4 Tote, 150 Verletzte: Der Dialog mit den Gewerkschaften

Ausnahmezustand in der Bananenprovinz Boca del Toro und auf den Straßen von Panama-Stadt, die Polizei schiesst und tötet im Westen des Landes, Gewerkschaftssekretäre werden in der Hauptstadt gejagt: Weil der Staat Panama für den Kanalverkehr zu sorgen hat, scheint die im letzten Jahr gewählte Regierung Martinelli einen internationalen Freibrief für gewaltsame Repression bekommen zu haben. "Ausnahmezustand" ist ein aktueller Überblick vom 12. Juli 2010.

De facto: Ausnahmezustand

Ein Jahr nach seinem Wahlsieg hat Präsident Martinelli deutlich gemacht, was er mit seiner "wirklichen Veränderung" meinte: ein Gesetzespaket aus neun Gesetzen in einem, das sogenannte Gesetz 30 "Lei 30" (hier dokumentiert bei Panama Digital) verändert in der Tat die gesellschaftliche Realität Panamas in einer ganzen Reihe von zentralen Fragen. So werden künftig Polizisten, denen strafrechtliche Vorwürfe gemacht werden, nicht mehr vom Dienst suspendiert - erst, wenn sie verurteilt sind, werden sie entfernt. Oder aber: Unternehmer dürfen künftig Streikbrecher einstellen und dementsprechend Streikende entlassen - was heisst, dass das Streikrecht faktisch aufgehoben ist. Im Juni 2010 wurde dieses Gesetzespaket verabschiedet, das im Volksmund auch "Wurstgesetz" (Ley chorizo) heisst, weil da ja auch niemand genau weiss, was drin ist. Der offizielle Titel des Gesetzespaktes ist nicht deutlicher: Gesetz zur Förderung der Zivilluftfahrt.. Kein Zufall ist diese Gesetzgebungl, wenn man bedenkt, dass der grosse Veränderer Martinelli einer der Großunternehmer des Landes ist.

Seit Monaten führt diese Situation dazu, dass jede gewerkschaftliche Auseinandersetzung zu einer gesellschaftlich-politischen wird, da jede Aktion stets mit der Forderung nach Rücknahme des Gesetzes 30 verbunden ist.

Die Zuspitzung

Deswegen traten Anfang Juli 2010 in der Provinz Boca del Toro etwa 4.000 Arbeiter der Bananenplantagen und rund 3.000 "freie Pflücker" in den Streik.

In den Tagen seit dem 8. Juli 2010 ist dies nun eskaliert, und zwar an mehreren Fronten gleichzeitig. Am 10. Juli 2010 wird in dem redaktionellen Beitrag "Blutige Konfrontation auf Bananenplantagen in Panama" bei der NZZ erstmals in deutschsprachigen Medien über die aktuelle Konfrontation berichtet - unter Verwendung der Zahlenangaben der Regierung.

Andere Angaben macht einen Tag zuvor, am 09. Juli 2010 Tribuna Popular in "Panamá en pie de lucha, represión deja 4 muertos y más de 150 heridos" (gespiegelt bei apporea.org). In diesem Bericht wird sowohl ein Überblick über die verschiedenen laufenden Auseinandersetzungen in einer ganzen Reihe von Provinzen als auch der Hauptstadt gegeben, als auch über die Verfolgung der Gewerkschaften durch Haftbefehle gegen führende Funktionäre etwa berichtet.

Noch vorher, am 07. Juli 2010 wird in dem Blog Ley de muerte mit dem Beitrag "5 días de huelga en Bocas del Toro contra ley Chorizo" ein Einblick in die Auseinandersetzungen mit Fotostrecken gegeben - inklusive etwa der Ankunft indigener Organisationen zur Unterstützung des Widerstands der Bananenarbeitergewerkschaft SITRAIBANA und der ebenfalls teilnehmenden Lehrerorganisationen.

Die Situation der Gewerkschaft SITRAIBANA wird in dem Interview "Violenta represión contra trabajadores bananeros" mit dem Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes Confederación de Trabajadores de la República de Panamá (CTRP) Guillermo Puga diskutiert, das bei der lateinamerikanischen Föderation der Nahrungsmittelgewerkschaften rel-uita am 12. Juli 2010 publiziert wurde.

Zur selben Zeit - seit dem 5. Juli 2010 - fand ein Streik der Bauarbeiter beim Panamakanal - Erweiterungsprojekt in Colon statt, wird in "SUNTRACS Strike Shuts Down Panama Canal Expansion Work For Second Day" am 06. Juli 2010 beim (englischsprachigen) Panama-Guide berichtet: Wobei der regierungsfreundliche Kommentator es schafft, einerseits zu behaupten, es ginge SUNTRACS nur darum, die Konkurrenz gegen andere Baugewerkschaften zu gewinnen und sich in das Megaprojekt einzuklinken - und andrerseits zu berichten, dass der Streikaufruf massiv befolgt wurde...

Die verschiedenen gleichzeitigen Auseinandersetzungen werden auch in dem Beitrag "llamado a apoyar la huelga general de Bocas del Toro y derrotar la Ley 30" vom 07. Juli 2010 bei den Socialistas Centroamericanos zusammengebracht - mit der politischen Konsequenz, dass diese Kämpfe gemeinsam das Gesetz zu Fall bringen könnten.

Was - zumindest ursprünglich - auch geplant war, bzw ist: Am 13. Juli 2010 sollt ein landesweiter Generalstreik diese Zusammenführung der Kräfte und Proteste leisten, wird in "Aufruf zum Generalstreik in Panama" von Harald Neuber am 11. Juli 2010 bei amerika21 berichtet.

Laufend aktualisiert wird die Berichterstattung bei den "Frenadeso Noticias" wo auch Berichte über Proteste der Anwaltsvereingung und sogar des Roten Kreuzes dokumentiert werden.

Ein Abkommen - oder keines? Gewerkschaftsparagraphen der Ley 30 "ausgesetzt"

Am Montagnachmittag, 12. Juli 2010 berichtete Xinhua in "Banana workers, gov't reach deal to end strike in Panama" dass nach zweitägigen Gesprächen eine Gewerkschaftsdelegation unter Leitung des SITRAIBANA-Vorsitzenden Gemarp Barrett mit dem Vizepräsidenten Varela ein Abkommen unterzeichnet haben, das einerseits ein Ende des Streiks vorsieht - und auf der anderen Seite die einstweilige Aussetzung der Gewerkschaftsparagraphen des Gesetzes 30, die Freilassung aller Festgenommen und Entschädigungen für die Familien der Opfer der Polizeirepression.

Differenziert wird in dem Agenturbericht "Panamá: Se logra un acuerdo en Changuinola pero dirigentes de la huelga pasaron a la clandestinidad" vom 12. Juli 2010 bei aporrea.org - mit dem Verweis insbesondere darauf, dass die Vorstandsmitglieder der Bauarbeitergewerkschaft Suntracs sich in der Illegalität befinden.

Am Sonntagabend jedenfalls berichtet Frenadeso Noticias noch von der unter Polizeibelagerung stattgefundenen Konferenz von Samstag "La Huelga va este martes 13 de julio hasta derogar la Ley Chorizo" , die die Organisierung des Generalstreiks am heutigen 13. Juli bekräftigte...

Zusammengestellt von hrw am 12. und 13. Juli 2010