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Updated: 13.04.2012 8:21 |
Der zweite Frühling: Assad, Antiimperialismus, Aggression... Die nun schon ein Jahr andauernden Auseinandersetzungen in Syrien scheinen zunehmend nicht nur für die Menschen des Landes ein existentielles Problem, sondern, einmal mehr auch für die NATO-Kumpanei und einmal mehr auch für die Linken unterschiedlichster Strömungen. Wieder einmal wird die Frage aufgeworfen, ob mensch auf Seiten Assads oder einer militärischen Aggression stehe. Die kommentierte Materialsammlung "Assad oder NATO?" vom 13. April 2012 zielt darauf, diese Wahl zu verweigern. Assad oder NATO - keine andere Alternative? Die Auseinandersetzungen in Syrien bestimmen die Schlagzeilen und Ansagen der Mainstreammedien - und spätestens darüber auch die politischen Debatten. Aktuell, gerade wenn das Schicksal des Annan-Planes noch nicht entschieden ist, macht ausgerechnet der türkische Ministerpräsident Erdogan mit militärischen Drohungen Druck auf Assad - neulich posierten sie noch als befreundete Nachbarn, nur ein weiterer Hinweis darauf, dass selbstverständlich politische Taktik zwecks eigener Ziele die Aktivitäten der Beteiligten prägt. Einordnungen, Besonderheiten und Geschäfte Die Kämpfe in Syrien finden ja nach wie vor nicht alleine statt: In verschiedensten arabischen Staaten gehen Proteste und Repressionsversuche in unterschiedlichster Heftigkeit weiter oder beginnen erneut. Vom erneut aufkommenden sozialen Protest in Tunesien bis zum trotz allen Terrors nicht gebrochenen Widerstand in Bahrein, von der unendlichen Serie lokaler Proteste in Marokko und Algerien bis zu den immer wieder aufflackernden in Jordanien: Die Menschen wollen Veränderung, auch in der blutigen Diktatur der Sauds. Die Debatte um NATO, UNO, EU oder wer auch sonst militärische Eingriffe erwägen mag erscheint in diesem Zusammenhang - und nur in diesem - insofern zweitrangig, als es um die Positionierung zu militärischem Eingriff überhaupt geht. Wichtiger ist, dass sowohl der Irak als auch Libyen arabische Beispiele dafür sind, dass diese militärischen Eingriffe noch nie irgendwelche positiven Ergebnisse für die Menschen gebracht haben, ausschliesslich für neue Geschäftsbeziehungen. Wenn man diese knappen Einordnungen vornimmt, muss auf der anderen Seite eben auch - angesichts vieler anderer Berichte - unterstrichen werden, dass es Unterschiede zwischen den arabischen Staaten gibt, dementsprechend Syrien einige Besonderheiten aufweist. Diese werden etwa in dem Beitrag "Syria is Not Tunisia or Libya" von Sharmine Narwani knapp zusammengefasst, der am 07. Februar 2012 auf dem Mideast Shuffle gespiegelt wurde (ursprünglich in der New York Times). Zu den Besonderheiten Syriens gehört auch die religiöse Frage - insofern, als in der üblichen Berichterstattung die jeweiligen Glaubensrichtungen meist als monolithisch gesetzt werden, was beispielsweise in dem Beitrag "The Syrian Mirage" von PIERRE PICCININ am 06. März 2012 bei counterpunch explizit in Frage gestellt wird: Etwa anhand des Übergangsrats, der in den 80er ernannt wurde, als Hafis Assad erstmals erkrankte - alle sechs Mitglieder waren Sunniten... Dass es dennoch Drohungen und Aggressionen zuhauf gibt, wie es auch alles andere gibt, mit dem in der Regel argumentiert wird: Massive Repression von Seiten der Regierung, Bewaffnung von Fundamentalisten etwa durch Saudi-Arabien, wird in dem Beitrag "Syria: a Way Out?" von CONN HALLINAN am 07. März 2012, ebenfalls bei counterpunch unterstrichen. Was Syriens Rolle und inner Entwicklung unter dem "jungen Assad" betrifft, gibt es sicherlich viele Facetten, zu denen aber auch das gehört: "Im März bekommt Syrien Besuch von den Weisen aus dem Westen. Professor Peter Bofinger vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, umgangssprachlich die fünf Wirtschaftsweisen genannt, wird in das Zweistromland reisen. Er soll im Auftrag der Bundesregierung und speziell des Auswärtigen Amts beim Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung behilflich sein. Auch der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Professor Bert Rürup, war schon zweimal in Damaskus um dort Hunderten syrischer Amtsträger die Regeln von Angebot und Nachfrage zu erläutern. Zudem sind Wirtschaftsexperten aus Unternehmen und Banker als Berater in Syrien aktiv. Für die Amerikaner ist Syrien zwar ein „Schurkenstaat“. Aber Deutschland bemüht sich unverdrossen, das Land in seine Bemühungen um eine Lösung im Nahen Osten einzubeziehen. Dafür will Berlin die Operation Marktwirtschaft nutzen. Es sieht darin ein Mittel zur Verbesserung der deutsch-syrischen Beziehungen und damit auch zur Stabilisierung des Landes" - aus "Syrien entwickelt mit deutscher Hilfe die Marktwirtschaft" von Eberhart Wagenknecht am 28. Februar 2007 im Eurasischen Magazin. Noch früher, dieselbe Richtung: "Syrien wendet sich der Marktwirtschaft zu" ein redaktioneller Bericht am 