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Updated: 18.12.2012 15:51 |
David gegen Goliath Widerstand gegen die US-Besatzung von Diego Garcia Von Ralf Kliche* und Nadja Rakowitz Im März letzten Jahres berichteten wir an dieser Stelle über den ›African Growth and Opportunity Act‹ (AGOA) und den Zusammenhang von Handelserleichterungen für mauritianisches Exportkapital und außenpolitischen Zugeständnissen der mauritianischen Regierung gegenüber den USA. [1] Und wir berichteten auch über den Protest der mauritianischen Linken gegen und das Einverständnis der mauritianischen Bourgeoisie mit dieser neokoloniale Politik der USA. Als wir unsere Freunde von ›Lalit‹, der kleinen linken, aber durchaus einflussreichen Partei, »die anders ist als die anderen« [2], Lindsey Collen und Ram Seegobin im Januar in Port Louis trafen und nach dem Stand der Auseinandersetzungen fragten, waren sie gerade vom Weltsozialforum in Mumbai zurückgekommen, wo sie sich hauptsächlich an den Workshops und Panels gegen Militär-Basen weltweit beteiligt haben. Lindsey Collen hat dort am 19. Januar für ›Lalit‹ in der ›Anti-War General Assembly‹, über das ›NO US-BASES-Meeting‹ und Diego Garcia gesprochen. Wir kommen hier einer Bitte der Mitglieder von Lalit nach, über die Militärbasis Diego Garcia und den Kampf gegen solche Militärbasen und für die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung zu berichten. Die Geschichte von Diego Garcia als Bestandteil des Chagos-Archipels ist seit Jahrhunderten aufs engste mit der Geschichte von Mauritius verknüpft. Dabei gilt es festzuhalten, dass auch die Rede von einer Insel »Mauritius« zumindest falsche Assoziationen weckt. Die Insel Mauritius selbst ist nur eine, die größte Insel eines Archipels das gemeinsam die Republik »Mauritius« bildet – ge-meinsam mit Rodrigues, Tromelin und anderen. So gesehen ist es also richtiger, von einem staatli-chen Gebilde, z.B. von »den mauritianischen Inseln« zu sprechen, so wie das beispielsweise für die Seychellen ganz selbstverständlich ist. (S.147ff.) [3] Betrachtet man die Geschichte aus dieser politischen Perspektive waren Mauritius und die Chagos-Inseln gemeinsam seit dem 18. Jahrhundert Bestandteil des französischen Kolonialreichs, und ge-meinsam sind sie 1814 an Großbritannien übergegangen. Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhun-derts entließ die britische Regierung die meisten der verbliebenden Kolonien in die Unabhängig-keit. Dies war der Zeitpunkt, zu dem die britische Regierung zu einem Trick griff, um sich den Zugriff auf zumindest einen Teil ihres Kolonialbesitzes – den militärisch wichtigen – zu erhalten. Kurz vor Gewährung der Unabhängigkeit wurde 1965 das British Indian Ocean Territory (BIOT) gegründet. Diego Garcia wurde von Mauritius getrennt und neben wenigen anderen Inseln diesem Kunstgebilde einverleibt. Auf diesem Wege sollten die Forderungen der Vereinten Nationen ausgehebelt werden, die vorse-hen, bei Unabhängigkeitserklärungen keine territorialen Veränderungen zuzulassen. (Resolution 1514 vom 14. Dezember 1960, vgl. S. 33) Die zweite Maßnahme, um die volle Kontrolle ohne Mit-sprachemöglichkeit der UN zu behalten, war deutlich gewalttätiger. Da Kapitel 11 der Charta der Vereinten Nationen im Rahmen von Unabhängigkeitsentwicklungen den Interessen der Einwohner Vorrang einräumt vor den Interessen der ehemaligen Kolonialmächte (Artikel 73e, vgl. S. 188), entschloss man sich, Diego Garcia für unbewohnt zu erklären oder – sicherheitshalber – zu machen. So konnte die eigene Militärpolitik jeder Mitsprachemöglichkeit der UN entzogen bleiben. Also wurden ungefähr 2000 der z.T. schon seit Generationen in Diego Garcia lebenden Chagossians (die »Ilois«) zwangsweise nach Mauritius, 600 auf die Seychellen umgesiedelt [4] – einige kamen allerdings nie dort an. Es wird vermutet, dass sie umgebracht wurden. Bis heute darf kein Mauritianer Diego Garcia auch nur besuchen. Die politischen Strategien sind hier immer wieder die gleichen.
