarilla des eigenen Landes noch ignoriert werden. Die Materialsammlung "Gafsa revoltiert" vom 17. April 2008 informiert und ruft zur Solidarität gegen Polizeiverfolgung auf.

Gafsa revoltiert

Adnan Birbaoun (Name geändert) ist ein langjähriger Aktivist im Gewerkschaftsbund UGTT, in Gafsa geboren, heute in Tunis. Der 49 Jahre alte Lehrer gab uns am Telefon einige Auskünfte und Sichtweisen zur aktuellen Lage in Südtunesien.

Haben die Aktionen der Polizei Wirkung auf den Protest gezeigt?

Ja natürlich haben sie - das sind ja keine Politprofis, die vielen Tausend die da protestieren, die haben ja nicht unbedingt damit gerechnet, dass sie verfolgt, verhaftet, geschlagen werden. Das sind erstmal einfach Menschen, die wegen ihrer Lage protestieren - und natürlich bekommen sie Angst, wenn uniformierte Terrorsiten auf sie einprügeln. Auf der anderen Seite, und vor allem, muß man sehen - trotzdem gehen die Proteste weiter, immer weiter - sie überwinden ihre Angst.

Der Süden Tunesiens, das sind Phosphatminen, das wurde doch einmal als der Reichtum Tunesiens bezeichnet, warum jetzt diese Armutsproteste?

Zum einen generell: Ich kann es nicht mehr hören - Tunesien ist eigentlich reich, Algerien, Marokko, Niger und Tchad und Nigeria und Südafrika sowieso, alle sind eigentlich reich, aber eigentlich ist auch Kapitalismus und der verhindert, dass das real ist. Und dann wurde hier genauso vorgegangen wie überall, rationalisiert, entlassen und so weiter - und wer arbeitet, ist trotzdem arm.

Spricht man in Tunesien über diese Proteste?

Hinter vorgehaltener Hand überall, öffentlich natürlich nicht - es gibt sie ja nicht. Zeig mir einen einzigen Bericht darüber, der auch nur einen Anflug von Realität hat - weder in den Zeitungen, noch gar im Fernsehen, in Aliland geht alles voran. Was sich jetzt zeigt, ist dass die Regierung mit ihrer jahrelangen Verfolgung von Netzaktivisten recht hatte.

Wie das?

Nun die stören und zwar gewaltig - jetzt gibt es das erste Mal so etwas wie eine Art Bündnis zwischen den Bloggern und den arbeitenden Menschen - in den Blogs kannst Du alles über die Proteste lesen, was die unterwürfige Journaille nicht bringt, alles. Deswegen gibt es da auch wieder Festnahmen, aber es tauchen immer neue auf. Das könntet Ihr ruhig mal bringen, wer sich dafür interessiert kann viel erfahren, auch auf französisch, nicht nur arabisch.

Festnahmen gab es ja auch bei den Protesten - was ist damit?

Ja sie haben unter anderen Adnan Haji verhaftet, ein ganz langjähriger Funktionär und Aktivist - das muß man bei der UGTT immer besonders sagen, das ist nicht selbstverständlich, Funktionär und Aktivist - der Lehrergewerkschaft, seine Frau macht einen Hungerstreik vor dem Gewerkschaftsbüro, die UGTT traut sich wieder mal nicht recht, obwohl man sagen muß, dass sich in den letzten Jahren dann doch an der Basis etwas bewegt hat.

Und wie ist die Situation in Gafsa, wie war es für Dich, sozusagen nach Hause zu kommen?

