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Updated: 18.12.2012 15:51 |
»Za chlebem*« Kapital hin – Arbeitskräfte her. Herma Ebinger über die Öffnung des polnischen Marktes Die Spargelsaison geht ihrem Ende entgegen und die Saisonhelfer aus Polen kehren wieder nach Hause zurück. Die von ihren deutschen Arbeitgebern gezahlten Löhne sind nach denen in Portugal, Griechenland und Spanien die niedrigsten in der EU. Herma Ebinger berichtet über die Arbeits- und Lebensverhältnisse der polnischen Saisonarbeitskräfte in Deutschland und in Polen. Wir do-kumentieren ihren Beitrag zu der sehr lesenswerten Broschüre über moderne Sklaverei in der in-dustriellen Landwirtschaft Europas: Bittere Ernte, den das Europäische BürgerInnenforum und das Europäische Komitee für die Verteidigung der Flüchtlinge und GastarbeiterInnen (CEDRI) jüngst herausgegeben hat: Spargel ist ein beliebtes Gemüse in der BRD, die Anbauflächen sind groß, zur Ernte braucht es viele Hände. Meist sind es die von polnischen Saisonniers. Die Versuche, deutsche Arbeitslose dafür anzustellen, führten zu Aufruhr bei den Landwirten. Das Arbeitsamt zog seine Zwangsmaß-nahme zurück, und nun sind es wieder die Erntehelfer aus dem Nachbarland, die den Spargel und noch vieles andere ernten. Polnische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft der BRD Im Jahr 2002 gab es offiziell 265000 temporär Beschäftigte
in der Landwirtschaft der BRD, von denen 80 bis 90 Prozent aus Polen kamen.
Viele der polnischen Saisonkräfte arbeiten schon seit Jahren in den
gleichen Betrieben. Bei einem Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitern
und Unter-nehmern bleiben sie auch ohne offiziellen Status, wenn sie noch
gebraucht werden. Die Bezahlung für Saisonkräfte ist unterschiedlich, in der Regel erfolgt sie nach Akkord. Zum Teil erhalten sie weniger als die Hälfte des niedrigsten Tariflohns für Garten- und Gemüsebetriebe. Laut einer Studie des »Verbandes Europäischer Arbeitgeber in der Landwirtschaft« (GEOPA ) vom Juni 2002 liegt die BRD mit Löhnen für Saisonniers europaweit an viertletzter Stelle. Nur Portugal, Griechenland und Spanien zahlen schlechter. Joana Korczynska [2] vom Institut »Arbeit und Soziale Angelegenheiten« der Warschauer Univer-sität kam in ihrer Dissertation zur Arbeitsmigration in der Landwirtschaft vom Dezember 2002 zu folgenden Ergebnissen: Sie befragte 240 Personen, von denen 65 Prozent drei Monate Saisonarbeit voll in Anspruch nahmen. 120 – also die Hälfte – der Befragten kommen vom Land oder aus klei-nen Städten und kennen die Landarbeit gut. Ebenso viele haben eine Fachschulausbildung, 40 Pro-zent Mittelschulabschluss und technische Berufe. Rund zehn Prozent von ihnen sind selbst Bauern. Die meisten der Befragten erhielten 4 Euro pro Stunde, einige auch 3,50 Euro. Zwischen 70 und 75 Prozent fanden die Arbeit über private Kontakte und nicht übers Arbeitsamt. Die Befragten beton-ten den Nutzen der Saisonarbeit für sich und die Unternehmen. Die polnischen Bauern stellen in der Zeit ihrer Saisonarbeit in der BRD ihre östlichen Nachbarn aus der Ukraine, Weißrussland oder Litauen ein, die oft einen Hochschulabschluss haben. Experten schätzen, dass die Zahl der »illegalen« Saisonniers in der Landwirtschaft etwa so hoch ist wie die der legalen, also rund 250000. Für sie sind die Löhne noch geringer und die Arbeits- und Lebensbedingungen miserabel. Während der Kirschenernte 2001 im Land Brandenburg fanden Vertreter der Gewerkschaft »IG Bauen, Agrar, Umwelt« Polen, die in Autos hinter Büschen schlie-fen. Dort warteten sie auf die Landwirte, die die Plätze kennen und kommen, wenn sie Arbeiter brauchen. Laut einer Erhebung der Gewerkschaft stieg die Zahl von 1990 mit 12000 Saisonarbeits-kräften bis 2003 auf rund 300000 aus Osteuropa. Um die Belange der Menschen aus Polen und inzwischen ganz
