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Updated: 18.12.2012 15:51
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Garcia ein Jahr Präsident: Streiks, Straßenblockaden, Besetzungen und Verhaftungen - sowie Todesopfer...

Peru war ein Hoffnungssignal - für alle jene, die Lateinamerika am Rande des Kommunismus sahen. Der Wahlsieger 2006, ein Altbekannter, kein Chavez oder Morales oder Correa, nicht einmal ein Vazquez oder Lula oder Bachelet/Kirchner: Alan Garcia, eine der inzwischen traditionellen Verkörperungen der Sozialdemokratie in Lateinamerika. Und dann kam der wirtschaftliche Aufschwung. Und jetzt massenhafter und militanter Protest und Widerstand. Die aktuelle Materialsammlung "Garcias Jubiläum - Mord und Totschlag, Gewerkschafterverfolgung und Polizeiwillkür" vom 19. Juli 2007 soll zum Verständnis der Vorgänge beitragen, auch zu ihrer Bedeutung in der Region.

Garcias Jubiläum - Mord und Totschlag, Gewerkschafterverfolgung und Polizeiwillkür

Der Auslöser der jetzigen Proteste war der Streik der LehrerInneneinheitsgewerkschaft SUTEP gewesen, die sich gegen ein angebliches Korruptionsüberprüfungsgesetz im Bildungswesen zur Wehr setzt (das Gesetz LEY DE CARRERA PÚBLICA MAGISTERIAL, verabschiedet am 6. Juli 2007, verkündet am 11. Juli), das sie zurecht als ein Generalkontrollgesetz zur Massenentlassung unliebsamer LehrerInnen bezeichnet. Zu der geballten Wucht gefunden hat dieser aktuelle Protest, weil zur selben Zeit Bergarbeiter und Industriearbeiter, Bauern und besonders Kokabauern sowie zahllose soziale Initiativen ihre jeweiligen Proteste ebenfalls auf die Straße trugen - und weil Präsident Garcia offensichtlich nicht eben kluge Berater hat, die ihm die totale Konfrontation empfahlen. Die Festnahmen von über 100 Gewerkschaftsfunktionären quer durchs Land, die nach diversen Zählungen zwischen3 und 20 Todesopfern der "Robocops" genannten Spezialeinheiten der Bullerei, die öffentlichen Beschimpfungen im Stile "kleine, radikale Minderheit" - alles das hat nicht eben zum Rückgang der Bewegung geführt. Trotzdem hat die SUTEP am heutigen 19. Juli 2007 ihren Generalstreik für "ausgesetzt" erklärt, wie in der (spanischen) Meldung "Sutep levanta huelga nacional" externer Link des peruanischen erziehungsforums berichtet wird.

Jaime Garcia, Aktivist der Lehrergewerkschaft SUTEP in der Hauptstadt Lima sagt am Telefon: "Mit Sicherheit gibt es auch Korruption bei der Stellenvergabe im Erziehungswesen - aber erstens ist dies ein sekundäres Problem gegenüber der Korruption bei der Verwendung der Gelder, die den Schulen zugedacht sind durch Ministerialbeamte und das weiss auch Garcia und weiss auch die APRA (Regierungspartei) und zweitens ist die Generalkontrolle mit Sicherheit kein Mittel, dies zu beheben. Jetzt werden neue Laufbahnen und alles mögliche konzipiert - und das alles ohne jemand zu fragen, das zielt jedenfalls zumindest auch auf die vielen oppositionellen Traditionen, die in der Lehrerschaft bestehen, die auch zu den "bleiernen Zeiten" des Herrn Fujimori ein Hort - und oft ein letzter Zufluchtsort - oppositioneller Gesinnung war. Was die Aussetzung des Streiks betrifft wird man sehen müssen, wer sich auf längere Frist innergewerkschaftlich durchsetzt, es ist ja keineswegs so, wie es aus der Ferne vielleicht scheinen mag, dass die SUTEP eine irgendwie einheitliche Organisation wäre".

Das Übliche: Leere Versprechungen

Andres Mazola, Funktionär der Gewerkschaft CEMETAL (Metallgewerkschaft in der CGTP) in Arequipa, unterstreicht die Tatsache, dass es sich zunächst um getrennte Proteste und Unzufriedenheiten handelte, letztere wuchsen - und dann wuchsen sie zusammen: "Metallarbeiter haben durchaus zu jenen gehört - im Gegensatz wohl zu den Lehrern, wie ich weiss - die in großer Zahl Garcia gewählt haben, vielleicht sogar mehrheitlich; aber sie gehören in großer Zahl auch zu jenen, die sich betrogen fühlen: alle reden von Aufschwung, keiner merkt es. So gab es eben auch die vereinzelten Streiks bei Metallbetrieben wie auch in den Bergwerken - wo die Ausgangssituation eine andere war - und die wuchsen aufgrund der Repression und Hetze zusammen. Und dann eben auch mit den Lehrern und all den anderen, die sich oft nach langer Zeit wieder zum aktiven Protest gedrängt fühlten. Der Grad der leeren Versprechungen, die Schroffheit mit der Garcia deutlich machte, dass ihn sein Geschwätz von gestern nicht kümmert - Ungeschicklichkeiten also - haben dazu geführt, dass dieser Protest so schnell wuchs, dass auch seine eigenen Wähler ihn nicht mehr so gut finden, wobei man nie vergessen darf, dass die APRA eben durchaus eine organisierte Partei ist. Jetzt mobilisiert sie eben auch, deswegen kommt es auch zu Konfrontationan auf den Straßen".

