Der folgende Artikel erschien in der "il manifesto"-Ausgabe vom 14.12.1999.

Eisenbahn

Der 24stündige Streik beendet

Basisgewerkschaften haben die Prüfung des Streiks bestanden

76% der Eisenbahner haben gestern an der Taufe der ORSA teilgenommen

Francesco Piccioni – Rom

Dieses Mal kann der Krieg der Zahlen die Realität eines gelungenen Streiks nicht verbergen. Und jene vom Unternehmen genannten 20 – 26% Streikbeteiligung sind wirklich viel zu kümmerlich, um die Quantität und die Qualität der Verspätungen, der abgesagten Fahrten und der leeren Büros zu rechtfertigen. Außerdem ging der Streik diesmal die gesamte Berufsgruppe an und nicht nur eine der vielen "technischen" Komponenten, in die sich die Vertretung nach und nach aufgesplittert hatte (die Lokführer im COMU, die Bahnhofsvorsteher in der UCS usw.). Die Geburt der "Or.S.A." scheint schließlich ein größeres Ergebnis erreicht zu haben als das – auch interessante – einer einfachen Föderation der existierenden Einzelorganisationen (FISAFS, COMU, UCS, SAPEC, SAPENT und darüberhinaus von Organisationen anderer Teile des öffentlichen Verkehrs, wie der CNL bei den im Bus- und Straßenbahnverkehr Beschäftigten). Die Basisgewerkschaftsbewegung hat bei dieser Kraftprobe im wesentlichen bewiesen als "Gewerkschaft der ganzen Berufsgruppe" in den Augen der Eisenbahner eine glaubwürdige Alternative zur konföderalen "Dreifaltigkeit" (1) darstellen zu können.

Um die Tragweite des Streiks zu beurteilen, muß man jedoch einige Vorbemerkungen machen. Die im Kampf befindlichen Arbeiter sind gehalten eine Reihe von "Mindestdiensten" zu garantieren, die vom Unternehmen bestimmt werden. Die Frage ist jedoch umstritten. Die Eisenbahner haben die FS oft beschuldigt für diese Dienste eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von Arbeitern "abzukommandieren", mit dem Ziel die Prozentzahlen der Streikenden zu "drücken". Es ist klar, daß, wenn man das zwangsverpflichtete Personal um 120 Fernzüge und ca. 2000 Nahverkehrszüge (auf die "geschützten Zeitabschnitte" von 6 bis 9 Uhr und von 18 bis 21 Uhr begrenzt) fahren zu lassen, als "Nicht-Streikende" rechnet, die Zahlen sich sehr unterscheiden. Und das Unternehmen stellt seine Berechnungen in dieser Weise an. Die Basisgewerkschaften hingegen berechnen die Prozentzahlen, indem sie berücksichtigen wieviele die Streikenden unter denjenigen sind, die frei sind zu entscheiden, ob sie zur Arbeit gehen oder nicht.

Trotz all der Hindernisse, die der freien Ausübung des Streikrechts im Wege stehen, sprachen die Presseagenturen am späten Vormittag von Verspätungen zwischen 15 Minuten und 2 Stunden für die nicht abgesagten Züge. Es gab wenige Schnell- und Expreßzüge, die gefahren sind. Schwere Verspätungen hatten auch einige Eurostar-Züge (die Blume im Knopfloch des Unternehmens – die Züge, die "wie auch immer pünktlich ankommen müssen"). Indirekt räumten die FS das Gelingen des Streiks ein als sie bekanntmachten, daß "alle garantierten Züge plus 7%" andere verkehrten. Ohne die "verpflichteten Mindestdienste" wären also nur sehr wenige Züge verkehrt.

Große Zufriedenheit selbstverständlich bei den "selbstorganisierten" Gewerkschaftern. Bruno Salustri, nationaler Koordinator der COMU-Lokführer und einer der Protagonisten der Geburt der "Or.S.A.", hat von "großem Erfolg" und von "Beteiligungen zwischen 75% und 80%" gesprochen. Und er hat auf der großen, allgemeinen Beteiligung der Eisenbahner insistiert und dabei erklärt, daß "wenn die Löhne um 20% gekürzt und wenn 20 000 Arbeitsplätze beseitigt werden, ohne neue Technologien einzuführen und deshalb die Arbeitsbelastung in bedeutendem Umfang erhöht wird, den Arbeitern nichts anderes übrigbleibt als zu streiken".

In der am Abend herausgegebenen Erklärung hat es der COMU nicht versäumt die Beteiligung von "verschiedenen Abteilungskoordinationen der in die RSU’en (2) gewählten Delegierten und die Tatsache zu unterstreichen, daß sie sich durch ein von den Sekretarien der konföderalen Gewerkschaften, denen sie angehören, autonomes Verhalten auszeichneten". Eine Bewegung der Zustimmung, die aus den konföderalen Gewerkschaften herausführt und die "eine nationale Versammlung der RSU-Delegierten" angeregt hat – selbst einberufen für den 18. Dezember nach Florenz, mit dem Ziel die Auseinandersetzung zu koordinieren und zu leiten".

De facto, kommentiert der für die Verkehrspolitik Verantwortliche von Rifondazione (3) Ugo Boghetta, hat der Streik "ein Abkommen (zwischen Regierung, Unternehmen und konföderalen Gewerkschaften; Anm.d.Red.) abgelehnt". Und die heute bereits starke und deutliche Unzufriedenheit "ist dazu bestimmt sich zu verschärfen, wenn das Abkommen zum Vertrag wird"" Das heißt dann wenn man die grundlegenden Linien des heftig angefochtenen "Unternehmensplanes" der FS "in der Lohntüte und in der Organisation der Arbeit erlebt".

 

Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

 

Anmerkungen der ÜbersetzerInnen:

1) CGIL-CISL-UIL

2) RSU = Einheitliche Gewerkschaftliche Vertretung (aller vorhandenen Gewerkschaften im jeweiligen Betrieb) = die italienische Mischung aus Vertrauensleutekörper und Betriebsrat.

3) Rifondazione ist die allgemein gebräuchliche Kurzform von "Partito della Rifondazione Comunista" (PRC - Partei der kommunistischen Neu/be/gründung); siehe im vorangegangenen Artikel Fußnote 5.


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