Home > Internationales > Schweden > helmers_sac1
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit. Zwei verschiedene Motive für das neue Schwedische Modell

Die solidarische Lohnpolitik und das Tariflohnsystem wurden in Schweden schon vor ca 20 Jahren verabschiedet. Tiefgreifend sind die Folgen für das Arbeitsrecht.

Dies geschah mit dem Beginn der umfassenden Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen wie der Staatsbahnen, der Gesundheitspflege, des Schulwesens und vieler bisher staatlicher Betriebe, Für die Altersfürsorge wurde eine private Rentenversicherung ähnlich der "Riester-Rente" eingeführt. Auch die Lohnpolitik wurde privatisiert und Tarifverträgen entzogen. Begonnen wurde auf Initiative der Regierung mit dem gesamten Öffentlichen Sektor einschließlich der Beamtenschaft. Heute sind Tariflöhne vom Arbeitsmarkt fast entfernt. Im offiziellen schwedischen Staatskalender heißt es:

"Individuelle Löhne: Bereits 1990 wurde das alte Lohngruppensystem aufgehoben. .... Stattdessen werden individuelle und unterschiedliche Löhne in Kronenbeträgen gezahlt...."(Übersetzung aus: Sveriges Statskalender 2010. s.28).

Nach einigen höchstrichterlichen Urteilen gilt dieses Prinzip für den gesamten Arbeitsmarkt. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" wird zwar nach Art. 113 des EG-Grundvertrages gefordert, diese Gleichmacherei des 19.Jahrhunderts wird jedoch von den Befürwortern des reformierten Arbeitsrechts als veraltert angesehen. Statt durch Tarifverhandlungen werden die Löhne und Gehälter von den Vorgesetzten individuell festgelegt. Die Gewerkschaften begnügen sich damit, an ihre einzelnen Mitglieder Ratschläge für die individuellen Verhandlungen zu verteilen.

Diese Liberalisierung des Arbeitsrechtes fördert sowohl die Gefolgschaftstreue der Beschäftigten als auch die Rivalität unter ihnen. In der staatlichen und kommunalen Bürokratie werden Verwaltungsabläufe ohne Neigungen der Untergeordneten zu Widersprüchen reibungsloser. In der Wissenschaft herrscht die erwünschte Meinung auch über die Professorengehälter - im Gerichtswesen über die Richtergehälter. Die EU-Kommission duldet diesen Widerspruch zum EU-Arbeitsrecht, vermutlich weil ihr ein Vorreiter für künftiges, liberales Arbeitsrecht der EU als Neues Schwedisches Modell willkommen ist.

Die Einführung dieser umfassenden Lohndiskriminierung wurde hinter verschlossenen Türen von der sozialdemokratischen Regierung und den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften beschlossen. Weder öffentliche noch verbandsinterne Diskussionen gingen der Liberalisierung des Arbeitsrechtes voraus. Bis heute ist diese Lohnpolitik unter einer Glocke des Totschweigens. Anfragen nach Begründungen an die Verantwortlichen warum Art.113 ("Gleicher Lohn für gleiche Arbeit") der EU in Schweden nicht gelten soll, bleiben unbeantwortet. Deshalb ist man auf Vermutungen angewiesen. Die sozialdemokratischen Minister haben sich vorauseilend der Liberalisierungspolitik der EU auch im Arbeitsrecht angepasst. Die Linkspartei (ehem. Kommunisten) folgen traditionell der sozialdemokratischen Regierung. Die Führung der Einzelgewerkschaften besteht ausnahmslos aus Einkommensmillionären, denen wegen mangelnder Verbandsdemokratie authoritäre Maßnahmen wie in diesem Fall erlaubt werden.Während dieser Nomenklatura offenbar die Übernahme der Liberalisierungs-Ideologie auch im Arbeitsrecht als Motiv dient, gibt es eine kleine anarcho-syndikalistische Gruppe außerhalb der traditionellen Arbeiterbewegung, die aus völlig anderen Gründen der Lohndiskriminierung zustimmt.

Anarcho-Syndikalisten sind in der deutschen Arbeiterbewegung weitgehend unbekannt. Wolfgang Abendroth ("Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung",S.53, schrieb u.a.:"Sie repräsentierten die Gruppen, die den Übergang von der Halblegalität unter dem Sozialistengesetz zum offenen, legalen Kampf und zur Sammlung großer Teile der Arbeiterschaft nicht verstanden und mitgemacht hatten, und wurde die Keimzelle des in Deutschland nahezu einflußlosen Anarcho-Syndikalismus." Das gilt auch heute noch. Übrigens schrieb W.I.Lenin sein Buch "Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus" u.a. gegen den Anarcho-Syndikalismus.

In Schweden gibt es eine kleine autonome Gruppe außerhalb der Parteien und Gewerkschaften, die sich "Sveriges Arbetares Centralorganisation SAC" bezeichnet und sich um die Wochenzeitung ARBETAREN gruppiert. Kürzlich machte Labournet durch Wiedergabe eines Artikels aus DIREKTE AKTION( "Auf ins nächste Jahrhundert", Juni 2012) auf diese Vereinigung aufmerksam. Diese Autonomen nehmen sich lokaler Konflikte an durch kleine Demos vor den betreffenden Arbeitsplätzen oder durch Hausbesetzungen. Lohndiskriminierung und "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" sind kein Thema ihrer Aktionen. Wiederholte Anfragen und Berichte an ihre Organisation und Zeitung bleiben ohne Antwort oder Kommentar. Offenbar ist das Kennen der Gründe für die Unterstützung der Lohndiskriminierung ungeeignet für die Mitglieder und die Öffentlichkeit. Nach Gesprächen mit führenden Mitgliedern läßt sich erkennen, daß allgemeine Tarifverträge und das garantierte Gleichlohnprinzip stören; Lohnwillkür und Lohndiskriminierung hingegen vermehren die lokalen Konflikte, bei denen die autonomen Anarcho-Syndikalisten sich nützlich und bekannt machen können.

Weiterhin aktuelle Veröffentlichungen zum Thema:

Reinhard Helmers; Universitätslektor a.D., 3. August 2012


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang