Home > Internationales > Kanada > rosenfeld | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Neue Organisierungsstrategien? Gewerkschaft CAW opfert Streikrecht in Magna-Betrieben auf dem Altar der »Neuen Partnerschaftlichkeit« - von Herman Rosenfeld* Mitte Oktober hatte die CAW (Canadian Auto Workers) bekannt gegeben, wie sie Magna organisieren will, den größten Arbeitgeber in der Autoindustrie nördlich der US/kanadischen Grenze. Magna ist für seine antigewerkschaftliche Politik berüchtigt. Das, was da von der CAW mit dem Management des Autoteile-Riesen verhandelt wurde, heißt in der gemeinsamen Diktion »Framework For Fairness« und legt fest, dass Magna sich der gewerkschaftlichen Organisierung nicht mehr in den Weg stellt – und dass die CAW im Gegenzug darauf verzichtet, eine unabhängige gewerkschaftliche Präsenz in den Betrieben aufzubauen und vom Streikrecht Gebrauch zu machen. Wie ihre UAW-Kollegen, die gegen Kritiker konzessionärer Tarifverträge in der Autoindustrie vorgegangen sind, hat die CAW-Führung Vorkehrungen getroffen, die Opposition gegen die Vereinbarung zu begrenzen. Trotz massiven Drucks durch die Funktionäre wollen sich oppositionelle Mitglieder jedoch bei einem Treffen im Dezember 2007 gegen die Vereinbarung stark machen. Ein Deal zur Beschränkung gewerkschaftlicher Rechte Zwei Jahre lang hat die CAW diese Vereinbarung mit Magna verhandelt; sie könnte die Organisierung von 18000 Arbeitern in 45 Betrieben in den nächsten zehn Jahren bedeuten. Um Zugang zu diesen potenziellen Mitgliedern zu bekommen, hat die CAW massive Einschränkungen der Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben akzeptiert. In jedem einzelnen der Betriebe – mancher von ihnen mit über 1500 Beschäftigten – ist die Gewerkschaft laut Vereinbarung lediglich durch einen einzigen Repräsentanten vertreten. Dieser »Beschäftigten-Sprecher« (employee advocate) – ein Begriff aus Magnas gewerkschaftsfeindlicher Terminologie der Partnerschaftlichkeit (jointness) – soll vom Assistenten des CAW-Präsidenten aus einer Liste ausgewählt werden, die das so genannte »fairness committee« (noch so ein Konstrukt aus der Gedankenwelt der Kollaboration von Arbeit und Management) aufgestellt hat. Das »Fairness-Komitee« setzt sich aus Gewerkschaftsmitgliedern (51 Prozent) und Management bzw. nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten (49 Prozent) zusammen. Die Mitglieder könnten sich drei Jahre lang weder für noch gegen ihren Vertreter aussprechen. Zu den Aufgaben des »Beschäftigten-Sprechers« gehört es, »mit allen Parteien zu arbeiten, um kontinuierlich Verbesserungsideen zu entwickeln, die die Wettbewerbsfähigkeit der Abteilung steigern.« Die Gewerkschaftsmitglieder im »Fairness-Komitee« dürfen nicht wie Betriebsräte [1] agieren. Eine Kandidatur für das Komitee setzt eine »saubere« Personalakte und eine Selbstverpflichtung auf die »Magna Employee Charter« voraus. Ohne Betriebsräte laufen Konfliktlösungsprozeduren unter dem »Framework For Fairness« natürlich ganz anders als in Betrieben mit unabhängigen gewerkschaftlichen Strukturen. Die Beschäftigten sollen sich laut Vereinbarung in Beschwerdefällen direkt an das Management oder das »Fairness-Komitee« wenden. Für die CAW-Mitglieder bei Magna ist kein Streikrecht vorgesehen, und wo Tarifverhandlungen nicht zur Vereinbarung führen, entscheidet ein Schlichtungsprozess, dessen Ergebnis bindend ist. Laut CAW-Präsident Buzz Hargrove erfordert der Druck durch Importe aus Asien und Einschnitte in der heimischen Autoteile-Industrie eine enge Zusammenarbeit mit dem Management. »Warum sollten wir unsere Energien damit verschwenden, darüber zu streiten, ob es in einer bestimmten Abteilung von Magna eine Gewerkschaft geben wird«, sagte er dem Toronto Star, »wenn es viel mehr Sinn macht, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und eine nicht-traditionelle, nicht-antagonistische Beziehung zu haben.« Gegen die Strömung Kritiker des Tarifvertrages sehen darin eine weitere Abkehr von den militanten Wurzeln der Gewerkschaft. Der frühere CAW-Forschungsleiter Sam Gindin argumentiert in The Bullet, dass die Gewerkschaft sich selbst beschneidet, wenn sie auf gewerkschaftliche Interessenvertretungsstrukturen am Arbeitsplatz verzichtet und sich die Sprache der Wettbewerbsfähigkeit und Interessengemeinschaft mit dem Arbeitgeber zu eigen macht. Angesichts der schwierigen Bedingungen, die die Gewerkschaft im Autosektor vorfindet, sollte eine echte Organisierungskampagne dafür sorgen, Arbeiter wirklich einzubeziehen, anstatt lediglich Beiträge zahlende Mitglieder in eine leere Hülle hereinzuholen. »Es macht nicht wirklich Sinn, den Patienten zu töten, um die Krankheit zu besiegen«, schreibt er. Gindin ist der Ansicht, dass die Vereinbarung den Prozess der Entfernung der CAW von ihren Gründungsprinzipien beschleunigt – eine Strömung, die sich seiner Meinung nach widerspiegelt in der plötzlichen Nähe der CAW zur Partei der Liberalen; im Abschluss