Osteuropa, die in Westeuropa unter anderem auf dem Bau, als Hausangestellte,
in der Landwirtschaft arbeiten, kümmern sich Mitarbei-ter der Zentralen
Anlaufstelle für Pendler und Pendlerinnen aus Osteuropa (ZAPO). Die
ZAPO wurde 1997 vom Polnischen Sozialrat in Berlin gegründet. Die
Erfahrungen dieser Einrichtung umfassen vor allem das Wiederherstellen
der rechtlichen Lage der ausländischen – legalen wie ille-galisierten
– temporär Beschäftigten z.B. bei Verstößen
bezüglich der Auszahlung des Lohnes oder der Unterbringung. Die ZAPO
hat für Menschen, die sich an sie wandten, weil sie keinen Lohn erhielten
oder unter schlimmen Bedingungen arbeiteten, vor den Gerichten einiges
erreicht. Seit-dem jedoch die Anzahl der Saisonarbeitskräfte und
die Probleme größer geworden sind, bekommt die ZAPO keine Förderung
mehr und ist nun vor allem auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen. Aber die billigen Saisonarbeiter und die noch billigeren Illegalisierten werden gebraucht, damit der Bauer »konkurrenzfähig« bleibt. Denn die Preise bestimmen die großen Handelsketten. Ihr Preis für Obst und Gemüse außerhalb der Saison muss für den Verbraucher erschwinglich sein und den Ketten auch noch Profit bringen. Für die Verbraucher, die Bauern und die Handelsketten in den Industrieländern rechnet es sich vor allem deshalb, weil die Einkommensunterschiede zwischen den reichen und den armen Ländern kontinuierlich gestiegen sind. Das Verhältnis in den 1960er Jahren lag bei 30 : 1. 1997 lag es schon bei 74 : 1. Diese Unterschiede verschärfen sich weiter durch den
Prozess der Konzentration, der Zentralisie-rung und Internationalisierung
des Kapitals. Durch eine rapide Verknappung wichtiger Ressourcen haben
sich die Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation verändert. Über
Internationalisierung des Kapitals, die Neustrukturierung der Produktion
(»Lean production«, neue Technologien) sowie die Expansion
des Agrarkapitals und die damit verbundene millionenfache Vernichtung
bäuerlicher Existenzen ist ein weltweiter Arbeitsmarkt entstanden.
Er ist gekennzeichnet durch die Entwick-lung wachsender »Billiglohnsektoren«
mit einer sehr großen, auch räumlich beweglichen »Reser-vearmee«.
Die Zahl der irregulären MigrantInnen in Europa wird auf drei bis
fünf Millionen Men-schen, in den USA auf neun bis elf Millionen und
weltweit auf bis zu 33 Millionen geschätzt. Polnische Landwirtschaft und Europäische Union Die Situation in der polnischen Landwirtschaft kurz vor
dem Beitritt zeichnet sich aus durch eine hohe Zahl von Beschäftigten
in der Landwirtschaft (etwa 25 Prozent [3]),
durch etwa 2,1 Millionen Höfe (vor allem kleine Familienbetriebe)
mit einer durchschnittlichen Fläche von 8,5 ha. Sie hat eines der
niedrigsten Nutzungsniveaus von Agrochemie in Europa und eine große
Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren. Immer noch gibt es kurze Distanzen
zwischen Produzent und Konsument. Die meisten polnischen Landwirtschaftsbetriebe
produzieren ausschließlich für den Eigenbedarf. Die marktorientierten
Betriebe sind mit überproportionalen Kosten und fehlenden Gewinnen
