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Updated: 18.12.2012 15:51 |
„Sozialforum Migration“ im marokkanischen Oujda Auf eine Initiative des „Sozialforum Maghreb“ hin versammelte sich am vergangenen Wochenende des 06./07. Oktober 12 ein Sozialforum Migration (Forum social des migrants) in Oujda, im Nordosten Marokkos, in wenigen Kilometern Entfernung von der Grenze zu Algerien. Am Samstag früh gegen 09.30 Uhr begann die Veranstaltung im „Aktivitäts- und Fortbildungszentrum der Vereine/Bürgerinitiativen“ (Espace de formation et d’animation du Tissu associatif) in einem Vorort der Halbe-Million-Einwohner-Stadt Oujda. Bei angenehmen 30° Grad Aussentemperatur tröpfelten die TeilnehmerInnen ein. Bei einer ersten Runde am Vormittag betonten Redner wie Mohieddine Cherbib von der in Paris ansässigen FTCR (vgl. oben) die Einbettung der Migranten-Solidarität in einen thematischen Zusammenhang mit den sozialen und demokratischen Kämpfen in Nordafrika. Das diesjährige „Sozialforum Migration“ (welches das zweite seiner Art bildete, nach einer ersten ähnlichen Veranstaltung in Brüssel am 18. Dezember 2010) bildete einen integralen Bestandteil für die Vorbereitung des Weltsozialforums in Tunesien 2013. Letzteres, das wiederum eine Verbindung zwischen den weltweiten sozialen Bewegungen und den Umbrüchen in der arabischsprachigen Welt seit dem Winter 2010/11 herstellen soll, findet vom 26. bis 30. März 13 in Tunis statt. Bereits beim ersten Sozialforum, das im Maghreb stattfand – 2008 im marokkanischen El-Jedida, als alle Staaten der Region noch ausnahmslos autoritär regiert wurden – war die Solidarität mit den Einwanderern ein wichtiges Thema, wie Driss El-Korchi betonte. Bereits damals war eine starke Präsenz von subsaharischen Einwanderern sowie eine Zusammenarbeit mit senegalesischen und malischen (also westafrikanischen) Vereinigungen zu verzeichnen. Zwei Jahre später forderte die Versammlung vom Dezember 2010 in Brüssel zu einer besseren Garantie der Rechte von Einwanderer, sei es in Europa oder in Nordafrika selbst, auf. Seitdem hat sich an dieser Front nicht viel getan: Die europäischen Staaten haben die „Internationale Konvention für die Rechte von Migranten und ihrer Familien“ (die im Jahr 1980 im Rahmen der UN ausgehandelt worden war) nicht ratifiziert, wozu das „Sozialforum Migration“ in Brüssel sie aufgefordert hatte. Umgekehrt haben die nordafrikanischen Länder sie zwar ratifiziert, setzen sie aber zum Großteil nicht in die Praxis um. Migranten, die über Nordafrika nach Europa (oder in die spanischen Enklaven auf dem Boden Marokkos, Ceuta und Melilla, und dadurch auf EU-Territorium) zu gelangen versuchen, werden durch die Polizei gejagt, schikaniert, verfolgt, in die Wälder im Hinterland von Ceuta & Melilla getrieben oder in der Wüste ausgesetzt. Was sich seit 2008 bzw. 2010 hingegen verändert hat, ist, dass die Staaten Nordafrikas weitaus stärker selbst zu Einwanderungsländern geworden sind. Historisch stellten sie eher Auswanderungs- und später Durchgangsländer auf dem Weg nach Europa dar. Doch in den allerletzten Jahren werden sie immer stärker vom Transit- zum Aufenthaltsland. Zahlreiche Migranten geben, wie seit 2007 verstärkt zu beobachten ist, ihren Traum vom Weiterkommen nach Europa im Endeffekt auf und lassen sich in Marokko oder den Nachbarländern nieder – wo die Lebensbedingungen oft immer noch besser sind, als in ihren Herkunftsländern sÜdlich der Sahara. Daraus resultiert eine neue Dimension von Kämpfen um Anerkennung, um Rechte am Aufenthaltsort. Eine besonders dramatische Situation erleben dabei oft die Frauen, denen etwa die in Marokko (wo sie einstmals als Studentin anfing) lebende Kamerunerin Mariam Hélène Yamta in einem eigenen Beitrag ausführte, aber auch durch andere ZeugInnen und Aktive immer wieder betont wurde. Zu den immer wiederkehrenden Berichten zählten Feststellungen, dass Frauen von marokkanischen oder algerischen Polizisten – die sie an der Durch- und Weiterreise hindern, aus Grenznähe in abgelegene Regionen abschieben oder vertrieben – als „Freiwild“ für sexuelle Gewalt behandelt werden. Dass ihnen der Zugang zu Krankenhäusern, insbesondere um ihre Kinder auf die Welt zu bringen, verwehrt werde und dass den Kindern die Einschreibung in marokkanische Schulen verweigert werde. In vielen Fällen haben Kinder von „illegalen“ Ein- oder DurchwanderInnen, die in Marokko geboren wurden, keinerlei „legale Existenz“, da die Behörden ihren Müttern die Ausstellung von Geburtsurkunden oder anderen amtlichen Dokumenten verweigern. (In dieser Hinsicht ist die Situation sogar noch wesentlich übler als etwa in Frankreich, wo „illegalen“ EinwanderInnen zumindest der Zugang zur Gesundheitsversorgung als elementarem Rechtsgut gewährleistet sowie die Schulpflicht auch für ihre Kinder respektiert/durchgesetzt wird.) Wie der kamerunische Migrant – der frühere Durch- und Einwanderer in Marokko lebt heute in Frankreich – und Schriftsteller Fabien Didier berichtete, gibt es ferner bis heute kein Untersuchungsverfahren gegen die Urheber der Todesschüsse vom Oktober 2005, die 14 Migranten bei einem Durchbruchsversuch am Zaun von Melilla das Leben kosteten. Spanische und marokkanische Grenzbehörden sowie Polizisten schieben sich eifrig gegenseitig die Verantwortung zu. Dabei müsste es anhand von Aufnahmen, aber auch durch eine Untersuchung der eingesetzten Munition sowie durch ballistische Analysen leicht festzustellen sein, von wem bzw. welcher Seite die 14 Menschen erschossen und Dutzende weitere verletzt wurden. Ein Teil der Diskussion am Nachmittag war ferner der Schließung der Grenzen innerhalb des Maghreb gewidmet. Seit 1994 (damals diente ein Attentat in Marrakech als Vorwand, das aber nicht durch Algerier oder Marokkaner verübt wurde, sondern durch durchgeknallte junge Franzosen mit djihadistischer Ideologe) ist die Grenze zwischen Marokko und Algerien vollkommen dicht. Nach der Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist sie eine der am längsten und vollkommsten geschlossenen Grenzen auf dem Planeten, seitdem es keinen Ostblock mehr gibt. Örtliche AnwohnerInnen mit Familienhintergrund auf beiden Seiten der Grenze, wie die Referentin Fatiha, berichteten über die teilweise dramatischen menschlichen Auswirkungen. Ursächlich für diese Politik der hermetischen Abriegelung unter Nachbarländern sind (neben politischen Konflikten zwischen beiden Regierungen um die Westsahara) u.a. die Nebenwirkungen bei der Umsetzung des nach Nordafrika ausgelagerten EU-Grenzregimes. Aber auch dadurch, dass die jeweilige einheimische Mafia durch die Grenzschliessung am Schmuggel verdienen kann, sitzen Profiteure in den jeweiligen Regimes. Die Veranstaltung endete am Sonntag mit der Annahme einer „Erklärung von Oujda“, die u.a. eine Öffnung der Grenzen innerhalb der Maghreb-Region (Marokko, Mauretanien, Algerien, Tunesien, Libyen) fordert. Auch sollen alle Orte, an den Migranten aufgrund ihrer „illegalen“ Wanderungssituation eingesperrt oder eingeschlossen sind, abgeschafft werden. Ein besonderes Augenmerk soll der Garantie der Recht von weiblichen Migrantinnen, die besonderen Gewaltverhältnissen ausgesetzt sind, gelten. Am Samstag Abend fanden neben dem „offiziellen“ Programm (das teilweise auch durch seine Beschränkungen auffiel, die Institutionalisierungstendenzen geschuldet sind: neben den Podiums-Redner/inne/n kam das Publikum am Samstag zu wenig zu Wort, was durch die subsaharischen Afrikaner z.T. heftig kritisiert wurde) „selbstverwaltete“ Workshops statt. Besonders hervorzuheben ist dabei das Gewerkschaftsforum, das durch die marokkanische Gewerkschaft ODT (Organisation démocratique du travail) angeboten wurde und an dem rund 70 Menschen teilnehmen, in deutlicher Mehrheit subsaharische Lohnabhängige in Marokko. Die ODT ist eine junge Gewerkschaftsvereinigung – sie wurde am 05. August 2006 gegründet -, die gewisse Ähnlichkeiten zu den SUD-Basisgewerkschaften in Frankreich aufweist und zu deren Dachverband Solidaires Kontakte hält. Seit dem 01. Juli 2012 verfügt sie über eine eigene Mitgliedsgewerkschafts für Arbeitsmigranten, deren Mitglieder sehr zahlreich vertreten waren. Dieses selbstverwaltete Forum könnte den aktivsten und attraktivsten Teil der zweitägigen Zusammenkunft dargestellt haben. Artikel von Bernard Schmid vom 9.10.2012 |