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Updated: 18.12.2012 15:51
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Wo die Chips wachsen

Sarah Bormann* über Arbeitsmigration und grenzüberschreitende Organisierung in Malaysia

Die ehemalige britische Kolonie Malaysia ist der weltgrößte Exporteur von Mikrochips. Allerdings blieb das Wachstum weitgehend auf Montagetätigkeiten begrenzt, und ein vergleichbar technologisches Upgrading wie in Singapur oder Taiwan blieb aus. Heute konkurriert Malaysia mit Ländern wie China, den Philippinen und Vietnam, die ein deutlich niedrigeres Lohnniveau aufweisen.

Die Regierung von Malaysia forcierte seit den 1970er-Jahren eine auf dem Elektroniksektor basierende Industrialisierung, indem sie Exportproduktionszonen gründete und ausländische Direktinvestitionen anwarb. Es war ein wesentlicher Bestandteil der Regierungspolitik, dass in diesem Sektor vor allem Arbeitsplätze für die Bevölkerungsgruppe der Malaien entstehen und sie auf diese Weise in die städtische Arbeiterklasse integriert werden sollten. Nach den massiven Ausschreitungen von Malaien gegen die in Malaysia ansässigen Chinesen im Jahr 1969 zielten diese Maßnahmen auf eine Stabilisierung und Herrschaftssicherung der ebenfalls von Malaien gestellten Regierung ab. In dem Sektor arbeiteten zunächst überwiegend malaiische Frauen, und bis heute gibt es eine starke geschlechtliche Segmentierung. So sind in der Produktion ca. 70 bis 80 Prozent der Beschäftigten Frauen. Allerdings stammen diese seit den späten 1990er-Jah-ren zunehmend aus Ländern wie Indonesien, Nepal und den Philippinen. ArbeitsmigrantInnen, meist von Arbeitsvermittlern in ihren Heimatländern angeworben, stellen zwischen 20 und 60 Prozent der Belegschaften in den Unternehmen. Oftmals erhalten sie nur einen Vertrag als Leiharbeitskräfte. Die auf Interviews mit migrantischen Arbeitskräften von Jabil Circuit und Flextronics basierende Studie »Migration in a Digital Age« (s.u.) kam zu dem Ergebnis, dass diese einer dreifachen Abhängigkeit unterworfen sind:

Sie sind von ihren Familien abhängig, die sich verschulden mussten, um oftmals illegal hohe Vermittlungsgebühren zu zahlen. Sie sind von den Arbeitsvermittlern bzw. Leiharbeitgebern abhängig. Diese führen Disziplinarmaßnahmen durch, wenn es zu (angeblichen) Verstößen am Arbeitsplatz kommt. Sie kontrollieren aber auch das Privatleben, nehmen ihnen die Pässe ab und sind für ihre Unterbringung, den Transport zum Unternehmen sowie die medizinische Versorgung zuständig. Eine dritte Abhängigkeit besteht aufgrund der restriktiven Migrationspolitik der Regierung, die den Aufenthalt zeitlich befristet und zum Beispiel Schwangerschaft verbietet. Die Polizei arbeitet mit einer Art privater Bürgerwehr zusammen, welche ArbeitsmigrantInnen verfolgt und misshandelt.

Ein Großteil der in der Untersuchung befragten ArbeitsmigrantInnen war davon überzeugt, dass er keiner Gewerkschaft beitreten dürfe. Dies habe ihnen der Arbeitsvermittler mitgeteilt – überdies ist es auch in den Arbeitsverträgen festgehalten. In Penang, dem Silicon Island of the East, wo ca. 200 000 der 300 000 Beschäftigen dieses Sektors arbeiten, erhalten sie vor allem soziale Unterstützung von kirchlichen Gruppen. Langsam fangen auch die Gewerkschaften an, sich stärker um diese Gruppe zu bemühen. Allerdings sind diese äußerst schwach. Bis 2010 verweigerte die Regierung die Registrierung einer Elektronikgewerkschaft und sprach der Electrical Industry Workers’ Union (EIWU) die Zuständigkeit für die Organisierung all jener Beschäftigten ab, die Endprodukte herstellen. Diese weltweit einzigartige Unterscheidung zwischen einem Elektronik- und Elektrosektor war von Beginn an ein mächtiges Instrument, um die Organisierung der »Pionierindustrie« effektiv zu verhindern. Nach massiven Arbeitskämpfen in den 1980er-Jahren wollte die Regierung zunächst die Gründung einer Gewerkschaft für den gesamten Sektor erlauben. Aufgrund des Lobbyings multinationaler Unternehmen begrenzte sie dies dann aber auf die Gründung von Betriebsgewerkschaften. 2010 wurde nun erstmals eine Gewerkschaft auf regionaler Ebene erlaubt, die Electronic Industry Em-ployees Union (EIEU).

