Home > Internationales > Kirgisien > rekar
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Landbesetzungen, neue Regierung und alte Gewerkschaften

Samthandschuhe haben die Behörden in Bishkek wahrlich nicht angelegt, um die Landbesetzungen rund um die Hauptstadt Kirgisiens "in den Griff" zu kriegen. Die Lebensumstände der KirgisInnen sind durchaus so, dass niemand auf irgendeine Wahl warten will, um Regierungen zu ändern.

Eine aktuelle Materialzusammenstellung vom April 2005 von Daimon Rekar.

Wie abgesprochen, sende ich euch meine - subjektive - Auswahl an Materialien, die euerer Leserschaft vielleicht ermöglichen, die Situation in Kirgisien etwas besser zu verstehen. Mit einem bias auf Gewerkschaften bzw sozialer bewegung, wie erbeten.

Neue Regierung - alte Probleme

Der Sturz von Akaev hat natürlich zunächst einmal überhaupt nichts an den Problemen der Menschen des Landes geändert. Vielleicht schicke ich ein paar Grundinfos vorweg: Kirgisien mit seinen rund 5 Millionen Menschen ist - vielleicht - das Binnenland, das am meisten Binnenland ist. Nicht nur selbst, sondern auch seine Nachbarstaaten sind meist Binnenländer, das Meer ist weit. Und fast die Hälfte unseres Staatsgebietes liegt um die oder über 3.000 Meter hoch. Im Norden reicher im Süden - wo die meisten Nichtkirgisen leben - ärmer, das ist die Grundtatsache der Wirtschaftsgeographie - samt etwas Gold.

Der vielleicht beste Einführungstext zur aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen in Kirgisien - inklusive der üblichen zynischen kapitalistischen Sprache - ist ein Bericht einer UN-Delegation aus dem Jahre 2002 "THE MACROECONOMICS OF POVERTY: A CASE STUDY OF THE KYRGYZ REPUBLIC" externer Link pdf-Datei beim "Center for social and economic research in Kyrgyzstan" (CASE). Ein Bericht, der besagt, dass die Armut im Lande in den 90er Jahren beständig zugenommen hat und etwa die Hälfte der Bevölkerung betraf, überdurchschnittlich viele auf dem Lande und im Süden des Landes. Die kirgisischen Gewerkschaften loben sich selbst - weil es sonst keiner tut? - etwa über ihre Beteiligung am Programm zur Armutsreduzierung. In ihrem Beitrag "Building a fair society – Kyrgyzstan’s unions and poverty reduction" schreibt Svetlana F. Semyonova die Vorsitzende der Abteilung für wirtschaftlichen und sozialen Schutz der ArbeiterInnen" der Federation of Trade Unions of Kyrgyzstan (FTUK), dass das Programm gut sei und wirksam werden würde im Sinne einer sozialpartnerschaftlichen Strukturierung der wirtschaft. Und erwähnt dann ganz nebenbei, dass die einzig konkrete Forderung - nach dem Mindestlohn - "leider nicht" berücksichtigt worden sei...Der kirgisische Text ist zu finden in der (englischen) Broschüre "Trade unions and poverty reduction strategies" externer Link pdf-Datei der ILO.

Landbesetzungen - gewerkschaftliche Solidarität Fehlanzeige

Entsprechend ihrer Ausrichtung auf Zusammenarbeit sind die kirgisischen Gewerkschaften (zumindest:bisher) auch "stumm" geblieben bezüglich der ersten sozialen Maßnahmen der neuen Regierung: deren Vorgehen gegen Landbesetzungen in mehreren Teilen des Landes, vor allem aber rund um Bishkek. Eine Bewegung, die diese Regierung "geerbt" hat, denn die Landbesetzungen begannen bereits 2003, aber Ende März/ Anfang April 2005 beteiligten sich rund 20.000 Menschen an Landbesetzungen allein im Einzugsgebiet der Hauptstadt. Es geht dabei vor allem um Land für Wohnraum und kleine (Subsistenz) Gärten. Die neue Regierung ist voll auf Konfrontation gegangen - alle LandbesterInnen (bzw: die Organisatoren der Aktion) seien nur Landspekulanten, gegen die mit der Polizei vorgeangen werden müsse. Damit dürfte Kirgisien das einzige Land der Welt sein, in dem, alles in allem, die Landspekulanten über 1 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Und selbst wenn Spekulanten dabei sein sollten: Einfluss können sie nur gewinnen, weil drängende Probleme da sind.

Für diese Probleme macht es wenig Unterschied, welcher Teil der - allesamt aus der KPdSU stammenden - Elite die regierung innehat, ob ein Klan andere ausschliesst oder welche Streitigkeiten die auch immer haben. Allesamt haben sie Angst vor starken sozialen Bewegungen - und allesamt haben sie einerseits auch Angst und andererseits schüren sie die Widersprüche zwischen Kirgisen und Usbeken im Süden, wo es in den 80er Jahren mehrfach heftige Unruhen und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen gab.

Für einen Einblick in diese politischen Auseinandersetzungen der Herrschenden ist der Bericht "Kyrgyzstan's Chronic Complications" externer Link von Dr. Michael A. Weinstein beim "Power and Interest News Report" (PINR) vom 18. März 2005 eine lesenswerte Einführung.

So, ich hoffe, dass ich damit der Leserschaft des LabourNet Germany nützlich sein konnte,

viele Grüsse Daimon.

(Aus dem Russischen, mit viel Hilfe, Hängen und Würgen, übersetzt von hrw)


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang