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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Sozialer Einkauf: 3 Jahre und 4 Monate für Caruso Schwere Strafen des Gerichts von Neapel auch für acht weitere Personen, die zusammen mit Prekären Lebensmittel „raubten“ Artikel von Francesca Pilla – Neapel Einer jüngsten Studie des italienischen Statistischen Bundesamtes ISTAT zufolge erreichen 14,7% aller italienischen Haushalte das Monatsende nur mit Mühe. Bei den Rentnern sind es 15,4%, bei den in Süditalien und auf Sardinien Lebenden sogar 22,8% und unter den Familien mit 3 oder mehr Kindern 23,5%. ISTAT stellte weiter fest, dass 9% der Haushalte mit der Bezahlung der dringendsten Rechnungen im Rückstand sind (Süditalien: 15,3%, kinderreiche Familien: 22,5%) und beachtliche 28,9% aller italienischen Haushalte kein Geld für überraschend anfallende Ausgaben haben (Rentner: 32,7%, kinderreiche Familien: 38,9%, Süditalien: 42,5%). Wobei ISTAT dafür bekannt und bei den Gewerkschaften wenig beliebt ist, weil es in seinen Untersuchungen und Statistiken die Realität für gewöhnlich schön rechnet! Dieses Problem, angesichts von Reallohnverlusten, Armutsrenten, prekärer Beschäftigung oder Erwerbslosigkeit mit geringer oder gar keiner staatlichen Unterstützung über die Runden zu kommen, hat in der italienischen Linken – neben den vielfältigen Aktionen gegen prekäre Beschäftigung – zu zwei hierzulande noch weitgehend unbekannten Initiativen geführt: Zum einen die „anti-sfratti“-Aktionen, d.h. der entschlossene kollektive Widerstand gegen Zwangsräumungen von Leuten, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, und zum anderen die Gründung von „Komitees für die 4.Woche“, die die hohen Lebenshaltungskosten („il carovita“) und die zu geringen Einkommen thematisieren und dabei nicht nur kostenlosen Zugang zu kulturellen und sozialen Einrichtungen und „Produkten“ fordern, sondern zum Teil auch direkte, selbst organisierte Preisreduzierungs- bzw. Umverteilungsformen durchführten, wie sie in den 70er Jahren an der Tagesordnung waren. Wegen einer der bekanntesten dieser Aktionen wurde der ehemalige Kopf der neapolitischen Disobbedienti (Ungehorsamen) und im April 2006 auf der Liste von Rifondazione Comunista (PRC) zum Abgeordneten gewählte Francesco Caruso zusammen mit anderen linken Aktivisten in erster Instanz nun zu einer harten Gefängnisstrafe verurteilt. Offenbar möchte man, gerade aufgrund der sozialen Situation ein Exempel statuieren und Nachahmer abschrecken. Die unabhängige kommunistische Tageszeitung „il manifesto“ berichtete am 4.10.2007 über den Fall: Schwere Strafen in erster Instanz für den Abgeordneten des PRC Francesco Caruso und acht weitere Personen: 3 Jahre und 4 Monate Freiheitsentzug und fünf Jahre lang Verbot der Übernahme öffentlicher Ämter. Dem neapolitanischen Gericht zufolge handelt es sich bei der begangenen Straftat um „Schwere Erpressung“. In Wirklichkeit war es allerdings ein „Volkseinkauf“, der 2004 im Ipercoop im Stadtteil Afragola stattfand, um gegen die hohen Lebenshaltungskosten zu protestieren und für das Recht auf Einkommen einzutreten. Eine Provokation, die Teil einer nationalen öffentlichen Kampagne war, an der sich Dutzende von Centri Sociali <besetzte und selbstverwaltete Soziale Zentren>, die Basisgewerkschaften und die Netzwerke der Prekären beteiligten und ihren Höhepunkt mit der Enteignung in der Filiale der Buchhandelskette Feltrinelli am Largo Argentina in Rom fand. Es war eine Aktion der kampanischen Disobbedienti (Ungehorsamen), die unter anderem mit einem Kompromiss zu Ende ging. Der Leiter des Supermarktes stellte freiwillig Pasta und geschälte Tomaten zur Verfügung und der „Schaden“ belief sich auf nicht mehr als 350 Euro. Zur Bestätigung des zwischen der Bewegung und der Filialleitung getroffenen Übereinkunft beschloss das Unternehmen Ipercoop einige Monate später sich mit den „Komitees für die Vierte Woche“ an einen Tisch zu setzen. Resultat dieser Verhandlungen war die Auflistung einer Reihe von Produkten unterschiedlicher Art, deren Preise gesenkt wurden. Unter den Verurteilten sind auch Mario Avoletto vom Laboratorio Ska sowie Michele Franco und Antonietta Terracciano von der Prekärenbewegung der <linken Basisgewerkschaft> RdB. Und dass wir uns nicht in den 70er Jahren befinden als die proletarische Enteignung in der außerparlamentarischen Bewegung weit verbreitete Praxis war, ist seit langem klar. Eine öffentliche Aktion, die vor Fotografen und Fernsehkameras stattfand als „Schwere Erpressung“ zu bezeichnen und zu bestrafen, eröffnet mehr als eine politische und juristische Frage. Politisch, weil es wahrscheinlich ist, dass so gut wie niemand auf der Linken Stellung beziehen wird, es sei denn um das Verhalten der Aktivisten zu rügen, wie es bereits zum Zeitpunkt des Geschehens der Fall war. Und juristisch, weil sich aus dem Urteil ergibt, dass das Gesetz die Verbrecherorganisation der kampanischen Camorra mit den „nicht autorisierten Verteilern“ von Tomatenmark auf eine Stufe stellt. „In einer Stadt wie Neapel“ – denunzieren die Komitees in einer Presseerklärung – „wo der Begriff der Erpressung ganz andere Praktiken und ganz andere Mächte in Erinnerung ruft, sind die Betroffenen wieder einmal die sozialen Forderungen / Anliegen, die unter dem Fehlen irgendeiner Politik zur Unterstützung der Einkommen zu leiden haben und nun auch noch in den Gerichtssälen kriminalisiert werden.“ Das war keine Erpressung, bekräftigt auch der verurteilte Abgeordnete Francesco Caruso. Der sie zum Anlass nimmt, um <dem bekannten linkspopulistischen und zugleich legalistischen Kabarettisten und neuen Politstar> Beppe Grillo eine Botschaft zukommen zu lassen: „Ich hoffe, dass diese Verurteilung Dir hilft, Dir über den abgrundtiefen Unterschied klar zu werden, der zwischen denjenigen besteht, die wegen des Kassierens von Schmiergeldern, wegen Mitwisserschaft und heimlichen Einverständnis mit der Mafia verurteilt wurden und denjenigen, die stattdessen hoch erhobenen Hauptes verurteilt werden, weil ihre einzige Schuld darin besteht, an der Seite der Schwächsten gegen die sozialen Ungerechtigkeiten zu kämpfen.“ Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern vom Gewerkschaftsforum Hannover Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de |