Home > Internationales > Peru > galdos1 | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Interview mit Hugo Blanco Galdos zu den Wahlen in Peru und den derzeitigen sozialen Auseinandersetzungen Interview mit dem peruanischen Bauerngewerkschafter und Ökoszialisten Hugo Blanco Galdos, das Alf Zachäus vorige Woche für Radio Corax (Halle a.d.S.) gemacht hat. Hugo Blanco, einst schillernde Figur der lateinamerikanischen Neuen Linken und führendes Mitglied der VI. Internationale, gibt eine Einschätzung zu Ollanta Humala, die Bedeutung seines Wahlsieges und die derzeitigen sozialen Konflikte in Peru. Alf Zachäus: Entgegen allen Voraussagen hat Ollanta Humala die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Peru knapp gewonnen. Allgemein wird er als Linksnationalist charakterisiert. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede siehst Du, Hugo Blanco, zwischen dem Politiker Ollanta Humala einerseits und Hugo Chávez oder Evo Morales andererseits? Hugo Blanco: Zwischen ihm und Chávez oder Morales gibt es sehr große Unterschiede. Ollanta Humala hat sich ja nie als links bezeichnet. Humala kritisiert zunächst einmal nur den Neoliberalismus in seiner reinen Form. Das reicht heute allerdings schon aus, um das Etikett "Linker" angeheftet zu bekommen. Er ist eher mit Lula vergleichbar. Lula repräsentierte als Präsident Brasiliens jedoch das mit Abstand mächtigste Land Südamerikas. Er fungierte als Staatsoberhaupt Brasiliens somit als Interessenvertreter des brasilianischen Großkapitals. Die peruanische Ökonomie verzeichnete in den letzten Jahren enorme Wachstumsraten. Bei der Mehrheit der Bevölkerung kam von den neuen Einkünften allerdings überhaupt nichts an. Humala verspricht erst einmal nur, an diesem Missverhältnis etwas zu ändern. Indem z. B. durch eine höhere Besteuerung von multinationalen Minengesellschaften die Staatseinnahmen erhöht werden. Über diesen Weg sollen dann umfangreiche Sozialprogramme finanziert werden. Auf einer anderen Ebene ist sein Sieg allerdings von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Die durchaus sehr reale Gefahr der Rückkehr der Diktatur a la Fujimori konnte fürs Erste gebannt werden. Man darf nicht vergessen, für was der Vater der Gegenkandidatin Keiko Fujimori Alberto Fujimori steht. Unter der Präsidentschaft von Alberto Fujimori wurde 1992 die Verfassung außer Kraft gesetzt und eine Diktatur installiert. Er steht für zahllose Morde, die seine Regierung und das Militär dem Leuchtenden Pfad in die Schuhe schieben wollten. Später stellte sich heraus, dass Paramilitärs im Auftrage der Regierung die meisten Massaker, denen vor allem Campesinos in den Anden zum Opfer gefallen waren, verübt hatten. Fujimori steht für systematische Folter. Wenn man so will, war der von Fujimori propagierte Kampf gegen die Armut gleichbedeutend mit einem Krieg gegen die Armen. Während seiner Diktatur in den 1990er Jahren grassierte die so schon atemberaubende Korruption immer mehr. Fujimoris rechte Hand und militärischer Berater Vladimiro Montesinos war maßgeblich in den grenzübergreifenden Drogenhandel involviert. Man brachte es sogar fertig, Kokain mit der Maschine des Präsidenten aus Peru auszufliegen. Seine Militärs kontrollierten die wichtigste Route des Kokainhandels. 