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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zentralamerika im Ausverkauf?

Die EU und Zentralamerika verhandeln ein Assoziierungsabkommen

Seit Oktober 2007 verhandelt die EU mit den Ländern Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica und Panama (als Beobachter) über ein Assoziierungsabkommen. Darin sollen der politische Dialog und die Entwicklungskooperation zwischen der EU und Zentralamerika geregelt und - als eigentliches Interesse - eine umfassende Zoll- und Handelsfreiheit vereinbart werden. Noch in diesem Jahr könnte das Abkommen unterschriftsreif werden. Solidaritätsorganisationen machen dagegen mobil.

"Im Freihandelsabkommen legen wir fest, ob wir uns selbst umbringen oder eines natürlichen Todes sterben." So bringt Sinforiano Cáceres, Vorsitzender eines nicaraguanischen Kooperativenverbandes, die Entscheidungsalternative auf den Punkt. Gegen breiten Widerstand in den betroffenen Ländern wurde vor drei Jahren ein bilaterales Freihandelsabkommen zwischen den USA und Mittelamerika (Central American Free Trade Agreement, CAFTA) abgeschlossen. Nun begibt sich auch die EU in den Wettlauf der großen Wirtschaftsblöcke um natürliche Ressourcen und Märkte in Zentralamerika.

Bis zum Jahr 2010 möchte die Europäische Union zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 aufsteigen. Dieses Ziel - "die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen" - formulierten die Staats- und Regierungschefs der EU bereits im März 2000 in der Lissabon-Strategie. Auf Grundlage der europäischen Außenhandelsstrategie "Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt" (2006) versucht Europa, eine ganze Reihe ehrgeiziger "WTO-plus-Ziele" (Ziele, die "noch nicht reif sind für multilaterale Gespräche") im Rahmen bilateraler oder regionaler Abkommen im Alleingang voranzutreiben. In Abgrenzung zu den USA präsentiert sich die EU als Vertreterin von Demokratie und Menschenrechten und propagiert einen Neoliberalimus mit menschlichem Antlitz. Damit soll durchgesetzt werden, was in der WTO wegen des anhaltenden Widerstandes der Länder des Südens nicht erreicht werden konnte.

Europa im Wettlauf um Märkte und Ressourcen

In der wirtschaftspolitischen Expansion sind die Forderungen der EU eindeutig: Die VertragspartnerInnen müssen gute Bedingungen für europäische ExporteurInnen und InvestorInnen bieten. Dies gilt für die so genannten AKP-Staaten (78 Länder in Afrika, der Karibik und im Pazifik) sowie für Chile, Indien, den Anden-Pakt oder die Staaten Zentralamerikas. Nach dem eingangs erwähnten Strategiepapier der EU-Kommission geht es dabei um den umfassenden Abbau aller so genannten nicht-tarifären Handelshemmnisse, den ungehinderten Zugang zu Energie und Rohstoffen, den verschärften Schutz geistiger Eigentumsrechte transnationaler Unternehmen, um die beschleunigte Öffnung von Dienstleistungsmärkten, die Liberalisierung öffentlicher Beschaffungsmärkte sowie um die Durchsetzung ungehinderter Niederlassungsfreiheit für Unternehmen.

Verhandelt wird in 14 Untergruppen. Nur je eine Gruppe beschäftigt sich mit den Themen "politischer Dialog" und "Zusammenarbeit", während zum Thema Handel gleich zwölf Untergruppen eingerichtet wurden. Im Wesentlichen geht es der EU jedoch gar nicht um die Förderung des Handels mit den zentralamerikanischen Ländern, sondern um den Zugang europäischer Konzerne zu neuen Märkten und staatlichen Ausschreibungen, um die Absicherung von Investitionen europäischer Konzerne und die Nutzung und Ausbeutung von natürlichen Ressourcen (z.B. Biodiversität, Energie und Wasser) in Zentralamerika. Außerdem will die EU politische PartnerInnen in einer Region gewinnen, die lange als der "Hinterhof" der Vereinigten Staaten bezeichnet wurde.

Die ZentralamerikanerInnen wollen im Gegenzug für ihre Produkte Zugang zum Markt der Europäischen Union erhalten. Zum Ende der 6. Verhandlungsrunde akzeptierte die EU den freien Zugang zum EU-Markt für 8.930 Produkte aus Zentralamerika und die Region wiederum kam überein, die Importzölle auf 80 Prozent der Produkte zu streichen, die von der EU in die Region exportiert werden. Nicht einverstanden mit einer Zollsenkung ist Zentralamerika bei Milch- und anderen von der EU hochsubventionierten Exportprodukten.

