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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die italienischen Gewerkschaften und die "Rentenreform"

Die Auseinandersetzungen innerhalb der verschiedenen gewerkschaftlichen Strömungen und Föderationen über das Verhalten zur sogenannten Rentenreform einer von vielen als verbündet betrachteten Regierung werfen ein Licht nicht nur auf die Positionen der einzelnen Strömungen, sondern auch auf die Entwicklung von Widersprüchen und Ansätzen innerhalb der Organisationen. Die Bestandsaufnahme aus vier Artikeln von Ende Juli 2007 "Gewerkschaften und Rentenreform" übersetzt und kommentiert vom Gewerkschaftsforum Hannover.

Gewerkschaften und Rentenreform

1) "Wir sind bereit für die Barrikaden!" - pdf-Datei Interview mit Paolo Sabatini, stellvertretender nationaler Koordinator des SdL intercategoriale in "l’Ernesto" vom 27. Juli 2007

Dazu das Gewerkschaftsforum Hannover:

Übereinstimmenden Aussagen unterschiedlicher Quellen zufolge haben die Ende Juli 2007 beschlossenen und von den Spitzen der großen italienischen Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL gebilligten Abkommen über neue Gegenreformen bei den Renten, beim Sozialstaat und dem Arbeitsmarkt an der Basis die latente Unzufriedenheit weiter verschärft. Den Parteien der Mitte-Links-Regierung Prodi und den Gewerkschaftsfunktionären wird vielfach der Vorwurf gemacht: „Ihr seid doch alle gleich!“ Kein Wunder, sind die materiellen Unterschiede zur vorangegangenen Regierung Berlusconi doch eher marginal. Im gewerkschaftlichen Bereich besteht die Opposition in erster Linie aus der CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM, dem radikalen Teil der CGIL-Linken (Rete 28 Aprile) und den diversen kleinen, linken und linksradikalen Basisgewerkschaften (CUB, Confederazione COBAS, SLAI COBAS, SdL…). Das zum linken Flügel von Rifondazione Comunista (PRC) zählende, stark frequentierte Internetportal der Zeitschrift „l’Ernestoexterner Link brachte am 27.7.2007 zu diesem Thema ein Interview mit Paolo Sabatini, einem der beiden Köpfe der Basisgewerkschaft SdL intercategoriale.

Zum Hintergrund:

Der Mitte Januar 2007 durch den Zusammenschluss von Sin.Cobas und SULT entstandene Sindacato dei Lavoratori (Gewerkschaft der Werktätigen – SdL) verfügt zwar nicht über die offiziell genannten „mehr als 60.000 Mitglieder“ („Liberazione“ vom 11.1.2007), ist unseren Informationen zufolge mit real ca. 25.000 Mitgliedern jedoch, knapp vor der Basis-Einheits-Konföderation (CUB) die größte Basisgewerkschaft Italiens. (Entscheidenden Anteil an der Überhöhung der Mitgliederzahl hatten in diesem Fall übrigens der Sin.Cobas und befreundete Redakteure bei „Liberazione“. Denn während der SULT tatsächlich ca. 15.000 Mitglieder zählt, kommt der der „offiziellen“ IV.Internationale und der „Sinistra Critica“-Strömung von Rifondazione Comunista nahe stehende Sin.Cobas in Wirklichkeit nicht auf „35.000“, sondern nur auf 6-7.000 Mitglieder. Verglichen mit der sonst üblichen Verzehn- oder gar Verzwanzigfachung der realen Demonstrations- und Streikbeteiligung, d.h. der Verbreitung „italienischer Zahlen“, hält sich Aufblasen der SdL-Mitgliederzahl allerdings in bescheidenen Grenzen.) In jedem Fall bleibt der Abstand zur CGIL mit ihren offiziell 5,5 Millionen Mitgliedern enorm, was nur zu einem Teil dadurch ausgeglichen wird, dass es sich bei den Mitgliedern der Basisgewerkschaften in der Regel um Aktive und nicht um „Karteileichen“ handelt.

2) "Auseinandersetzung in der CGIL. Die Mehrheit bemüht sich darum die Regierung zu retten" - pdf-Datei ein Bericht von Antonio Sciotto in "il manifesto" vom 5. Juli 2007.

Dazu das Gewerkschaftsforum Hannover:

„Die Situation ist völlig chaotisch“, hatte Gianni Rinaldini, der Generalsekretär der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die im etablierten Gewerkschaftsspektrum den linken Flügel bildet, während der Verhandlungen über das neue Rentenabkommen verzweifelt festgestellt („il manifesto“ 14.7.2007). Und die selbstorganisierte, linke Koordination der „Betriebsräte“ bzw. „Vertrauensleute“ der CGIL – Coordinamento Nazionale RSU externer Link – dessen Website faktisch das „Labournet Italy“ ist, versah seine Stellungnahme vom 30.7.2007 mit dem Titel: „CGIL: Die Konfusion herrscht!“ Rinaldini hatte erklärt: „Arbeiterinnen und Arbeiter werden auf die Rolle von Zuschauern reduziert und verfolgen eine Diskussion, die für ihr Leben von größter Bedeutung ist, indem sie sich an die Erklärungen halten müssen, die im Fernsehen oder in den Zeitungen von diesem oder jenem, auch Gewerkschaftsführer, abgegeben werden. (…) Danach sehe und lese ich in den Massenmedien die unterschiedlichsten Vorschläge von Gewerkschaftsführern, die ich an diesem Punkt auch für unpassend halte. Bis zum Beweis des Gegenteils bekräftigt die Gewerkschaft angesichts eines unannehmbaren Vorschlags ihre anfänglichen Positionen und sollte alle möglichen Aktionen zur Unterstützung ihrer Verhandlungspositionen starten.“ Rinaldinis Schlussfolgerung: „Das beginnende politische Erdbeben zwingt die Gewerkschaft und die CGIL dazu einen offenen und klaren Diskurs darüber zu beginnen, was die Autonomie der gewerkschaftlichen Organisationen unter den veränderten Bedingungen bedeutet. Sonst besteht die Gefahr, dass die politischen Prozesse auf die Gewerkschaften zurückfallen, mit dem Risiko einer Balkanisierung der gewerkschaftlichen Organisationen.”

Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie weit diese „Balkanisierung“ bereits fortgeschritten ist und wie viel Konfusion herrscht, lohnt sich auch jetzt noch (nach der beschlossenen Anhebung des Rentenalters von heute 57 auf 61 Jahre im Jahre 2013 etc.) die Lektüre des Berichtes, der unabhängigen linken Tageszeitung „il manifesto“ am 5.7.2007 über die Diskussion im erweiterten CGIL-Vorstand.

3) "Die wirtschaftsliberale Linie hat über die Gewerkschaft gesiegt" - pdf-Datei Interview von Fabio Sebastiani mit Giorgio Cremaschi von der Metallgewerkschaft FIOM in der Zeitung Liberazioane vom 27. Juli 2007

Dazu das Gewerkschaftsforum Hannover:

Zweckmäßigerweise ganz kurz vor den Sommerferien lieferten die Spitzen der italienischen Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL erneut zwei eklatante Beispiele für den Ausverkauf sozialer Errungenschaften und die Unterwerfung unter den neoliberalen Kurs der Regierung Prodi. Auf das Rentenabkommen vom 20.Juli 2007, mit dem das Renteneintrittsalter stufenweise bis 2011 von heute 57 auf dann 61 Jahre angehoben und der Kreis der Bezieher von Armutsrenten weiter ausgedehnt wird, folgte am 23.Juli ein neuerliches Sozialabbau-Abkommen, das die von der Berlusconi-Regierung mit dem so genannten „Biagi-Gesetz“ (Gesetz Nr.30 / 2003) vollzogene massive Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse im wesentlichen fest- und fortschreibt. Und da bekanntlich aller „guten Dinge“ drei sind, soll dieses Paket, dem Willen der Kapitalistenverbände Confindustria, Confcommercio etc. zufolge in den kommenden Monaten auf der tarifpolitischen Ebene abgerundet werden. Mit der geplanten Verlängerung der Laufzeit der Tarifverträge von 2 auf 3 Jahre und weit reichenden Öffnungsklauseln sind weitere Reallohnverluste und die Aushebelung der Flächentarifverträge mit einer weiteren Zersplitterung der Beschäftigten vorprogrammiert. Erste derartige Tarifverträge wurden in den letzten Wochen bereits im Öffentlichen Dienst und in der Chemieindustrie abgeschlossen – mit dem ausdrücklichen Segen auch der Führung des ehemals PCI-nahen Gewerkschaftsbundes CGIL und seines Generalsekretärs Guglielmo Epifani.

In dem vornestehenden Interview aus der von Rifondazione Comunista (PRC) herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ vom 27.7.2007 zieht Giorgio Cremaschi (59) eine Zwischenbilanz der jüngsten Ereignisse. Cremaschi ist der führende Kopf des radikalen Teils der Gewerkschaftslinken in der CGIL (Rete 28 Aprile) und die “Nummer 2” der Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die unter den Branchengewerkschaften der CGIL seit langem den linken Eckpfeiler bildet und sich infolge der Entwicklung in den letzten Monaten immer weiter von der offiziellen CGIL-Linie entfernt hat. Politisch ist Chremaschi Aktivist des linken Parteiflügels von Rifondazione Comunista und Mitglied ihres Nationalen Politischen Komitees (CPN), das heißt des „kleinen Parteitags“.

4) "Wenig autonom von der befreundeten Regierung" - pdf-Datei ein Interview von Frida Nacinovich in der "Liberazione" vom 27. Juli 2007 mit Giorgio Airaudo, Sekretär der FIOM Turin.

Dazu das Gewerkschaftsforum Hannover:

Die jüngsten Reinfälle der nicht nur von CISL und UIL, sondern auch von der Führung des früher KP-nahen Gewerkschaftsbundes CGIL betriebenen sozialpartnerschaftlichen Politik mit ihren massiven Verschlechterungen bei den Renten, Sozialstaat und Arbeitsmarkt sowie das Okay der CGIL-Spitze unter Guglielmo Epifani zu weit reichenden Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen und einer Ausweitung der Laufzeit von 2 auf 3 Jahre hat die Kluft zwischen der linken CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM und dem Rest des Gewerkschaftsbundes weiter vertieft. Das zeigt auch das Interview mit dem Sekretär des wichtigen FIOM-Bezirks Turin, Giorgio Airaudo, in der kommunistischen Tageszeitung „Liberazione“ vom 27.7.2007:


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