Bruno Periera von der EIEU erklärt, warum der Prozess der Organisierung migrantischer Arbeitskräfte so langsam verläuft: »Ältere indonesische Arbeiter sind mehr als gewillt, uns zu helfen, weil sie fühlen, dass nur Gewerkschaften ein Forum zum Schutz der Arbeiter darstellen. Bislang helfen sie uns auf einer rein ehrenamtlichen Basis, weil wir keine Finanzierung haben. Sie gehen in ihrer freien Zeit zu den jungen indonesischen Arbeitern und sprechen mit ihnen.«

Nicht führen, sondern folgen

Das folgende Gespräch mit dem Gewerkschafter Balakrishnan Nadeson von der Electrical Industry Workers’ Union (EIWU) fand 2010 in Penang, Malaysia statt. Die Fragen stellte Sarah Bormann.

Wie viele Gewerkschaftsmitglieder hat die EIWU?

Wir hatten um die 28 000 Mitglieder, jetzt haben wir 17 000. Davon sind ca. acht Prozent Frauen und weniger als drei Prozent Ausländer.

In der Elektronikindustrie arbeiten überwiegend Frauen, warum ist es so schwierig, sie zu organisieren?

Man muss die Kultur und Religion der Arbeiterinnen berücksichtigen. Vor dreißig Jahren habe ich nie eine Muslima mit Kopftuch gesehen, aber dies hat sich mit der Islamisierung verändert. Heutzutage halten sich viele Frauen von Männern fern, deshalb können nur andere Frauen mit ihnen über Gewerkschaften und Arbeitsrechte sprechen. Malaysia ist eine sehr paternalistische Gesellschaft. Die Dominanz von Männern über Frauen hat ein starkes Ausmaß, sie beginnt Zuhause und setzt sich in den Fabriken in dem Verhältnis von Arbeiterinnen und männlichen Vorarbeitern fort. Von Frauen wird nicht erwartet, dass sie führen, sondern dass sie folgen. Aus diesem Grund sind sie zurückhaltend, für ihre eigenen Rechte zu kämpfen. Das macht es schwierig, sie in die gewerkschaftliche Organisierung mit einzubeziehen.

Während immer weniger einheimische Frauen in dem Sektor arbeiten, wächst die Anzahl der ArbeitsmigrantInnen. Liegt das an einem Mangel lokaler Arbeitskräfte?

In dem aktuellen System gibt es definitiv eine Arbeitskräfteknappheit. Nichtsdestotrotz haben wir in Penang eine Arbeitslosenrate von ungefähr vier Prozent. Lokale Arbeitskräfte sind verfügbar, aber die Frage ist, welche Angebote ihnen die Unternehmen machen. Die Löhne sind sehr niedrig, ca. 200 Euro inklusive Überstunden. Die Frauen können sich nicht qualifizieren, sie schauen zum Beispiel den ganzen Tag auf einen Computer und machen Qualitätskontrollen. Viele haben Probleme mit den Augen, viele stehen zwölf Stunden am Tag und können kaum ihre Haltung ändern. Einen solchen Job gibt man leicht auf, wenn sich etwas Besseres ergibt.

Versucht ihr, MigrantInnen zu organisieren?

