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Updated: 18.12.2012 15:51
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Generalstreik beim „Musterknaben“

In Slowenien drohen die Arbeiter mit flächendeckendem Streik für Lohnerhöhungen

Aus Osteuropa gibt es Erfreuliches zu vermelden: In Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik und anderswo mehreren sich die Arbeitskämpfe insbesondere für mehr Lohn. Ein guter und extrem notwendiger Beitrag zum Kampf gegen das, in Zeiten der neoliberalen „Globalisierung“ besonders intensiv betriebene, Lohn- und Sozialdumping und – wenn auch sicherlich zunächst einmal unbewusst – ein Schritt in Richtung eines konkreten „proletarischen Internationalismus“. Die neueste Hiobsmeldung fürs profithungrige und von der internationalen Finanzkrise gebeutelte Kapital kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien, genauer gesagt aus Slowenien. Der folgende Artikel von Rosso Vincenzo* erschien in gekürzter Form in der „jungen Welt“ vom 29.2.2008. Hier nun die vollständige Fassung:

In der Privatwirtschaft des aktuellen EU-Ratspräsidenten Slowenien droht ein Generalstreik. Aufgrund der massiv gestiegenen Inflation und den seit neun Monaten ergebnislosen Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite ruft der größte Gewerkschaftsbund ZSSS für den 12.März von 6 bis 22 Uhr zu einer flächendeckenden Arbeitsniederlegung im Privatsektor auf. Es wird erwartet, dass sich die drei kleineren Dachverbände dem anschließen, da sie ähnliche Forderungen stellen.

Angesichts einer Jahresinflationsrate, die im Januar in Slowenien 6,4% erreichte, fordert die ZSSS für die unteren Lohngruppen einen Teuerungsausgleich von 10%. Für alle anderen soll es 5,6% mehr geben. Alternativ ist für den Gewerkschaftsbund auch eine lineare Anhebung um 6,4% vorstellbar. Außerdem soll der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 540 Euro brutto monatlich um 50 Euro angehoben werden. Eher bescheidene Forderungen, wenn man berücksichtigt, dass die Lebensmittelpreise im Einzelhandel 2007 um 15,6% gestiegen sind (Eurozone insgesamt: 7%). Doch soll auch die Aufnahme von Verhandlungen über einen branchenübergreifenden Tarifvertrag für die Jahre 2007 / 2008 durchgesetzt werden, um im kommenden August einen erneuten Inflationsausgleich vorzunehmen. Für die Zukunft soll darüber hinaus ein Mechanismus für die Lohnsteigerung unter Berücksichtigung des Produktivitätszuwächse festgelegt werden.

„Wenn, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um einen Fortschritt bei den Löhnen zu erzielen. Das Wirtschaftswachstum, die Produktivität und die Arbeitsintensität sind hoch“ , erklärte der ZSSS-Vorsitzende Dusan Semolic. Tatsächlich ist Slowenien das wohlhabendste der neuen osteuropäischen EU-Staaten. Das Wirtschaftswachstum betrug im vergangenen Jahr 6,5%. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei 88% des Durchschnitts der 27 EU-Staaten und damit zwischen den Werten Portugals und Griechenlands. Allerdings weist Slowenien die höchste Inflationsrate der Eurozone auf. Semolics Position lautet: „Wenn wir europäische Preise, Gewinne und Managerprämien haben, dann sollen die Arbeiter auch europäische Löhne bekommen.“ Mit dem geplanten Streik werde man „die Arbeitgeber schädigen, damit sie zur Besinnung kommen“.

Die nötige Stärke besäßen die Gewerkschaften. Den glaubwürdigen Zahlen des europäischen Unternehmerverbandes FEDEE zufolge verfügt der ZSSS mit seinen mittlerweile 21 Branchengewerkschaften über 180.000 Mitglieder, 60% davon arbeiten im produzierenden Gewerbe. Die drei kleineren Bünde KSS Pergam, KNSS sowie Konfederacija 90 kommen zusammen auf weitere 170.000 Mitglieder. Ein beachtlicher Organisationsgrad angesichts einer Gesamtbevölkerung von nur zwei Millionen Menschen. Auch an Kampferfahrung mangelt es nicht: 1992 und 1994 gab es bereits zwei Generalstreiks und auch die beiden größten Demonstrationen in der Geschichte des 1991 unabhängig gewordenen Landes wurden von den Gewerkschaften organisiert: Ende 2005 kamen, trotz heftigen Schneetreibens, 40.000 Menschen in der Hauptstadt Ljubljana zusammen, um gegen die von der Mitte-Rechts-Regierung geplanten einschneidenden Wirtschafts- und Sozialreformen zu protestieren. Das Kabinett des noch immer amtierenden Janez Jansa lenkte daraufhin ein und ließ u.a. die Idee der Einführung eines neoliberalen Einheitssteuersatzes („flat tax“) nach slowakischem Muster fallen. Zwei Jahre später, am 17.November 2007 demonstrierten am selben Ort 70.000 Slowenen für höhere Löhne und einen regelmäßigen Inflationsausgleich.

Trotzdem verbirgt sich hinter der harten Rhetorik für Gewerkschaftsführungen noch immer eine tief verankerte sozialpartnerschaftliche Einstellung. So ließ man am 17.November Arbeitsministerin Marjeta Cotman, Verteidigungsminister Karl Erjavec und sogar den frisch gebackenen Staatspräsidenten Danilo Türk an der Spitze der Demonstration mitmarschieren und sich als Verteidiger der Arbeiterinteressen aufspielen, obwohl diese zeitgleich Lohnanpassungen im Öffentlichen Dienst gezielt verschleppten und erst nach einem Streikaufruf Ende Januar 2008 zu einer Einigung bereit waren.

Im Privatsektor ließen sich die Spitzenfunktionäre von ZSSS, KSS Pergam, KNSS und K 90 im Januar 2008 von den Unternehmern mehrmals regelrecht vorführen. Nachdem die Gewerkschaften angesichts der ablehnenden Haltung der Arbeitgeber, die über Lohnerhöhungen nur auf Unternehmensebene reden wollten, für den 6.Februar zum Generalstreik aufgerufen hatten, kam es am 25.Januar plötzlich zu einer Grundsatzeinigung. Kaum war die Mobilisierung gestoppt, traten bei den Detailverhandlungen allerdings derart viele Meinungsverschiedenheiten auf, dass die Gespräche schließlich scheiterten.

Insbesondere die ZSSS-Führung kann sich einen solchen Gesichtsverlust nicht noch einmal leisten. Für sie ist der ganztägige Generalstreik am 12.März auch ein Mittel, um die Entwicklung weiter unter Kontrolle zu behalten. Bereits im vergangenen November war es, parallel zur Großdemo in Ljubljana, in Maribor zu einem wilden Streik gekommen. Die 300 Beschäftigten der „Swaty“-Fabrik legten dort spontan die Arbeit nieder und erreichten eine 5%ige Lohnerhöhung. Etwas, dass ihren Spitzenvertretern bisher nicht gelang.

Vorbemerkung: * Rosso

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://www.freewebtown.com/antifauni/ externer Link Rubrik „Aktuelles“ bzw. die regelmäßig erneuerten Artikel, Übersetzungen und Interviews dort).

Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen per Mail an: negroamaro@mymail.ch


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