Home > Internationales > Rumänien > wearcompany | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Fabrik oder Gefängnis Textilarbeiter aus Bangladesh werden im rumänischen Bacau eingesperrt und ausgebeutet Im Januar 2007 berichtete der BBC über einen Streik von 400 chinesischen Textilarbeiterinnen der Wear Company in Bacau im Osten Rumäniens. Sorin Nicolescu, Direktor der Firma, wurde während des Streiks von etwa hundert wütenden Frauen handgreiflich attackiert. "Statt zu arbeiten, sind sie mit Gabeln und Löffeln über mich hergefallen. Ich habe die Polizei und den Wachschutz geholt. Das ist doch nicht normal, dass ich in meinem eigenen Land angegriffen werde, in meiner Fabrik, von Arbeiterinnen, denen ich alle möglichen Zugeständnisse mache!" erklärte Nicolescu damals der Presse. Nach dem Streik, mit dem die Arbeiterinnen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen wollten, haben etliche Frauen gekündigt und sind nach China zurückgekehrt.(1) Nun hat die Wear Company , geplagt von der Arbeitskräfteknappheit in Rumänien, erneut Arbeitskräfte aus Asien eingestellt, diesmal 500 Kontraktarbeiter aus Bangladesh. Der folgende Bericht beruht auf persönlichen Gesprächen mit einigen Arbeitern. Zwei Monate eingesperrt Die ersten Arbeiter aus Bangladesh, die wir im Stadtzentrum von Bacau kennenlernen, gehören zu den 74 Bauarbeitern, die seit etwa drei Monaten bei der Firma Rombet S.A. beschäftigt sind. Zusammen mit einheimischen Bauarbeitern arbeiten sie auf der Großbaustelle für ein neues Einkaufszentrum. Über Essen und Unterkunft können sie sich nicht beklagen. "Aber der Lohn ist viel zu niedrig! Wir haben einen Vertrag über 500 US-Dollar bei acht Stunden am Tag. Wir arbeiten aber 10 Stunden täglich, einschließlich Samstag, und erhalten nur 375 US-Dollar!" Sie kennen einige ihrer Landsleute bei der Wear-Company . In Dhaka, Bangladesh, wurden sie alle über die Agentur Al Abas International nach Rumänien vermittelt. Die Gebühren, die die Agentur erhebt und für die die Arbeiter selber aufkommen müssen, sind enorm: etwa 3 500 US-Dollar pro Person. Um diese hohe Summe aufbringen zu können, haben viele einen Bankkredit oder eine Hypothek für das Haus der Familie aufgenommen. Die Ratenzahlungen plus Zinsen müssen sie nun von ihrem Lohn abstottern. Es ist Sonntag, der einzige freie Tag in der Woche, an dem die Textilarbeiter aus Bangladesh gewöhnlich den Bus ins Stadtzentrum von Bacau nehmen und im Park in Gruppen spazieren gehen. In den letzten Wochen durfte jedoch keiner das Fabrikgelände verlassen. Das Tor blieb zugesperrt und der Wachschutz ließ niemanden raus. "Die Arbeiter von Wear Company sind seit zwei Monaten eingeschlossen. Sie dürfen die Fabrik nicht verlassen. Das ist wie Gefängnis!" erzählt uns einer der Bauarbeiter von Rombet . Aber wir haben Glück: An diesem Sonntag dürfen die Textilarbeiter wieder mal raus und wir können mit ihnen über ihre Situation sprechen. Sie sagen, die Firmenleitung habe ihnen erzählt, dass es Probleme mit der Ausländerpolizei gäbe und sie deswegen nicht die Fabrik verlassen dürfen. Die Arbeiter vermuten, dass die Firma zu dieser Maßnahme gegriffen hatte, weil zuvor 20 ihrer Kollegen verschwunden waren. Möglicherweise sind diese über die Grenze in ein anderes europäisches Land gegangen, um dort bessere Arbeit zu finden. Der Trick mit den Überstunden Die Arbeiter aus Bangladesh (2) sind Näher und haben einen Vertrag über 8 Stunden am Tag, 40 Stunden in der Woche, für die sie 400 US-Dollar erhalten sollen. Tatsächlich arbeiten sie regelmäßig 60 Stunden in der Woche und bekommen nach Abzug der Kosten für Essen und Unterkunft 640 RON (253 US-Dollar). "Das ist viel zu wenig! Unsere Familien sind auf unser Geld angewiesen. Hinzu kommen die Ratenzahlungen und Zinsen für die Kredite, die wir aufgenommen haben." Ein Teil des Geldes, dass sie nach Bangladesh überweisen, wird außerdem von Geldtransfer-Unternehmen wie Western Union als Bearbeitungsgebühr einbehalten, bei niedrigen Geldbeträgen sind das etwa zehn Prozent (!) des Gesamtbetrages. Von den vertraglich vereinbarten 400 US-Dollar zieht der Arbeitgeber monatlich 147 US-Dollar ab. Das ist für die Unterkunft in einem Wohnheim auf dem Fabrikgelände, wo jeweils 9 Männer zusammen in einem Zimmer in Drei-Stock-Betten schlafen müssen. Dazu kommt das Essen, das die Firma stellt, aber nicht ausreichend ist. Häufig sind die Arbeiter nach den Mahlzeiten noch hungrig. Nach rumänischem Arbeitsgesetz dürfen Arbeiter im Monat 38 Überstunden anhäufen, die über ein Zeitkonto in den Folgemonaten wieder ausgeglichen werden müssen. Jede weitere geleistete Überstunde muss mit 100 Prozent Zuschlägen entlohnt werden. Um die Rechnung zu Ende zu führen: Bei 20 Überstunden pro Woche klaut Wear Company monatlich jedem einzelnen Arbeiter 400 US-Dollar Lohn, der ihm zusätzlich zustehen müsste. Dieser Trick mit den Überstunden ist bekannt. Im rumänischen Sibiu, ein paar hundert Kilometer westlich von Bacau, sind philippinische Textilarbeiterinnen der Firma Mondostar Anfang August 2008 in einen Überstundenboycott getreten, nachdem sie zwei Monate lang für die Überstunden gar keinen Lohn erhielten.