belastet. Knapp 60 Prozent der Gesamtfläche Polens (31,3 Millionen ha) werden landwirtschaftlich genutzt. Nur 3,3 Prozent der Böden sind als gut klassifiziert, die meisten sind eher Sandböden. Ein Um-stand, der in Kombination mit geringen Niederschlägen die Agrarproduktion nachhaltig beeinflusst. Angebaut werden in ersten Linie Weizen und Roggen, gefolgt von Kartoffeln, Futterpflanzen, Zu-ckerrüben, Ölsaaten und Hülsenfrüchte. In den letzten Jahren wurden von den meisten Kulturpflan-zen weniger produziert als vor 1989. Dennoch liegt der Selbstversorgungsgrad bei nahezu allen Kulturpflanzen zwischen 90 und 100 Prozent, außer bei Ölsaaten. Hier lag der Selbstversorgungs-grad wegen bedeutenden Flächenschwankungen in den letzten Jahren zwischen 55 und 146 Pro-zent, Das auf rund 550000 ha angebaute Obst und Gemüse erreicht 10,3 Prozent der Agrarproduk-tion. Vor allem im Südosten des Landes wurden für die Tomatenproduktion unzählige, beheizte Tunnels aufgestellt. Außerdem gibt es, über das ganze Land verstreut, riesige Erdbeerfelder. In dieser Sparte verzeichnet Polen ein hohes Exportvolumen. Doch Einschätzungen der bundesdeut-schen Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP) zufolge werden alle zehn EU-Beitrittsländer bei frischem Obst und Gemüse ein viel größeres Gewicht als Abnehmer denn als Lieferanten ha-ben. Der Großteil der EU-Obstausfuhren im Jahr 2003, rund 1,2 Millionen Tonnen, ging in die Bei-trittsländer. Die Tierhaltung nimmt in der polnischen Landwirtschaft einen bedeutenden Platz ein, obgleich die Bestandsdichte im Zuge des Übergangs zur Marktwirtschaft beträchtlich zurückgegangen ist. Polen ist einer der größten Schweinefleischerzeuger Europas. Der Geflügelsektor, der zunächst vom Ü-bergang stark betroffen war, hat sich erholt und entwickelt sich dynamisch. Drastisch verringert wurden Rinder-, Schafs- und Ziegenbestände. 1998 arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft und im Jagdwesen 4343700 Personen, das waren 27,3 Prozent aller in Polen Be-schäftigten. Bis zu diesem Jahr wurde die Agrarproduktion aus den 1980er Jahren nicht wieder erreicht. Dennoch stieg von 1988 bis 1996 die Anzahl der Personen, die ausschließlich in ihrem privaten landwirtschaftlichen Betrieb arbeiteten, von 59,5 Prozent auf 63,3 Prozent. Der Anteil der Personen, die außerhalb ihres Betriebes beschäftigt sind, verringerte sich von 16,7 Prozent auf 11,6 Prozent. Für viele Menschen bedeutet die sich seit 1989 stark verändernde Lage auf dem Arbeits-markt, ausschließlich von den Produkten der eigenen, kleinen Hofstelle zu leben müssen. Dieser Prozess hält an... Schwinden der Streitlust? Je näher der EU-Beitritt rückte, um so weniger erfuhr man von den Protesten der polnischen Bäue-rinnen und Bauern. Die Medien versuchten den Eindruck zu erwecken, dass der Widerstand gegen die EU-Agrar-politik entweder unbedeutend oder extremistisch sei. Doch im Januar und Februar 1999 blockierten die Bauern – trotz ihrer politischen und organisatorischen Zersplitterung – eine Woche lang landesweit zahlreiche Kreuzungen, legten so den Verkehr lahm und lieferten sich Prü-geleien mit der Polizei. Der Protest richtete sich gegen die staatlich festgelegten Ankaufspreise von Agrarprodukten und die billigen Importe aus der EU. Die drei Bauernorganisationen Samoobrona (Selbstverteidigung), Solidarnosc Rolników Indywidualnych (Solidarität der Einzelbauern) und der Landesverband landwirtschaftlicher Zirkel und Organisationen verwehrten mit Tausenden Bauern die Zufahrt zur deutschen Grenze. 