17. März 2005 in der FAZ, wo es heisst: "Syrien wirft ideologischen Ballast ab und wendet sich der Marktwirtschaft zu. Noch sprechen die Reformer innerhalb der Regierung und der regierenden Baath-Partei lediglich von „marktwirtschaftlichen Mechanismen“, um ihr Projekt nicht zu gefährden. Ihre Reformagenda faßt der neue Fünfjahresplan von 2006 bis 2010 zusammen. Er bildet die Basis für einen neuen Gesellschaftsvertrag Syriens. Der Fünfjahresplan wird dem großen Baath-Parteitag vorgelegt, der in diesem Sommer einberufen werden soll". Und auf die ganze Wirtschaftspolitik seit Assads Sieg im innerparteilichen Baath-Kampf um 1970 gemünzt: "By the late 1990s, the business community that the Asads had created in their own image had transformed Syria from a semi-socialist state into a crony capitalist state par excellence. The economic liberalization that started in 1991 had redounded heavily to the benefit of tycoons who had ties to the state or those who partnered with state officials. The private sector outgrew the public sector, but the most affluent members of the private sector were state officials, politicians and their relatives" - aus dem Beitrag "The Syrian Regime's Business Backbone" von Bassam Haddad in der Ausgabe Frühjar 2012 (Nr 262) des Middle East Report: Die syrische Variante von Public Private Partnership war - wie überall woanders auch - immer auch durch Korruption geprägt... Trotz der Knappheit dieser Hinweise sollten damit zwei Dinge (einmal mehr) klarer werden: Zum einen, wenn man dabei bleibt, dass Antiimperialismus stes mit einem sozialen Inhalt behaftet ist, so ist dieser zumindest erudiert - wenn es denn in Syrien nach 1970 so etwas überhaupt gab, und nicht schon seitdem abgebaut wurde. Und zweitens: Wie etwa im Falle Libyens auch, so hat vor allem die EU versucht (und es auch geschafft) über Geschäftsbeziehungen sowohl die innere Entwicklung des Landes mit zu beeinflussen, als auch zumindest versuchsweise, neuen politischen Beziehungen Grund zu legen (was eben nicht heisst, dass man bei besseren Angeboten dieser Linie treu bleibt: Europa abschotten können halt auch die Milizen in Libyen...). Die linken Debatten Einen Überblick über die Debatten in Deutschland gibt der redaktionelle Beitrag "Bizarre Debatten" in analyse&kritik vom 17. Februar 2012. Jetzt geht es nicht darum, Bashing mit Bashing zu beantworten - wer sich unbedingt als Freund Assads profilieren möchte, soll dies tun und wer jede Bewegung nur als Machenschaft des Imperialismus sehen kann, dokumentiert seine Weitsicht selbst. Wie schon im vorderen Teil gesagt: Das alles gibt es - auch. Wie immer. Was für eine wirklich linke Position noch gar nichts heisst. Der Diskussionsbeitrag "Imperialism, despotism, and democracy in Syria" von Joseph Massad am 06. Februar 2012 bei Al Jazeera beispielsweise ist einer von denen, die "weder, noch" vertreten und einfordern zu tun, was naheliegt: Die Differenzierungen in der syrischen Opposition beachten, und mit jenen versuchen Verbindungen und Zusammenarbeit aufzunehmen, die gegen das Regime sind und gegen eine militärische Intervention. "Andere Vertreter der syrischen Opposition, wie etwa der Schriftsteller Louay Hussein, der zwischen 1984 und 1991 im Gefängnis saß, fühlen sich von diesem Nationalrat jedoch in keiner Weise vertreten: „Bevor man im Ausland diesen Nationalrat erfunden hat, und ich benutze das Wort »erfunden« sehr bewußt, war die syrische Opposition in gewisser Weise einig. Sie war sich einig in dem, was sie sagte, in ihren Positionen und in ihren Handlungsabsichten. Doch jedes Mal, wenn wir zum Zusammenschluß aufriefen, tauchte wie eine Barriere dieser Nationalrat vor uns auf. Bis heute ist es dem Rat nicht gelungen, die wichtigen politischen Kräfte des Landes, Denker und Intellektuelle für sich zu gewinnen. Er hat keinen politischen Aktionsplan. Alles, was er kann und tut, ist, den Sicherheitsrat aufzufordern, das Regime in Syrien zu stürzen" - so heisst es etwa in dem Beitrag "Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft der Gewalt" von Jürgen Wagner am 20. März 2012 bei imi-online. In "Arab Spring, Syria and the left: 'No support for authoritarian regimes, no support for imperialism'" gibt Vijay Prashad am 02. März 2012 bei Jaddaliya sowohl die internationale Debatte zusammenfassend wieder, als er auch die Frage behandelt, warum die Beschränkung auf die Debatte um Intervention oder Nein nicht nur bedeutet, dem Diktat der Bourgeosie zu folgen - und dabei auch die Tradition der syrischen Widerstände, die zum Sieg über den französischen Kolonialismus führten zu mißachten. So ist denn den Ausführungen, wie sie in dem Soz- Interview "Wir brauchen medizinische und humanitäre Hilfe" von Elias Perabo im März 2012 gemacht werden, zur Unterstützung eines unabhängigen Sektors in der syrischen Opposition zuzustimmen. weil es sowohl aktuell wie prinzipiell die richtige Haltung ist. Helmut Weiss, 13. April 2012 |