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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ein Jahrzehnt Widerstand gegen Neoliberalismus - ein Bilanzversuch Seit Mitte der 80er Jahre wurde auch in Neuseeland (Aotearoa in der Sprache der Ureinwohner) die Hegemonie der neoliberalen Kapitalismusvariante festzementiert. Und der generelle Tenor in den bürgerlichen Medien ist, dass dies weitgehend ohne grössere Widerstände passiert sei. Das versucht Toby Boraman in einer Übersicht der Kämpfe der 90er Jahre zu widerlegen. Sicherlich von seinem eigenen (anarchistischen) Standpunkt aus - aber mit soviel Material über die Entwicklung im Land ausgestattet, dass es sich für jedermensch lohnt, die (gekürzte) deutsche Zusammenfassung des (englischen) Beitrags "Struggles Against Neoliberalism in Aotearoa/New Zealand in the 1990s", am 26. Januar 2006 bei "A-Info" gepostet zu lesen (inklusive Link zum Originalartikel). Der Widerstand gegen den Neoliberalismus in den 90er Jahren 1984 begann die damalige sozialdemokratische Regierung mit der Einführung neoliberaler Orientierungen in die neuseeländische Politik. (Rogernomics benannt - nach dem Labour-Finanzminister Roger Douglas). Dem Autor zufolge gehen die meisten Autoren der traditionellen Linken bei der Einschätzung der Entwicklung dieser rund 20 Jahre von einer grundlegenden Passivität aus, mit der die Bevölkerung diese Umstrukturierung - sprich: die Abschaffung des institutionell und weltanschaulich fest verankerten "Wohlfahrtsstaates" - hinnahm. Manche Autoren sprechen wohl von einem "Blitzkrieg" des Kapitals, der erfolgreich geführt worden sei. Bestenfalls würden noch Landbesetzungen der Maoris als Widerstandsform genannt. Boraman unterstreicht, dass es sich zwar einerseits sehr wohl um eine historische Niederlage der Gewerkschaftsbewegung handele, insofern zeigt er sich mit den anderen Autoren, die er anführt einer Meinung. Aber er weist darauf hin, dass Passivität kein Kriterium sei, dass auf die Reaktionen anwendbar wäre: indem er unterstreicht, dass die grösste soziale Bewegung in diesem Zeitraum weder die Friedensbewegung noch andere bewegungen gewesen wäre, über die viel geschrieben würde, sondern eine Bewegung, über die fast nichts publiziert werde, die von 1991 gegen das neue Beschäftigungsgesetz, an der sich rund eine halbe Million Menschen beteiligt hätten (Neuseeland hat rund 4 Millionen EinwohnerInnen). Landbesetzungen, ein nicht stattgefundener Generalstreik und örtliche Widerstände Boraman führt unter anderem die Bewegungen der Maoris an, die sich gegen die "endgültige Regelung" ihrer Ansprüche mit einer Welle von Landbesetzungen zur Wehr setzten, die - letztlich gescheiterte - Bewegung für einen Generalstreik gegen das Beschäftigungsgesetz, die zahlreichen örtlichen Auseinandersetzungen gegen die Schliessung kommunaler Einrichtungen, die Studentenbewegung gegen die Enführung von Studiengebühren und den Widerstand gegen die Wasserprivatisierung speziell in Auckland. Schon 1985 argumentiert er, sei das Jahr - als die ersten "Reformen" stattfanden - gewesen, das die zweithöchste Zahl von Streikenden in der neuseeländischen Nachkriegs-Geschichte gesehen habe (nach 1976). Aber die wachsende Zahl der Betriebsschliessungen in jenen Jahren und das Einschwenken der Gewerkschaften auf "Arbeitsplatzsicherung" hätten dann zu einem Rückgang geführt, der erst mit ECA (eben dem neuen Beschäftigungsgesetz, das neben individuellen Arbeitsverträgen auch zahlreiche Einschränkungen des Streikrechts, sowie die "üblichen" kürzungen, etwa der Erwerbslosenversicherung, vorsah) wieder eine Richtungsänderung zuliess, als es verschiedene Einzelgewerkschaften und zahlreiche innergewerkschaftliche Oppositionsströmungen gab, die für einen Generalstreik gewesen seien. Boraman verweist als ein Ergebnis der innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen auf die Entstehung der Gewerkschaft NUPE, die sich aus einer Abspaltung aus der konservativen ÖD-Gewerkschaft PSA (die gegen einen Generalstreik war) damals gebildet habe. Auf einer Repräsentantenversammlung der CTU-Gewerkschaften ergab sich eine