Am 11. April 1996 unterzeichneten die Vertreter von 49 der 53 OAU-Mitgliedstaaten
(Organisation of African Unity) in Kairo den Vertrag über eine atomwaffenfreie
Zone in Afrika (Pelindaba-Vertrag, benannt nach dem nahe Pretoria, Südafrika,
gelegenen Kernforschungszentrum). Den Unterzeichnerstaaten ist es verboten,
Atomwaffen zu lagern, zu entwickeln, zu erwerben, zu testen oder anzuwenden;
auch die Lagerung atomarer Abfälle ist untersagt. Weil aber Diego
Garcia eine große atomare Militär-Basis ist, wird seitdem auf
der Landkarte einfach eine gepunktete Linie rund um die Insel gezogen,
als ob sie nicht zum afrikanischen Kontinent gehöre. So wie man Diego
Garcia einfach für unbewohnt erklärt, kann man so auch per definitionem
Afrika zu einer atomwaffenfreien Zone machen. Bereits 1966 überließ die britische Regierung Diego Garcia den USA zum Aufbau einer Militärba-sis für einen Pachtzeitraum von 50 Jahren, es erfolgen dafür keine Zahlungen durch die USA. Und in den genannten Gerichtsunterlagen werden Geheimgespräche bereits aus dem Februar 1964 ge-nannt, in denen sich beide Länder über ihre militärischen Interessen im Indischen Ozean abstim-men. In anderen Quellen wird von finanziellem Entgegenkommen der USA bei der Überlassung von Polaris-Raketen an Großbritannien als Zeichen der Anerkennung der Haltung der britischen Regierung gesprochen. So liegt die faktische Verfügungsgewalt über Diego Garcia heute also in den Händen der USA, kein Wunder also, dass das Urteil des Londoner Gerichts folgenlos geblieben ist. Diego Garcia ist heute eine der weltweit größten Atombasen der USA und deshalb strategisch äußerst wichtig. Es diente sowohl im zweiten Golfkrieg 1991 als auch im Afghanistankrieg und im Irak-Krieg 2003 als Basis für Kriegsoperationen. Heute sind auf Diego Garcia B-52 Bomber und B-2 Stealth-Bomber der Air Force stationiert [5] – so offizielle Veröffentlichungen. Diego Garcia wird daneben auch für die Verschleppung von Gefangenen aus dem Afghanistan- und Irak-Krieg genutzt, sei es, um diese dort in eigenen Lagern gefangen zu halten, sei es als Durchgangsstation für den Weitertransport nach Guantanamo. Aus naheliegenden Gründen ist es schwierig, detaillierte Informationen über Diego Garcia aus nicht-offiziellen Quellen zu erhalten. Einige Informationen kommen von den ca. 125 Mauritianern, die z.Zt. auf der Insel arbeiten. Sie haben Ein-Jahresverträge, für die sie nur sehr schwer eine Ar-beitserlaubnis erhalten, die aber verlängerbar ist. Für einen Monatslohn zwischen 220 US-$ und 350 US-$ arbeiten sie dort z.B. als Hafenarbeiter, Elektriker, Reinigungspersonal, Krankenschwes-ter etc. und dürfen immerhin für 45 Tage jährlich die Insel verlassen. Die Kontrolle über die Insel wird durch einen US-Admiral ausgeübt, der auf der einen Seite eng mit einem britischen Repräsen-tanten zusammenarbeitet, auf der anderen Seite mit einem Vertreter der multinationalen Unternehmen, die »nicht-militärische« Aufgaben dort wahrnehmen – darunter z.B. die Firma Halliburton, die als Bestandteil des militärisch-industriellen Komplexes aktiv an der Kriegsführung im Irak beteiligt ist. (S.155ff.) Neben solchen internationalen Konzernen mit langfristigen Verträgen profitieren aber auch lokale mauritianische Unternehmen von der Versorgung Diego Garcias. Unter anderem auf Grund dieser wirtschaftlichen Interessenlage eines Teils der mauritianischen Bourgeoisie und auf Grund des AGOA-Abkommens (S.57ff.) teilt der mauritianische