1992 ließ Fujimori seine eigene Frau, Susana Higuchi, entführen und foltern, da sie die Veruntreuung von Spenden publik gemacht hatte. Seine Schwester betrieb damals einen regen Handel mit in Japan für die Ärmsten der Armen in Peru gespendeten Sachen. Die gleichen Leute, die früher hinter Alberto Fujimori standen, unterstützen heute seine Tochter Keiko Fujimori. Das erste was sie nach einem Wahlsieg getan hätte, wäre die Freilassung ihres Vaters und seiner ebenfalls verurteilten Komplizen zu veranlassen. Alf Zachäus: Was ist von dem Versprechen Ollanta Humalas zu halten, eine Wirtschafts- und Sozialpolitik im Interesse der Mehrheit der Peruanerinnen und Peruaner umzusetzen? Hugo Blanco: Nach allem was Humala in Sachen Wirtschaftspolitik bisher gesagt hat, scheint es keinen radikalen Bruch mit der bisherigen Logik zu geben: Humala geht ebenfalls davon aus, dass Peru nur dann Fortschritte machen kann, wenn die multinationalen Konzerne, die hierzulande aktiv sind, hohe Umsätze und Profite erzielen. Dabei belegt die tägliche Erfahrung der meisten Peruaner das Gegenteil: Z.B. wird das in Peru gewonnene Gas, was für die meisten Haushalte die wichtigste Energiequelle ist, hierzulande zu einem höheren Preis verkauft als im Ausland. Das sieht nur in der Förderregion im Osten des Landes etwas anders aus. Ich denke, es stehen uns noch große Konflikte zwischen den sozialen Bewegungen und der neuen Regierung bevor. Südlich von Puno am Titicacasee z.B., direkt an der bolivianischen Grenze, streiken seit dem 9. Mai die Campesinos der Region. Sie haben sich in der Frente de Defensa de los Recursos Naturales de Puno zusammengeschlossen. Ihr Sprecher ist Walter Aduviri Calizaya. Die Campesinos der Provinz Puno verlangen von der Provinzialregierung die Aufhebung aller Bergbaukonzessionen, die in den letzten Jahren vergeben worden sind. Die Frente hatte bis zum 1. Juni u.a. den Grenzübergang über die Brücke von Desaguadero besetzt. Sie haben die Blockade bis zum 8. Juni aufgehoben, da der Streik für die Zeit der Wahlen ausgesetzt wurde. Und gerade hier hat Humala prozentual die meisten Wählerstimmen gewonnen. Nur, bisher favorisiert er ebenfalls eine weitere Ausweitung der Bergbauaktivitäten im ganzen Land ohne Rücksichtnahme auf die zu erwartenden Umweltschäden. Die multinationalen Minengesellschaften z.B. wollen natürlich die Bodenschätze des Landes ausbeuten. In der Praxis interessiert das große Kapital die Umwelt nicht. Da geht es um ein grundlegendes Prinzip. Ich sehe bisher nicht, dass Humala bereit ist, hier einer anderen Logik als seine Vorgänger zu folgen. Dies widerspricht allerdings zutiefst den Zielen seiner Anhänger. Alf Zachäus: Welche Rolle spielt die Lage der indigenen Campesinos heute im poltischen Diskurs deines Landes? Hugo Blanco: Heute spielt die Frage der Verbesserung der Lage der Landbevölkerung, z.B. durch eine gerechtere Verteilung des Landes, im Gegensatz zu früher garnicht die zentrale Rolle. Bei den größten Auseinandersetzungen geht es um die Verteidigung der natürlichen Ressourcen und einer halbwegs intakten Umwelt, auf die die indigene Bevölkerung angewiesen ist. So wehren sich z.B. in der Region von Arequipa Campesinos dagegen, dass das Wasser, was sie bisher für ihre Felder nutzen konnten, für den Betrieb einer Großmine geopfert wird. Im Osten des Landes gibt es einen großen Konflikt um ein Staudammprojekt, dem zahlreiche Familienbetriebe zum Opfer zu fallen drohen. Und in Puno kämpft die dortige Frente de Defensa de los Recursos Naturales derzeit gegen die drohende Verschmutzung des Titicacasees durch neue Großminen multinationaler Konzerne. Den indigenen Basisbewegungen geht es also zurzeit in erster Linie um die Abwehr von Angriffen auf ihre Lebensgrundlagen und weniger um die Landfrage. Alf Zachäus: Sieht man sich die Wahlergebnisse in den einzelnen Landesteilen genauer an, so kann man eine recht deutliche