Um mit einem Unternehmen Tarifverhandlungen führen zu können, müssen wir über 50 Prozent der Belegschaft als Mitglieder der EIWU organisiert haben. Wenn die Hälfte der Beschäftigten migrantische Arbeitskräfte sind, erschwert dies für uns den Organisierungsprozess. Wir haben zum Beispiel Panasonic, Sanyo, Sony und jetzt Bosch gewerkschaftlich organisiert. Ich denke, die Mehrheit in diesen Unternehmen besteht aus lokalen Arbeitskräften. Es ist schwierig, ArbeitsmigrantInnen zu organisieren. Ein Problem stellen die Sprachbarrieren dar. Zweitens kommen sie, wie auch die einheimischen ArbeiterInnen, überwiegend aus ländlichen Regionen. In Indonesien gibt es unabhängige, fortschrittliche Gewerkschaften bzw. Organisationen der Arbeiterbewegung. Kommen IndonesierInnen allerdings vom Land, dann haben sie nur ein minimales Verständnis von Arbeitsrechten, wenn überhaupt. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass sie darauf eingestellt sind, hier für zwei bis drei Jahre zu bleiben, Geld zu verdienen und dann wieder zurückzukehren – warum sollten sie in einer Gewerkschaft aktiv werden?

Wie ist es Euch gelungen, trotz dieser Hindernisse zumindest einige migrantische Arbeitskräfte zu organisieren?

Malaiische KollegInnen haben eine entscheidende Rolle bei der Kontaktaufnahme und dem Gespräch mit ihnen gespielt. Sie haben sie direkt angesprochen und gefragt: »Warum trittst Du nicht einer Gewerkschaft bei?« Dies ist ein Weg. Ein anderer Weg wäre die Kontaktaufnahme über die Kirchengemeinden. Sobald wir in einem Unternehmen eine Gewerkschaft gründen und mit dem Unternehmen die Arbeitsbedingungen verhandeln, gelten diese für alle, für die lokalen und die ausländischen ArbeiterInnen.

Jüngst habt Ihr versucht, das deutsche Unternehmen Robert Bosch zu organisieren und seid dabei auf Gegenwehr des Managements gestoßen. Kannst Du hierüber berichten?

Bei unserem ersten Versuch in den 1980er-Jahren gab es harte Auseinandersetzungen. Wir waren stark, aber wir sind gescheitert. Heute ist das Unternehmen Bosch in drei Unternehmenseinheiten aufgeteilt und zwar in R. Bosch Power Tools, R. Bosch Malaysia (Car Multimedia Division) und Blaupunkt. [1] Dies macht es schwieriger, alle Beschäftigten zu organisieren. Mit Unterstützung des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO konnten wir zwei Frauen und drei Männer als OrganizerInnen einstellen. Sie gingen von Tür zu Tür, nahmen den Kontakt mit den ArbeiterInnen auf und sprachen zuhause mit ihnen. Im November 2009 hatten wir nach acht Monaten eine Mehrheit von über 60 Prozent bei Robert Bosch Power Tools erzielt. Aber die Unternehmensleitung focht die Mehrheit an und erkannte zudem die EIWU nicht als zuständige Gewerkschaft an. Die Tatsache, dass Bosch ein Internationales Rahmenabkommen unterzeichnet hatte, war hier allein nicht ausreichend. Das malaiische Management von Bosch veränderte allerdings seine anti-gewerkschaftliche Haltung, als unsere deutschen Brüder von der IG Metall und vom Gesamtbetriebsrat aktiv wurden. Erst im November 2010, nach einer geheimen Gewerkschaftswahl, musste das Management die EIWU anerkennen, und wir können bei Robert Bosch die Verhandlungen zu unserem ersten Tarifvertrag aufnehmen.

* Sarah Bormann leitete bis 2010 das Projekt PC Global bei WEED und promoviert nun an der Universität Jena zu globalen Gewerkschaftskampagnen. Gemeinsam mit Moritz Siebert produzierte sie den Kurzfilm »Blue Elephants«, in dem eine indonesische Leiharbeiterin und ein nepalesischer Leiharbeiter über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen in Penang/Malaysia berichten: www.pcglobal.org externer Link

Die Studie »Migration in a Digital Age. Migrant workers in the Malaysian Electronics Industry: Case Studies on Jabil Circuit and Flextronics« von Sarah Bormann, Pathma Krishnan und Monika E. Neuner verfasst, kann im Internet heruntergeladen werden: www.weed-online.org/themen/wk/4592279.html externer Link

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/11

express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link, www.labournet.de/express externer Link


1) Blaupunkt war eine 100-prozentige Tochter der Bosch-Unternehmensgruppe. Im Jahr 2008 wurde allerdings ein Teil von Blaupunkt von der Firma Aurelius übernommen, und der größere Teil dieser Unternehmenssparte blieb als Car Multimedia Division innerhalb der Bosch-Gruppe.

 


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