Das Assoziierungsabkommen würde in gleicher Weise wie das vor drei Jahren mit den USA geschlossene Freihandelsabkommen CAFTA dazu beitragen, immer größeren Bevölkerungsteilen die Lebensgrundlagen zu entziehen. Privatisierungen im Wassersektor und im Gesundheitswesen würden die Kosten in diesen Bereich explosionsartig ansteigen lassen; die Leistungen wären für weite Teile der Bevölkerung nicht mehr erschwinglich.

Regelungen zum geistigen Eigentum würden dazu führen, dass weitere generische Medikamente verboten werden und dass die schon jetzt desolate Versorgungslage sich noch verschlechtert. Durch die Einführung von Patenten auf Saatgut würden BäuerInnen gezwungen, ihr Saatgut bei europäischen Konzernen teuer einzukaufen. Mit den stark subventionierten, industriell produzierten Nahrungsmitteln aus dem Norden könnten die KleinbäuerInnen zudem nicht konkurrieren. Viele müssten ihre kleinbäuerliche Landwirtschaft aufgeben. Die Ernährungssicherheit würde weiter abnehmen.

Mega-Infrastrukturprojekte und Rohstoffausbeutung zögen größere Umweltzerstörungen und Vertreibungen der Landbevölkerung nach sich. Denn auch das Assoziierungsabkommen enthält Bestimmungen zum Schutz von Investitionen. Die erlauben es Privatunternehmen, Nationalstaaten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn auf Grund von Umwelt- und Sozialstandards die erwarteten Gewinne verloren gehen. Solche horrenden Summen können die zentralamerikanischen Länder nicht zahlen. Somit werden die wirtschaftlichen Interessen von InvestorInnen über nationale Gesetze gestellt.

Die Fortsetzung des CAFTA durch die EU

Liberalisierungen im öffentlichen Beschaffungswesen würden eine internationale Konkurrenz mit sich bringen, der einheimische Unternehmen nicht gewachsen sind. Die Folge wäre eine noch höhere Arbeitslosigkeit. Schon jetzt können die in den so genannten Weltmarktfabriken (Maquilas) entstandenen, schlecht bezahlten, extrem prekären und oft ungesunden Arbeitsplätze der weltweiten Konkurrenz um die billigste Arbeitskraft nicht mehr standhalten. So wandern viele Produktionsstätten in asiatische Länder ab. Immer mehr Menschen Zentralamerikas suchen ihr Fortkommen im informellen Sektor oder in der Migration. Nach drei Jahren des CAFTA-Freihandelsabkommens mit den USA geben die bereits erkennbaren Folgen für die Wirtschaften und die Menschen in Mittelamerika den Befürchtungen der KritikerInnen weitgehend Recht.

Angesichts dieser auch beim EU-Assoziierungsabkommen absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Nachteile stellt sich die Frage, weshalb die zentralamerikanischen Regierungen neue Freihandelsabkommen nicht blockieren, sondern sie sogar vorantreiben? Immerhin besteht mittlerweile Konsens über 80 Prozent des Vertragstextes. Dabei überwiegen gerade in landwirtschaftlich geprägten Ökonomien wie Nicaragua die Risiken und Kosten deutlich die Chancen und Vorteile.

Doch die nationalen Entwicklungspläne gehen davon aus, dass eine tief greifende Umstrukturierung der Wirtschaft hin zum Exportbereich und zu so genannten Entwicklungsclustern notwendig sei. Es sollen - so die Hoffnung - wirtschaftlich dynamische Regionen und Produktionsketten entstehen. Migration vom Land in die Städte und das Verschwinden von Subsistenzwirtschaft und lokalen Wirtschaftskreisläufen werden dabei als unabdingbar in Kauf genommen. Potenzielle GewinnerInnen sind alle Global Player, die über Ländergrenzen hinweg operieren oder mit HandelspartnerInnen in anderen Vertragsländern zusammenarbeiten.

Dazu gehören Import-Export-Unternehmen, der Banken- und Finanzsektor, ein Teil des exportorientierten Agrarsektors und die Tourismusbranche. Die Tatsache, dass die 7. Verhandlungsrunde am 31.März in Tegucigalpa (Honduras) an der Forderung Nicaraguas nach der Einrichtung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzfonds scheiterte, lässt jedoch hoffen, dass der Widerstand gegen die Verträge vielleicht doch noch zu einer grundsätzlichen Überprüfung führen kann.

Die Alianza Social Continental (ASC), ein gesamtamerikanisches Netzwerk von NGOs, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, das sich seit 1997 als Gegenbewegung zu den Freihandelsabkommen in der Region entwickelt hat, will den Integrationsprozess "von unten" unter Einbeziehung der verschiedenen sozialen Sektoren stärken. Ihr Vertreter Raúl Moreno sieht in den Auswirkungen von CAFTA einen Ausblick auf die negativen Folgen, die auch vom EU-Assoziierungsabkommen zu erwarten sind. Er fordert, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nationen von der Anerkennung der Asymmetrie zwischen den Beteiligten ausgehen müssen. Aus seiner Sicht "müssen die Länder Europas die Bezahlung der historischen ökologischen und sozialen Schuld in Angriff nehmen, die Europa seit der Eroberung Amerikas angehäuft hat. Die Jahrhunderte lange Ausbeutung und Plünderung unserer natürlichen Ressourcen, zu der seit dem vergangenen Jahrhundert das Eindringen der europäischen Konzerne gekommen ist, hat erhebliche ökologische und soziale Auswirkungen auf die Bevölkerung Zentralamerikas gehabt", so Moreno.

Via Campesina, ein weltweites Netzwerk von Bauernorganisationen, lehnt die Wirtschaftsverhandlungen gleichfalls ab. Solche Verträge hätten bisher "die Armut, die Migration, die Arbeitslosigkeit auf dem Land, die Gewalt und den Abbau nationaler Produktion verschlimmert". Sie seien "immer ein Instrument des Neoliberalismus". In Zentralamerika wollen sich die Via-Campesina-Gruppen mit anderen sozialen Bewegungen gegen das Assoziierungsabkommen zusammen schließen und der Forderung nach einem "gerechten, solidarischen und nachhaltigen Handel, der den Menschen nützt und nicht den großen Transnationalen" Gehör verschaffen.

Auch in Europa regt sich seit einigen Jahren Widerstand gegen die Freihandelsabkommen. Grupo Sur, ein Netzwerk von elf europäischen Nichtregierungsorganisationen, macht in seinen Publikationen auf die drohenden Folgen des Assoziierungsabkommens aufmerksam. Der EU wirft das Netzwerk vor, sich die derzeitige Finanzkrise zu Nutze zu machen, um in den Verhandlungen mit Zentralamerika bessere Konditionen durchzusetzen.

Ein Hauch von Widerstand regt sich

Auf einem Treffen von Organisationen in Deutschland, die seit Jahrzehnten mit ihren Partnerorganisationen in Zentralamerika im solidarischen Austausch stehen und für eine lebenswertere Welt kämpfen, wurde im vergangenen Jahr die gemeinsame Kampagne "Stop-Assoziierung!" ins Leben gerufen. InitiatorInnen sind das Ökumenische Büro München, die Christliche Initiative Romero Münster, der Nicaragua-Verein Hamburg, das Nicaragua-Forum Heidelberg und das Informationsbüro Nicaragua Wuppertal. Gemeinsam mit Gewerkschaften, BäuerInnen-, VerbraucherInnen- und anderen Organisationen aus Zentralamerika verfolgen sie das Ziel, einen Integrationsprozess "von unten" zu stärken und Alternativen zu erarbeiten, die sich an den Lebensumständen der Menschen orientieren.

Ein weiteres zentrales Ziel ist es, das Thema Assoziierungsabkommen einer kritischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen und nach Interventionsmöglichkeiten zu suchen. Denn bisher fanden die Verhandlungen sowohl in der EU als auch in Zentralamerika unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Um dem entgegen zu wirken, findet vom 25.-30. Mai eine bundesweite Aktionswoche statt. Wer sich beteiligen möchte, findet unter www.stop-assoziierung.de Aktionsideen, -orte und Veranstaltungstermine. Ob es gelingen wird, in Europa einen größeren Protest loszutreten, bleibt fraglich. Schließlich sind die Leidtragenden mal wieder nicht die Menschen hier, sondern vor allem in den Ländern des Südens.

Sonja Lüddecke, Informationsbüro Nicaragua, erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 538 / 17.4.2009


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