Nun Gafsa ist weit weg von Tunis, selbst im kleinen Tunesien. Ich war länger nicht dort, aber die freundliche Stadt von einst ist es nicht mehr - die Minengesellschaft CPG steht eventuell vor dem Aus und das kratzt am Selbstverständnis, anderswo gibt es auch Menschen die sagen so, jetzt bekommen es die auch mal ab - Tunesien ist vielfach gespalten, nicht ethnisch, sondern, in Ermangelung regional: die Sfax-Mafia - da kommt unser Oberster her - war bei den Protesten immer auch ein Thema. Und man kann regelrecht sehen, dass die Stadt, die Menschen ärmer geworden sind. Auf der anderen Seite gibt es auch ein paar Traditionen in Gafsa - gute wie schlechte. So wurde eine Demonstration für den Herrn Ali organisiert, er solle sich bitte zur Wiederwahl stellen - und natürlich gab es für die Teilnahme auch Geldgeschenke, aber das war nicht das wesentliche.

Sondern?

Die schlechte Tradition dass jene Schichten, die man anderswo wohlhabenden Mittelstand nennen würde, die aber natürlich auch von ihnen abhängige und beeinflusste Menschen mobilisieren, hier immer ganz besonders unterwürfig waren - und sind, sie haben diese Demonstration organisiert. Auf der anderen Seite - auch das könnt Ihr in diversen Blogs lesen, falls sie noch nicht verboten wurden - war der Sekretär der Regierungspartei hier, um gut Wetter zu machen und mußte fluchtartig abreisen, das ist die gute Tradition hier, dass im Unterschied zur Mittelschicht das einfache Volk, bei allen seinen Schwächen immer einen Schuß Antiautoritarismus hatte und hat - und einen Sinn fürs Lächerliche.

Und wie siehst Du die weiteren Perspektiven?

Nun, die Revolte dauert jetzt schon drei Monate, mal mehr, mal weniger, aber immer da, permanent. Zusammengebraut hatte sie sich schon viel länger. Die Polizeistaatsmethoden haben bisher wenig gefruchtet. Ich denke, die Herrschenden werden einstweilen versuchen, weiterzumachen wie bisher: ein paar kleinere Zugeständnisse diskutieren, dann vielleicht auch machen, die wichtigen Leute der Bewegung einsperren und darauf hoffen, es verlaufe sich.

Und? Klappt das?

Bisher hat es meist geklappt, diesmal gibt es ein paar Faktoren, die es fraglicher machen. Die Breite und Dauer der Protestbewegung beispielsweise, und aber auch das erwähnte sozusagen Bündnis, denn ein traditionelles Problem in Tunesien ist das Nebeneinander von verschiedenen Protesten, wenn es gelingt, das ein Stück weit aufzuheben, Menschen zusammenkommen, die noch nie zusammen waren, und ein wesentlicher Verknüpfungspunkt dabei ist die Tatsache, dass überall ganz viele Jugendliche und junge Leute beteiligt sind, wenn es sich so entwickelt, dann alerdings könnte es anders ausgehen.

Danke.

Zensur, Blogger, Proteste - ein Strich durch Alis Rechnung

Auf dem Blog Cos-Maux-Polis wird am 9. April 2008 die Nachricht über die große Freude der Menschen von Gafsa über die entschlossene Hilfestellung durch den Staatschef lediglich wiedergegeben und kommentiert: "Manifestation dans le bassin minier de Gafsa : la réponse de Carthage" externer Link eine echte Posse. dort wird auch verwiesen auf die Reutersmeldung "Clashes in Tunisia town over price rises" externer Link die zwar die ganze Frage der Minen aussen vor lässt, aber neben den bis dahin 20 Verhaftungen auch die Preissteigerungen von 8,6% vermeldet. Bei Global Voices Online hat Naruto am 15. April 2008 einen (noch?) aktuellen Überblick über tunesische Blogger zu Gafsa dokumentiert: "Al Radeyef Protests - When Bloggers Give a Voice to the Voiceless" externer Link - in den einzelnen Blogs auch jede Menge Kommentare, staatskritische wie staatstragende. Zahlreiche Videos vor allem auf You Tube dokumentieren die Proteste, beeindruckend die Menschenmassen in "Redeyef breaks the chains" externer Link von free Tunisie vom 11. April 2008. Auf diversen Blogs wird auch zu Solidaritätsaktionen aufgerufen.

(Zusammengestellt und nachgefragt von hrw)


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