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Updated: 09.05.2008 6:53

Tote bei Protest gegen Teuerung

Milizen der islamischen Räte, Soldaten der US-gestützten äthiopischen Armee - und schiesswütige Polizei: Menschen, die in Somalia einfach nur leben wollen, stehen unter drei Feuern. Am vergangenen Montag hatte die Polizei das Feuer auf ungefähr 20.000 Menschen in Mogadischu eröffnet, die trotz der Kriegssituation (erst am Tag zuvor hatten rund 1.000 Menschen eines Stadtteils gegen einen US-Raketenangriff protestiert, dem neben einem "Terroristenführer" weitere 10 Anwohner zum Opfer gefallen waren) gegen die rasante Teuerung protestiert hatten und gegen die - somalische aktuelle Spezialität - zunehmende Praxis der Händler, nur noch US-Dollars anzunehmen. Bei Nahrungsmittelpreisen die in dem krisengeschüttelten Land besonders explodiert sind: Mindestens um 110% im letzten Jahr. Ein unter komplizierten Bedingungen zustandegekommenes kurzes Telefoninterview mit Mohamad Fasil Ibar "Wir stehen unter drei Feuern" vom 7. Mai 2008.

"Wir stehen unter drei Feuern"

(Mohamad ist ein 48 jähriger Familienvater, der große Teile seines Lebens im italienischen Exil verbrachte und aus eben familiären Gründen Anfang der 90er Jahre nach Somalia zurückkehrte; mit der Erfahrung der Versuche afrikanische Bauarbeiter ohne Papiere in Italien gewerkschaftlich zu organisieren - er war einer von ihnen - hat er in den letzten Jahren in Somalia versucht, dazu beizutragen, dass ein normales Leben wieder möglich sein sollte, nicht zuletzt durch die Arbeit in Nachbarschaftskomitees).

Schlechte Nachrichten aus Somalia ist man ja gewohnt - normalerweise aber werden Menschen doch eher Opfer von bewaffneten Auseinandersetzungen um regionale Macht. Nun gab es sozsuagen allgemeinpolitische Demonstrationen, gegen die Teuerung eben - und wieder Todesopfer. Was ist passiert?

Passiert ist genau das, was in anderen afrikanischen Ländern auch passiert ist: Es wurde massiv protestiert in Mogadischu, man hat auf den vier offiziellen Demonstrationen - und es gab noch eine ganze Reihe spontaner Proteste - rund 20.000 TeilnehmerInnen gezählt, obwohl allen klar war, dass es gefährlich ist, aber es gibt keine Alternative. Denn: die Menschen leiden Hunger, es geht um keine Prinzipien, es geht ums überleben. Und genau wie in anderen Ländern auch, hat die Polizei das Feuer eröffnet, auf jeder einzelnen der Demonstrationen, nicht etwa nur auf einer und überall gab es Tote, noch weiss keiner genau, wieviele.

Jetzt hört man ja immer, es gibt in Somalia gar keine Staatsorgane mehr, wie kann dann die Polizei agieren?

Nun, wir haben verschiedene Elemente eines Staates hier - vor allem eben die Staatsgewalt, und die im Überfluss. Wir haben das Feuer der Besatzungstruppen, die nach wie vor von den USA gesteuert werden, der - ich mag sie gar nicht gerne so nennen, denn ich bin ja selbst Moslem - sogenannten Islamisten und jetzt der Polizei, die der Möchtegernregierung dient und auch schiesst. sonst haben wir nicht viel, vor allem keine Rechte und keine legitimen Einrichtungen.

Waren wegen dieser Nichtexistenz die Demonstrationen, so weit man es in der allgemeinen Berichterstattung verfolgen konnte, direkt gegen die Händler gerichtet oder war das ganz anders?

Ja und nein. Zum einen: Wir haben ja keine irgendwie international anerkannte Währung, also gehen tatsächlich immer mehr Händler dazu über, nur noch an Dollarbesitzer zu verkaufen. Was es natürlich noch viel teuerer macht, als ohnehin. Zum anderen ist auch klar, dass nicht wenige dieser Dollars gebraucht werden, um irgendwo Waffen zu kaufen, so ist die Lage nun einmal.

Und waren die Demonstrationen so gefährlich, wie geschrieben wurde?

Ja, was willst du denn von Menschen erwarten, die um ihr Leben kämpfen? Ich meine, ihr müsst verstehen, dass man hier, trotz allem, gegen alle militärischen Ausnahmezustände, eine dauernd wütende Soldatenmeute, dass man unter all diesen Bedingungen versucht, einen Alltag zu organisieren, was manchmal auch gelingt, und dann ist nichts mehr zu essen da. Klar, da wurden Steine geworfen, da wurde alles benutzt was da war, um Straßen zu blockieren und sicher wurden auch Geschäfte geplündert, das ist in solch einer Situation nun mal so, und es soll mir niemand kommen und sagen, das könne man doch nicht machen. Man kann und muss sogar, und das unter Bedingungen, wo der Zugang zu Waffen völlig unübersichtlich ist. Wobei ich auch hier das sage, was ich immer sage: Nur über den Weg des eigenen Engagements, gefährlich und oft negrenzt, kann sich die Situation im Lande ändern - und in den nachbarschaftlichen Komitees kommt das im Ansatz zur Geltung und da soll mal ein Journalist kommen, dem immer nur Clan und Warlord einfällt. Das sind die Schemen, mit denen jede konkrete Situation dem Muster angepasst wird.

Siehst Du da, in der eigenständigen Organisierung, tatsächlich den Weg aus der Sackgasse?

Wenn überhaupt, dann so - denn es soll doch nach all den Jahren niemand mehr sagen, eine Militärintervention irgendeiner Art könnte irgendetwas verbessern - sie haben allesamt immer alles nur schlechter gemacht...


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