(3) Für die asiatischen Arbeiter und Arbeiterinnen muss es sich lohnen, die hohen Vermittlungsgebühren der Agenturen auf sich zu nehmen. Sie sehen den vertraglich festgelegten Grundlohn und rechnen fest mit den zugesagten Überstundenzuschlägen. Sind die Arbeiterinnen und Arbeiter dann in Rumänien, versuchen die Unternehmen, den Vertrag zu unterlaufen, indem sie weniger Lohn zahlen und mehr Arbeitsleistung aus ihnen herauspressen. "Wenn es euch nicht passt, geht doch zurück nach Bangladesh" Das Aufenthaltsrecht der Arbeiter aus Bangladesh ist an ihren einjährigen Arbeitsvertrag geknüpft. Ihre Pässe und alle wichtigen Dokumente wurden von der Firma einbehalten und ihnen nur Kopien davon ausgehändigt. Die Firmenleitung kann unliebsamen Arbeitern leicht kündigen und sie dann abschieben lassen. 30 Arbeiter wurden bereits entlassen. "Sobald wir uns beschweren, heißt es: Wenn es euch nicht passt, dann schicken wir euch zurück nach Bangladesh." Angesichts der hohen Schulden, die in Bangladesh warten, ist das eine bedrohliche Aussicht. Anders als die philippinischen Frauen bei Mondostar haben nur wenige der Arbeiter aus Bangladesh bereits Erfahrungen im Ausland sammeln können. Viele haben ihr Land zum ersten Mal verlassen. Für die Arbeiter der Wear Company ist der Schritt von Bangladesh nach Europa mit der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen verknüpft.(4) Auf die Arbeiter angewiesen Die Wear Company in Bacau ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Nach einer Studie der Zeitarbeitsfirma Manpower ist Rumänien derzeit weltweit das Land mit der höchsten Arbeitskräfteknappheit. 73 Prozent der befragten Firmen gaben an, nicht ausreichend Arbeitskräfte finden zu können.(5) Textilindustrie, Baugewerbe und Dienstleistungssektor sind besonders stark betroffen. Schätzungen zufolge arbeiten zehn Prozent der Bevölkerung Rumäniens permanent oder vorübergehend im Ausland, vorzugsweise in Spanien und Italien, wo sie das fünf- bis siebenfache des Lohnes erhalten, den sie in Rumänien verdienen könnten. Auch die tägliche Propaganda in den rumänischen Medien über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Rumänen im Ausland, die katastrophalen sozialen Auswirkungen der anhaltenden Auswanderung für zurückgebliebene Familienmitglieder - Kinder, die ohne Fürsorge aufwachsen, alte Menschen, um die sich keiner kümmert - und die drohende "Überschwemmung" des nationalen Arbeitsmarktes durch asiatische Arbeitskräfte, ändern nichts an der Situation. Bacau liegt in der rumänischen Provinz Moldova, einer Region, in der der Grad der Abwanderung einheimischer Arbeitskräfte überdurchschnittlich hoch ist. Die 185.000 Einwohner zählende Stadt bietet wöchentlich sechs Direktflüge und täglich zehn Busfahrten nach Italien an. Den Fall öffentlich machen In den Gesprächen mit den Arbeitern aus Bangladesh kommt schnell ein dringendes Anliegen zur Sprache: "Wir wollen, dass über unsere Situation hier berichtet wird. Es muss sich was ändern." Anfang September erzählt uns ein Arbeiter per Telefon, dass sie erneut eingesperrt werden. "Letzten Sonntag sind 16 von unseren Kollegen nicht zurück gekommen. Jetzt verbietet uns die Firma wieder, das Fabrikgelände zu verlassen. Wir wissen noch nicht, ob wir nächsten Sonntag raus dürfen." Bericht von Ana Cosel, 09. September 2008 Kontakt: ana.cosel[at]web.de
Endnoten: (1) BBC-Bericht zu dem Streik: http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6286617.stm (2) Anders als von den Philippinen, wo vor allem weibliche Arbeitskraft "exportiert" wird, gehen in Bangladesh hauptsächlich Männer ins Ausland zum Arbeiten. (3) Siehe dazu den Bericht von Ana Cosel vom 27. August 2008: http://www.labournet.de/internationales/rumae/sibiu.html (deutsch) http://www.labournet.de/internationales/rumae/sibiu_engl.html (4) In den neuen Produktionzentren der Textilindustrie in Bangladesh finden derzeit wiederholt Streiks und gewaltsame Proteste statt, die sich gegen die niedrigen Löhne und die anhaltenden Preissteigerungen von Lebensmitteln richten. Der Grundlohn einer Textilarbeiterin in Bangladesh - die große Mehrheit der 2 Millionen in der Bekleidungsindustrie Beschäftigten sind Frauen - liegt derzeit bei etwa 45 US-Dollar im Monat. Der Staat versucht diese Proteste gewaltsam zu unterdrücken, Polizei und Paramilitärs spielen dabei eine entscheidende Rolle. (5) Manpower-Studie veröffentlicht am 22. April 2008: http://www.euractiv.com/en/socialeurope/romania-skilled-labour-shortage-highest-worldwide/article-171920 (6) Auf Rumänisch: http://www.desteptarea.ro/articol_15067.shtml |