von Vereinbarungen »für die Schublade«, wo sie Rechte am Arbeitsplatz für die Allokation neuer Produktlinien preisgab; sowie in ihrer Unfähigkeit, breite Organisierungskampagnen für Unternehmen wie Magna, Toyota und Honda auf die Beine zu stellen. Beschäftigte quer durch die Gewerkschaft haben die Vereinbarung kritisiert. Einige aktive Locals haben auf ihren Mitgliederversammlungen Resolutionen gegen die Vereinbarung verabschiedet – so z.B. das Local 222 in Oshawa/Ontario, die größte GM-Fabrik des Landes, und das Local 88 in Ingersoll/Ontario. »Wenn die Magna-Vereinbarung so durchgeht, dann ist das eine offensichtliche Bedrohung für unsere Jobs in der Autoteile-Industrie«, sagt Chris Buckley, der Präsident von Local 222, »denn schon jetzt ist die Konkurrenz um die Allokation von Produktion mörderisch. Die Zulieferer, für die meine Mitglieder arbeiten, verlieren jeglichen Handlungsspielraum, wenn das Streikrecht jetzt ein disponibler Faktor in diesem Allokationswettbewerb wird.« Wie sag ich’s meiner Basis? Die Besorgnis über die Magna-Vereinbarung hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Debatte in der Gewerkschaft ausgelöst. Arbeiter aus verschiedenen Sektoren der Gewerkschaft – Montage, Teile, Transport und Services – haben begonnen, sich unabhängig von der Führung zu organisieren. Jim Reid, Vizepräsident des großen CAW-Local 27 (Teile und Gesundheitsversorgung), kommentiert: »Ich bin entsetzt, wie diese Vereinbarung mit beinahe jedem Satz die Prinzipien gewerkschaftlicher Demokratie verletzt... Das ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden, der an das Recht der Gewerkschaftsmitglieder glaubt, frei und unbeeinflusst ihre Vertreter zu wählen.« Die CAW-Führung begegnet dieser Kritik mit einer eigenen Kampagne. Sie argumentiert, die CAW müsse angesichts weitverbreiteter Jobverluste und Outsourcings im Teilesektor und angesichts der dort existierenden Organisierungsbarrieren einen radikal neuen Weg wählen, um die Organisierungsdichte zu erhöhen. Die allgemeine Stärke der Gewerkschaft sowie ihre militanten Traditionen würden ihr dann schon noch ermöglichen, langfristig eine starke Gewerkschaft bei Magna aufzubauen. Sie haben den früheren CAW-Präsidenten Bob White engagiert, der das »Framework For Fairness« so »innovativ« findet, dass er der Ansicht ist, es sei in seiner Bedeutung nur mit der Abspaltung der CAW von der US-Autogewerkschaft UAW aufgrund von deren konzessionären Verhandlungsstrategien im Jahre 1985 zu vergleichen. Aus Angst vor Widerstand gegen den Magna-Deal produziert die CAW-Führung Materialien zur Verteidigung der Vereinbarung und versucht schon mal Pro-Stimmen für die Abstimmung im CAW-Council zu angeln, dem »Parlament« der Gewerkschaft, das dreimal jährlich über zentrale politische Fragen entscheidet. Dieses Gremium von Repräsentanten der Locals im ganzen Land, die direkt von den Mitgliedern gewählt werden, ist eine einzigartige Institution in der Gewerkschaft und hat die Macht, der Politik der Führung die Stirn zu bieten. Die Funktionäre werben damit, dass das »Framework For Fairness« Löhne auf dem Sektordurchschnitt beinhaltet, außerdem CAW-Standardforderungen wie Kollektivverhandlungen, Beschwerdeprozeduren, Entlassungs- und Versetzungsregelungen, bezahlte Erholungs- und Bildungsurlaube sowie Beiträge zum Fonds für soziale Gerechtigkeit [2]. Gleichzeitig beschleunigen sie die Abstimmungen über die Vereinbarung in den einzelnen Magna-Betrieben, um Kritikern zuvorzukommen. Unter Anpreisung einer Erhöhung des Stundenlohns um drei Dollar hat die CAW-Führung berichtet, dass 250 Arbeiter einer Fabrik in Windsor/Ontario der ersten »Framework«-Vereinbarung zugestimmt haben. Kritiker wenden ein, dass mit der beschleunigten Abstimmung eine ernsthafte Debatte beim Dezember-Treffen des CAW-Council verhindert und ein bloßes Durchwinken des »Framework For Fairness« erreicht werden soll. * Herman Rosenfeld war Arbeiter in der Produktion von GM und gehörte vor seiner Pensionierung der Bildungsabteilung der CAW an. Quelle: Labor Notes, Dezember 2007 Übersetzung: Anne Scheidhauer (tie-Bildungswerk e.V.) Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/08 (1) Anm. d. Red.: Auch wenn Funktion und Aufgaben der »Shop Stewards« in den USA eher eine Mischung aus den Aufgaben von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten und Betriebsräten darstellen und insofern nicht identisch sind mit denen der Betriebsräte im deutschen Betriebsverfassungsgesetz, wird hier aus Gründen der Vereinfachung der Begriff »Betriebsräte« verwendet. (2) Anm. d. Red.: Der Social Justice Fund ist eine Stiftung, aus der humanitäre Projekte finanziert werden. Er entstand 1990 als Beitrag zu einem weiteren Verständnis von »Social Movement Unionism« und ist mittlerweile Bestandteil zahlreicher Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen: Die Unternehmen zahlen einen bestimmten Betrag pro Arbeitsstunde jedes Beschäftigten in diesen Fonds ein. |