geografische Differenzierung erkennen. Lima und die nordwestliche Küstenregion haben mehrheitlich für Keiko Fujimori gestimmt. Im Süden, im Hochland und im Osten entschieden sich die Wähler mehrheitlich für Ollanta Humala. Wie erklärt sich dieser Unterschied im Wahlverhalten? Hugo Blanco: Wie ich ja bereits gesagt habe, hat Humala die meisten Stimmen in Puno am Titicacasee erhalten. Im Grunde war er dort am erfolgreichsten, wo es derzeit die größten sozialen Auseinandersetzungen gibt. Im Hochland sind das neben Puno z.B. die Regionen von Arequipa oder Cusco. Sein Erfolg im Osten des Landes hat die gleiche Ursache. Man muss sich z. B. daran erinnern, dass ausgerechnet am 5. Juni vor zwei Jahren auf Geheiß des bisherigen Präsidenten García ein Massaker an Indigenen verübt wurde, das Massaker von Bagua, dem 34 Menschen zum Opfer fielen. Ursache war die Erlaubnis der Regierung zur ungehinderten Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen im Amazonasbeckens im Sinne des Freihandelsabkommens mit den USA. Es gilt festzuhalten, die Mehrheit der Wähler Humalas will einen grundlegenden Politikwechsel. Zunächst erwarten viele von ihm, gegen die Angriffe auf ihre Lebensgrundlagen seitens der multinationalen Konzerne staatlichen Schutz zu erfahren. Keiko Fujimori konnte in Lima und im Nordwesten eine Mehrheit für sich gewinnen, weil es derzeit dort nicht derartige Konflikte gibt wie in den anderen Landesteilen. Gerade in Lima haben die großen Fernsehkanäle einen viel größeren Einfluss auf die vorherrschende Meinung als im Hochland oder im Regenwald. Die sind jedoch, wie die großen Zeitungen des Landes ebenso, in den Händen der Oligarchie. Gerade im Fernsehen verbreitet man ständig irgendwelche Schauergeschichten über Humala. Man wird nicht müde, ihn als Kommunisten hinzustellen, der das Land in den Abgrund führen würde. Es sind die gleichen Märchen, die dieselben Medien ständig über Chávez und Morales verbreiten. Dann behauptet man allen Ernstes, in Venezuela müsse man hungern usw. usf. Das sind im Grunde die Nachrichten, die man in Lima ständig zu hören und zu lesen bekommt. Auf dem Land im Inneren Perus erlebt man hingegen tagtäglich die Aggressivität der multinationalen Konzerne. Im Hochland und im Regenwald erlebt man hautnah, wie die Multis das Land ausplündern, die Umwelt verseuchen und so die Lebensgrundlagen der ortsansässigen Bevölkerung unwiederbringlich zerstören. Alf Zachäus: Vielen Dank für das Gespräch. Hugo Blanco Galdos wurde 1934 in Cuzco geboren. Während seines Studiums in den 1950er Jahren in Argentinien wurde er zum Marxisten trotzkistischer Prägung. Seit 1958 ist er in der indigenen Bauernbewegung Perus aktiv. In den 1960er Jahren verurteilte man ihn unter falschen Anschuldigungen aufgrund seiner aktiven Rolle bei Landbesetzungen in der Provinz La Convención zu einer 25jährigen Haftstrafe. Die Militärregierung von Juan Alvaro Velasco amnestierte Blanco, zwang ihn allerdings ins Exil. Seit den 1970er Jahren musste er mehrfach aus Peru emigrieren. Er lebte u.a. in Chile zur Zeit der Unidad Popular, in Mexiko und in Schweden. 1980 war er Präsidentschaftskandidat eines linksradikalen Wahlbündnisses. Von 1980 bis 85 und von 1990 bis zum Staatsstreich von Fujimori 1992 war er Parlamentsabgeordneter. Heute ist er bekennender Ökosozialist und Herausgeber der in Cuzco erscheinenden Zeitung Lucha Indigena. Alf Zachäus ist Wirtschafts- und Sozialhistoriker, lebt derzeit in Halle a. d. Saale und arbeitet u.a. für Radio Corax. Dort wurde das Interview erstmalig am 13. Juni im Programm von Attac gesendet. |