1999 und 2000 versuchten verzweifelte Landwirte, die Getreide-importe zu stoppen, indem sie Weizenladungen auf südlichen Grenzstationen verschütteten. Am 9. März 2003 versammelten sich – organisiert vom ICPPC (International Coalition to Protect the Po-lish Countryside) – 20000 Bäuerinnen und Bauern in Jasna Gora. Sie protestierten gegen die Unfä-higkeit der Regierung, der Landwirtschaftsorganisationen und der lokalen Behörden, die Anliegen der kämpfenden Bauern zu repräsentieren und zu verteidigen. Weder die großen, landesweiten Zei-tungen, noch Radio oder Fernsehen berichteten über diese Demonstration. Doch hinter dem Rücken dieser Bauernverbände, die sich für die Achtung der strukturellen Beson-derheiten der polnischen Landwirtschaft bei einem EU-Beitritt einsetzen, sind inzwischen nahezu unabänderliche Tatsachen geschaffen worden. Zum Zeitpunkt der Proteste gab es schon mehrere Dutzend Betriebe mit über 1000 ha, mehr als 200 mit über 500 ha und fast 1000 Betriebe mit einer Fläche zwischen 100 und 500 ha. Diese Tendenz zum Erwerb großer Agrarflächen ist steigend. Zu privatisieren und damit zu erwerben sind die ehemaligen Staats- und Genossenschaftsflächen, die rund 4,32 Millionen ha umfassen. Immer öfter in-vestieren – neben Einzelpersonen – Banken, Ver-sicherungen und große Firmen in den Landkauf. Gesellschaften mit ausländischer Mehrheit erwar-ben im Jahr 2000 die Pacht über 132000 ha Land und andere, in denen polnisches Kapital den Großteil besitzt, verschafften sich die Pacht von 110000 ha. Auch Betriebe, die ökologisch kontrolliert wirtschaften,
gibt es inzwischen in beachtlichen Größen. Im September 2002
waren es laut Statistik des polnischen Ministeriums für Landwirtschaft
1476 Höfe, die auf einer Fläche von 29487 ha ökologisch
produzieren. Die durchschnittliche Größe die-ser Betriebe von
44 ha überragt bei weitem die durchschnittliche Fläche der meisten
polnischen Höfe. Die großen Biobetriebe werden immer wichtiger
für Bio-Supermarktketten, in denen das ganze Jahr über ein vielfältiges,
stabiles Angebot garantiert sein will. In den verschiedensten Regi-onen
Westeuropas kann man sich ansehen, wie auch Bio-Monokulturen die Landschaft
verwüsten. (...) Auf diese und auf alle anderen Fragen nach einer Lebens- und Produktionsweise, die für alle Menschen ein gutes Leben bedeuten, müssen immer wieder neue Antworten gesucht werden. Jan Dzieciolowsky, Landwirtschaftsexperte im interministeriellen Komitee zur Vorbereitung des polni-schen EU-Beitritts, stellte seine Frage im September 2003 so: »Der Beitritt zur Gemeinsamen Ag-rarpolitik (GAP) der EU bringt den Transfer großer Geldmengen mit sich und stellt uns vor die Wahl: Wollen wir den Produktivismus mit Rentabilität und Profitmaximierung, oder wollen wir etwas anderes? Der EU-Beitritt ermöglicht den Bauern, die sich vorher Kunstdünger und Moderni-sierung der Betriebe nicht leisten konnten, Dank der EK-Subventionen einen Weg einzuschlagen, der Arbeitsplätze und Umwelt vernichtet. Das wäre eine sehr schlechte Wahl. In Spanien haben wir das erlebt. Dort hat sich der EU-Beitritt in einigen Sektoren Andalusiens – wie etwa bei Oliven, Obst, Gemüse – verhängnisvoll auf die Umwelt ausgewirkt. Wir müssen einen anderen Weg ein-schlagen – den polnischen Weg. Aber, unser nationales Budget ist eher begrenzt, und wir folgen irgendwie doch der Karotte, die GAP heißt«. Die Broschüre: Bittere Ernte. Die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft Europas wird her-ausgegeben vom Europäischen BürgerInnenforum/CEDRI (Europäisches Komitee für die Verteidigung der Flüchtlinge und GastarbeiterInnen) und ist 2004 in Zürich erschienen (ISBN 3-9522 125-2-0) Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/04 Anmerkungen 1) Siehe dazu unter www.kki.pl/-arbeit/ 2) Korczynska, Joana: »Reisen polnischer
Saisonarbeiter nach Deutschland. Auswertung von Fragebögen«,
in: Dirk Höhner: »Grenzüberschreitende Beschäftigung«,
Frankfurt/Oder 1997 3) Unterschiedliche Prozentzahlen scheinen sich aus der Sichtweise der Autoren zu ergeben. In diesem Bereich schwanken sie von 18,9 bis 27,3 Prozent, aber auch in anderen Bereichen sind sie oft unterschiedlich. |