Hintergründe einer komplizierten Lage
Die Meldungen aus Mali sind oft widersprüchlich und noch öfter oberflächlich dem europäischen Wahrnehmungsmuster angepasst: Sezessionsbestrebungen, Islamisten, Tuaregs - welche Akteure bedeuten was? Der Beitrag "Mali : une crise globale" von Paul Martial aus dem Mai 2012 bei Europe Solidaire versucht diese Ereignisse in soziale Entwicklungen einzuordnen, um zu einem wirklichen Verständnis zu kommen - und einen Ausgangspunkt für Alternativen jenseits von Putschen und Militäreinsätzen zu gewinnen.
Konferenz gegen Landgrabbing
Mali gehört zu jenen afrikanischen Ländern, in denen ausländische Unternehmen große Flächen Landes auf lange Zeit gepachtet haben, um dort ihre eigenen Wirtschaftsziele an der Bevölkerung vorbei zu verfolgen - eine soziale Katastrophe, die im rest der Welt eher am Rande wahrgenommen wird, wenn überhaupt. Um diese Wahrnehmung zu verändern organisiert die internationale kleinbauernföderation Via Campesina im November 2011 eine internationale Konferenz in Mali, zu der alle, die an dem politischen und sozialen Problem "Land grabbing" interessiert sind, eingeladen sind. Der Aufruf "Conférence internationale: « Stop Land Grabbing » 17th - 20th November 2011 in Nyeleni/Mali" vom 20. Juli 2011.
Stadtplanung mit dem Revolver: Todesopfer
Was Mexiko kann, kann Mali auch: Regierungspolitik mit Waffengewalt durchsetzen. Der Entwicklungsplan für den Großraum Bamako hat von Beginn an den Widerstand jener Menschen hevorgerufen, die im Zuge dieser Entwicklung vertrieben werden sollen - viele Tausend. Sie haben sich in einer Union der Anwohnervereinigungen zusammengeschlossen - und eine Versammlung eben dieser Union wurde jetzt von Polizisten (außer Dienst) überfallen, wobei ein Aktivist ermordet wurde. Im Zuge der Versuche, den Todesschützen dingfest zu machen wurde dieser verletzt und die dazu kommenden Kollegen im Dienst nahmen drei Aktivisten fest. Der ausführliche Bericht "Assassinat d'un militant du droit au logement à Bamako" vom 15. November 2009 auf der Seite der "No Vox" inklusive vieler Beiträge zum Hintergrund dieser Auseinandersetzungen.
Forum der "ohne Stimme" anstatt WSF
Die vielleicht weitestgehende Kritik am Weltsozialforum äussern die beteiligten Gruppierungen an dem 1. Forum der Menschen "ohne Stimme": Die Armen dieser Welt hätten im WSF keine Repräsentanz und müssten sich deshalb selbst zusammenschliessen: Was sie Anfang April in Bamako getan haben. AktivistInnen sozialer Bewegungen aus Mali luden Gruppierungen aus Benin, Burkina Faso und Frankreich ein, auch aus dem Togo kamen AktivistInnen. Sie knüpften die Kontakte mit den zahlreichen Menschen, die in Bamako ihre Wohnstätte gegen Stadtplaner und Bauunternehmen verteidigen und stellten die Forderung auf, dass für jedes Quartier ein Entwicklungsplan mit der Bevölkerung diskutiert werden muss und nur mit ihrer mehrheitlichen Billigung angenommen werden darf. Sie trafen die entlassenen Bergarbeiter von Morila und organisierte StraßenhändlerInnen. Die "Déclaration des sans voix" vom 5. April 2009.
Abkommen zu erwünschten und unerwünschten Zuwanderern: Mali sagt erneut ,merde' zu Frankreich
"Zum vierten Mal hintereinander hat die westafrikanische Republik Mali am vergangenen Donnerstag, den 8. Januar 09 die Unterzeichnung eines Abkommens mit Frankreich über die "gemeinsame Verwaltung der Migrationsströme" (sur la gestion concertée des flux migratoires) verweigert. An jenem Donnerstag musste der Generalsekretär des französischen Ministeriums "für Einwanderung und nationale Identität", Patrick Stéfanini, unverrichteter Dinge aus Bamako wieder abreisen. Zuvor war es beiden Seiten nicht gelungen, zu einer Vereinbarung gelangen. Gleichzeitig demonstrierten mehrere hundert Menschen gegen das geplante Abkommen, in der Hauptstadt Bamako und in der Bezirkshauptstadt Kayes - im Westen des Staatsgebiets und im Mittelpunkt einer trocken-halbenwüstenhaften Zone, aus welcher ein Großteil der Ausland lebenden Arbeitsmigranten aus Mali stammt." Artikel von Bernard Schmid vom 13.1.09
Lehrerstreik im siebten Monat
Die Jahresabschlußprüfungen stehen vor der Tür - eigentlich. Dieses Jahr wohl kaum, denn die Lehrer streiken seit nunmehr sieben Monaten - es geht um Ausgleichzahlungen für die auch in Mali rasante Teuerung. Die Regierung sagt: Können wir uns nicht leisten. Die Koordination der Lehrergewerkschaften sagt: Wir können es uns nicht leisten zu arbeiten und zu hungern. Die sogenannte öffentliche Meinung ist zerstritten: Schließlich gibt es auf Karriere drängende auch in Mali...Eine Ahnung von den Auseinandersetzungen gibt der Beitrag "Teacher strikes may mean 'blank' school year" der UN-Nachrichtenagentur Irin vom 10. Juni 2008.