Staat zwar die juristische Einschätzung, dass Diego Garcia widerrechtlich besetzt ist und an Mauritius zurückgegeben werden muss; praktisch wurde aber bislang nicht gegen die Besetzung vorgegangen und jeder Eindruck vermieden, Front gegen die USA zu machen. Diese generelle Strategie wurde auch in der Haltung zum Irak-Krieg verfolgt. Gegenüber der Bevölkerung wurde der Krieg zwar kritisiert, gegenüber den USA und ihren Alliierten war davon aber nichts zu bemerken. Im Dezember 2002 kündigte die Regierung von Mauritius an, vor dem Internationalen Gerichtshof die Rückgabe einiger Inseln einzuklagen. Bis zum März diesen Jahres war noch nichts passiert. Lalit fordert inzwischen von Premierminister Bérenger, die Offenlegung eines gerüchteweise exis-tierenden Geheimplans für die Politik der Regierung in dieser Frage. [6] Widerstand lokal und weltweit Seit den 70er Jahren kämpfen die Ilois mit Unterstützung der mauritianischen Linken für eine Rückkehr nach Diego Garcia. Auf juristischer Ebene wurden die ersten Klagen gegen Großbritan-nien bereits 1976 erhoben. Zur Zeit wird in den USA auf die Zahlung von Reparationen geklagt mit dem Verweis auf die erfolgten Menschenrechtsverletzungen. Parallel dazu gab es immer wieder Pressekampagnen und Petitionen an die Regierenden in Großbritannien, den USA und Mauritius. Auf der Strasse gab es kontinuierlich Demonstrationen und politische Aktionen: z.B. wurden 1978, 1981, 1990 Hungerstreiks durchgeführt; immer wieder wurden die AktivistInnen verhaftet und ver-folgt. (S.199ff.) An all diesen Kämpfen waren mehrheitlich Frauen beteiligt. Im Gegensatz zur Ge-sellschaft auf der Insel Mauritius waren auf Diego Garcia die Männer und Frauen traditionell gleichberechtigt, insofern Männer wie Frauen gleichermaßen für die dort tätigen Firmen lohnarbei-ten mussten. Das führte dazu, dass besonders die Frauen von Diego Garcia den Kampf gegen die Besetzung und für die Rückkehr führen. Von ihrer Kampferfahrung und Stärke konnten die Frauen und die Frauenbewegung in der traditionell patriarchalen Gesellschaft auf der Insel Mauritius viel lernen. [7] Der Kampf gegen die Besatzung Diego Garcias und für
die Rückgabe des Chagos Archipels ver-steht sich als Teil einer weltweiten
Bewegung. In diesem Sinne reisten Vertreter von Lalit und der Chagos Refugees
Group aus Mauritius sowie der Chagossian Support Group aus Neu-Seeland
zum Weltsozialforum nach Mumbai. Konkret ging es u.a. darum, Unterstützung
für eigene Aktionen gegen die US-Besatzung von Diego Garcia zu diskutieren
und zu erhalten. Allgemein wird die in-ternationalistische und anti-imperialistische
Ausrichtung ihres Kampfes deutlich. Sie machen den Optimismus, mit dem die Mitglieder von Lalit aus Mumbai zurück kamen, ebenso nachvollziehbar wie die politische Stossrichtung des Kampfes und die teilweisen Differenzen zwi-schen den vertretenen Organisationen. Aus dem Bericht über die General Assembly of the Anti-War Movement wird eine klare Ausrichtung erkennbar. Diese Konferenz wurde am 18. Januar in der größten Halle des WSF von über 4000 Teilnehmern besucht, und das Podium war mit Vertretern aus den USA, Großbritannien, Irak, Afghanistan, Israel, Kanada und Indien besetzt. Insgesamt werden 109 unterstützende Organisationen für die Versammlung benannt. Das Ziel der ersten, stra-tegischen Sitzung ist, »ein Verständnis der Strategien des US-Imperialismus zu schaffen, wie es aus der Besetzung des Irak und Militäraktionen gegen andere Länder und Bewegungen hervorgeht. Die Rolle der UN, multilateraler Organisationen wie IWF, Weltbank, WTO und anderer imperialis-tischer Mächte (Großbritannien, Deutschland und Frankreich) sollte ebenso gestreift werden.