Mehrheit gegen den generalstreik: rund 250.000 gegen 190.000 Stimmen, wobei aber die Vertreterinnen etwa der Krankenschwestergewerkschaft gegen den generalstreik gestimmt hätten, obwohl in einer Urabstimmung die Mitgliedschaft mit 87 Prozent für den Generalstreik gestimmt habe. Während der dann beschlossenen landesweiten Aktionswoche Anfang April 1991 gab es verschiedene Gewerkschaften die zum Streik aufriefen - und eine ganze Reihe von streiks, zu denen keine Gewerkschaft aufgerufen hatte, etwa der Eisenbahner und Transportbeschäftigten. Zu alldem kam erstmals eine sichtbare Bewegung der Erwerbslosen hinzu, die mit verschiedenen Bestzungen von Institutionen auf sich aufmerksam machte und 1988 erstmals eine landesweite Demonstration habe organisieren können. Anfang Mai 1991 wurde ECA verabschiedet, was nahezu umgehend zu wesentlichen Lohnsenkungen geführt habe, zu einem grossen Mitgliederverlust der Gewerkschaften und zu einem Rückgang der Streikbewegungen gegen Null am Ende des Jahrzehnts. Auch die Erwerbslosenbewegung wurde - durch die Isolation von der Gewerkschaftsbewegung, unter anderem - zurückgedrängt und an manchen Orten mit Polizeigewalt unterdrückt, ansonsten von inneren politischen Auseinandersetzungen geschwächt. Boraman wendet sich im folgenden ausführlich gegen Thesen, die besagten, es müsse "nur" die Gewerkschaftsführung sozusagen ausgetauscht werden, um künftig solcherart Niederlagen zu verhindern und vertritt die Position, die Gewerkschaftsorganisation sei strukturell mit dem System verwoben. Der Maori-Widerstand Die ursprünglichen Einwohner des Inselstaates hatten 1840, im Unterschied zu vielen anderen Völkern, die zu ihrem Leidwesen "vom weissen Mann zivilisiert" wurden, einen Vertrag abgeschlossen, der ihnen eine Reihe von Rechten gab, die anschliessend vom Kolonialstaat konsequent missachtet wurden. Was aber zu einer Tradition des autonomen Widerstandes geführt habe, die sich auch nach 1945 fortgesetzt habe, als die Maoris nach und nach in die Städte zogen und als Hilfsarbeiter Teil der ArbeiterInnenschaft wurden, aber durch eine Art Kooptationspolitik sei es auch zu einer Verstärkung der Klassenscheidung innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe gekommen. Insbesondere die - nach der Abwahl der neoliberalen Sozialdemokratie 1990 - an die Regierung gekommene (ebenfalls neoliberale) konservative Partei habe versucht, durch finanzielle Entschädigungen, die mit traditionellen Führungen ausgehandelt wurden - historische Ansprüche der Bewegung zu befrieden. Diese Entwicklungen und Auseinandersetzungen kulminierten 1995 in einer Massenbesetzung eines historischen Geländes, an der sich über 2.000 Menschen beteiligt und auch die ersten polizeilichen Räumungsversuche zurückgeschlagen hätten. Nach zweieinhalb monaten wurde die Besetzung beendet, hatte aber die öffentliche Debatte wesentlich verändert. Weitere Besetzungen folgten Mitte der 90er Jahre, aber auch die Politik der Integration der Clans in die Marktwirtschaft sei verstärkt fortgesetzt worden und habe zunächst zu Erfolgen geführt, so dass die Landbewegung erst in jüngster Zeit wieder an Stärke gewonnen habe. Aus diesen (hier gekürzt zusammengefassten) Argumenten heraus schlussfolgert Boraman, dass eben keineswegs von "Passivität" die Rede sein könne, wenn die Entwicklung Neuseelands beurteilt werde - wohl aber von einer wichtigen politischen Niederlage. Abschliessend führt er eine Reihe von Gründen an, die seiner Meinung nach für diese Niederlage wichtig waren. So, beispielsweise: Im Gegensatz zu früher, habe die Gewerkschaftsbewegung die Bereitschaft zur selbstständigen Aktion verloren und sozusagen mehrheitlich auf die "Erlaubnis" zum Streik gewartet, während die Sozialdemokratie einige traditionelle, sowohl aussenpolitische (Anti-Apartheid etwa) Forderungen der Linken aufgenommen habe, wie auch innenpolitisch (etwa die Versicherung der Gültigkeit des Vertrags von 1840), und so WählerInnenstimmen und Einflzuss gewonnen habe für ihre neoliberale Wende. (Zusammengefasst von hrw) ORIGINAL: "Struggles Against Neoliberalism in Aotearoa/New Zealand in the 1990s" |