Leere Versprechungen sieht auch Geraldo Soles, Landarbeiteraktivist aus Puno als einen wesentlichen Grund für die oft unerwartete Breite der Bewegungen: "Peru galt ja mal als Land, in dem Demonstrationen sozusagen ein Hobby vieler sind - das war mit Fujimori endgültig vorbei. Und offensichtlich dachten mächtige Kreise, keineswegs nur innerhalb des Landes, das wäre - auf andere Art - auch mit Garcia wieder erreichbar. Aber das Freihandelsabkommen mit den USA ist so ein Projekt, das eben weit über die "üblichen Verdächtigen" hinaus Menschen zum Protest und auch zum Widerstand mobilisiert - und zwar, wie in diesen Tagen zu sehen ist, wirklich quer durch alle sozialen Schichten und auch eben mit allen nötigen Formen, deswegen bedeutet der SUTEP-Beschluss, wieder mit der Regierung zu verhandeln auch beileibe nicht das Ende der Auseinandersetzungen".

Die Proteste - und vergebliche Versuche, sie mit Gewalt zu beenden: vor, nach und während des Protesttages 11. Juli

Der 11. Juli war mit der seit langer Zeit größten Demonstration in Lima und gleichzeitigen Demonstrationen in allen größeren und vielen kleinen Städten des Landes ein bisheriger Höhepunkt und natürlich auch jener Tag, an dem außerhalb Perus über "Fachkreise" hinaus die Entwicklung wahrgenommen wurde.

Jaime Garcia sagte auch: "Es ist wie immer - überraschend sind solche Entwicklungen meist nur von Außen. Es gab - neben den Auzseinandersetzungen der Lehrer - die heftigen und wachsenden Proteste in amazonischen Provinzen mindestens seit Anfang Juni, inklusive entsprechender Drohgebärden der Regierung".

So gab es bereits am 6. Juni bei "Clajadep - LaHaine" den (spanischen) Bericht "Tres regiones peruanas paralizadas por piquetes y barricadas de miles de personas" externer Link, der wie der Titel sagt, über massenhafte Straßenblockaden in Ölregionen berichtete - in denen es seither keine "Ruhe" mehr gab.

In der ganzen Zeit der Auseinandersetzung um das Erziehungswesen und die LehrerInnen hatte das überparteiliche gutbürgerliche "Foro Educativo" externer Link versucht, die Regierung dazu zu bringen, mit der Lehrergewerkschaft zu verhandeln - auf den Seiten ist nachvollziehbar, wie dieses Vorhaben auf zunehmende Ablehnung der Garcia-Mannschaft stiess.

Ausführliche Berichte über zahlreiche Proteste und Unterdrückungsversuche gibt es laufend bei "Indymedia Peru" externer Link (das zur Zeit immer wieder mal "unzugänglich" ist, gerüchteweise von Schliessung bedroht...). Die gemeinsamen Anliegen der diversen Bewegungen werden in dem (spanischen) Beitrag "En la puerta del caos" externer Link von Carlos Angulo Rivas vom 12. Juli 2007 beim "ALAInet" dargelegt - interessant dabei, wie sich neben dem Kampf gegen das Freihandelsabkommen auch viele Bewegungen auf die Wiederherstellung der Verfassung von 1979 ausrichten, die von Fujimori faktisch aufgehoben wurde.

Einen ausführlichen Beitrag zur Lage und besonderen Entwicklung der sozialen Bewegungen Perus von den 90er Jahren bis heute stellt der Artikel "Lo visible, lo posible y lo ausente: movimientos y conflictos sociales en el Perú" externer Link pdf-Datei von Raphael Hoetmer (Professor an der Uni Lima) in der Nummer 20 der Zeitschrift "OSAL" des Lateinamerikanischen Rates der Sozialwissenschaften dar, ausgesprochen lesenswert zum Verständnis der heutigen Lage - und zur Beurteilung der Probleme und Grenzen dieser Bewegungen.

Chavez und Bush

Liest oder hört man Regierungserklärungen in Peru ist der Grund der Unruhe einfach: Hugo Chavez ist schuld an allem. Dazu Geraldo Soles: "Das weiss jeder, dass das gelogen ist, selbst die Apristen. Wenn jemand interveniert dann doch die Bush-Riege wegen ihren Freihandelsabkommens und wer sich über Regeln hinwegsetzt ist Garcia, der nicht einmal das Parlament respektiert. Aber es ist klar: Für die USA und die EU - und Japan - ist Garcia die "Insel des Guten" zwischen Morales und Correa - und er ist, zusammen mit Uribe der Stützpfeiler des Neoliberalismus in der Region, trotz der Tatsache, dass die diversen linken Regierungen Südamerikas sich als nicht besonders links erwiesen haben".


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