« (S.7) Auch wenn auf andere Besatzungsmächte verwiesen wurde (z.B. Australien auf den Salomonen oder Russland in Tschetschenien), werden immer wieder die USA als wichtigster Gegner benannt, bis hin zur Stellungnahme eines Vertreters aus Großbritannien: »Es wird oft auf die Rolle von Islamisten und Terroristen hingewiesen, aber wir müssen jeden Widerstand gegen die USA unterstüt-zen, unabhängig von seiner Herkunft. Der US-Imperialismus ist der Hauptfeind.« (S.8) Nicht ganz so eindeutig in ihrer Ausrichtung sind die Diskussionen in der Konferenz gegen interna-tionale US-Basen verlaufen, die für die Aktivisten gegen die Besatzung Diego Garcias das zentrale Podium in Mumbai war. Auch diese Sitzungen, an denen insgesamt 125 Teilnehmer aus 34 Län-dern teilnahmen, sahen sich als »Teil einer breiten globalen Bewegung gegen neo-liberale Globali-sierung und Imperialismus.« (S.2) Kontrovers und breit wurde allerdings diskutiert, ob ausschließlich US-Basen (mehr als 700 in mindestens 40 Ländern) zum Angriffsziel der Bewegung gemacht werden sollten. »Es gab eine breite Übereinstimmung, dass die USA der primäre Fokus der Kampagne sein sollten, aber es gab auch Fragen, wie ausschließlich dieser Fokus sein sollte ... Ein Teilnehmer sagte, seine Organisation sei gezwungen, sich aus dem Netzwerk zurückzuziehen, falls beschlossen würde, dass nur US-Basen zum Ziel gemacht werden sollten.« (S.7) Dies war der Grund für die Formulierung im Untertitel No US-Bases. Close all Military Bases Worldwide .[9] Für die Linken in Mauritius stellt sich die Frage
einer militärischen Besatzung vorrangig bzw. aus-schließlich
als Auseinandersetzung mit US-Basen. Da sie sich aber nicht in einem Befindlichkeits-diskurs
bewegen, mit dem wir hierzulande im Moment gegängelt werden, fällt
für sie der Kampf gegen die US-Basen mit dem internationalen, antimilitaristischen
Kampf zusammen. Für den mit der Debatte in Deutschland vertrauten
Leser dieser Berichte, der um die Vorsichtigkeiten mancher Diskussion
hierzulande weiß, ist auffallend und für die Verfasser dieses
Textes erfrischend, wie wenig sich die internationalen Bewegungen sorgen,
ihre Strategien könnten als antiamerikanisch gelten. An keiner Stelle
eines WSF-Berichtes taucht die (selbstverständlich inhaltlich richtige)
Ab-sicherung auf, man müsse doch zwischen der US-Regierung/-administration
und der US-amerikanischen Bevölkerung unterscheiden – auch
nicht bei Konferenzteilnehmern aus den USA. Ein nächstes Treffen ist anlässlich des stattfindenden
UN-Gipfels Small Islands Developing States (SIDS) für den Zeitraum
30. August bis 3. September diesen Jahres in Mauritius geplant. Diese
Aktivitäten sollen in weitere Aktionen eingebettet werden, die ebenfalls
beschlossen wurden. Dazu zählen die Einrichtung einer Website und
von Mailing-Listen ebenso wie die Ausrufung eines »Internationalen
Aktionstages gegen US-Basen« – möglicherweise am 4. Juli. Lalit fordert:
Unterstützt die Peace-Flotilla!« [12]
* Ralf Kliche ist IT-Berater und lebt in der Nähe von Frankfurt am Main. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/04 Anmerkungen 1) Vgl. Nadja
Rakowitz: Mauritius is not for sale. Proteste gegen den African Growth
and Opportunity Act in Mauritius, in: express Nr.3/2003, S. 12ff. |