Vereinigung der Ausgewiesenen: 25.000 mal Unrecht
Nicht zu Unrecht werden sie von der kritischen Öffentlichkeit hierzulande im wesentlichen als Opfer wahrgenommen: im Grunde Opfer des falschen Versprechens der bürgerlichen Demokratie jeder Mensch könne sein Glück verfolgen, oder heute überall hinreisen (Voraussetzung: Zahlungsfähigkeit). Und natürlich Opfer der waffenstarrenden Festung Europa. Aber wer solche Aktionen wie Migration ohne Papiere auf sich nimmt, gehört ohnehin zu den aktiven Kräften der Gesellschaft. Von daher ist es kaum überraschend, dass es in einem Wegziehland wie Mali auch eine Organisation gibt, in der sich die aus anderen Ländern Vertriebenen zusammenschließen, im Kampf um materielle Anliegen - und um Menschenwürde. So empfängt die AME beispielsweise jede und jeden auf dem Flughafen von Bamako, die aus Frankreich vertrieben worden sind - im ersten Sarkozyjahr sollen dies 25.000 Menschen sein. Die "Pressemitteilung" vom 24. November 2007 übt entsprechend herbe Kritik an den Regierungen der EU.
In Frankreich gejagt - in Mali geschlagen
Vor zehn Jahren wurden sie - die sich in die Kirche
Saint Bernard in Paris gefflüchtet hatten - aus Frankreich
verjagt: Menschen ohne Papiere aus Mali. Jetzt wollte ihre Schutzvereinigung
eine Demonstration zu diesem 10. Jahrestag organisieren - in Bamako.
Worauf die Ordnungskräfte der Republik ihren Dienst versahen:
Verbot, Beschlagnahme, Festnahme. Der (französische) Bericht
"Les expulsés
maliens entre le marteau et l'enclume" von COULIBALY DOH,
publiziert am 30. August 2006 auf der Mailingliste Maghreb-DDH.
Monatelanger Bergwerkstreik
Im Juli 2005 streikten die Arbeiter der Goldmine von
Morila bei Sikasso in Südmali (die den grössten Beitrag
dazu leistet, dass Mali, nach Südafrika und Ghana drittgrösster
Goldproduzent Afrikas ist) drei Tage lang für bessere Löhne
und Arbeitsbedingungen. Ganz konkret ging es dabei um Ausbezahlung
ihnen zustehender Prämien und das Recht auf gewerkschaftliche
Organisation, das den Kollegen verweigert wird, vor allem indem
der Sekretär des betrieblichen Gewerkschaftskomitees sich ständiger
Entlassungsversuche erwehren muss. Bei Streikende wurden zunächst
17 Arbeiter entlassen, dann 311 , und weil sich die Belegschaft
weiter wehrte, stieg diese Zahl sukzessiv auf inzwischen 530 entlassene
Bergarbeiter an - und 9 von ihnen wurden von der Polizei am 14.
September 2005 ohne weitere Begründung festgenommen. Die französische
Firmengruppe Bouygues, die hinter dem verschachtelten Unternehmenskomplex
steht, hat sich bisher geweigert Verhandlungen aufzunehmen - obwohl
seit dem Sozialforum auch die französischen Gewerkschaften
darauf drängen und eine solidaritätskampagne organisiert
haben. Der (französische, hiermit kurz zusammengfessate) Aufruf
"Morilla
en lutte"
vom 1. Februar 2006 auf der Webseite der Morilla-Belegschaft.
Flüchtlinge
aus Ceuta und Melilla sprechen
Mali, Kamerun und Senegal - das sind die drei Länder
aus denen die schwarzafrikanischen "Flüchtlingswellen"
in Marokko und nach Spanien, die angeblich die EU bedrohen, vor
allem stammen. Über ihre Erfahrungen in Marokko und Spanien
im September und Oktober 2005 und ihre Fluchtgründe sprechen
Flüchtlinge aus Mali in dem (französischen) Bericht "La
force des vaincus - Des refoulés maliens de Ceuta et de Melilla
témoignent"
auf der Seite der AMTF (Maghrebinische Arbeitervereine in Frankreich).
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